„Wir verurteilen auf das Schärfste, dass der Schriftleiter der Burschenschaftlichen Blätter, Norbert Weidner, in einem Leserbrief den NS - Widerstandsk ä mpfer und Theologen Dietrich Bonhoeffer als „Landesverräter“ bezeichnet und die Hinrichtung Bonhoeffers durch das NS - Regime gerechtfertigt hat. …Mit diesen Äußerungen hat Herr Weidner die politischen und moralischen Grenzen klar überschritten, die der burschenschaftliche Grundsatz der Ehre setzt.“
Der offene Brief wiederum entsetzt viele der rechtsextremistisch orientierten Burschenschafter. Debatten sollten – quasi als burschenschaftliche Omerta – nur intern geführt werden. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Bonn gegen den Autor Norbert Weidner, einen „Alten Herrn“ der bereits mehrfach einschlägig mit rechtsextremistischen und rassistischen Positionen in Erscheinung getretenen „Alte Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn“.
Widerstandskämpfer und Burschenschafter
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Interessant ist der Text Weidners jedoch weniger als Beweis der Existenz rechtsextremistischer Burschenschafter, als vielmehr als Beispiel einer rechtsextremistischen Legitimationstheorie nationalsozialistischen Terrors:
„Nicht jeder, der gegen den Nationalsozialismus eintrat, ist von lauterem Charakter“, stellt Weidner seinem Schreiben voran. Und weiter: „oder wie der sicherlich unverdächtige Nachkriegs-Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier (CDU) zu den Vorgängen rund um den 20. Juli 1944 einmal selbstkritisch erklärte:“ Was wir im deutschen Widerstand während des ganzen Krieges nicht wirklich begreifen wollten, haben wir nachträglich vollends gelernt: daß dieser Krieg schließlich nicht nur gegen Hitler, sondern gegen Deutschland geführt wurde. Das Scheitern aller unserer Verständigungsversuche aus dem Widerstand … war deshalb kein Zufall. Es war ein Verhängnis, dem wir vor und nach dem Attentat machtlos gegenüberstanden. Und Bonhoeffer beteiligte sich am Kampf gegen Deutschland – nicht nur gegen den Nationalsozialismus.“
Der Rückgriff von aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten scheinbar „unverdächtiger“ Personen ist geradezu typisch für rechtsextremistische Argumentationsmuster. Aussagekraft haben sie jedoch nicht, da sie ihrem Kontext vollständig entrissen und für die LeserInnen als objektive Aussagen dargestellt werden, deren Inhalt sich jeder Überprüfbarkeit entzieht.
Aus der Kombination der Feststellung, wonach nicht jeder, der gegen den Nationalsozialismus auftrat, von „lauterem Charakter“ gewesen sei, mit dem Gerstenmaier-Zitat bemüht sich Weidner ein Theorem zu produzieren, mit dem angeblich lautere und unlautere WiderständlerInnen voneinander getrennt werden könnten:
„Canaris und die Angehörigen des so genannten Canaris-Oster-Kreises, einer Untergruppe der „Schwarzen Kapelle“, also der Verschwörer um den 20. Juli (Adelige, Offiziere und hohe Verwaltungsbeamte), machen sich des Landesverrates schuldig, indem sie politische und militärische Pläne vor allem den Briten übermitteln, die die Pläne zwar gerne annehmen, aber kein Interesse an einer Zusammenarbeit für ein demokratisches Deutschland mit dem Widerstand haben. Dieser Verrat hat gerade in den letzten Tagen des Krieges zu tausenden toten deutschen Soldaten an allen Fronten geführt – und dies zu einer Zeit, als Churchill bereits eine bedingungslose deutsche Kapitulation forderte und dies Deutschland militärisch durch völkerrechtswidrige Flächenbombardements spüren ließ.“
Das Logo der verbotenen neonazistischen “Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei” (FAP), bei der Norbert Weidner Funktionär war
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Wie aus seiner Sicht „lauterer“ Widerstand gegen den Nationalsozialismus ausgesehen haben könnte, erspart sich Weidner auszuführen. Dass Bonhoeffer jedoch in seinem Weltbild unlauter ist, daran lässt er keinen Zweifel:
„…Es ist eine Frage der Moral, wie man gegen eine Diktatur vorgeht. Der Hochverrat mag ein probater Weg sein, der Landesverrat auf Kosten von tauschenden Soldaten an der Front und der durch diese beschützten Flüchtlinge besonders in den Ostgebieten ist es sicherlich nicht. Hier muß zwischen Hochverrat und Landesverrat genauestens differenziert werden. Und Bonhoeffer war zweifelsfrei ein Landesverräter. Die Tatsache, daß sein eigentliches Bemühen bei den Alliierten vergeblich war, ist zudem die tragische Seite der Widerständler um den 20. Juli 1944. Diese vermochten nicht zu sehen, daß es den Alliierten nicht darum ging, einen Diktator zu stürzen, sondern um Deutschland nachhaltig zu schwächen, zu zerschlagen und zu dominieren, um es deutlich zu formulieren.“
Um schließlich zum Kernsatz des Beitrags zu gelangen:
„Rein juristisch halte ich die Verurteilung für gerechtfertigt. … wenn ich den Verrat in Kriegszeiten beurteile, der dazu führt, daß Deutsche an der Front zu Tausenden hingemetzelt werden, ist ein solches Urteil nachvollziehbar. Auf Landesverrat hat zu allen Zeiten und vor allem während des Krieges im schlimmsten Fall der Tod gestanden, ganz gleich, welche Staatsform regierte.“
Mit der historischen Forschung lässt sich keine der Behauptungen Weidners rechtfertigen. Das Gerstenmaier-Zitat stammt aus dem Jahre 1975 und aus dem Munde eines Mannes, der als nationalkonservativer Christ indirekt an den Ereignissen des 20. Juli 1944 beteiligt gewesen war und das Scheitern des Attentats auf Hitler wie des Militärputschs gegen die Nazis quasi in einen weltpolitischen Kontext setzen wollte. Die fehlende Bereitschaft der Alliierten, die Widerstandsgruppe um Stauffenberg als legitime VertrerInnen Deutschlands zu akzeptieren, mag bei den überlebenden direkt wie indirekt Beteiligten und Betroffenen des 20. Juli 1944 Verbitterung ausgelöst haben. Die Sicht der Alliierten ist jedoch leicht nachvollziehbar: Es gab für sie wenig Grund, führend an der Kriegsführung der Nazis beteiligten Personen Vertrauen entgegenzubringen, zumal diese wesentliche Folgen der Nazi-Herrschaft – allen voran den Verlust der Eigenstaatlichkeit Österreichs, zu deren Wiederherstellung sich die Alliierten 1943 bekannt hatten – nicht zu korrigieren beabsichtigten.
Wer das Gerstenmaier-Zitat – es handelt sich um ein der von Rechtsextremisten am häufigsten wiedergegebenen Zitate – als Beweis für die Unredlichkeit der alliierten Kriegsführung und die Unlauterkeit der WiderstandskämpferInnen zu verwenden und daraus Grenzen zwischen Hochverrat und Landesverrat zu ziehen sucht, tut Gerstenmaier Unrecht: Er überlebte nur zufällig den Nationalsozialismus und fiele bei genauerer Betrachtung unter genau jenen Personenkreis, der wegen Landesverrat im Sinne Weidners hinzurichten gewesen wäre.
Mit dem Versuch, auf theoretischer Ebene den Hochverrat gegen das Nationalsozialistische Terrorregime von konkreten Widerstandshandlungen wie der Weitergabe militärischer Pläne zu trennen, wird jede aktive Widerstandshandlung gegen den Nationalsozialismus faktisch als Verbrechen gegen das deutsche Volk gebrandmarkt. Und damit wird in der Logik Weidners jedes Urteil eines deutschen Gerichts im Nationalsozialismus rechtfertigbar.
Nicht zufällig unterlässt Weidner etwa den Hinweis, dass gegen Bonhoeffer kein „ordentlicher Prozess“ geführt wurde, es keine Verteidigung und keinen Prozessakt gab und logischerweise keine Berufungsmöglichkeit. Er unterlässt es auch, darauf hinzuweisen, dass Bonhoeffer weder in einem Zusammenhang mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 gestanden noch irgendwelche Handlungen gesetzt hatte, die selbst nach damaliger Rechtslage (die selbstverständlich im NS-Regime ohnehin irrelevant war) als Landesverrat zu qualifizieren gewesen wäre. Und er behauptet wahrheitswidrig, dass Landesverrat „unabhängig der Staatsform“ (übrigens in diesem Fall der Versuch, unterschiedliche Staatsformen zu konstruieren, um die verbrecherische Grundausrichtung des Nationalsozialismus argumentativ zu umschiffen) mit dem Tod zu bestrafen sei, was offenkundig – in Österreich und Deutschland ist die Todesstrafe längst abgeschafft – falsch ist. Nicht zuletzt aus all diesen Gründen wird heute weder in der Politik noch in der Rechtsprechung im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus zwischen Hochverrat und Landesverrat unterschieden. Konsequenterweise wurden die entsprechenden Urteile im Jahr 2006 auch alle aufgehoben.
All das erspart Weidner seinen LeserInnen, weil es nicht um Bonhoeffer und nicht um den Widerstand, nicht um die Qualifikation als Hochverrat oder Landesverrat und schon gar nicht um die absurde Unterscheidung zwischen einem Krieg gegen den Nationalsozialismus oder einen Krieg gegen Deutschland geht: Es geht darum, Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu diffamieren! Und das tut Weidner ausführlich:
„Daher ist es interessant, daß die Leitung der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem es nach wie vor ablehnt, Dietrich Bonhoeffer als „Gerechten der Völker“, also als anerkannten und einwandfreien Gegner des Nationalsozialismus, aufzulisten, der sein Leben für die Rettung von Juden einsetzte. Einen lebensbedrohenden Einsatz für Juden habe es nicht gegeben. Und auch der Bundesgerichtshof, unzweifelhaft freiheitlich-demokratischen Gesichtspunkten verpflichtet, sprach die Richter, die Bonhoeffer verurteilten, 1956 ausdrücklich frei.“
Auch die Geiselnahme der Gedenkstätte Yad Vashem durch Weidner folgt einem rechtsextremistischen Stereotyp. Die Nichtanerkennung durch Yad Vashem soll Bonhoeffer im Auge der LeserInnen den Status als Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus aberkennen. In die Liste der „Gerechten unter den Völkern“ werden jedoch nicht Widerstandskämpfer aufgenommen, sondern Menschen, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, um JüdInnen vor der Ermordung durch die Nazis zu retten. Nicht alle, die dies getan haben, waren automatisch Widerstandskämpfer, und logischerweise haben nicht alle WiderstandskämpferInnen JüdInnen das Leben gerettet.
Norbert Weidner, ein Mann mit Wurzeln und langjähriger Erfahrung im Neo-Nazi-Umfeld, hat ein Lehrbeispiel rechtsextremistischer Argumentationslinien vorgelegt. Als solches ist es auch zu benennen und zu bearbeiten.
PS: Weidners Leserbrief wurde in der Internetausgabe der rechten Postille „Sezession“ veröffentlicht