Um die lästige Wartezeit für die Identitären zu verkürzen (die aber erst eineinhalb Stunden nach der Gegendemonstration marschieren sollten), wurde kurzerhand eine andere Route beschlossen, wie auch die Polizei bestätigt. Die Identitären zogen rechtsextreme Parolen grölend durch den Wiener Gemeindebezirk Neubau, wurden dabei tatkräftig von etwa 900 PolizistInnen unterstützt und mussten sich schlussendlich, aufgrund von Protesten von AnrainerInnen und AntifaschistInnen, doch geschlagen geben und ihre Demonstration verfrüht abbrechen. Der Polizeieinsatz verursachte mehrere Verletzte, unter anderem wurde eine Gewerkschaftsaktivist schwer verletzt.
Besuch mit Schlaghandschuhen
Schon im Vorfeld der Demonstration wurden französische Rechtsextremisten, die mit Schlaghandschuhen ausgerüstet waren, von der Polizei aufgehalten und perlustriert. Immer wieder waren an „Autonome Nationalisten” erinnernde Identitäre im Umfeld der antifaschistischen Gegendemonstration zu sehen. Auch gab es im Vorfeld der Demonstrationen von rechter Seite massive Gewaltandrohungen. So konnte eine der Mitinitiatorinnen der Gegendemo, Natascha Strobl von der Offensive gegen Rechts, nicht an der Demo teilnehmen. Der Grund: Es hatte am Freitag Morddrohungen gegen sie und andere Personen auf der Facebook-Seite der Identitären gegeben. So wurde gedroht, man solle AntifaschistInnen „einfach ganz emotionslos mit einer 10 Euro Bauhausaxt den Schädel einschlagen”. Inzwischen wurde der Kommentar gelöscht.
„mit einer 10 Euro Bauhausaxt den Schädel einschlagen”
Für die rechtsextreme Demonstration fand eine internationale Mobilisierung statt. Ungarische und tschechische Rechtsextreme, teils auch aus der neonazistischen Ecke, machten massive Werbung für die österreichischen Identitären und deren Aktion. Französische, italienische und deutsche Rechtsextreme kündigten ihr Kommen an. Die französischen Identitären wurden unter anderem dadurch auffällig, dass sie in Frankreich an wehrsportähnlichen Übungen teilnahmen und als „Bürgerwehr” bewaffnet durch die Straßen Frankreichs ziehen.
Identitäre Bürgerwehr
Grölende NeofaschistInnen und missachtete Pressefreiheit
Aufgrund der Entscheidung der Polizeiführung, den Identitären die Wartezeit zu verkürzen, sammelten sich die Rechtsextremen am Gürtel und marschierten dann durch den 7. Wiener Gemeindebezirk. “Burggasse/Ecke Zieglergasse trafen dann erstmals kleine Gruppen von Gegendemonstranten auf den rechten Marsch, wurden aber sofort von der Polizei vertrieben oder unsanft weggeschliffen”, berichtet der Standard (17.5.14). Wiederholt wurde dabei der Presse und einer Vertreterin der Volksanwaltschaft der Durchgang verwehrt. Erst nach Gesprächen mit Vorgesetzten der Polizei wurde die Sperre für Medien aufgehoben.
AnrainerInnen und AntifaschistInnen blockieren Rechtsextreme
Beim Volkstheater gelang es AntifaschistInnen, den Aufmarsch der Identitären zu blockieren. Die Polizei griff hart durch, setzte massiv Pfefferspray ein und versuchte den Weg für die Identitären freizubekommen. Das Tränengas bekamen selbst unbeteiligte Passanten in der U‑Bahn-Station zu spüren. Dabei kam es auch zu Farbbeutelwürfen und laut Polizei zu vereinzelten Flaschen- bzw. Steinwürfen von GegendemonstrantInnen.
Kurze Zeit später beendete die Polizei aber ihren Versuch den Weg freizuräumen. Zu viele AnrainerInnen mischten sich unter die AntifaschistInnen und blockierten gemeinsam erfolgreich den Zug der Rechtsextremen. Ein medienverträgliches Vorgehen erschien der Polizei wohl aussichtslos. Der Standard berichtete, dass schon während des Marsches der Identitären sich dort und da ein Fenster öffnete und u.a. eine ältere Dame den Identitären ein „schleicht’s eich!”, mit dem Daumen nach unten deutend, entgegenrief. Den Identitären blieb nichts anderes übrig, als ihre Demonstration aufzulösen und unvollendeter Dinge in den Untergrund der U‑Bahnen zu verschwinden.
Trotz Pfefferspray: Gegenseitige Hilfte
Gewerkschaftsaktivistin attackiert
Damit war der rechte Spuk aber noch nicht beendet. Unter Polizeibegleitung fuhren die Identitären mit der U2 zur Station Rathaus und marschierten geschlossen in ein Wiener Bierlokal. Bekannt ist, dass sich in diesem Lokal immer wieder Burschenschafter treffen.
Bei der Kreuzung Josefstädterstraße/2er-Linie ging die Polizei abermals hart gegen AntifaschistInnen vor, wobei eine Gewerkschaftsaktivistin schwer verletzt wurde. Die Betriebsrätin und Aktivistin der Gewerkschaftsfraktion KOMintern in der Arbeiterkammer Wien musste nach dem doppelten Beinbruch operiert werden. Ein weiterer Gewerkschaftsaktivist wurde verhaftet, als er sich nach ihrem Zustand erkundigen wollte.
Die Polizei rechtfertigte den Einsatz damit, dass etwa 200 Personen sich teilweise mit Steinen bewaffnet haben sollen und in Richtung des 8. Bezirkes gelaufen seien. Dabei soll es zu Sachschäden in einem Lokal in der Josefstadt gekommen sein. AntifaschistInnen berichten dagegen, dass sie von der Polizei in das Lokal hineingedrängt wurden und das dann als Sachbeschädigung ausgelegt wurde.
Einige hätten sich „gejagt von der Polizei” in der Josefstädter Straße in das Geschäft geflüchtet, beim Polizeieinsatz seien dann auch Waren zu Bruch gegangen. Ein Anwalt einer vorübergehend Festgenommenen spricht von einem Sachschaden von 230 Euro. Mit dem Betrag konfrontiert relativiert ein Polizeisprecher seine Formulierung von einer angeblichen „Verwüstung” des Geschäfts wieder. (derstandard.at, 17.5.14)
Polizei: Auch Schwangere müssen mit Konsequenzen rechnen
In einer Presseaussendung der Polizei wurde bekannt gegeben: “Derzeit liegen Informationen über eine verletzte Frau und einen verletzten Polizisten” vor. Entgegen dieser Aussendung der Polizei bestätigte ein Sprecher des Roten Kreuz dem Standard, dass fünf Frauen im Alter zwischen 14 und 25 Jahren verletzt wurden.
Nach Berichten wurden auch zwei minderjährige Frauen (14 und 17) festgenommen. Volljährige Bezugspersonen wurde es von der Polizei untersagt, diese zu begleiten. Birgit Hebein, Gemeinderätin der Grünen, berichtete:
Dass die Kritik am Polizeivorgehen wieder einmal auch hausgemacht ist, zeigt eine Meldung einer Polizeisprecherin dazu: „Prinzipiell gilt: Wenn man sich der Polizei in den Weg stellt, muss man mit Konsequenzen rechnen, auch wenn man schwanger ist.”
Fazit
In der schon angesprochenen Aussendung bestätigt die Polizei, dass 37 Personen vorläufig festgenommen wurden:
Der überwiegende Teil der Festnahmen und Anzeigen erfolgte aufgrund gerichtlich strafbarer Handlungen, insbesondere wegen des Verdachts auf Landfriedensbruch, Störung einer Versammlung, schwerer Sachbeschädigung und Widerstands gegen die Staatsgewalt.
Die Polizei fügte dieser Aussendung auch Fotos bei, auf denen ein eingeschlagenes Fenster eines Polizeiautos zu sehen ist, eine Person, die etwas wirft, eine Person mit einer Steinschleuder und ein Schweizer Armeetaschenmesser. Dagegen stehen fünf, zum Teil schwer verletzte DemonstrantInnen und zahlreiche auch unbeteiligte BürgerInnen, die die Auswirkungen des Pfefferspray-Einsatzes der Polizei zu spüren bekamen. Und ein Marsch von RechtsextremistInnen durch Wien, der nur durch tatkräftige Unterstützung der Polizei stattfinden konnte.
Die Polizei setzt damit ihre viel kritisierte Strategie fort und ermittelt bzw. erstattet Anzeige wegen Landfriedensbruch. Schon nach der Anti-WKR-Demonstration verkündete die Polizei, gegen 500 DemonstrantInnen wegen Landfriedensbruch zu ermitteln. Ermittelt wurde deswegen auch schon gegen Fußballfans. Nicht nur JuristInnen kritisieren das Vorgehen aufgrund des Paragraphen massiv, sondern auch das Oberlandesgericht warnt vor allzu extensiven Einsatz.
Konsequenzen?
Wie nach dem Einsatz der Polizei beim WKR-Ball („Akademikerball”) werden Rufe nach Konsequenzen laut. Die Vorsitzende der Sozialistischen Jugend Österreich, Julia Herr und die Vorsitzende der Sozialistischen Jugend Wien, Marina Hanke kritisieren das Vorgehen der Polizei und bekräftigten daher die Rücktrittsforderung an den Wiener Polizeipräsidenten Pürstl:
Wenn einem als Polizeipräsident zum wiederholten Male nichts besseres einfällt, als Security für rechtsextreme Aufmärsche und Veranstaltungen zu spielen und gleichzeitig willkürlich gegen antifaschistische DemonstrantInnen vorzugehen, dann sollte man zum Wohle aller abtreten. Die Polizei hat deeskalitiv zu wirken und sollte nicht ständig die Stimmung durch unverhältnismäßig große und unverhältnismäßig harte Einsätze anheizen! (ots.at, 17.5.14)
Auch von Seiten der Aktion Kritischer SchülerInnen (AKS), des Verbands Sozialistischer StudentInnen (VSSTÖ) und der Österreichischen HochschülerInnenschaft (ÖH) gab es scharfe Kritik am Vorgehen der Polizeiführung.
David Ellensohn, Klubobmann der Grünen im Wiener Rathaus, sieht einen Handlungsbedarf.
Es gab mal: BürgerInnen beobachten die Polizei. Revival? Wie entbläut man Polizei?”, fragt Ellensohn auf Twitter und fordert eine Kennzeichnungspflicht für PolizistInnen, denn die “Polizei kann sich Dienstnummer meist nicht merken” oder “geben Nummer öfter gar nicht her”.
Eine Kennzeichnungspflicht fordert auch der Grüne Justizsprecher Albert Steinhauser in einer ersten Reaktion, denn „eine sichtbare Kennzeichnung der Dienstnummern an der Uniform von Polizisten muss kommen. In vielen Ländern wie Frankreich, Italien oder den USA ist das Standard” (ots.at, 18.5.14). Zahlreiche Schilderungen würden zeigen, dass die Wiener Polizei grundsätzlich und gesetzwidrig die Angabe von Dienstnummern auf Nachfrage verweigert hat. Steinhauser ist überzeugt, dass die Maßnahme alleine deshalb deeskalativ wirken würde. „Wir werden uns genau anschauen, was gestern passiert ist und wer die Verantwortung trägt. Friedlicher antifaschistischer Protest, wie Sitzblockaden, müssen möglich sein.” (ebd.)