Lise Meitner (1878–1968) war eine der bedeutendsten Naturwissenschafterinnen des 20. Jahrhunderts. Die Schottenbastei kannte sie nicht von innen, weil Mädchen damals nicht an Gymnasien zugelassen waren. Sie bereitete sich im Selbststudium auf die Matura vor, die sie als Externistin 1901 am Akademischen Gymnasium absolvierte. 1938, als die bereits als Wissenschafterin arrivierte Meitner aus Berlin vor den Nazis fliehen musste, wurde die Schottenbastei in Wien zu einer (von mehreren) )jüdischen Sammelschule umfunktioniert, in der jüdische Schüler*innen sich einzufinden hatten, bis sie auch von dieser Schule vertrieben wurden.
E.M., der am 17.4. wegen NS-Wiederbetätigung im Zeitraum zwischen Juli 2020 und September 2023 vor Gericht stand, hat laut Anklage über WhatsApp und Telegram zahlreiche braune Nachrichten und Fotos, zumeist NS-Memes mit Hitler in der Hauptrolle, aber auch deutlich antisemitische und rassistische, von Vernichtungsphantasien geprägte, an Einzelpersonen und Gruppen verschickt. Eine WhatsApp-Gruppe einer Jägerkompanie im Jägerbataillon 19, wo M. seinen Grundwehrdienst absolvierte, war zum Großteil „der Raum, in dem der Angeklagte nationalsozialistische, antisemitische und rassistische Inhalte bekam und selber auch teilte“ (Prozessbeobachtung).
Was auch immer an seiner Schule über die Verfolgung der Juden, den Holocaust und das NS-Regime erzählt und gelehrt wurde, scheint spurlos an dem Angeklagten vorbeigegangen zu sein. Dafür tischte sein Verteidiger den Geschworenen eine schöne Geschichte auf: Als der Angeklagte nach einer Besprechung in seiner Kanzlei an der Shoah-Namensmauer vorbeispaziert sei, habe er unter den zigtausenden Namen jüdischer Ofer auch seinen Familiennamen entdeckt – das habe ihn betroffen gemacht.
In etlichen Fragen, die vom Angeklagten zumeist nur sehr knapp beantwortet wurden, versuchten Berufsrichter*innen und Geschworene zu ergründen, wie und wodurch E.M. trotz „guter Schule“ zu seiner braunen Gesinnung gekommen sei. Unsere Prozessbeobachtung merkt dazu an, dass in manchen dieser Fragen auch ein generationell gefärbtes Unverständnis über die Entwicklung des Angeklagten mitgeschwungen habe. „Viel rausgekommen ist dabei nicht. Der Angeklagte, der sich in allen Punkten schuldig bekannte, präsentierte sich recht glaubwürdig als naiver junger Mann, der es damals nicht besser wusste.“ (Prozessbeobachtung)
Die Geschworenen sprachen den Angeklagten zwar in der Hauptfrage NS-Wiederbetätigung schuldig, bei den beiden anderen Fragen, ob er auch Verhetzung begangen habe, plädierte die Hälfte der Geschworenen gegen eine Schuld. Dabei handelte es sich um widerliche, Menschen mit schwarzer Hautfarbe verspottende Hetzpostings.
Die Strafe ist bereits rechtskräftig: 18 Monate bedingt auf drei Jahre mit den Auflagen, Bewährungshilfe in Anspruch nehmen und einen begleiteten Rundgang durch die Gedenkstätte Mauthausen absolvieren zu müssen.
Danke an prozess.report für die Prozessbeobachtung!