Gottfried Küssel beim „Totengedenken” 2004 (Bildquelle: kuesselskameraden.blogsport.eu)
2004 wetterte Strache noch in seiner Rede: „Ich werde diese Schieflage der derzeitigen Geschichtsauffassung nicht hinnehmen.“ 2012 jammert er auf Facebook, dass den freiheitlichen Studentenverbindungen „wider besseres Wissen — von SPÖ und Co ein inakzeptables Nachtrauern des Krieges unterstellt wird, was an Schwachsinn und bösartiger Absurdität nicht mehr zu überbieten ist“. Keine Rede mehr von der Schieflage der Geschichtsauffassung! Was soll sich da heute ein John Gudenus denken, der 2006 seinen Versuch, die „Schieflage der derzeitigen Geschichtsauffassung“ über die Gaskammern der Nazis zu korrigieren, mit einer einjährigen bedingten Haftstrafe büßen musste?
2012 gibt Strache auf Facebook langatmig seine Neuinterpretation der „Heldenehrung“, die jetzt von ihm „Totengedenkveranstaltung“ genannt wird, zum Besten:
Jedes Jahr, am 8. Mai, jährt sich zum Glück das Ende des schrecklichen und todbringenden 2. Weltkrieges und das Ende des grausamen und menschenverachtenden totalitären NS-Regimes. An diesem Tag gedenken seit Jahrzehnten die studentischen Verbindungen ALLEN Opfern (den Millionen jüdischen Opfern der grausamen NS-Tötungsmaschinerie in den KZ, den Millionen zivilen Opfern durch Krieg und Bombenterror, den gefallenen Soldaten aller Seiten, und den in Folge Millionen aus dem Osten Vertriebenen, geschundenen und umgebrachten Menschen nach dem Kriegsende) dieser Zeit — welche wir zum Glück überwunden haben.
Diese „derzeitige Geschichtsauffassung“ kommt in eine „Schieflage“ zu den Interpretationen, die am 8. Mai in vergangenen Jahren bei den „Heldenehrungen“ vorgenommen wurden. Auf Facebook wird der Sermon von Strache kaum kommentiert – die ergebenen Jünger können nicht wirklich etwas damit anfangen. Nur einer erinnert an die „Schieflage“: „Und seit dem 8. Mai 1945 darf man nur mehr das darüber äußern was uns von den Siegermächten dogmatisch vorgeschrieben wird!“ Einige Stunden hält er durch, dann wird seine Geschichtsauffassung gelöscht.
Martin Graf beim „Totengedenken” 2012 (Faksimile der Website unzensuriert.at)
2004 war das, wie erwähnt, auch noch anders bei der „Heldenehrung“. Der Sprecher des Wiener Korporationsringes, der damals Strache begrüßen und in späteren Jahren noch glanzvollere Auftritte absolvieren durfte, nagelte in seinen einleitenden Worten die Geschichtsauffassung ziemlich gerade und direkt fest: „Wir denken an die Charakterstärke und Unerschütterlichkeit der Frauen und Männer im Bombenhagel des Alliierten Luftterrors…. Die militärische Kapitulation der Deutschen Armee am 8. Mai 1945 brachte den Alliierten den Frieden, aber Millionen von Deutschen brachte sie die Hölle.”
Ja, vor allem die Unerschütterlichkeit und die Charakterstärke! Sie war das Privileg der Nazi-Spitzen, die bis zur bedingungslosen Kapitulation, bis zum Ende des schon längst verlorenen Kriegs morden ließen, bevor sie selbst vom deutschen Volk desertierten. Um die schiefe Geschichtsauffassung ein wenig zurechtzurücken, hier ein Zitat von Ian Kershaw, Das Ende. Kampf bis in den Untergang. NS-Deutschland 1944/45:
Auch die Deutschen waren in der letzten Kriegsphase unbestreitbar Opfer von Ereignissen, über die sie keinerlei Macht hatten. Natürlich war, wer sein Heim im Bombenhagel verlor, ein Opfer – Opfer eines schonungslosen Bombenkriegs, Opfer aber auch der expansionistischen Politik seiner Regierung, die den Horror ausgelöst hatte. Die Frauen, Kinder und alten Leute, die in Ostdeutschland aus ihren Häusern und von ihren Höfen fliehen und sich den Millionen anschließen mussten, die durch Eis und Schnee nach Westen zogen, waren ebenfalls Opfer – in diesem Fall des Molochs der Roten Armee und der allein an sich selbst denkenden NS-Führer in ihren Gebieten, Opfer aber auch des Angriffskriegs, den ihre Regierung gegen die Sowjetunion geführt und der so furchtbare Vergeltungsaktionen herausgefordert hatte. Sogar die Soldaten, die in diesen schrecklichen letzten Monaten zu Tausenden an den Fronten umkamen, waren in einem gewissen Sinn Opfer – einer Militärführung nämlich, die drakonische Mittel einsetzte, um sich Gehorsam zu verschaffen, aber auch eines eingeschliffenen Pflichtgefühls, das ihnen die Überzeugung gab, für eine gute Sache zu kämpfen; Opfer schließlich einer politischen Führung, die aufgrund ihrer egoistischen Ziele das Land eher untergehen ließ als aufzugeben. (S. 519f.)
Wer diese Rahmenbedingungen von NS-Gewaltherrschaft und NS-Vernichtungspolitik ausblendet und umstands- und bedingungslos davon spricht, dass alle Opfer waren oder gar von der Hölle für die Deutschen nach 1945, der hat nichts begriffen. Das gilt für die Heldenehrung 2004, aber auch für Straches Bemerkungen zum Totengedenken 2012!