Norbert Weidner gehört der Burschenschaft der Raczeks zu Bonn an, die schon im Vorfeld des Verbandstages im Vorjahr durch ihre Forderung nach einem verschärften Arierparagrafen ihre rechtsextreme Position markiert hat. Nicht alle bei den Raczeks, die so wie die Mitgliedsbünde der Burschenschaften in Österreich in der Burschenschaftlichen Gemeinschaft organisiert sind, teilen allerdings die rechtsextremen Positionen ihres Bundes – ein bedeutender Unterschied zu den Kameraden in Österreich, bei denen es keine Kritik an rechtsextremen Positionen gibt.
Zwei „Alte Herren“ der Raczeks verfassten einen offenen Brief „Quo vadis, Deutsche Burschenschafter?“, der an alle Mitgliedsbünde der Deutschen Burschenschaft verschickt wurde. Hier der Brief im Wortlaut:
Quo vadis, Deutsche Burschenschafter? — Bitte um Lesung & Diskussion
Sehr geehrte Herren Verbandsbrüder,
wie kürzlich berichtet wurde (SPIEGEL ONLINE Artikel vom 11. April 2012 „Streit um Rechtsruck — Burschenschafter hetzt gegen Nazi-Widerstandskämpfer” http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,826757,00.html ), wird die Hinrichtung des NS-Widerständlers und Theologen Dietrich Bonhoeffer 1945 im KZ Flossenburg seitens Herrn Norbert Weidner, dem gegenwärtigen Schriftleiter der Burschenschaftlichen Blätter und Vorstandsmitglied der Altherrenschaft der Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn, für „rein juristisch gerechtfertigt“ gehalten. Das Urteil wegen Landesverrats gegen Dietrich Bonhoeffer hält Herr Weidner, ein Diplom-Wirtschaftsjurist (FH), für „nachvollziehbar“. Dietrich Bonhoeffer wird von Herrn Norbert Weidner als „Landesverräter” deklariert. Im o. g. Artikel wird zudem die spezifische politische Vergangenheit des Herrn Norbert Weidner („Der Autor des Briefes hat eine braune Karriere hinter sich”) ausführlich beleuchtet und auf mögliche strafrechtliche Konsequenzen seiner Äusserungen („In ähnlichen Fällen verhängten bundesdeutsche Gerichte häufig Urteile wegen übler Nachrede und der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener.”) hingewiesen.
Da der Vorstand der Altherrenschaft der Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn, dem Herr Weidner selber angehört, eine zeitnahe Stellungnahme zu diesem unerhörten Fall „SPIEGEL/Burschenschafterfunktionär N. Weidner mit brauner Karriere hetzt gegen Nazi-Widerstandskämpfer“ bisher versäumt, sehen die beiden Unterzeichner es als ihre burschenschaftliche und demokratische Pflicht an, dies in Verbindung mit Grundsatzfragen zu tun. Wir betonen, dass dieser Brief nur die Meinung der zwei Unterzeichner darstellt.
Die Alte Breslauer Burschenschaft der Raczeks, der die Autoren dieses offenen Briefes als auch unglücklicherweise Herr Norbert Weidner angehören, macht gerade durch, was auch der Deutschen Burschenschaft noch bevorstehen wird.
Nämlich Antworten suchen und finden auf drei Fragen: Woher kommen wir, wer sind wir, wohin gehen wir? Fragen, die Paul Gauguin in seinem gleichnamigen Gemälde von 1897 illustriert hat.
Vielleicht sind Sie an unserem Prozess interessiert, da er als eine Art Blaupause dienen könnte. Hier ein paar Einblicke. Diese berühren übrigens nicht das Conventsgeheimnis.
Woher kommen wir? Die Raczeks waren von 1817 bis 1998 pluralistisch, Demokratie-versessen, Traditions-bewusst, Lebensbund-liebend, Schlesien-aktiv, Mensuren-schlagend.
Wer sind wir? Einige Raczeks, Aktive wie Alte Herren, waren von 1999 bis 2012 teilweise erzkonservativ bis rechtsextrem, wie öffentlich zugängliche Quellen schrieben.
Beispiel: Wikipedia: HNG-Mitglied Norbert Weidner, http://de.wikipedia.org/wiki/Hilfsorganisation_f%C3%BCr_nationale_politische_Gefangene_und_deren_Angeh%C3%B6rige
Beispiel: Frankfurter Rundschau.de: Burschen beklagen die Dominanz der Braunhemden, http://www.fr-online.de/politik/burschenschaften-burschen-beklagen-die-dominanz-der-braunhemden,1472596,11702710.html
Beispiel: Spiegel.de: Burschenschafter streiten über Arier-Nachweis, http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,767788,00.html
Beispiel: Spiegel.de: Burschenschafter hetzt gegen Nazi-Widerstandskämpfer, http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,826757,00.html
Beispiel: WDR-Fernsehbeitrag: Bonner Burschenschafter hetzte gegen Nazi-Widerstandskämpfer, http://www.wdr.de/tv/aks/sendungsbeitraege/2012/kw15/0412/burschenschaften.jsp
Beispiel: Bonner Generalanzeiger: FDP-Mitglied war früher Neonazi, http://www.general-anzeiger-bonn.de/lokales/bonn/FDP-Mitglied-war-frueher-Neonazi-article736998.html
Beispiel: taz.de: DB-Pressesprecher Michael Schmidt: „Im Verband wird diskutiert, ob Herr Weidner noch tragbar ist.“ , http://taz.de/FDP-will-Burschenschafter-ausschliessen/!91446/
WOHIN GEHEN WIR? Die Raczeks ringen miteinander. Und positionieren sich gerade. Wir werden, so hoffen wir, dann die neuen alten Raczeks wie von 1817 bis 1998 sein: pluralistisch, Demokratie- versessen, Traditions-bewusst, Lebensbund-liebend, Schlesien-aktiv, Mensuren-schlagend und ablehnend gegen rassistische Tendenzen, Antisemitismus und politische Extreme gleich welcher Art.
Die beiden Unterzeichner dieses offenen Briefes distanzieren sich von Herrn Norbert Weidner, seiner rechtsextremen Vergangenheit, seiner aktuellen polarisierenden Gegenwart und seiner gesamten Aktivität.
Es scheint, dass Herr Weidner 1999 in unsere Burschenschaft eingetreten ist, um sie als Plattform für seine polarisierenden Aktivitäten auszunutzen. Er tritt unseres Erachtens alle burschenschaftlichen Ideale der Jenaer Urburschenschaft mit Füßen. Wir sprechen ihm die Berechtigung ab, sich Burschenschafter zu nennen. Wir sehen Herrn Weidner als das Symbol, wie Burschenschaften und die Deutschen Burschenschaft unterwandert und als polarisierende politische Surrogat-Bühnen ausgenutzt werden.
Wir setzen uns uneingeschränkt gegen rassistische Tendenzen, Antisemitismus und politische Extreme gleich welcher Art ein. Für uns ist der Märtyrer Bonhoeffer bis heute Vorbild über alle Parteigrenzen und Konfessionen hinweg. Er ist für uns für ein Bekenntnis zu Menschlichkeit und Nächstenliebe sowie für den Kampf gegen den deutschen Faschismus.
Wir distanzieren uns von allen politisch rechtsextremen Burschenschaftern. Sie sind das genaue Gegenteil von modernen, traditionsbewussten, demokratischen, pluralistischen Burschenschaftern.
Herr Weidner scheint nicht allein. Über 30 Prozent der DB sind schon BG-Bünde. Die BG wurde von einer großen Volkspartei als „völkischer Kampfverband” charakterisiert.
Die Mehrheit der Burschenschafter jedoch stellen die Rechten noch nicht, sie schreien bisher nur am lautesten und sind am extremsten.
Für polarisierende Burschenschafter wie Herrn Norbert Weidner gibt es nach Ansicht von pluralistischen Burschenschaftern wie uns nur einen ehrenhaften Weg: das Burschenschafterband sofort niederlegen, von DB-Ämtern zurücktreten und sich in Anbetracht solcher unerhörten Äusserungen umgehend den Behörden zu stellen.
Manche Verbands- und Bundesbrüder werden diesen offenen Brief als ungeheuerlichen Affront auffassen. Wir denken aber, dass die Raczeks und die Deutschen Burschenschafter im Jahr 2012 am Wendepunkt angekommen sind. Die Komfortzone für unseres Erachtens rechtsextreme und zutiefst polarisierende Aktive und Alte Herren sollte vorbei sein. Und besondere Situationen erfordern besondere Ideen. Als aufrechte Burschenschafter treten wir offen für unsere burschenschaftlichen pluralistischen Ideale ein. Wie die Burschenschafter, die im 19. Jahrhundert gegen die sie verfolgenden Diktaturen aufgestanden sind.
Wir freuen uns auf Ihre Kommentare. Dafür haben wir eine Twitterseite www.twitter.com/QuoVadisBuxe eingerichtet.
und einen Blog unter http://quovadisbuxe.blogspot.de
Ein herzliches Vivat, crescat, floreat für alle pluralistischen Burschenschafter
(Zwei Alte Herren der Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks)
PS.: Um Ihren Fragen vorzubeugen — wir wurden schon durch den Vorstand der Altherrenschaft der Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn, dem Herr Norbert Weidner als stellvertretender Vorsitzender angehört, suspendiert (aus unserer Sicht nicht satzungskonform, da Strafverfahren gegen Alte Herren überhaupt nicht vorgesehen sind) und der Antrag seitens Herrn Weidner bzw. seitens eines zweiten Bundesbruders auf Ausschluss steht gegen uns. Begründung: Wir würden den Bundesfrieden stören und beleidigend gegen einen bestimmten Bbr. wirken, weil wir über Rechtsextreme offen reden. Sorry, diese Information könnte man als Bruch des Conventsgeheimnisses deuten. Unsere Anwälte ständen parat.
Mehr hat es nicht gebraucht! Mehrere Burschenschafter bzw. die Burschenschaftliche Gemeinschaft rückten aus, um ihrem in Bedrängnis geratenen Bundesbruder Weidner zu Hilfe zu eilen. In den offenen Briefen, die als Antwort auf den offenen Brief der beiden Alten Herren kursieren, ist von „Hetzkampagne“, „ehrlosen Elementen“, „Kollaborateuren“, die „im Windschatten der Feindpresse“, „Intriganten“ „ehrlosen Denunzianten“ und „Lumpen“ die Rede.
Ernst Kaltenbrunner und Otto Skorzeny: Nazi-Kriegsverbrecher und Burschenschafter
Auf dem Blog der Alten Herren, die gegen die rechtsextremen Burschenschafter Stellung genommen haben, ist mittlerweile aber auch ein Offener Brief von 250 Burschenschaftern zu lesen, die den Rücktritt bzw. die Entlassung von Weidner fordern. Der Richtungsstreit innerhalb der DB ist damit voll entbrannt – die österreichischen Mitgliedsbünde stehen verlässlich auf der rechten Seite.