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Deutsche Burschenschaft: Im Kampf gegen „Feindpresse“ und „Lumpen“

Recht­zei­tig vor dem Ver­band­tag der Deut­schen Bur­schen­schaft (DB) gibt es eine hef­ti­ge Aus­ein­an­der­set­zung um den „Schrift­lei­ter” der „Bur­schen­schaft­li­chen Blät­ter”, Nor­bert Weid­ner. Ein Leser­brief Weid­ners, in dem er die stand­recht­li­che Ermor­dung des Wider­stands­kämp­fers Diet­rich Bon­hoef­fer durch die Nazis „rein juris­tisch” gerecht­fer­tigt hat­te, wur­de von eini­gen Bur­schen­schaf­tern hef­tig kri­ti­siert. Jetzt schla­gen die Rech­ten zurück. Nor­bert Weid­ner gehört […]

20. Apr 2012

Nor­bert Weid­ner gehört der Bur­schen­schaft der Rac­zeks zu Bonn an, die schon im Vor­feld des Ver­bands­ta­ges im Vor­jahr durch ihre For­de­rung nach einem ver­schärf­ten Arier­pa­ra­gra­fen ihre rechts­extre­me Posi­ti­on mar­kiert hat. Nicht alle bei den Rac­zeks, die so wie die Mit­glieds­bün­de der Bur­schen­schaf­ten in Öster­reich in der Bur­schen­schaft­li­chen Gemein­schaft orga­ni­siert sind, tei­len aller­dings die rechts­extre­men Posi­tio­nen ihres Bun­des – ein bedeu­ten­der Unter­schied zu den Kame­ra­den in Öster­reich, bei denen es kei­ne Kri­tik an rechts­extre­men Posi­tio­nen gibt.

Zwei „Alte Her­ren“ der Rac­zeks ver­fass­ten einen offe­nen Brief „Quo vadis, Deut­sche Bur­schen­schaf­ter?“, der an alle Mit­glieds­bün­de der Deut­schen Bur­schen­schaft ver­schickt wur­de. Hier der Brief im Wortlaut:

Quo vadis, Deut­sche Bur­schen­schaf­ter? — Bit­te um Lesung & Diskussion

Sehr geehr­te Her­ren Verbandsbrüder,

wie kürz­lich berich­tet wur­de (SPIEGEL ONLINE Arti­kel vom 11. April 2012 „Streit um Rechts­ruck — Bur­schen­schaf­ter hetzt gegen Nazi-Wider­stands­kämp­fer” http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,826757,00.html ), wird die Hin­rich­tung des NS-Wider­ständ­lers und Theo­lo­gen Diet­rich Bon­hoef­fer 1945 im KZ Flos­sen­burg sei­tens Herrn Nor­bert Weid­ner, dem gegen­wär­ti­gen Schrift­lei­ter der Bur­schen­schaft­li­chen Blät­ter und Vor­stands­mit­glied der Alt­her­ren­schaft der Alten Bres­lau­er Bur­schen­schaft der Rac­zeks zu Bonn, für „rein juris­tisch gerecht­fer­tigt“ gehal­ten. Das Urteil wegen Lan­des­ver­rats gegen Diet­rich Bon­hoef­fer hält Herr Weid­ner, ein Diplom-Wirt­schafts­ju­rist (FH), für „nach­voll­zieh­bar“. Diet­rich Bon­hoef­fer wird von Herrn Nor­bert Weid­ner als „Lan­des­ver­rä­ter” dekla­riert. Im o. g. Arti­kel wird zudem die spe­zi­fi­sche poli­ti­sche Ver­gan­gen­heit des Herrn Nor­bert Weid­ner („Der Autor des Brie­fes hat eine brau­ne Kar­rie­re hin­ter sich”) aus­führ­lich beleuch­tet und auf mög­li­che straf­recht­li­che Kon­se­quen­zen sei­ner Äus­se­run­gen („In ähn­li­chen Fäl­len ver­häng­ten bun­des­deut­sche Gerich­te häu­fig Urtei­le wegen übler Nach­re­de und der Ver­un­glimp­fung des Andenkens Ver­stor­be­ner.”) hingewiesen.

Da der Vor­stand der Alt­her­ren­schaft der Alten Bres­lau­er Bur­schen­schaft der Rac­zeks zu Bonn, dem Herr Weid­ner sel­ber ange­hört, eine zeit­na­he Stel­lung­nah­me zu die­sem uner­hör­ten Fall „SPIEGEL/Burschenschafterfunktionär N. Weid­ner mit brau­ner Kar­rie­re hetzt gegen Nazi-Wider­stands­kämp­fer“ bis­her ver­säumt, sehen die bei­den Unter­zeich­ner es als ihre bur­schen­schaft­li­che und demo­kra­ti­sche Pflicht an, dies in Ver­bin­dung mit Grund­satz­fra­gen zu tun. Wir beto­nen, dass die­ser Brief nur die Mei­nung der zwei Unter­zeich­ner darstellt.

Die Alte Bres­lau­er Bur­schen­schaft der Rac­zeks, der die Autoren die­ses offe­nen Brie­fes als auch unglück­li­cher­wei­se Herr Nor­bert Weid­ner ange­hö­ren, macht gera­de durch, was auch der Deut­schen Bur­schen­schaft noch bevor­ste­hen wird.

Näm­lich Ant­wor­ten suchen und fin­den auf drei Fra­gen: Woher kom­men wir, wer sind wir, wohin gehen wir? Fra­gen, die Paul Gau­gu­in in sei­nem gleich­na­mi­gen Gemäl­de von 1897 illus­triert hat.

Viel­leicht sind Sie an unse­rem Pro­zess inter­es­siert, da er als eine Art Blau­pau­se die­nen könn­te. Hier ein paar Ein­bli­cke. Die­se berüh­ren übri­gens nicht das Conventsgeheimnis.

Woher kom­men wir? Die Rac­zeks waren von 1817 bis 1998 plu­ra­lis­tisch, Demo­kra­tie-ver­ses­sen, Tra­di­ti­ons-bewusst, Lebens­bund-lie­bend, Schle­si­en-aktiv, Mensuren-schlagend.

Wer sind wir? Eini­ge Rac­zeks, Akti­ve wie Alte Her­ren, waren von 1999 bis 2012 teil­wei­se erz­kon­ser­va­tiv bis rechts­extrem, wie öffent­lich zugäng­li­che Quel­len schrieben.

Bei­spiel: Wiki­pe­dia: HNG-Mit­glied Nor­bert Weid­ner, http://de.wikipedia.org/wiki/Hilfsorganisation_f%C3%BCr_nationale_politische_Gefangene_und_deren_Angeh%C3%B6rige

Bei­spiel: Frank­fur­ter Rundschau.de: Bur­schen bekla­gen die Domi­nanz der Braun­hem­den, http://www.fr-online.de/politik/burschenschaften-burschen-beklagen-die-dominanz-der-braunhemden,1472596,11702710.html

Bei­spiel: Spiegel.de: Bur­schen­schaf­ter strei­ten über Ari­er-Nach­weis, http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,767788,00.html

Bei­spiel: Spiegel.de: Bur­schen­schaf­ter hetzt gegen Nazi-Wider­stands­kämp­fer, http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,826757,00.html

Bei­spiel: WDR-Fern­seh­bei­trag: Bon­ner Bur­schen­schaf­ter hetz­te gegen Nazi-Wider­stands­kämp­fer, http://www.wdr.de/tv/aks/sendungsbeitraege/2012/kw15/0412/burschenschaften.jsp

Bei­spiel: Bon­ner Gene­ral­an­zei­ger: FDP-Mit­glied war frü­her Neo­na­zi, http://www.general-anzeiger-bonn.de/lokales/bonn/FDP-Mitglied-war-frueher-Neonazi-article736998.html

Bei­spiel: taz.de: DB-Pres­se­spre­cher Micha­el Schmidt: „Im Ver­band wird dis­ku­tiert, ob Herr Weid­ner noch trag­bar ist.“ , http://taz.de/FDP-will-Burschenschafter-ausschliessen/!91446/

WOHIN GEHEN WIR? Die Rac­zeks rin­gen mit­ein­an­der. Und posi­tio­nie­ren sich gera­de. Wir wer­den, so hof­fen wir, dann die neu­en alten Rac­zeks wie von 1817 bis 1998 sein: plu­ra­lis­tisch, Demo­kra­tie- ver­ses­sen, Tra­di­ti­ons-bewusst, Lebens­bund-lie­bend, Schle­si­en-aktiv, Men­su­ren-schla­gend und ableh­nend gegen ras­sis­ti­sche Ten­den­zen, Anti­se­mi­tis­mus und poli­ti­sche Extre­me gleich wel­cher Art.

Die bei­den Unter­zeich­ner die­ses offe­nen Brie­fes distan­zie­ren sich von Herrn Nor­bert Weid­ner, sei­ner rechts­extre­men Ver­gan­gen­heit, sei­ner aktu­el­len pola­ri­sie­ren­den Gegen­wart und sei­ner gesam­ten Aktivität.

Es scheint, dass Herr Weid­ner 1999 in unse­re Bur­schen­schaft ein­ge­tre­ten ist, um sie als Platt­form für sei­ne pola­ri­sie­ren­den Akti­vi­tä­ten aus­zu­nut­zen. Er tritt unse­res Erach­tens alle bur­schen­schaft­li­chen Idea­le der Jena­er Urbur­schen­schaft mit Füßen. Wir spre­chen ihm die Berech­ti­gung ab, sich Bur­schen­schaf­ter zu nen­nen. Wir sehen Herrn Weid­ner als das Sym­bol, wie Bur­schen­schaf­ten und die Deut­schen Bur­schen­schaft unter­wan­dert und als pola­ri­sie­ren­de poli­ti­sche Sur­ro­gat-Büh­nen aus­ge­nutzt werden.

Wir set­zen uns unein­ge­schränkt gegen ras­sis­ti­sche Ten­den­zen, Anti­se­mi­tis­mus und poli­ti­sche Extre­me gleich wel­cher Art ein. Für uns ist der Mär­ty­rer Bon­hoef­fer bis heu­te Vor­bild über alle Par­tei­gren­zen und Kon­fes­sio­nen hin­weg. Er ist für uns für ein Bekennt­nis zu Mensch­lich­keit und Nächs­ten­lie­be sowie für den Kampf gegen den deut­schen Faschismus.

Wir distan­zie­ren uns von allen poli­tisch rechts­extre­men Bur­schen­schaf­tern. Sie sind das genaue Gegen­teil von moder­nen, tra­di­ti­ons­be­wuss­ten, demo­kra­ti­schen, plu­ra­lis­ti­schen Burschenschaftern.

Herr Weid­ner scheint nicht allein. Über 30 Pro­zent der DB sind schon BG-Bün­de. Die BG wur­de von einer gro­ßen Volks­par­tei als „völ­ki­scher Kampf­ver­band” charakterisiert.

Die Mehr­heit der Bur­schen­schaf­ter jedoch stel­len die Rech­ten noch nicht, sie schrei­en bis­her nur am lau­tes­ten und sind am extremsten.

Für pola­ri­sie­ren­de Bur­schen­schaf­ter wie Herrn Nor­bert Weid­ner gibt es nach Ansicht von plu­ra­lis­ti­schen Bur­schen­schaf­tern wie uns nur einen ehren­haf­ten Weg: das Bur­schen­schaf­ter­band sofort nie­der­le­gen, von DB-Ämtern zurück­tre­ten und sich in Anbe­tracht sol­cher uner­hör­ten Äus­se­run­gen umge­hend den Behör­den zu stellen.

Man­che Ver­bands- und Bun­des­brü­der wer­den die­sen offe­nen Brief als unge­heu­er­li­chen Affront auf­fas­sen. Wir den­ken aber, dass die Rac­zeks und die Deut­schen Bur­schen­schaf­ter im Jahr 2012 am Wen­de­punkt ange­kom­men sind. Die Kom­fort­zo­ne für unse­res Erach­tens rechts­extre­me und zutiefst pola­ri­sie­ren­de Akti­ve und Alte Her­ren soll­te vor­bei sein. Und beson­de­re Situa­tio­nen erfor­dern beson­de­re Ideen. Als auf­rech­te Bur­schen­schaf­ter tre­ten wir offen für unse­re bur­schen­schaft­li­chen plu­ra­lis­ti­schen Idea­le ein. Wie die Bur­schen­schaf­ter, die im 19. Jahr­hun­dert gegen die sie ver­fol­gen­den Dik­ta­tu­ren auf­ge­stan­den sind.

Wir freu­en uns auf Ihre Kom­men­ta­re. Dafür haben wir eine Twit­ter­sei­te www.twitter.com/QuoVadisBuxe eingerichtet.

und einen Blog unter http://quovadisbuxe.blogspot.de

Ein herz­li­ches Vivat, crescat, flo­re­at für alle plu­ra­lis­ti­schen Burschenschafter

(Zwei Alte Her­ren der Alten Bres­lau­er Bur­schen­schaft der Raczeks)

PS.: Um Ihren Fra­gen vor­zu­beu­gen — wir wur­den schon durch den Vor­stand der Alt­her­ren­schaft der Alten Bres­lau­er Bur­schen­schaft der Rac­zeks zu Bonn, dem Herr Nor­bert Weid­ner als stell­ver­tre­ten­der Vor­sit­zen­der ange­hört, sus­pen­diert (aus unse­rer Sicht nicht sat­zungs­kon­form, da Straf­ver­fah­ren gegen Alte Her­ren über­haupt nicht vor­ge­se­hen sind) und der Antrag sei­tens Herrn Weid­ner bzw. sei­tens eines zwei­ten Bun­des­bru­ders auf Aus­schluss steht gegen uns. Begrün­dung: Wir wür­den den Bun­des­frie­den stö­ren und belei­di­gend gegen einen bestimm­ten Bbr. wir­ken, weil wir über Rechts­extre­me offen reden. Sor­ry, die­se Infor­ma­ti­on könn­te man als Bruch des Con­vents­ge­heim­nis­ses deu­ten. Unse­re Anwäl­te stän­den parat.

 

Mehr hat es nicht gebraucht! Meh­re­re Bur­schen­schaf­ter bzw. die Bur­schen­schaft­li­che Gemein­schaft rück­ten aus, um ihrem in Bedräng­nis gera­te­nen Bun­des­bru­der Weid­ner zu Hil­fe zu eilen. In den offe­nen Brie­fen, die als Ant­wort auf den offe­nen Brief der bei­den Alten Her­ren kur­sie­ren, ist von „Hetz­kam­pa­gne“, „ehr­lo­sen Ele­men­ten“, „Kol­la­bo­ra­teu­ren“, die „im Wind­schat­ten der Feind­pres­se“, „Intri­gan­ten“ „ehr­lo­sen Denun­zi­an­ten“ und „Lum­pen“ die Rede.


Ernst Kal­ten­brun­ner und Otto Skor­ze­ny: Nazi-Kriegs­ver­bre­cher und Burschenschafter

Auf dem Blog der Alten Her­ren, die gegen die rechts­extre­men Bur­schen­schaf­ter Stel­lung genom­men haben, ist mitt­ler­wei­le aber auch ein Offe­ner Brief von 250 Bur­schen­schaf­tern zu lesen, die den Rück­tritt bzw. die Ent­las­sung von Weid­ner for­dern. Der Rich­tungs­streit inner­halb der DB ist damit voll ent­brannt – die öster­rei­chi­schen Mit­glieds­bün­de ste­hen ver­läss­lich auf der rech­ten Seite.