Der Staatsschutz führt bis zu 300 „echte Radikale” in den Akten. Die Zahl der Sympathisanten geht aber in die Tausende. In der Öffentlichkeit wird die Szene oft undifferenziert dargestellt: eine Dokumentation.
„Rechtsextremismus ist keine Gefahr für den Staat.“ Das sagt Herbert Anderl, Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit. Nachsatz: „Das bedeutet jedoch nicht, dass alles gut ist.“
Jüngstes Indiz dafür ist die Großrazzia von Montagabend, bei der im Rahmen der Ermittlungen gegen die Betreiber der radikalen Internetseite „alpen-donau.info“ Wohnungen durchsucht, NS-Material beschlagnahmt sowie zwei Personen, unter ihnen Gottfried Küssel, verhaftet wurden. Doch wer sind die (verbotenen) Rechtsaußen? Wie organisieren sie sich, gibt es viele, woher kommt das Geld?
In der Öffentlichkeit wird die Szene oft undifferenziert dargestellt. Immer wieder landen Deutschtümler, Burschenschaften, Nationalisten im selben Topf. Auch weil es mitunter personelle Querverbindungen zu zweifelsfrei nationalsozialistischen Gruppen gibt. Die Zahl der „echten“ Nazis, deren Gesinnung also auch strafbar ist, ist trotzdem relativ niedrig. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) führt nach „Presse“-Informationen zwischen 100 und 300 Personen in den Akten. Diese Gruppe fluktuiert, weil manche Akteure immer wieder für längere Zeit abtauchen bzw. durch neue ersetzt werden. Der „harte Kern“ gilt als hochgradig ideologisiert, formal gebildet und entspricht nicht dem Klischee des rechten Schlägers. In diese Gruppe fallen erstens Altnazis, die die Zeit vor 1945 teilweise noch selbst erlebt haben. Die zweite Gruppe entstammt der Generation rund um Gottfried Küssel und seiner Volkstreuen außerparlamentarische Opposition (Vapo), die in den 1980er- und 1990er-Jahren für Aufsehen sorgte. Die meiste Arbeit verschafft dem Staatsschutz die dritte Generation. Mitglieder der jungen Garde sehen Küssel & Co. als Ziehväter, organisieren sich jedoch im Gegensatz zu ihren in die Jahre gekommenen Vorbildern hochgradig konspirativ. Anstatt in eingetragenen Vereinen organisieren sie sich lose, kommunizieren und publizieren via Internet (alpen-donau.info; Facebook) und besetzen Positionen in Burschenschaften oder Parteien inklusive deren Vorfeldorganisationen. Mehrfach von der Unterwanderung betroffen: die FPÖ.
Organisationen für Jung und Alt
Als Schaltstelle zwischen Nationalen und Tätigkeiten an oder jenseits der Grenze zum Verbotsgesetz sind nach Erkenntnissen des Staatsschutzes einige Organisationen tätig. Dazu gehören das eher unauffällige Deutsche Kulturwerk sowie die bedeutende Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik (AFP) mit ihrer Jugendorganisation, dem Bund freier Jugend (BFJ). Treffen finden regelmäßig im Rahmen der Politischen Akademie der AFP statt. Zuletzt im Oktober 2010 im oberösterreichischen Offenhausen. Anwesend waren u.a. der bayerische NPD-Mann Roland Wuttke, Horst Jakob Rosenkranz (Mann von FP-Präsidentschaftskandidatin Barbara Rosenkranz) sowie Andreas T., der einst mit Heinz-Christian Strache Paintball spielte und als Vertrauter des wegen Wiederbetätigung inhaftierten Gerd Honsik gilt. Weiters sprachen: Johann Gudenus, Gerhard Kurzmann, Hans Jörg Jenewein und Andreas Mölzer (alle FPÖ).
Der BFJ-Nachwuchs war und ist vor allem in Wien, Oberösterreich und der Steiermark aktiv. In diesen Ländern besetzen Mitglieder Schlüsselpositionen im Ring freiheitlicher Jugend (RFJ). 2007 empfingen steirische BFJ- und RFJ-Funktionäre bei einem Sommerfest Gottfried Küssel, der von seinem Freund und Vapo-Kameraden Felix B. begleitet wurde. Derselben Gruppe gehört ein junger Mann an, der sich demnächst vor Gericht für eine Schlägerei sowie das Rufen nationalsozialistischer Parolen verantworten muss.
In Wien sorgten die im RFJ engagierten Mitarbeiter des Abgeordneten Martin Graf wegen Bestellungen beim einschlägigen „Aufruhr“-Versand für Aufsehen. 2010 musste Jan A., Mitarbeiter von Grafs Klubkollegen Harald Stefan das Hohe Haus verlassen. Er hatte zuvor ein Feldlager organisiert. Stefan distanzierte sich von A.
Die Medien der äußersten Rechten heißen „Phönix“, „Fakten“ (Horst Jakob Rosenkranz) und „Der Eckart“. Im Dunstkreis von AFP und BJF erscheinen Periodika wie „Jugend Echo“, „Weitblick“, „Wiener Beobachter“ sowie die „Kommentare zum Zeitgeschehen“, die sich selbst als „keine Lektüre für Bonzen und Parasiten“ verstehen und auch von Aktivitäten berichten, etwa „Flugblattaktionen vor Wiener Schulen in den Bezirken 1 und 3“.
Chronischer Geldmangel
Der Verfassungsjurist Heinz Mayer bewertete die veröffentlichten Inhalte der Zeitungen in einem Gutachten. Sein Fazit: Das Verbotsgesetz werde nicht nur gestreift, sondern systematisch übertreten. Der Großteil der Kommunikation läuft über das Internet. Im Netzwerk Facebook verschwimmen die Grenzen zwischen Rechtsaußen und echten Nazis. Grün-Abgeordneter Karl Öllinger beobachtet die Szene seit Jahren. Er schätzt die Gesinnungsgemeinschaft auf 10.000 Mitglieder – Mitläufer, prügelnde Hooligans und Skins inklusive.
Was den Verfassungsschutz eher freuen dürfte: Links- und Rechtsextremisten bespitzeln einander bei Veranstaltungen. Regelmäßig schwärzt die eine Seite die jeweils andere an. Wer weiß, wo er suchen muss, findet auch im Internet penibel dokumentierte Berichte – Fotos der handelnden Personen inklusive.
Dass die Zahl der Aktiven stabil bleibt, dürfte mit Geldmangel zu tun haben. Die wohlhabenden Mäzene und Altnazis sterben aus. Meist kommt das Geld – etwa für Werbemittel – von Spendern. Hier schließt sich der Kreis. So förderte die Wiener schlagende Burschenschaft „Libertas“ die „volkstreuen und öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten“ des BFJ mit einem Geldpreis. Prominente „Libertas“-Mitglieder sind Nationalratsabgeordneter Walter Rosenkranz und Ex-Landesrat Hans Achatz (beide FP).
(„Die Presse”, Print-Ausgabe, 16. April 2011)
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