Der Auslöser: Bei einer Kundgebung der islamfeindlichen und weit rechts stehenden „Bürgerbewegung Pax Europa“ am 31. Mai am Mannheimer Marktplatz stürzte der gebürtige Afghane Sulaiman A. (25) auf die wenigen Kundgebungsteilnehmer los und verletzte sieben Menschen, darunter den Sprecher von Pax Europa, Michael Stürzenberger, mit einem Messer schwer. Der Polizist Rouven L. (29), der die Kundgebungsteilnehmer vor den Messerattacken schützen wollte, wurde von dem Afghanen so schwer verletzt, dass er verstarb. Ein junger Mann aus dem Irak, der den Attentäter überwältigen wollte, wurde ebenfalls mit mehreren Messerstichen attackiert.
Stürzenberger ist ein rechtsextremer Provokateur, der schon zahlreiche Strafverfahren, darunter auch eine Verurteilung in Graz hinter sich hat. Auch die Wahl des Kundgebungsortes, der Marktplatz, inmitten vieler türkischer und arabischer Geschäfte und deshalb auch „Klein Istanbul“ genannt, folgte Stürzenbergers Provokationsstrategie. Dennoch rechtfertigt nichts die Messerattacken und schon gar nichts die Tötung des jungen Polizisten.
Mannheim – Die Hetze beginnt: False Flag Nr. 1
Einen Tag nach dem Attentat hielt Alice Weidel beim Pfalz-Treffen der AfD, in der Selbstdarstellung „ein Ereignis voller politischer Leidenschaft und Gemeinschaftssinn“, eine geifernde Brandrede gegen Innenministerin Nancy Faeser, die in einer Pressemitteilung scheinbar Partei für den Täter (Verletzung seines Persönlichkeitsschutzes durch Veröffentlichung des Tat-Videos) ergriffen habe.
Weidel erklärte dann mit sich überschlagender Stimme, was die AfD ihrerseits nicht zulassen werde: „Dass solche Leute weiter in den Ämtern sitzen.” „Es bringt uns alle zu Recht auf die Palme”, fasste sie zusammen. „Wie lange wollen die da oben uns noch verarschen? Mit dieser Verarsche muss irgendwann Schluss sein.“ (t‑online, 2.6.24)
Das Problem: Die Pressemitteilung von Faeser war die Erfindung eines AfD-Funktionärs mit Hilfe von Chat-GPT. Eine False-Flag-Aktion. Der hat das auch zugegeben – wie später auch Weidel, aber da war das Video von Weidels Rede schon breit über diverse Kanäle verbreitet. Auf dem offiziellen AfD-Kanal ließ Weidel das Video löschen, aber in unzähligen Kopien ist die Rede weiterhin abrufbar, wird nach wie vor geteilt, Weidels Falschbehauptungen werden als Tatsache wahrgenommen.
Mannheim – False Flag Nr. 2: Schnedlitz übernimmt
Virale Verbreitung fanden auch die Tweets einer vermeintlichen „Antifa Emskirchen“. In einem davon wurde der Tod des Polizisten so kommentiert: „Verdient! Viel Spass in der Hölle, Bullenschwein!“ Ein zweiter Tweet ist noch widerlicher. Die Empörung war riesig. Kann man noch ein beschränktes Verständnis für jene aufbringen, die gedankenlos die Empörung teilen – für rechtsextreme Politagitatoren und Medien, die bewusst damit Stimmung (= Hetze) machen, gilt das nicht.
Am 3. Juni postet Michael Schnedlitz den Tweet der „Antifa” mit einem hetzerischen und verschwörerischen Facebook-Kommentar:
Ich will da nicht mehr zusehen [2 Ausrufezeichen-Emojis] Diese Narrenfreiheit (siehe Posting der Antifa „unten im Bild“) ist der ‚Fortschritt’ durch die Einheitsparteien. Gleichzeitig darf aus der Bevölkerung niemand mehr seine Meinung äußern, ohne mit einer Gesinnungsanzeige zu rechnen [Zorn-Emoji] Medien & System spielen mit. Ich sage Euch: Es reicht! Ziehen wir diesem System bei den kommenden Wahlen den Stecker!
Er unterstellt nicht weniger als ein Zusammenspiel von „Medien & System“ mit einer „Antifa“, die einen toten Polizisten angeblich verhöhnt. Die Posts unter seinem Kommentar sind dementsprechend: „Ratten, Antifa Hurensöhne, Dreckspack, Gesindel“ usw. Schnedlitz kann sich die Hände reiben: mission completed! Nebenbei: Was meint er mit Gesinnungsanzeige? Das NS-Verbotsgesetz? Den Verhetzungsparagrafen?
Das Problem von Schnedlitz: Zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung war schon längst in den sozialen Medien bekannt, dass der Twitter (X)-Account der „Antifa Emskirchen“ ein Troll-Konto ist. Der Ort Emskirchen ist klein, aber durch Rainer Winkler alias „Drachenlord“, einen durchgeknallten YouTuber, der von einer völlig abgebrühten und rechts durchsetzten Hater-Gemeinschaft brutal gemobbt und gejagt wurde, bundesweit bekannt. Der immer bestens informierte Journalist Lars Wienand von t‑online (21.6.21) schrieb schon 2021 im Zusammenhang mit dem „Drachenlord“: „Auch gibt es Fake-Accounts wie etwa ‚Antifa Emskirchen‘, die mit Postings regelmäßig Empörungswellen lostreten.“
Debunking zur „Antifa Emskirchen” (@petzgil): schon vor Jahren berichtete @tonline über #Fakeaccounts namens #AntifaEmskirchen”, die Troll-Inhalte posten u aus dem Hater-Umfeld des Drachenlords stammen. Quelle: https://t.co/3wlqWY3vUP https://t.co/6eZK22gAAz pic.twitter.com/GCzBaYr3w6
— Anke DomscheitBerg @[email protected] (@anked) June 4, 2024
Schon 2019 berichtete t‑online (9.12.19) über False-Flag-Aktionen, hinter denen die „Antifa Emskirchen“ vermutet wurde: „In der Vergangenheit hatte auch eine angebliche „Antifa Emskirchen” mit absurden Tweets Hass auf die Antifa geschürt.“
Mittlerweile hat auch „Mimikama“ (5.6.24) zur „Antifa Emskirchen“ recherchiert und kommt zu dem Ergebnis: „Es gibt keine klaren Informationen darüber, wer genau hinter diesem Fake-Account steckt. Fest steht jedoch, dass es sich um einen gezielten Versuch handelt, die Antifa zu diffamieren und gesellschaftliche Spaltung zu fördern.“ Soweit bekannt, laufen Ermittlungen gegen die Person(en), die hinter dem rechten Fake-Account stehen. Es wäre höchst an der Zeit, sie vor Gericht zu stellen.
Schnedlitz und Weidel müssen sich wegen ihrer Falsch-Meldungen und ihrer Hetze leider keine Sorgen machen. Ganz im Gegenteil: Sie haben viele Menschen erfolgreich aufgehetzt und in ihren rechten Vorurteilen bestärkt. Das Posting von Schnedlitz ist nach wie vor abrufbar – ohne Klarstellung!