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Verfassungsschutzbericht 2017 (Teil II): die Fachbeiträge

Neben einem sta­tis­ti­schen Teil umfasst der Ver­fas­sungs­schutz­be­richt auch Fach­bei­trä­ge, die aus­ge­wähl­te The­men­be­rei­che auf ein paar weni­gen Sei­ten näher unter die Lupe neh­men, immer aber unter­schied­li­cher Qua­li­tät sind. Eini­ge Kapi­tel hät­te man sich schen­ken kön­nen – weni­ger The­men, dafür aber eini­ge aus­führ­li­cher, wären ver­mut­lich bes­ser gewe­sen. Der ers­te Fach­bei­trag setzt sich mit sepa­ra­tis­ti­schen Strö­mun­gen und ihren […]

4. Jul 2018
Berlin: „Protestkundgebung“ von Angehörigen von Gruppen, die behaupten, dass die BRD nie als Staat im Sinne des Völkerrechts existiert hat, und dass das Deutsche Reich (wie es von 1918 an existiert hat) nach 1945 fortbestand und noch heute besteht. Menschen die dies behaupten oder glauben, werden der sogenannten Reichsbürgerbewegung zugeordnet (oder ordnen sich ihr selbst zu); Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license

Der ers­te Fach­bei­trag setzt sich mit sepa­ra­tis­ti­schen Strö­mun­gen und ihren Aus­wir­kun­gen auf Öster­reich aus­ein­an­der. Erör­tert wer­den hier­bei in kur­so­ri­scher Wei­se Grün­de und Moti­ve für Abspal­tungs­be­we­gun­gen und dass es hier­bei zu Ein­flüs­sen aus dem Aus­land kom­men kön­ne. Zwei sepa­ra­tis­ti­sche Bewe­gun­gen ste­hen im Fokus, näm­lich die kur­di­sche und die kata­la­ni­sche mit dem Fazit, dass in bei­den Regio­nen nach Refe­ren­den „deut­li­che wirt­schaft­li­che und poli­ti­sche Rück­schlä­ge“ zu kon­sta­tie­ren sei­en. Aller­dings: Was hier­bei der kon­kre­te Bezug zu Öster­reich ist, wor­in Aus­wir­kun­gen bestehen, bleibt uns der Fach­bei­trag gänz­lich schul­dig. Somit ist zu fra­gen, was die­ser Bei­trag im öster­rei­chi­schen Ver­fas­sungs­schutz­be­richt zu tun hat.

Fach­bei­trä­ge im aktu­el­len Verfassungsschutzbericht

Ein wei­te­rer Auf­satz beschäf­tigt sich mit dem Sala­fis­mus, kon­kre­ter mit des­sen „Mis­sio­nie­rungs­ak­ti­vi­tä­ten in Öster­reich“. Da wird von (angeb­lich) bereits 2017 ein­ge­stell­ten Koran-Ver­tei­lungs­ak­tio­nen berich­tet, kur­so­risch von Schu­lun­gen und Leit­fä­den, wie Per­so­nen über­zeugt wer­den kön­nen, zum Islam bzw. rei­nen Islam über­zu­tre­ten und von der inter­na­tio­na­len Ver­net­zung der ein­zel­nen Grup­pie­run­gen. Ein Absatz beschäf­tigt sich mit dem „Ver­ein Gesicht“, der in Reak­ti­on auf das Gesichts­ver­hül­lungs­ver­bot gegrün­det wur­de und der angeb­lich Niqab-Trä­ge­rin­nen dazu ermu­tigt, ihren Gesichts­schlei­er wei­ter zu tra­gen – wie wir wis­sen, eine Rand­the­ma­tik (https://kurier.at/chronik/oesterreich/burkaverbot-nimmt-keiner-ernst/400059698https://kurier.at/chronik/oesterreich/burkaverbot-nimmt-keiner-ernst/400059698) oder eher zu slap­stick­ar­ti­gen Voll­zie­hun­gen geführt hat als auch nur einen Deut zu einer bes­se­ren Inte­gra­ti­on beizutragen.

Fast ein High­light ist der Fach­bei­trag zum soge­nann­ten Aka­de­mi­ker­ball der Wie­ner Bur­schen­schaf­ten in der Hof­burg. Schon der sta­tis­ti­sche Bei­trag wid­met sich haupt­säch­lich den Anti-WKR-Pro­tes­ten mit dem bemer­kens­wer­ten Zitat: Zen­tra­les Pro­test­ziel der gesam­ten öster­rei­chi­schen links­extre­men Sze­ne – vor allem für das auto­no­me Spek­trum – war erneut der Wie­ner Aka­de­mi­ker Ball (WAB).“ Dass dies das wirk­li­che Pro­test­ziel ist – und nicht die Pro­ble­ma­tik, dass eine rechts­extre­me Ver­an­stal­tung aus­ge­rech­net in der Hof­burg statt­fin­det , sei dahin­ge­stellt. Da aber selbst bei den Anti-Aka­de­mi­ker­ball-Pro­tes­ten in den letz­ten Jah­ren kei­ne bedroh­li­chen Akti­vi­tä­ten vor­zu­wei­sen sind, gibt’s einen Rekurs auf die Demons­tra­tio­nen gegen den brau­nen Ball in der Hof­burg mit einer ein­lei­ten­den „Pro­test­his­to­rie“, die aber auch schon zum Ende des Arti­kels führt, der man­gels an Vor­fäl­len in den letz­ten Jah­ren damit schließt, dass vor dem Gewalt­po­ten­ti­al von auto­no­men Grup­pen gewarnt wird.

Nach einem Bei­trag, in dem die Prä­ven­ti­ons- und Dera­di­ka­li­sie­rungs­maß­nah­men der Repu­blik gelobt wer­den, beschäf­tigt sich wie im letz­ten Jahr ein Kapi­tel mit den staats­feind­li­chen Ver­bin­dun­gen. Es wird berich­tet, dass die sog. Staats­ver­wei­ge­rer – auf­ge­teilt in „zwei domi­nie­ren­den welt­an­schau­li­chen Strö­mun­gen: die Reichs­bür­ge­rideo­lo­gie und die Natur­rechts­ab­lei­tun­gen“ – kon­spi­ra­ti­ve Indok­tri­na­ti­ons- und Rekru­tie­rungs­tref­fen abge­hal­ten haben und damit um die 2.500 Per­so­nen erreicht wur­den. Im Fokus des Bei­trags ste­hen Gerichts­ver­fah­ren, die Staats­ver­wei­ge­rer in Ableh­nung des öster­rei­chi­schen Jus­tiz­sys­tems selbst­stän­dig durch­füh­ren und die zu Ermitt­lun­gen und Straf­ver­fah­ren geführt haben:

Im Jahr 2017 haben die Akti­vi­tä­ten des ICCJV zu rechts­kräf­ti­gen teil­be­ding­ten Haft­stra­fen bis zu 20 Mona­ten geführt. Im sel­ben Jahr wur­den gegen den ‚Staa­ten­bund Öster­reich’ und sei­ne Ver­ant­wort­li­chen im Vor­feld der geplan­ten ille­gi­ti­men ‚Völ­ker­recht­ge­richts­ver­hand­lung’ über Anord­nung der Staats­an­walt­schaft Graz und mit gericht­li­cher Geneh­mi­gung Fest­nah­men und Haus­durch­su­chun­gen durch­ge­führt. Im Zuge wei­te­rer Ermitt­lun­gen kam es bis Jah­res­en­de zur Umset­zung von bun­des­weit ins­ge­samt 33 Haft­be­feh­len und 51 Haus­durch­su­chun­gen. Ins­ge­samt wur­den bis­her in die­sem noch lau­fen­den Ver­fah­ren über 200 Beschul­dig­te anhän­gig gemacht.“

Ber­lin: „Pro­test­kund­ge­bung“ von Ange­hö­ri­gen von Grup­pen, die behaup­ten, dass die BRD nie als Staat im Sin­ne des Völ­ker­rechts exis­tiert hat, und dass das Deut­sche Reich (wie es von 1918 an exis­tiert hat) nach 1945 fort­be­stand und noch heu­te besteht. Men­schen die dies behaup­ten oder glau­ben, wer­den der soge­nann­ten Reichs­bür­ger­be­we­gung zuge­ord­net (oder ord­nen sich ihr selbst zu); Crea­ti­ve Com­mons Attri­bu­ti­on-Share Ali­ke 3.0 Unpor­ted license

Wie im letz­ten Jahr gibt es einen Hin­weis, dass die Sze­ne der Staats­ver­wei­ge­rer auch im öffent­li­chen Dienst Fuß gefasst hat, kon­kre­te Zah­len dazu feh­len aber. Und auch heu­er feh­len lei­der Aus­füh­run­gen zu den bestehen­den Ver­schrän­kun­gen mit der rechts­extre­men Sze­ne.

Die zwei letz­ten Kapi­tel the­ma­ti­sie­ren Bedro­hun­gen gegen öster­rei­chi­sche Staats­or­ga­ne, die rück­läu­fig gewe­sen sei­en, die Auf­stel­lung von Pol­lern im Regie­rungs­vier­tel und die Cyber­si­cher­heit. Zu letz­te­rem wer­den aus­ge­wähl­te Vor­fäl­le geschil­dert. Den Bei­trag zu den Iden­ti­tä­ren haben wir bereits in Teil I zum Ver­fas­sungs­schutz­be­richt besprochen.

Anzu­mer­ken ist, dass die rechts­extre­me Bewe­gung „Graue Wöl­fe“ im gesam­ten Bericht kei­ne ein­zi­ge Erwäh­nung fin­det, was so bedau­er­lich wie sym­pto­ma­tisch ist. Um hier­bei einen Ein­blick zu erhal­ten, benö­ti­gen wir exter­ne Exper­tIn­nen wie Tho­mas Ram­mer­stor­fer, der zum The­ma unlängst ein bemer­kens­wer­tes Buch vor­ge­legt hat – wir emp­feh­len dazu die­ses Interview.

Dafür rich­te­te Heinz-Chris­ti­an Stra­che aber via Face­book zur Freu­de sei­ner Kli­en­tel den öster­rei­chi­schen Erdoğan-Wäh­le­rIn­nen aus, sie mögen doch in die Tür­kei zurück­ge­hen. Das Pos­ting hat fast 30.000 Likes und bei­na­he 2.000 Kom­men­ta­re erreicht. Auch eine Form der Poli­tik, zu einer Dera­di­ka­li­sie­rung wird sie – wie die pro­pa­gan­dis­tisch ver­kün­de­ten Moscheen-Schlie­ßun­gen – jedoch nicht bei­tra­gen, eher im Gegenteil.

zum Teil I über den Ver­fas­sungs­schutz­be­richt 2017