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diepresse.com: „So funktioniert Österreichs Naziszene”

„Die Pres­se” berich­tet in ihrer gest­ri­gen Aus­ga­be über die Hin­ter­grün­de der Neo­na­­zi-Sze­­ne in Öster­reich: „So funk­tio­niert Öster­reichs Nazi­sze­ne” Der Staats­schutz führt bis zu 300 „ech­te Radi­ka­le” in den Akten. Die Zahl der Sym­pa­thi­san­ten geht aber in die Tau­sen­de. In der Öffent­lich­keit wird die Sze­ne oft undif­fe­ren­ziert dar­ge­stellt: eine Doku­men­ta­ti­on. „Rechts­extre­mis­mus ist kei­ne Gefahr für den […]

16. Apr 2011

Der Staats­schutz führt bis zu 300 „ech­te Radi­ka­le” in den Akten. Die Zahl der Sym­pa­thi­san­ten geht aber in die Tau­sen­de. In der Öffent­lich­keit wird die Sze­ne oft undif­fe­ren­ziert dar­ge­stellt: eine Dokumentation.

„Rechts­extre­mis­mus ist kei­ne Gefahr für den Staat.“ Das sagt Her­bert Anderl, Gene­ral­di­rek­tor für die öffent­li­che Sicher­heit. Nach­satz: „Das bedeu­tet jedoch nicht, dass alles gut ist.“

Jüngs­tes Indiz dafür ist die Groß­raz­zia von Mon­tag­abend, bei der im Rah­men der Ermitt­lun­gen gegen die Betrei­ber der radi­ka­len Inter­net­sei­te „alpen-donau.info“ Woh­nun­gen durch­sucht, NS-Mate­ri­al beschlag­nahmt sowie zwei Per­so­nen, unter ihnen Gott­fried Küs­sel, ver­haf­tet wur­den. Doch wer sind die (ver­bo­te­nen) Rechts­au­ßen? Wie orga­ni­sie­ren sie sich, gibt es vie­le, woher kommt das Geld?

In der Öffent­lich­keit wird die Sze­ne oft undif­fe­ren­ziert dar­ge­stellt. Immer wie­der lan­den Deutsch­tüm­ler, Bur­schen­schaf­ten, Natio­na­lis­ten im sel­ben Topf. Auch weil es mit­un­ter per­so­nel­le Quer­ver­bin­dun­gen zu zwei­fels­frei natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Grup­pen gibt. Die Zahl der „ech­ten“ Nazis, deren Gesin­nung also auch straf­bar ist, ist trotz­dem rela­tiv nied­rig. Das Bun­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz und Ter­ro­ris­mus­be­kämp­fung (BVT) führt nach „Presse“-Informationen zwi­schen 100 und 300 Per­so­nen in den Akten. Die­se Grup­pe fluk­tu­iert, weil man­che Akteu­re immer wie­der für län­ge­re Zeit abtau­chen bzw. durch neue ersetzt wer­den. Der „har­te Kern“ gilt als hoch­gra­dig ideo­lo­gi­siert, for­mal gebil­det und ent­spricht nicht dem Kli­schee des rech­ten Schlä­gers. In die­se Grup­pe fal­len ers­tens Alt­na­zis, die die Zeit vor 1945 teil­wei­se noch selbst erlebt haben. Die zwei­te Grup­pe ent­stammt der Gene­ra­ti­on rund um Gott­fried Küs­sel und sei­ner Volks­treu­en außer­par­la­men­ta­ri­sche Oppo­si­ti­on (Vapo), die in den 1980er- und 1990er-Jah­ren für Auf­se­hen sorg­te. Die meis­te Arbeit ver­schafft dem Staats­schutz die drit­te Gene­ra­ti­on. Mit­glie­der der jun­gen Gar­de sehen Küs­sel & Co. als Zieh­vä­ter, orga­ni­sie­ren sich jedoch im Gegen­satz zu ihren in die Jah­re gekom­me­nen Vor­bil­dern hoch­gra­dig kon­spi­ra­tiv. Anstatt in ein­ge­tra­ge­nen Ver­ei­nen orga­ni­sie­ren sie sich lose, kom­mu­ni­zie­ren und publi­zie­ren via Inter­net (alpen-donau.info; Face­book) und beset­zen Posi­tio­nen in Bur­schen­schaf­ten oder Par­tei­en inklu­si­ve deren Vor­feld­or­ga­ni­sa­tio­nen. Mehr­fach von der Unter­wan­de­rung betrof­fen: die FPÖ.

Organisationen für Jung und Alt

Als Schalt­stel­le zwi­schen Natio­na­len und Tätig­kei­ten an oder jen­seits der Gren­ze zum Ver­bots­ge­setz sind nach Erkennt­nis­sen des Staats­schut­zes eini­ge Orga­ni­sa­tio­nen tätig. Dazu gehö­ren das eher unauf­fäl­li­ge Deut­sche Kul­tur­werk sowie die bedeu­ten­de Arbeits­ge­mein­schaft für demo­kra­ti­sche Poli­tik (AFP) mit ihrer Jugend­or­ga­ni­sa­ti­on, dem Bund frei­er Jugend (BFJ). Tref­fen fin­den regel­mä­ßig im Rah­men der Poli­ti­schen Aka­de­mie der AFP statt. Zuletzt im Okto­ber 2010 im ober­ös­ter­rei­chi­schen Offen­hau­sen. Anwe­send waren u.a. der baye­ri­sche NPD-Mann Roland Wut­t­ke, Horst Jakob Rosen­kranz (Mann von FP-Prä­si­dent­schafts­kan­di­da­tin Bar­ba­ra Rosen­kranz) sowie Andre­as T., der einst mit Heinz-Chris­ti­an Stra­che Paint­ball spiel­te und als Ver­trau­ter des wegen Wie­der­be­tä­ti­gung inhaf­tier­ten Gerd Hon­sik gilt. Wei­ters spra­chen: Johann Gude­nus, Ger­hard Kurz­mann, Hans Jörg Jene­wein und Andre­as Möl­zer (alle FPÖ).

Der BFJ-Nach­wuchs war und ist vor allem in Wien, Ober­ös­ter­reich und der Stei­er­mark aktiv. In die­sen Län­dern beset­zen Mit­glie­der Schlüs­sel­po­si­tio­nen im Ring frei­heit­li­cher Jugend (RFJ). 2007 emp­fin­gen stei­ri­sche BFJ- und RFJ-Funk­tio­nä­re bei einem Som­mer­fest Gott­fried Küs­sel, der von sei­nem Freund und Vapo-Kame­ra­den Felix B. beglei­tet wur­de. Der­sel­ben Grup­pe gehört ein jun­ger Mann an, der sich dem­nächst vor Gericht für eine Schlä­ge­rei sowie das Rufen natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Paro­len ver­ant­wor­ten muss.

In Wien sorg­ten die im RFJ enga­gier­ten Mit­ar­bei­ter des Abge­ord­ne­ten Mar­tin Graf wegen Bestel­lun­gen beim ein­schlä­gi­gen „Aufruhr“-Versand für Auf­se­hen. 2010 muss­te Jan A., Mit­ar­bei­ter von Grafs Klub­kol­le­gen Harald Ste­fan das Hohe Haus ver­las­sen. Er hat­te zuvor ein Feld­la­ger orga­ni­siert. Ste­fan distan­zier­te sich von A.

Die Medi­en der äußers­ten Rech­ten hei­ßen „Phö­nix“, „Fak­ten“ (Horst Jakob Rosen­kranz) und „Der Eck­art“. Im Dunst­kreis von AFP und BJF erschei­nen Peri­odi­ka wie „Jugend Echo“, „Weit­blick“, „Wie­ner Beob­ach­ter“ sowie die „Kom­men­ta­re zum Zeit­ge­sche­hen“, die sich selbst als „kei­ne Lek­tü­re für Bon­zen und Para­si­ten“ ver­ste­hen und auch von Akti­vi­tä­ten berich­ten, etwa „Flug­blatt­ak­tio­nen vor Wie­ner Schu­len in den Bezir­ken 1 und 3“.

Chronischer Geldmangel

Der Ver­fas­sungs­ju­rist Heinz May­er bewer­te­te die ver­öf­fent­lich­ten Inhal­te der Zei­tun­gen in einem Gut­ach­ten. Sein Fazit: Das Ver­bots­ge­setz wer­de nicht nur gestreift, son­dern sys­te­ma­tisch über­tre­ten. Der Groß­teil der Kom­mu­ni­ka­ti­on läuft über das Inter­net. Im Netz­werk Face­book ver­schwim­men die Gren­zen zwi­schen Rechts­au­ßen und ech­ten Nazis. Grün-Abge­ord­ne­ter Karl Öllin­ger beob­ach­tet die Sze­ne seit Jah­ren. Er schätzt die Gesin­nungs­ge­mein­schaft auf 10.000 Mit­glie­der – Mit­läu­fer, prü­geln­de Hoo­li­gans und Skins inklusive.

Was den Ver­fas­sungs­schutz eher freu­en dürf­te: Links- und Rechts­extre­mis­ten bespit­zeln ein­an­der bei Ver­an­stal­tun­gen. Regel­mä­ßig schwärzt die eine Sei­te die jeweils ande­re an. Wer weiß, wo er suchen muss, fin­det auch im Inter­net peni­bel doku­men­tier­te Berich­te – Fotos der han­deln­den Per­so­nen inklusive.

Dass die Zahl der Akti­ven sta­bil bleibt, dürf­te mit Geld­man­gel zu tun haben. Die wohl­ha­ben­den Mäze­ne und Alt­na­zis ster­ben aus. Meist kommt das Geld – etwa für Wer­be­mit­tel – von Spen­dern. Hier schließt sich der Kreis. So för­der­te die Wie­ner schla­gen­de Bur­schen­schaft „Liber­tas“ die „volks­treu­en und öffent­lich­keits­wirk­sa­men Akti­vi­tä­ten“ des BFJ mit einem Geld­preis. Pro­mi­nen­te „Libertas“-Mitglieder sind Natio­nal­rats­ab­ge­ord­ne­ter Wal­ter Rosen­kranz und Ex-Lan­des­rat Hans Achatz (bei­de FP).

(„Die Pres­se”, Print-Aus­ga­be, 16. April 2011)

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