Aktualisiert: NeofaschistInnen marschieren unter Polizeischutz durch Wien

Der Chris­t­ian-Bro­da-Platz beim Wiener West­bahn­hof sollte gestern Schau­platz zweier Demon­stra­tio­nen sein. Die Demon­stra­tion der recht­sex­tremen Iden­titären, die um 14 Uhr los­marschieren sollte, und eine antifaschis­tis­che Gegenkundge­bung, die sich gegen 12:30 langsam in Bewe­gung set­zte. Was fol­gend passierte, kann nur als erneute Groteske der Polizeiführung beze­ich­net werden.

Schein­bar um die lästige Wartezeit für die Iden­titären zu verkürzen (die aber erst einein­halb Stun­den nach der Gegen­demon­stra­tion marschieren soll­ten) wurde kurz­er­hand eine andere Route beschlossen, wie auch die Polizei bestätigt. Diese zogen recht­sex­treme Parolen grölend durch den Wiener Gemein­de­bezirk Neubau, wur­den dabei tatkräftig von etwa 900 PolizistIn­nen unter­stützt und mussten sich aber schlussendlich, auf­grund von Protesten von Anrainer­In­nen und AntifaschistIn­nen, doch geschla­gen geben und ihre Demon­stra­tion ver­früht abbrechen. Der Polizeiein­satz verur­sachte mehrere Ver­let­zte, unter anderem wurde eine Gew­erkschaft­sak­tivist schw­er verletzt.

Besuch mit Schlaghandschuhen

Schon im Vor­feld der Demon­stra­tion wur­den franzö­sis­che Recht­sex­trem­is­ten, die mit Schlaghand­schuhen aus­gerüstet waren, von der Polizei aufge­hal­ten und per­lus­tri­ert. Immer wieder waren an “Autonome Nation­al­is­ten” erin­nernde Iden­titäre im Umfeld der antifaschis­tis­chen Gegen­demon­stra­tion zu sehen. Auch gab es im Vor­feld der Demon­stra­tio­nen von rechter Seite mas­sive Gewal­tan­dro­hun­gen. So kon­nte eine der Mitini­tia­torin­nen der Gegen­de­mo, Natascha Strobl von der Offen­sive gegen Rechts, nicht an der Demo teil­nehmen. Der Grund: Es hat­te am Fre­itag Mord­dro­hun­gen gegen sie und andere Per­so­n­en auf der Face­book-Seite der neo­faschis­tis­chen Bewe­gung der Iden­titären gegeben. So wurde gedro­ht, man solle AntifaschistIn­nen “ein­fach ganz emo­tion­s­los mit ein­er 10 Euro Bauhausaxt den Schädel ein­schla­gen”. Inzwis­chen wurde das Post­ing gelöscht.


„mit ein­er 10 Euro Bauhausaxt den Schädel einschlagen”
-

Für die recht­sex­treme Demon­stra­tion fand eine inter­na­tionale Mobil­isierung statt. Ungarische und tschechis­che Recht­sex­treme, teils auch aus dem neon­azis­tis­chen Eck, macht­en mas­sive Wer­bung für die öster­re­ichis­chen Iden­titären und deren Aktion. Franzö­sis­che, ital­ienis­che und deutsche Recht­sex­treme kündigten ihr kom­men an. Die franzö­sis­chen Iden­titären wur­den unter anderem dadurch auf­fäl­lig, dass sie in Frankre­ich an wehrsportähn­lichen Übun­gen teil­nah­men und als „Bürg­er­wehr” bewaffnet durch die Straßen Frankre­ichs ziehen.


Iden­titäre Bürgerwehr
-

Grölende NeofaschistInnen und missachtete Pressefreiheit

Auf­grund der Entschei­dung der Polizeiführung, den Iden­titären die Wartezeit zu verkürzen, sam­melten sich die Recht­sex­tremen am Gür­tel und marschierten dann durch den 7. Wiener Gemein­de­bezirk. “Burggasse/Ecke Zieg­ler­gasse trafen dann erst­mals kleine Grup­pen von Gegen­demon­stran­ten auf den recht­en Marsch, wur­den aber sofort von der Polizei ver­trieben oder unsan­ft weggeschlif­f­en”, berichtet derStandard.at. Wieder­holt wurde dabei der Presse und ein­er Vertreterin der Volk­san­waltschaft der Durch­gang ver­wehrt. Erst nach Gesprächen mit Vorge­set­zten der Polizei wurde die Sperre für Medi­en aufgehoben.

AnrainerInnen und AntifaschistInnen blockieren Rechtsextreme

Beim Volk­sthe­ater gelang es AntifaschistIn­nen den Auf­marsch der Iden­titären zu block­ieren. Die Polizei griff hart durch, set­zte mas­siv Pfef­fer­spray ein und ver­suchte den Weg für die Iden­titären freizubekom­men. Das Trä­nen­gas beka­men selb­st unbeteiligte Pas­san­ten in der U‑Bahn-Sta­tion zu spüren. Dabei kam es auch zu Farbbeutel­wür­fen und — so nach Bericht­en der Polizei — zu vere­inzel­ten Flaschen- bzw. Stein­wür­fen von GegendemonstrantInnen.


Mas­siv­er Pfef­fer­sprayein­satz. Größere und mehr Fotos auf derstandard.at — Der Marsch der Iden­titären am Sam­stag in Wien
-

Kurze Zeit später been­dete die Polizei aber ihren Ver­such den Weg “freizuräu­men”. Zu viele Anrainer­In­nen mis­cht­en sich unter die AntifaschistIn­nen und block­ierten gemein­sam erfol­gre­ich den Zug der Recht­sex­tremen. Ein medi­en­verträglich­es Vorge­hen erschien der Polizei wohl aus­sicht­s­los. So berichtete derStandard.at, dass schon während des Marsches der Iden­titären, sich dort und da ein Fen­ster öffnete und u.a. eine ältere Dame den Iden­titären ein „schleicht’s eich!”, mit dem Dau­men nach unten deu­tend, entgegenrief.


Trotz Pfef­fer­spray: Gegen­seit­ige Hilfte
-

Den Iden­titären blieb nichts anderes übrig als ihre Demon­stra­tion aufzulösen und unvol­len­de­ter Dinge in den Unter­grund der U‑Bahnen zu ver­schwinden. Die Behaup­tung der Iden­titären, die U‑Bahnstation Volk­sthe­ater, wäre der gewollte Schlusspunkt der Demon­stra­tion, ist wie so viele Behaup­tun­gen der Neo­faschistIn­nen nicht wahr. So zeigt ein Video auf vice.com (etwa bei Minute 5:40), wie ein Polizeiof­fizier ein­dringlich appel­liert die Kundge­bung beim Volxthe­ater zu been­den, während Jür­gen B. und Mar­tin S. darum bit­ten die Demon­stra­tion been­den zu dür­fen, „das geht nicht anders”. und um Minuten feilschen


Alexan­der M. und Burschen­schafter Jür­gen B. mit aus­geprägten Narben
-

Die erste recht­sex­treme Demon­stra­tion seit 2002 in Wien (Anti-Wehrma­cht­sausstel­lung), wurde von engagierten AntifaschistIn­nen und Anrainer­In­nen erfol­gre­ich blockiert.

Gewerkschaftsaktivistin attackiert

Damit war der rechte Spuk aber noch nicht been­det. Unter Polizeibegleitung fuhren die Iden­titären mit der U2 zur Sta­tion Rathaus und marschierten geschlossen in ein Wiener Bier­lokal. Bekan­nt ist, dass sich in diesem Lokal immer wieder Burschen­schafter treffen.

Zahlre­iche AntifaschistIn­nen ver­sucht­en weit­er Protest auszuüben und ver­sam­melte sich bei der Kreuzung Josef­städter­straße, “2er-Lin­ie”. Dort ging die Polizei aber­mals hart gegen AntifaschistIn­nen vor, bei dem Ein­satz wurde eine Gew­erkschaft­sak­tivistin schw­er ver­let­zt. Die Betrieb­srätin und Aktivistin der Gew­erkschafts­frak­tion KOM­intern in der Arbeit­erkam­mer Wien, musste nach dem dop­pel­ten Bein­bruch operiert wer­den. Ein weit­er­er Gew­erkschaft­sak­tivist wurde ver­haftet, als er sich nach ihrem Zus­tand erkundi­gen wollte.


Lächel­nde Polizeibeamte, ver­let­zte Gew­erkschafts-Aktivistin. Fotos, siehe: KOM­intern
-

Die Polizei recht­fer­tigte den Ein­satz damit, dass etwa 200 Per­so­n­en sich teil­weise mit Steinen bewaffnet haben sollen und in Rich­tung des 8. Bezirkes liefen. Dabei soll es zu Sach­schä­den in einem Lokal in der Josef­s­tadt gekom­men sein. AntifaschistIn­nen bericht­en dage­gen, dass sie von der Polizei in das Lokal hineinge­drängt wur­den und das dann als Sachbeschädi­gung aus­gelegt wurde.
Update: „Einige hät­ten sich „gejagt von der Polizei” in der Josef­städter Straße in das Geschäft geflüchtet, beim Polizeiein­satz seien dann auch Waren zu Bruch gegan­gen. Ein Anwalt ein­er vorüberge­hend Festgenomme­nen spricht von einem Sach­schaden von 230 Euro. Mit dem Betrag kon­fron­tiert rel­a­tiviert ein Polizeis­prech­er seine For­mulierung von ein­er ange­blichen „Ver­wüs­tung” des Geschäfts wieder”, berichtet derStandard.at.

Polizei: Auch Schwangere müssen mit Konsequenzen rechnen

In ein­er Presseaussendung der Polizei wurde bekan­nt gegeben: “Derzeit liegen Infor­ma­tio­nen über eine ver­let­zte Frau und einen ver­let­zten Polizis­ten” vor. Ent­ge­gen dieser Aussendung der Polizei bestätigte ein Sprech­er des Roten Kreuz dem derStandard.at, dass fünf Frauen im Alter zwis­chen 14 (!) und 25 Jahren ver­let­zt wur­den: „Drei leicht, eine erlitt einen Bein­bruch und eine schwan­gere junge Frau musste ins Spi­tal gebracht werden.”
Update: „Die Schwan­gere sei „sicht­bar schwanger gewe­sen und ist von den Polizis­ten umgestoßen wor­den”, sagt eine Zeu­g­in derStandard.at.” Die Frau wurde jeden­falls aus dem Spi­tal wieder ent­lassen und auf freiem Fuß angezeigt. Für sie endete der Ein­satz jeden­falls mit schw­er­wiegen­den Fol­gen: Sie ver­lor am Sam­stag ihr Baby, berichtet der­Stan­dard weit­er.

Nach Bericht­en wur­den auch zwei min­der­jährige Frauen (14 und 17) festgenom­men. Volljährige Bezugsper­so­n­en wurde es von der Polizei unter­sagt, diese zu begleit­en. Bir­git Hebein, Gemein­derätin der Grü­nen, berichtete:

Dass die Kri­tik am Polizeivorge­hen wieder ein­mal auch haus­gemacht ist, zeigt eine Mel­dung ein­er Polizeis­precherin dazu: „Prinzip­iell gilt: Wenn man sich der Polizei in den Weg stellt, muss man mit Kon­se­quen­zen rech­nen, auch wenn man schwanger ist”.


Georg Prack, Lan­dessprech­er der Wiener Grünen
-

Fazit

In der schon ange­sproch­enen Aussendung der Polizei, bestätigt diese, dass 37 Per­so­n­en vor­läu­fig festgenom­men wur­den: “Der über­wiegende Teil der Fes­t­nah­men und Anzeigen erfol­gte auf­grund gerichtlich straf­bar­er Hand­lun­gen, ins­beson­dere wegen des Ver­dachts auf Land­friedens­bruch, Störung ein­er Ver­samm­lung, schw­er­er Sachbeschädi­gung und Wider­stands gegen die Staats­ge­walt.” Die Polizei schick­te zu dieser Aussendung auch Fotos aus, auf denen ein eingeschla­genes Fen­ster eines Polizeiau­tos zu sehen ist, eine Per­son, die etwas wirft, eine Per­son mit ein­er Stein­schleud­er und ein Schweiz­er Armee­taschen­mess­er. Dage­gen ste­hen fünf, zum Teil schw­er ver­let­zte Demon­stran­tInnen und zahlre­iche auch unbeteiligte Bürg­erIn­nen, die die Auswirkun­gen des Pfef­fer­spray-Ein­satzes der Polizei zu spüren beka­men. Und ein Marsch von Recht­sex­trem­istIn­nen durch Wien, der nur durch tatkräftige Unter­stützung der Polizei stat­tfind­en konnte.

Die Polizei set­zt damit ihre viel kri­tisierte Strate­gie fort und ermit­telt bzw. erstat­tet Anzeige wegen Land­friedens­bruch. Schon nach der Anti-WKR-Demon­stra­tion verkün­dete die Polizei, gegen 500 Demon­stran­tInnen wegen Land­friedens­bruch zu ermit­teln. Ermit­telt wurde deswe­gen auch schon gegen Fußball­fans. Nicht nur JuristIn­nen kri­tisieren das Vorge­hen auf­grund des Para­graphen mas­sivst, son­dern auch das Ober­lan­des­gericht warnt vor allzu exten­siv­en Ein­satz.

Konsequenzen?

Wie nach dem Ein­satz der Polizei beim WKR-Ball (vul­go Akademiker­ball), wer­den Rufe nach Kon­se­quen­zen laut. Die Vor­sitzende der Sozial­is­tis­chen Jugend Öster­re­ich, Julia Herr und die Vor­sitzende der Sozial­is­tis­chen Jugend Wien, Mari­na Han­ke kri­tisieren das Vorge­hen der Polizei und bekräftigten daher die Rück­tritts­forderung an den Wiener Polizeipräsi­den­ten Pürstl: „Wenn einem als Polizeipräsi­dent zum wieder­holten Male nichts besseres ein­fällt, als Secu­ri­ty für recht­sex­treme Aufmärsche und Ver­anstal­tun­gen zu spie­len und gle­ichzeit­ig willkür­lich gegen antifaschis­tis­che Demon­stran­tInnen vorzuge­hen, dann sollte man zum Wohle aller abtreten. Die Polizei hat deeskali­tiv zu wirken und sollte nicht ständig die Stim­mung durch unver­hält­nis­mäßig große und unver­hält­nis­mäßig harte Ein­sätze anheizen!” Auch von Seit­en der Aktion Kri­tis­ch­er Schü­lerIn­nen (AKS), des Ver­bands Sozial­is­tis­ch­er Stu­dentIn­nen (VSSTÖ) und der Öster­re­ichis­chen Hochschü­lerIn­nen­schaft (ÖH) gab es scharfe Kri­tik am Vorge­hen der Polizeiführung.

David Ellen­sohn, Klubob­mann der Grü­nen im Wiener Rathaus, sieht einen Hand­lungs­be­darf. “Es gab mal: Bürg­erIn­nen beobacht­en die Polizei. Revival? Wie ent­bläut man Polizei?”, fragt Ellen­sohn auf Twit­ter und fordert eine Kennze­ich­nungspflicht für PolizistIn­nen, denn die “Polizei kann sich Dien­st­num­mer meist nicht merken” oder “geben Num­mer öfter gar nicht her”.

Update: Eine Kennze­ich­nungspflicht fordert auch der Grüne Jus­tizsprech­er Albert Stein­hauser in ein­er ersten Reak­tion, denn „eine sicht­bare Kennze­ich­nung der Dien­st­num­mern an der Uni­form von Polizis­ten muss kom­men. In vie­len Län­dern wie Frankre­ich, Ital­ien oder den USA ist das Stan­dard”. Zahlre­iche Schilderun­gen wür­den zeigen, dass die Wiener Polizei grund­sät­zlich und geset­zwidrig die Angabe von Dien­st­num­mern auf Nach­frage ver­weigert hat. Stein­hauser ist überzeugt, dass die Maß­nahme alleine deshalb deeskala­tiv wirken würde. „Wir wer­den uns genau anschauen, was gestern passiert ist und wer die Ver­ant­wor­tung trägt. Friedlich­er antifaschis­tis­ch­er Protest, wie Sitzblock­aden, müssen möglich sein”, schließt der Grüne Justizsprecher.

Aktuell: derstandard.at — Iden­titären-Marsch: Hun­dert Anzeigen und scharfe Kri­tik am Vorge­hen der Polizei

Heute.at — Linke und rechte Demos in Wien eskalierten
derstandard.at — „Iden­titäre” marschieren durch Wien, Fes­t­nah­men und Verletzte
derstandard.at — Der Marsch der Iden­titären am Sam­stag in Wien
diepresse.com — Demos in Wien: Über­griffe auf Polizei oder „Prügelorgie”?