Der Wunsch nach Entzauberung der Rechtsextremen durch Regierungsbeteiligung ist bestenfalls naiv, „blauäugig“. Er ist aber auch geschichtsvergessen und zynisch, denn was rechtsextreme Regierungen zerstören oder für sich gefügig machen, wirkt lange nach (selbst, wenn es nur Pfusch ist). Außerdem: Rechtsextreme lernen aus Erfahrungen. Der langjährige ungarische Parlamentspräsident und Fidesz-Mitbegründer László Kövér fasste das präzise in dem Urteil über die erste Fidesz-Regierung (1998–2002) zusammen: „Wir waren an der Regierung, aber nicht an der Macht.“
Neben einem Überblick, was die FPÖ im Kulturbereich vorhat, wie sie umgeht mit der Kultur- und Kunstszene, beleuchten wir den Kulturkampf der Rechtsextremen in einigen europäischen Ländern etwas näher.
FPÖ-Beschimpfungen als Kulturkampf: „Abendländische Inzuchtpartie”
Für die im Kultur- und Kunstbereich Tätigen hat die FPÖ nicht viel mehr als Beschimpfungen übrig. Sie spricht im Wahlprogramm von einer „Kulturschickeria“ und von „sogenannten Staatskünstlern“, die wenig mehr aufzuweisen hätten als eine „richtige“ Gesinnung. Damit schreibt die FPÖ ihre Hetze von 1995 weiter, als sie plakatierte: „Lieben Sie Scholten, Jelinek, Häupl, Peymann, Pasterk… oder Kunst und Kultur?“ (1)
Mittlerweile geht es aber nicht mehr nur um Kunst und Kultur im Allgemeinen, sondern um die „abendländische“ Kultur, die „von Weltruhm“ sei, sich im Kreuz manifestiere und deren wichtigster Träger bei uns die „deutsche Sprache“ sei. Ausgerechnet die Salzburger Festspiele sind für FPÖ-Chef Kickl offensichtlich nicht Teil dieser „christlich-abendländischen Kultur“, denn da wolle er „gar nicht dabei sein, bei diesen Heuchlern, bei dieser Inzuchtpartie“.
Den Kulturschaffenden droht die FPÖ im Programm gleich einmal mit einer Evaluierung ihrer Ausgaben, die dringend sei. Mit einer seltsamen, aber bezeichnenden Begründung: Corona-Maßnahmen kritische Künstler seien von der „Kulturschickeria“ wie Aussätzige behandelt worden. Die Förderungen aus dem Kulturbudget für „heimische“ Musikverbände, Chöre und Musikkapellen müsse erhöht werden. Die politische Wende durch die FPÖ würde sich über die Förderung von Volkskultur, Heimat- und Brauchtumspflege darstellen, so ihr Kultursprecher in einer Presseaussendung (23.1.24) Anfang des Jahres.
SNS: Gegen Rückgang der weißen Fruchtbarkeit
Wie eine Wende aussieht, demonstriert gerade die slowakische Kulturministerin Martina Šimkovičová. Die ehemalige Fernsehmoderatorin ist im Oktober 2023 auf einem Ticket der rechtsextremen SNS (Slowakische Nationalpartei) in die Koalitionsregierung des Nationalisten Robert Fico eingezogen. Die SNS schaffte es bei der Wahl 2023 mit 5,62 % nur knapp ins Parlament und stürzte bei der EU-Wahl 2024 wieder auf 1,9 % ab. Šimkovičová, die mit ähnlichen Kampfvokabeln wie die FPÖ gegen den vermeintlichen „Genderwahn“ und „LGBT-Agenda“ hetzt, löste in den wenigen Monaten ihrer bisherigen Amtszeit den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf (2) und ersetzte den durch ein neues Staatsmedium. Schon im Frühjahr 2024 wechselte sie die Führung mehrerer Kultureinrichtungen aus, im Sommer fanden trotz erheblicher Proteste weitere „Säuberungen“ statt. Die erfolgreichen und international renommierten Chefs von Nationalgalerie und dem slowakischen Nationaltheater wurden mit der Begründung politischer Aktivismus und Missmanagement handstreichartig entlassen. Das Konzept der rechtsextremen Kulturministerin besteht aus der Zerschlagung einer aufblühenden diversen Kulturszene.
Unter ihr solle «nichts, was nicht der Norm entspricht», unterstützt werden. Sie wolle echte, rein slowakische Kunst, frei von internationalen Einflüssen. Sie wolle vor allem Kunst, die frei sei von liberalen Inhalten wie etwa Gender-Themen. Zu Letzteren äusserte sie die Ansicht, dass die «LGBT-Ideologie» zu einem Rückgang der Fruchtbarkeit «bei Weissen» geführt habe. Ihre Schlussfolgerung: NGOs, die LGBTQ-Propaganda verbreiteten, sollten Mittel gestrichen werden. FIDESZ: Kulturkampf mit Faschisten und Denunzianten. (tagblatt.ch, 30.8.24)
Orbáns „nationales Verdummungsprogramm“
Was in der Slowakei noch chaotisch-destruktiv wirkt, nahm das Orbán-Regime in Ungarn planvoll in Angriff. Nachdem in den ersten zwei Regierungsperioden von Viktor Orbán nach 2010 die klassischen Instanzen demokratischer Kontrolle (Medien, Justiz, Verfassungsgericht) geschwächt bzw. ausgeschaltet worden waren, kam die Kultur ab 2018 dran. Ein „nationales Verdummungsprogamm“ nannte es die Süddeutsche Zeitung (15.3.20), mit einem „Generalangriff auf Theater, Universitäten, Bilbliotheken, Medien“. Zunächst wurde ein neues Kulturgesetz beschlossen, das die Stärkung der „nationalen Identität“ und die Bewahrung der „nationalen Kultur“ zum Ziel hatte. Orbán gründete einen Rat für die strategische Lenkung der Kultur (3) und ein staatliches Theaterkomitee, dem alle Theaterstätten ihre Spielpläne vorzulegen haben, bevor Zuschüsse gewährt werden.
Im Zuge des großen Kulturkampfes wurde zu Beginn des Jahres auch der Lehrplan für die Schulen neu konzipiert. Esterházy wurde aus den Leselisten gestrichen, genau wie Imre Kertész; schließlich, so die Begründung, könne der Wert des Werkes dieser Schriftsteller heute noch nicht verlässlich bestimmt werden. Als Pflichtlektüre vorgeschrieben sind dafür jetzt Autoren wie Ferenc Herczeg, József Nyirő und Albert Wass, die aufgrund ihrer nationalistischen Texte unter ungarischen Rechtsextremen Kultstatus genießen. Albert Wass war Faschist, besonders beliebt ist „Die Landnahme der Ratten”, die er 1944 schrieb, auf dem Höhepunkt der ungarischen Judenvernichtung, eine antisemitische Fabel darüber, dass die Ratten den ehrlichen ungarischen Bauern das Korn wegfressen. (sueddeutsche.de, 15.3.20)
Der kulturelle Umbau des Landes hat freilich schon vor 2018 begonnen – durch Umbenennung von Denkmälern und Plätzen (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.2.18: „Flirt mit der Diktatur“) und durch die deutlich antisemitisch grundierte Kampagne gegen den Ungarn George Soros.
Der von Orbán ausgerufene Kulturkampf dient aber nicht nur der Durchsetzung nationalistischer, rechtsextremer und teilweise auch antisemitischer Positionen, sondern auch simpel der Installierung von Günstlingen des Orbán-Regimes. Das führt zu so skurrilen Auswüchsen wie der Installierung eines staatlich gelenkten Rates zur Verbesserung der ungarischen Pop-Kultur. (4)
Mittlerweile hat Ungarn, das noch vor wenigen Jahren eines der liberalsten Länder in Sachen Straffreiheit von Homosexualität war, seine Gesetzgebung gegen LGBTQ so verschärft, dass Bürger*innen sogar anonym gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern bei Behörden denunzieren können. (5) Die Kulturkampfpositionen von Fidesz, SNS und FPÖ in Sachen Gender, Sexualität, Ehe & Familie und Nation sind einander sehr ähnlich, auch vergleichbar mit denen der mittlerweile abgewählten polnischen PiS, deren kulturpolitischen Eingriffe noch lange nachwirken werden.
Fratelli: „Für Gott, Familie und Vaterland“
Während sich die Koalitionsregierung von Giorgia Meloni auf dem internationalen Parkett als moderat und westlich orientiert zu präsentieren versucht, gilt das mit Sicherheit nicht für die inneren Angelegenheiten – und da vor allem nicht für die Kulturpolitik, die Meloni und ihre Partei, die Fratelli d’Italia, umpflügen – war mit personellen Ausfällen, aber in der Tendenz unter den gleichen Vorzeichen wie die anderen rechtsextremen Parteien in Europa:
[D]as Ziel der 46-jährigen Ministerpräsidentin, die sich gegen den tatsächlichen oder nur eingebildeten linken Mainstream in einem permanenten Kampfmodus befindet, ist offensichtlich: Sie will die kultur- und gesellschaftspolitische Deutungshoheit in Italien erobern und das linke durch ihr eigenes, rechtsnationales Narrativ ersetzen: Für Gott, Familie und Vaterland. In diesem Weltbild haben die „Gender-Ideologie“, die „Willkommenskultur“ und die „Öko-Vandalen“ keinen Platz. (rnd.de, 9.2.24)
Als erstes war die öffentlich-rechtliche Medienanstalt RAI an der Reihe, die schon in der Vergangenheit durch Berlusconi schwer beschädigt wurde. In der RAI wurde nicht nur ein neuer Generaldirektor installiert, der zuvor als Impfgegner und Putin-Fan aufgefallen war. Fast alle Nachrichtenchefs wurden ausgetauscht – ebenso Moderator*innen, wenn sie als mitte-links galten. (6)
Dann kamen die Theater, Museen, die Filmhochschule Centro Sperimentale di Cinematografia und auch die Biennale Venedig dran. Wenn der rechtsextreme Kulturkampf in Italien bisher etwas holprig verlief und manche personellen Veränderungen nicht so gelangen wie erwünscht, dann lag das auch an den Kulturkämpfern in der ersten Reihe selbst. Der Kulturstaatssekretär Vittorio Sgarbi musste Anfang 2024 zurücktreten, nachdem ihm der Diebstahl eines Kunstgemäldes und Geldwäsche vorgeworfen und strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet wurden. Um die ihn unangenehmen Fragen eines Journalisten abzuwehren, beschimpfte er diesen als „Scheißgesicht“ und drohte, seinen Penis vor die Kamera zu halten. (7)
Sgarbis sexualisierter, der so gar nicht in die Kulturkampfideologie von Meloni passte, wurde aber noch vom Kulturminister getoppt; der musste Anfang September seinen Rücktritt einreichen, nachdem er eine zunächst geleugnete Beziehung mit einer Influencerin unter heftigen Tränen und Liebesbeschwörungen für seine Frau eingestehen musste. Die Staatsanwaltschaft nahm aufgrund der von der Influencerin geschilderten Fakten wegen des Verdachts der Veruntreuung und Weitergabe vertraulicher Informationen Ermittlungen gegen Kulturminister Gennaro Sangiuliano auf, der sich zuvor als eifriger Exekutor von Melonis Kulturpolitik erwiesen hatte.
Vieles von dem, was andere rechtsextreme Parteien in den letzten Jahren in ihrem Kulturkampf von rechts umgesetzt haben, kann als Blaupause für die Vorhaben der FPÖ im Fall einer Regierungsbeteiligung gelten.
Fußnoten
1 derstandard.at, 10.10.04: Reizfigur Elfriede Jelinek: „Die Nestbeschmutzerin”
2 derstandard.at, 2.7.24: RTVS in der Slowakei aufgelöst: Öffentlich-rechtlicher Sender durch Staatsmedium ersetzt
3 derstandard.at, 20.2.20: Orban gründet Rat für die „strategische Lenkung” der Kultur
4 perlentaucher.de, 31.3.23: Elet es Irodalom
5 zeit.de, 21.4.23: Regierung verteidigt neues LGBTQ-feindliches Gesetz
6 fr.boell.org, 15.5.24: Fernsehen, Information und Kultur: Wie Giorgia Meloni das Bild des Landes verändert, (um an der Macht zu bleiben)
7 puls24.at, 29.1.24: „Bin froh, wenn Sie sterben”: Politiker rastet im TV aus