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Amoklauf gegen die Wirklichkeit

Das Ent­set­zen unter den Mit­glie­dern der Deut­schen Bur­schen­schaft ist unge­teilt. Geteilt ist jedoch die Ursa­che des Ent­set­zens: Mehr als 300 Mit­glie­der der Deut­schen Bur­schen­schaft haben sich in einem offe­nen Brief gegen den Redak­teur des Ver­bands­blat­tes Bur­schen­schaft­li­che Blät­ter gewandt, nach­dem die­ser in einem Arti­kel die Ermor­dung des Theo­lo­gen Diet­rich Bon­hoef­fer durch die Nazis gerecht­fer­tigt hat­te. „Wir verurteilen […]

25. Apr 2012

„Wir ver­ur­tei­len auf das Schärfs­te, dass der Schrift­lei­ter der Bur­schen­schaft­li­chen Blät­ter, Nor­bert Weid­ner, in einem Leser­brief den NS - Wider­standsk ä mpfer und Theo­lo­gen Diet­rich Bon­hoef­fer als „Lan­des­ver­rä­ter“ bezeich­net und die Hin­rich­tung Bon­hoef­fers durch das NS - Regime gerecht­fer­tigt hat. …Mit die­sen Äuße­run­gen hat Herr Weid­ner die poli­ti­schen und mora­li­schen Gren­zen klar über­schrit­ten, die der bur­schen­schaft­li­che Grund­satz der Ehre setzt.“

Der offe­ne Brief wie­der­um ent­setzt vie­le der rechts­extre­mis­tisch ori­en­tier­ten Bur­schen­schaf­ter. Debat­ten soll­ten – qua­si als bur­schen­schaft­li­che Omer­ta – nur intern geführt wer­den. Inzwi­schen ermit­telt die Staats­an­walt­schaft Bonn gegen den Autor Nor­bert Weid­ner, einen „Alten Herrn“ der bereits mehr­fach ein­schlä­gig mit rechts­extre­mis­ti­schen und ras­sis­ti­schen Posi­tio­nen in Erschei­nung getre­te­nen „Alte Bres­lau­er Bur­schen­schaft der Rac­zeks zu Bonn“. 


Wider­stands­kämp­fer und Burschenschafter

Inter­es­sant ist der Text Weid­ners jedoch weni­ger als Beweis der Exis­tenz rechts­extre­mis­ti­scher Bur­schen­schaf­ter, als viel­mehr als Bei­spiel einer rechts­extre­mis­ti­schen Legi­ti­ma­ti­ons­theo­rie natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Terrors:

„Nicht jeder, der gegen den Natio­nal­so­zia­lis­mus ein­trat, ist von lau­te­rem Cha­rak­ter“, stellt Weid­ner sei­nem Schrei­ben vor­an. Und wei­ter: „oder wie der sicher­lich unver­däch­ti­ge Nach­kriegs-Bun­des­tags­prä­si­dent Eugen Gers­ten­mai­er (CDU) zu den Vor­gän­gen rund um den 20. Juli 1944 ein­mal selbst­kri­tisch erklär­te:“ Was wir im deut­schen Wider­stand wäh­rend des gan­zen Krie­ges nicht wirk­lich begrei­fen woll­ten, haben wir nach­träg­lich voll­ends gelernt: daß die­ser Krieg schließ­lich nicht nur gegen Hit­ler, son­dern gegen Deutsch­land geführt wur­de. Das Schei­tern aller unse­rer Ver­stän­di­gungs­ver­su­che aus dem Wider­stand … war des­halb kein Zufall. Es war ein Ver­häng­nis, dem wir vor und nach dem Atten­tat macht­los gegen­über­stan­den. Und Bon­hoef­fer betei­lig­te sich am Kampf gegen Deutsch­land – nicht nur gegen den Natio­nal­so­zia­lis­mus.“

Der Rück­griff von aus dem Zusam­men­hang geris­se­nen Zita­ten schein­bar „unver­däch­ti­ger“ Per­so­nen ist gera­de­zu typisch für rechts­extre­mis­ti­sche Argu­men­ta­ti­ons­mus­ter. Aus­sa­ge­kraft haben sie jedoch nicht, da sie ihrem Kon­text voll­stän­dig ent­ris­sen und für die Lese­rIn­nen als objek­ti­ve Aus­sa­gen dar­ge­stellt wer­den, deren Inhalt sich jeder Über­prüf­bar­keit entzieht.

Aus der Kom­bi­na­ti­on der Fest­stel­lung, wonach nicht jeder, der gegen den Natio­nal­so­zia­lis­mus auf­trat, von „lau­te­rem Cha­rak­ter“ gewe­sen sei, mit dem Gers­ten­mai­er-Zitat bemüht sich Weid­ner ein Theo­rem zu pro­du­zie­ren, mit dem angeb­lich lau­te­re und unlau­te­re Wider­ständ­le­rIn­nen von­ein­an­der getrennt wer­den könnten:

„Cana­ris und die Ange­hö­ri­gen des so genann­ten Cana­ris-Oster-Krei­ses, einer Unter­grup­pe der „Schwar­zen Kapel­le“, also der Ver­schwö­rer um den 20. Juli (Ade­li­ge, Offi­zie­re und hohe Ver­wal­tungs­be­am­te), machen sich des Lan­des­ver­ra­tes schul­dig, indem sie poli­ti­sche und mili­tä­ri­sche Plä­ne vor allem den Bri­ten über­mit­teln, die die Plä­ne zwar ger­ne anneh­men, aber kein Inter­es­se an einer Zusam­men­ar­beit für ein demo­kra­ti­sches Deutsch­land mit dem Wider­stand haben. Die­ser Ver­rat hat gera­de in den letz­ten Tagen des Krie­ges zu tau­sen­den toten deut­schen Sol­da­ten an allen Fron­ten geführt – und dies zu einer Zeit, als Chur­chill bereits eine bedin­gungs­lo­se deut­sche Kapi­tu­la­ti­on for­der­te und dies Deutsch­land mili­tä­risch durch völ­ker­rechts­wid­ri­ge Flä­chen­bom­bar­de­ments spü­ren ließ.“


Das Logo der ver­bo­te­nen neo­na­zis­ti­schen “Frei­heit­li­chen Deut­schen Arbei­ter­par­tei” (FAP), bei der Nor­bert Weid­ner Funk­tio­när war
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Wie aus sei­ner Sicht „lau­te­rer“ Wider­stand gegen den Natio­nal­so­zia­lis­mus aus­ge­se­hen haben könn­te, erspart sich Weid­ner aus­zu­füh­ren. Dass Bon­hoef­fer jedoch in sei­nem Welt­bild unlau­ter ist, dar­an lässt er kei­nen Zweifel:

„…Es ist eine Fra­ge der Moral, wie man gegen eine Dik­ta­tur vor­geht. Der Hoch­ver­rat mag ein pro­ba­ter Weg sein, der Lan­des­ver­rat auf Kos­ten von tau­schen­den Sol­da­ten an der Front und der durch die­se beschütz­ten Flücht­lin­ge beson­ders in den Ost­ge­bie­ten ist es sicher­lich nicht. Hier muß zwi­schen Hoch­ver­rat und Lan­des­ver­rat genau­es­tens dif­fe­ren­ziert wer­den. Und Bon­hoef­fer war zwei­fels­frei ein Lan­des­ver­rä­ter. Die Tat­sa­che, daß sein eigent­li­ches Bemü­hen bei den Alli­ier­ten ver­geb­lich war, ist zudem die tra­gi­sche Sei­te der Wider­ständ­ler um den 20. Juli 1944. Die­se ver­moch­ten nicht zu sehen, daß es den Alli­ier­ten nicht dar­um ging, einen Dik­ta­tor zu stür­zen, son­dern um Deutsch­land nach­hal­tig zu schwä­chen, zu zer­schla­gen und zu domi­nie­ren, um es deut­lich zu formulieren.“

Um schließ­lich zum Kern­satz des Bei­trags zu gelangen:

„Rein juris­tisch hal­te ich die Ver­ur­tei­lung für gerecht­fer­tigt. … wenn ich den Ver­rat in Kriegs­zei­ten beur­tei­le, der dazu führt, daß Deut­sche an der Front zu Tau­sen­den hin­ge­met­zelt wer­den, ist ein sol­ches Urteil nach­voll­zieh­bar. Auf Lan­des­ver­rat hat zu allen Zei­ten und vor allem wäh­rend des Krie­ges im schlimms­ten Fall der Tod gestan­den, ganz gleich, wel­che Staats­form regierte.“

Mit der his­to­ri­schen For­schung lässt sich kei­ne der Behaup­tun­gen Weid­ners recht­fer­ti­gen. Das Gers­ten­mai­er-Zitat stammt aus dem Jah­re 1975 und aus dem Mun­de eines Man­nes, der als natio­nal­kon­ser­va­ti­ver Christ indi­rekt an den Ereig­nis­sen des 20. Juli 1944 betei­ligt gewe­sen war und das Schei­tern des Atten­tats auf Hit­ler wie des Mili­tär­putschs gegen die Nazis qua­si in einen welt­po­li­ti­schen Kon­text set­zen woll­te. Die feh­len­de Bereit­schaft der Alli­ier­ten, die Wider­stands­grup­pe um Stauf­fen­berg als legi­ti­me Ver­tre­rIn­nen Deutsch­lands zu akzep­tie­ren, mag bei den über­le­ben­den direkt wie indi­rekt Betei­lig­ten und Betrof­fe­nen des 20. Juli 1944 Ver­bit­te­rung aus­ge­löst haben. Die Sicht der Alli­ier­ten ist jedoch leicht nach­voll­zieh­bar: Es gab für sie wenig Grund, füh­rend an der Kriegs­füh­rung der Nazis betei­lig­ten Per­so­nen Ver­trau­en ent­ge­gen­zu­brin­gen, zumal die­se wesent­li­che Fol­gen der Nazi-Herr­schaft – allen vor­an den Ver­lust der Eigen­staat­lich­keit Öster­reichs, zu deren Wie­der­her­stel­lung sich die Alli­ier­ten 1943 bekannt hat­ten – nicht zu kor­ri­gie­ren beabsichtigten. 

Wer das Gers­ten­mai­er-Zitat – es han­delt sich um ein der von Rechts­extre­mis­ten am häu­figs­ten wie­der­ge­ge­be­nen Zita­te – als Beweis für die Unred­lich­keit der alli­ier­ten Kriegs­füh­rung und die Unlau­ter­keit der Wider­stands­kämp­fe­rIn­nen zu ver­wen­den und dar­aus Gren­zen zwi­schen Hoch­ver­rat und Lan­des­ver­rat zu zie­hen sucht, tut Gers­ten­mai­er Unrecht: Er über­leb­te nur zufäl­lig den Natio­nal­so­zia­lis­mus und fie­le bei genaue­rer Betrach­tung unter genau jenen Per­so­nen­kreis, der wegen Lan­des­ver­rat im Sin­ne Weid­ners hin­zu­rich­ten gewe­sen wäre.

Mit dem Ver­such, auf theo­re­ti­scher Ebe­ne den Hoch­ver­rat gegen das Natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Ter­ror­re­gime von kon­kre­ten Wider­stands­hand­lun­gen wie der Wei­ter­ga­be mili­tä­ri­scher Plä­ne zu tren­nen, wird jede akti­ve Wider­stands­hand­lung gegen den Natio­nal­so­zia­lis­mus fak­tisch als Ver­bre­chen gegen das deut­sche Volk gebrand­markt. Und damit wird in der Logik Weid­ners jedes Urteil eines deut­schen Gerichts im Natio­nal­so­zia­lis­mus rechtfertigbar.

Nicht zufäl­lig unter­lässt Weid­ner etwa den Hin­weis, dass gegen Bon­hoef­fer kein „ordent­li­cher Pro­zess“ geführt wur­de, es kei­ne Ver­tei­di­gung und kei­nen Pro­zess­akt gab und logi­scher­wei­se kei­ne Beru­fungs­mög­lich­keit. Er unter­lässt es auch, dar­auf hin­zu­wei­sen, dass Bon­hoef­fer weder in einem Zusam­men­hang mit dem Atten­tat vom 20. Juli 1944 gestan­den noch irgend­wel­che Hand­lun­gen gesetzt hat­te, die selbst nach dama­li­ger Rechts­la­ge (die selbst­ver­ständ­lich im NS-Regime ohne­hin irrele­vant war) als Lan­des­ver­rat zu qua­li­fi­zie­ren gewe­sen wäre. Und er behaup­tet wahr­heits­wid­rig, dass Lan­des­ver­rat „unab­hän­gig der Staats­form“ (übri­gens in die­sem Fall der Ver­such, unter­schied­li­che Staats­for­men zu kon­stru­ie­ren, um die ver­bre­che­ri­sche Grund­aus­rich­tung des Natio­nal­so­zia­lis­mus argu­men­ta­tiv zu umschif­fen) mit dem Tod zu bestra­fen sei, was offen­kun­dig – in Öster­reich und Deutsch­land ist die Todes­stra­fe längst abge­schafft – falsch ist. Nicht zuletzt aus all die­sen Grün­den wird heu­te weder in der Poli­tik noch in der Recht­spre­chung im Zusam­men­hang mit dem Natio­nal­so­zia­lis­mus zwi­schen Hoch­ver­rat und Lan­des­ver­rat unter­schie­den. Kon­se­quen­ter­wei­se wur­den die ent­spre­chen­den Urtei­le im Jahr 2006 auch alle auf­ge­ho­ben.

All das erspart Weid­ner sei­nen Lese­rIn­nen, weil es nicht um Bon­hoef­fer und nicht um den Wider­stand, nicht um die Qua­li­fi­ka­ti­on als Hoch­ver­rat oder Lan­des­ver­rat und schon gar nicht um die absur­de Unter­schei­dung zwi­schen einem Krieg gegen den Natio­nal­so­zia­lis­mus oder einen Krieg gegen Deutsch­land geht: Es geht dar­um, Wider­stand gegen den Natio­nal­so­zia­lis­mus zu dif­fa­mie­ren! Und das tut Weid­ner ausführlich:

„Daher ist es inter­es­sant, daß die Lei­tung der israe­li­schen Gedenk­stät­te Yad Vas­hem es nach wie vor ablehnt, Diet­rich Bon­hoef­fer als „Gerech­ten der Völ­ker“, also als aner­kann­ten und ein­wand­frei­en Geg­ner des Natio­nal­so­zia­lis­mus, auf­zu­lis­ten, der sein Leben für die Ret­tung von Juden ein­setz­te. Einen lebens­be­dro­hen­den Ein­satz für Juden habe es nicht gege­ben. Und auch der Bun­des­ge­richts­hof, unzwei­fel­haft frei­heit­lich-demo­kra­ti­schen Gesichts­punk­ten ver­pflich­tet, sprach die Rich­ter, die Bon­hoef­fer ver­ur­teil­ten, 1956 aus­drück­lich frei.“

Auch die Gei­sel­nah­me der Gedenk­stät­te Yad Vas­hem durch Weid­ner folgt einem rechts­extre­mis­ti­schen Ste­reo­typ. Die Nicht­an­er­ken­nung durch Yad Vas­hem soll Bon­hoef­fer im Auge der Lese­rIn­nen den Sta­tus als Wider­stands­kämp­fer gegen den Natio­nal­so­zia­lis­mus aberken­nen. In die Lis­te der „Gerech­ten unter den Völ­kern“ wer­den jedoch nicht Wider­stands­kämp­fer auf­ge­nom­men, son­dern Men­schen, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, um JüdIn­nen vor der Ermor­dung durch die Nazis zu ret­ten. Nicht alle, die dies getan haben, waren auto­ma­tisch Wider­stands­kämp­fer, und logi­scher­wei­se haben nicht alle Wider­stands­kämp­fe­rIn­nen JüdIn­nen das Leben gerettet.

Nor­bert Weid­ner, ein Mann mit Wur­zeln und lang­jäh­ri­ger Erfah­rung im Neo-Nazi-Umfeld, hat ein Lehr­bei­spiel rechts­extre­mis­ti­scher Argu­men­ta­ti­ons­li­ni­en vor­ge­legt. Als sol­ches ist es auch zu benen­nen und zu bearbeiten.

PS: Weid­ners Leser­brief wur­de in der Inter­net­aus­ga­be der rech­ten Pos­til­le „Sezes­si­on“ veröffentlicht 

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