Ibiza-Feeling in Simmering
Die von drei französischen Journalisten des öffentlich-rechtlichen Senders „France 2“ heimlich gemachten Aufnahmen vermitteln Ibiza-Feeling: ohne Insel und besoffenen Akteuren im Ruderleiberl, ohne Ologarchennichte, dafür eine Gaststube mitten in Simmering mit lokalen Abgeordneten und Parteigänger*innenschaft. „Ibiza ist jetzt Simmering. Die Qualität in den späteren Staffeln lässt halt meistens nach”, postet die Journalistin Claudia Zettel dazu. Der Effekt ist ähnlich: Die beiden Nationalratsabgeordneten reden anders, als sie es etwa im Nationalrat tun würden. Sie zeigen – einmal mehr – wie die FPÖ tickt.

Der von Stefan eingeleitete Gast war der ebenfalls aus der Juristerei kommende Markus Tschank. Tschank ist Obmann der blauen Bezirkspartei „Innere Stadt“ und war in der Zeit von Türkis-Blau Nationalratsabgeordneter. Bekannt wurde er allerdings erst später. Er war an der Front von FPÖ-nahen Vereinen, gegen die nach Straches Sager im Ibizia-Video, es gäbe Umgehungskonstruktion für Spenden „am Rechnungshof vorbei“, seitens der WKStA insbesondere wegen Geldern vom Glücksspielkonzern Novomatic ermittelt wurde. Für einen Schreibtisch des Vereins „Institut für Sicherheitspolitik“ (ISP) in seinem Büro ging monatlich eine Pauschale von 3.600 Euro an Tschanks Rechtsanwaltskanzlei, 1.250 Euro netto pro Monat kassierte er zusätzlich für seine „Managementleistungen“ für das ISP. (orf.at, 10.6.20) Die Ermittlungen wurden zwischenzeitlich eingestellt, Tschank zog 2024 erneut in den Nationalrat ein.
Die Veranstaltung in Simmering folgte just auf eine Pressekonferenz von Herbert Kickl, in der der FPÖ-Chef die Bedingungen für eine Zusammenarbeit mit der ÖVP skizzierte und dabei nicht mit Demütigungen seines künftigen Koalitionspartners sparte. Auch Stefan und Tschank äußerten sich zur ÖVP und über die damals angelaufenen Koalitionsverhandlungen – Erniedrigung und Arroganz auf Stammtischniveau:
„Es war wichtig, denen einmal zu sagen, sie brauchen sich ned deppert spielen”, analysiert Harald Stefan die Pressekonferenz des Chefs. Tschank wird noch deutlicher: Genau genommen gehöre „die ÖVP eigentlich mit einem Regierungsverbot ausgestattet und auf die Oppositionsbank geschickt”, findet er. Und: „Die ÖVP ist natürlich in einem jämmerlichen Zustand. Sie ist machtgeil und möchte natürlich in ihren Positionen bleiben. Und deswegen können wir ruhig die Latte ein bisserl höher hängen, wir können durchaus zeigen, dass wir die stärkere Partei sind, dass wir unsere Inhalte durchsetzen.” (derstandard.at, 14.1.25)
Alle vor die Tür setzen
Während des Abends war – wie könnte es bei einer FPÖ-Veranstaltung auch anders sein? – das Thema Migration dominant. Losgelegt wurde vor allem gegen Geflüchtete. Da, nämlich aus Afghanistan, würde „das letzte Gesindel“ zu uns kommen.
Darin [in den Video- und Tonaufnahmen] sieht und hört man Markus Tschank, wie er sagt, dass man Migrantinnen und Migranten oder „diese Menschen“, wie sie Tschank nennt „mit aller Rigorosität, mit aller Staatsgewalt vor die Türe setzen“, müsse. Alle. Und Stefan betont, seine Partei habe immer gesagt, „es muss für diese Leute möglichst unangenehm sein. Dann kommen sie auch nicht, weil das ist der Hauptschmäh.“ (…) Stefan meint zu Flüchtlingen allgemein: „Die suchen sich ja aus, wo sie hinwollen. Die Asylwerber sind ja keine echten Flüchtlinge, die sind ja Wirtschaftsflüchtlinge.“ Eine Frau wirft ein: „Na, es gibt scho Kriegsflüchtlinge a.“ „Aber ganz, ganz wenige“, antwortet Stefan. (derstandard.at)
Afghanistan war überhaupt ein beliebtes Thema an diesem Stammtischabend, oder vielmehr das, was sich die beiden FPÖ-Politiker über das von den Taliban regierten Land mit bis an die Peinlichkeit reichenden Hirngespinsten zusammenreimen:
Lobende Worte gibt es dafür für das Regime der Taliban in Afghanistan. Die brutale Unterdrückung von Frauen dort wird ausgespart.
„Das ist ja in Afghanistan so. In der Stadt da hat man das ziemlich im Griff. Und wenn sich einer in der Stadt deppert verhält, dann wird er aufs Land gschickt. Da sind dann so regionale Stammeshäuptlinge. Und die haben das dann auch halbwegs im Griff, und wenn dann ana no immer ned spurt, dann wird er nach Europa gschickt. Das heißt, das ist wirklich so, ja, wir kriegen das letzte Gesindel”, erklärt Stefan die afghanische Gesellschaftsstruktur aus seiner Sicht. „A normaler Afghane is ja ned des, was bei uns da herumläuft. Das san ja ordentliche Leut.“
Tschank und Stefan reden verhältnismäßig lange von dem Land und ihren Plänen, den Taliban Geld anzubieten, um Flüchtlinge aus Österreich zurückzunehmen. Er würde „denen” zwar keinen Cent gerne zahlen, sagt Stefan, aber „jeder von diesen messerstechenden Triebtätern da, der nicht mehr in unserem Land ist, das is mir viel Geld wert”. (derstandard.at)
Offen spricht Tschank aus, was er von den Menschenrechten und von der fünf Jahre nach der Nazi-Barbarei in Kraft getretenen „Europäischen Menschenrechtskonvention“ hält:
„Wenn wir etwas ändern wollen im Migrationswesen, müssen wir anfangen diese internationalen Verträge, wie z. B. die EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention, Anm.), die leider im Verfassungsrang ist, entweder ganz abschaffen oder man ergänzt sie und macht ein entsprechendes Zusatzprotokoll.“ Man habe in Österreich ein „übertriebenes Bewusstsein“ für Menschenrechte. (derstandard.at)
Die EU als zweiter Hauptfeind
Ausführlich lassen sich Stefan und Tschank über die EU aus. Den Kommissionsmitgliedern („durchschnittlich intelligent“) wird indirekt pauschal unterstellt, korrupt zu sein, was angesichts dessen, dass Korruptionsvorwürfe gerade die FPÖ wie ein Schatten begleiten, als Projektion gewertet werden kann.
„Die ganze Europäische Union ist so ein Wahnsinn. Die erzeugen einen Wust von Gesetzen, die sich zum Teil widersprechen”, hebt etwa Stefan zu einer der von Rechtspopulisten bekannten Darstellungen an. Und während die Koalitionsverhandler der ÖVP nicht müde werden, einen „Öxit” als „rote Linie” zu bezeichnen, sagt Stefan: „Eigentlich müssten wir eh austreten”, nur sei das „keine echte Option”. (…) „Wenn ich ein Lobbyist bin, dann will ich ja nicht, dass irgendwelche blödsinnigen Wähler etwas verändern können, da will ich mit den 12, 15, 25 Kommissaren reden und sagen: Du, pass auf, deine Familie, da brauchts dir nie wieder Sorgen machen. Keine Ahnung, wie das genau rennt. Aber der Kommissar setzt dann irgendeine Initiative, und dann rennt das”, sagt Stefan wörtlich. (derstandard.at)
Reaktionen
Vom „Standard“ um eine Reaktion gebeten, antwortet die FPÖ-Pressestelle, dass die Wortmeldungen der beiden Nationalratsabgeordneten „überspitzt“ gewesen seien und „Ihre Vorhalte sind demgegenüber aus dem Kontext gerissen. Das Publikum kann sowohl die Aussagen als auch die Stilmittel eines Stammtisches richtig einordnen.“ (derstandard.at) Nur: All das, was aus dem Abend in Simmering zitiert wurde, steht für sich, ein entlastender Kontext ist nicht denkbar. Der Pressesprecher der Wiener FPÖ, Klaus Brucker, faselte gar von „Stasi-Methoden” des „Standard” und erregte sich über die bewusst eingeschleusten Interessenten, die rechtswidriges Material angefertigt hätten. Die französischen Journalisten haben sich jedoch selbst „eingeschleust” und saßen deutlich sichtbar mitten im Publikum.
Erwartbar andere Reaktionen kamen von den Grünen und der SPÖ via Presseaussendungen. Der SPÖ-Geschäftsführer Klaus Seltenheim bewertet die Simmeringer Wortspenden als „ungeheuerlich“ und: „Das neue Jahr hat kaum begonnen, doch die FPÖ hat ihren Kreidevorrat offensichtlich schon verbraucht. Immer, wenn sich die FPÖ unbeobachtet fühlt, zeigt sie ihr wahres Gesicht, das vor Hass und Aggression trieft.“ (ots.at, 14.1.25)
Der Grüne Bundessprecher Werner Kogler nimmt auch die ÖVP in die Pflicht:
„Diese gefährlichen Visionen und Vorhaben werden wir nicht einfach hinnehmen. Österreich kann und darf sich nicht an der Aushöhlung und Zerstörung der Europäischen Union beteiligen“, sagt Kogler und fordert: „Als ursprüngliche ‚Europapartei’ muss die ÖVP endlich klarstellen, was sie zu tun gedenkt.“ Am Wochenende hatte ÖVP-Chef Stocker betont, dass er für die Aussagen, Haltungen und das Personal der FPÖ keine Verantwortung trage. „Aber die ÖVP ist voll verantwortlich, wenn sie Europafeinde in die Regierung und Kickl ins Kanzleramt verhilft.“ (ots.at, 14.1.25)
Reaktionen über Presseaussendungen folgten zudem vom Grünen Rechtsextremismussprecher Lukas Hammer („An Stammtischen, wenn sie glauben, unter sich zu sein, offenbaren die beiden FPÖ-Politiker ihre wahre, menschenverachtende Fratze.“) und der Grünen Sprecherin für Europa- und Außenpolitik, Meri Disoski („Wer an den militant islamistischen Taliban weniger auszusetzen findet als an unserer Europäischen Union, kann doch 2025 kein Partner für eine stabile Regierung in einem offenen Europa sein.“).
Der Neos-EU-Mandatar Helmut Brandstätter frage via „X“: „Mit dieser Partei verhandelt ihr weiter? @_CStocker? @volkspartei?“, seine Parteikollegin und Mediensprecherin Henrike Brandstötter richtete sich an den Wiener FPÖ-Parteichef Nepp, der den „Standard” auf „X” als „Scheißblatt“, dem er die Presseförderung streichen will, titulierte: „Laut krakeelend am Stammtisch austeilen – und wenn die Sager ans Licht kommen, den Medien aggressiv Qualität absprechen. Das ist rechter Umgang mit Medien gemäß Orbáns Playbook.“ (Brandstötter via x.com, 14.1.25)
Die Rechnungshof-Präsidentin Margit Kraker richtete Nepp über ihren Pressesprecher unmissverständlich aus: „Staatliche Förderungen sind Steuergeld. Sie sind nicht das Geld von Regierenden. Förderungen werden nach Richtlinien und objektiv nach ihrem Zweck vergeben. Und nicht, weil der/die Fördernehmer/in gerade gefällt oder nicht. So ist das.“ (bsky.app, 15.1.25)
Der Chefredakteur des Satiremagazins „Tagespresse“ kommentierte Nepps Tweet ironisch: „Die FPÖ verlangt ständig, die Medien sollen ihre Aussagen einfach 1:1 wiedergeben. Und wenn man genau das tut, passt das auch wieder nicht…“
Die FPÖ verlangt ständig, die Medien sollen ihre Aussagen einfach 1:1 wiedergeben. Und wenn man genau das tut, passt das auch wieder nicht…
— Fritz Jergitsch (@fritzjergitsch.at) 14.Januar 2025 um 21:39
Was droht, skizziert auch der bereits machttrunkene FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker in einer Pressekonferenz am 15.1.: „Und ganz ehrlich, also wenn seitens der Medien immer die Kritik kommt, dass sich die Politik mit Inseraten dort und da einkauft, dann werden sie das wahrscheinlich mal am eigenen Leib verspüren müssen, wie’s dann mal ist, wenn‘s keine Inserate mehr gibt. Und das wird den ‚Standard’ wahrscheinlich auch treffen.”
„Wir freuen uns auf euer Kommen!”, hatte die FPÖ auf ihrer Einladung zum Stammtisch in Simmering stehen. Die Freude ist nun, was die Anwesenheit der Journalisten betrifft, rasch verflogen.
➡️ derstandard.at, 14.1.25: FPÖ-Politiker in heimlicher Aufnahme: Abgeordnete nennen ÖVP „jämmerlich” und Flüchtlinge „Gesindel”