Auf Fotos von antifaschistischen Journalist*innen ist der heute fast 21-jährige P. oft als Teilnehmer bei Corona-Aufmärschen zu sehen – immer im Umkreis der neonazistischen „Tanzbrigade”, die aufgrund der zuletzt bekanntgewordenen Gewaltverbrechen auch im Fokus der Aufmerksamkeit steht. Sein Merkmal: eine Halskette mit einem Kolovrat, einer doppelten Swastika mit acht Haken, die besonders in Russland als Symbol von Neonazis benutzt wird. Das erklärte P. bei seiner Verhandlung am 20. März am Landesgericht Wien zwar als spirituelles Zeichen, die politisierte Bedeutung sei ihm jedoch bewusst gewesen.
Er sei in der Pandemie in die Szene geraten, gab der in Niederösterreich lebende Bursche an, über sein Fußballinteresse. Die Schule, eine HTL, hat er ohne Abschluss beendet, er sei ununterbrochen online gewesen und über die sozialen Medien angeschrieben worden. „Mir wurde vermittelt, das sei das Normalste, das ist eh richtig, ich war nicht in der Lage … hab das als normal und richtig angenommen, was ich auch bereue und nicht mehr so sehe“, erklärte P. vor Gericht.
Überhaupt gab sich P. anders als viele andere Angeklagte erstaunlich einsichtig: Er bekannte sich sofort in allen Anklagepunkten schuldig, bockte bei Fragen an ihn nicht herum, auch wenn er wie nach einem vorgegebenen Muster antwortete. Als er zu einem angeklagten Selfie mit Sturmhaube und Hakenkreuzfahne im Hintergrund befragt wurde, gab er zur Antwort, die Aufnahme sei vor einer Demo entstanden: „Mir ist bewusst, was dieses Symbol bedeutet, was die Hakenkreuzflagge bedeutet, die nationalsozialistische. Das war bei mir zu Hause, ich habe mich selbst aufgenommen mit meinem Handy, dass ich mich mit dieser Symbolik einfach zeig.“
Ein angeklagtes Video, das ihn und seine damalige schwedische Freundin vermummt mit Hitlergruß zeigt, sei in Schweden aufgenommen und von der Freundin über Instagram verbreitet worden. „Ich hab es nicht verschickt, mir war aber auch bewusst, welchen Anschein es erwecken wird, es war mir damals relativ egal, dachte nicht, dass es sowas nachziehen wird, weil es ja bei ihr war.“ Tatsächlich hatte er mit seiner Einschätzung der juristischen Folgen recht, wie sich dann aber erst nach der Urteilsverkündung durch die Geschworenenjury herausstellen sollte.
Beide Anklagepunkte stammen aus von einem USB-Stick, der anonym bei der Polizei abgegeben worden sei. Auch „Stoppt die Rechten” liegen weitere Screenshots vor, die P. in martialischen Posen zeigen sowie Postings mit Hitlergrüßen, wüsten Antisemitismus, Waffen und weiteren einschlägigen Sujets.
Der dritte Anklagepunkt betraf den Hitlergruß vor der „Türkis Rosa Lila Villa“ im Zuge der Demonstration am 16. April 2023, als eine rechtsextreme Union von Identitären, FPÖ, katholischen Fundis und Martin Rutter, begleitet durch eine Reihe bekannter Neonazis, auf der Wienzeile gegen eine Dragqueen-Lesung aufmarschiert war. Bei der Polizei hatte P. noch angegeben, es sei nur „ein Wischen und Winken“ gewesen, vor Gericht klang das dann doch deutlich anders. Er habe die Personen in der Villa mit dem Hitlergruß provozieren wollen. Mit dem „Wischen und Winken“ war P. damals nicht alleine, Martin Sellner hatte prompt erklärt, „der Aktivist hat zu einer Parole geklatscht“. Spätestens beim Prozess wurde seine Behauptung Lügen gestraft.

Hausdurchsuchung als Wendepunkt
Die Hausdurchsuchung – vier Monate nach dem Vorfall vor der „Villa“ – habe den Wendepunkt bei P. ausgelöst. Schon zuvor habe er gezweifelt, weil er von seinen Szenekameraden immer wieder aufgrund seiner ausländischen Freunde angegriffen worden sei.
Der Endpunkt kam bei mir, wo ich dann gedacht habe, „halt stopp, was ist hier los“, wo dann die Hausdurchsuchung bei mir war, Ende August 2023, wo ich gemerkt habe „hey es wird ernst (…), werde von unbekannten Personen fotografiert, bin in sozialen Medien, was ich eigentlich nicht will. Da hab ich erst verstanden, das will ich nicht, so will ich nicht leben, das hat nichts mehr mit der Realität und Normalität zu tun.
Er habe sich Hilfe geholt, befinde sich seither in Therapie, habe nun eine Lehre begonnen und will die Matura nachholen, erklärt P. seinen Wandel. Tatsächlich war P., soweit bekannt, seither auf einschlägigen Events nicht mehr zu sehen.
Bevor die Geschworenen in die Beratung gingen, modifizierte der Staatsanwalt noch den Anklagepunkt mit dem Video, das angeblich aus Schweden stammt, auf Paragraf 3n Verbotsgesetz, der erst mit der Novellierung 2023 geschaffen wurde:
3g Abs.2 und § 3h Abs.2 gelten für im Ausland begangene Taten unabhängig von den Gesetzen des Tatorts, wenn
- die Tat geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu verletzen.
Schuldspruch mit milder Strafe
Nach einer Stunde Beratungszeit verkündeten die Geschworenen den Wahrspruch: einstimmig schuldig in allen drei Anklagepunkten. Der aus den drei Richter*innen bestehende Senat setzte den Schuldspruch bezügliches des Videos jedoch sofort aus. Die Begründung: P. besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft. Das provoziert Fragen: Was wurde bezüglich der Herkunft des Videos ermittelt, und ist dem Richter*innensenat nicht schon bei der Änderung der Anklage aufgefallen, dass der entsprechende Paragraf bei P. nicht anwendbar ist? Zudem: Kannte der Staatsanwalt den entsprechenden Paragrafen des Verbotsgesetzes nicht?
P. kassierte neben dem Schuldspruch sechs Monate bedingter Haft, die Übernahme der Verfahrenskosten, eine verpflichtende Bewährungshilfe sowie der Besuch der KZ-Gedenkstätte Mauthausen innerhalb des laufenden Jahres. Damit bleiben P. die Eintragung in eine Strafregisterbescheinigung und die Verständigung seines Dienstgebers erspart. Der Angeklagte akzepierte das Urteil, die Staatsanwaltschaft gab keine Erklärung ab, daher ist das Urteil nicht rechtskräftig.
Dem jungen Mann und der Gesellschaft ist zu wünschen, dass die Resozialisierung über den Prozess hinaus gelingt!
Wir danken prozess.report für die Prozessbeobachtung!