Vladimir Solovyov ist nicht nur einer der übelsten russischen Kriegshetzer, der sich selbst zynisch als Selenskyjs „Lieblingsjournalist“ bezeichnet, sondern auch Teil der russischen Elite: ein reicher Mann, der in Italien und der Schweiz mehrere Villen besitzt und von den Sanktionen der EU betroffen ist. Anfang April gab es Farbanschläge auf zwei seiner Villen am Comer See in Italien. Solovyov, der neben seinen Aktivitäten im russischen Staatsfernsehen auch noch zahlreiche Kanäle auf Telegram betreibt, hat nicht nur immer wieder der Ukraine mit ihrer Vernichtung gedroht, sondern in der Folge auch Europa und der NATO mit ihrer „Denazifizierung“.
Zum Anschlag auf Solovyov ist wir hier eine Übersetzung der Meldung der russischen Nachrichtenagentur TASS zu finden, die auf die angebliche ukrainische Anstiftung abzielt:
Der Föderale Sicherheitsdienst hat zusammen mit dem Untersuchungsausschuss der Russischen Föderation eine Gruppe von Mitgliedern der in Russland verbotenen Neonazi-Terrororganisation National Socialism/White Power festgenommen – russische Staatsbürger der auf Anweisung des Sicherheitsdienstes der Ukraine die Ermordung einer Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, eines bekannten Journalisten Wladimir Solowjow, geplant hat.
In den ersten Verhören hätten die Festgenommenen zugegeben, weitere russische TV-Größen töten zu wollen und sich danach ins Ausland abzusetzen: „Acht Molotow-Cocktails, sechs Pistolen, eine Granate, 1.000 Schuss Munition und ein abgesägtes Jagdgewehr seien beschlagnahmt worden, außerdem ‚nationalistische Literatur‘“.
Die offiziell erst seit 2021 verbotene Neonazi-Organisation „NS White Power“ gibt es schon lange und hat tatsächlich eine sehr blutige Geschichte. Der Rechtsextremismus-Experte Anton Maegerle schrieb 2010 in seinem Beitrag „Achse Berlin – Moskau. Bundesdeutsche und russische Rechtsextremisten als Verbündete“:
Im Juni [2010; SdR] verhaftete die Polizei in St. Petersburg elf Männer im Alter zwischen 19 und 24 Jahren, die für rund zwei Dutzend Anschläge und Morde der vergangenen zwei Jahre verantwortlich gemacht werden. Auslöser der Ermittlungen war die Ermordung eines 25-jährigen Studenten aus Ghana im Dezember 2009. Die grausame Hinrichtung ihres Opfers wurde von einem Mitglied der Neonazi-Gruppe »NS/WP Newograd« aufgenommen und im Internet verbreitet. »WP« steht für »White Power«.
2014 wurden elf Personen aus der Organisation für zahlreiche schwere Straftaten, die sie zwischen 2009 und 2010 begangen hatten, darunter zehn Morde und vier versuchte Morde aus ethnischem Hass zu Freiheitsstrafen zwischen drei und 24 Jahren verurteilt. 2018 wurden in St. Petersburg neuerlich 19 Mitglieder aus der Organisation, die eher ein loses Netzwerk verschiedener Gruppen sein dürfte, angeklagt und zu hohen Haftstrafen verurteilt. Ihr Anführer Andrei Kolesnikov erhielt 16 Jahre Haft mit Straflager, nachdem er gestanden hatte, 2013 einen Migranten aus Usbekistan getötet zu haben.
Die ideologische Orientierung der russischen Gruppe ist wohl nicht nur aktuell durch den verschämten Hinweis auf den Fund „nationalistischer Literatur“ erkennbar, sondern auch durch ihre rassistisch motivierten Straftaten, die sich vorwiegend gegen Angehörige anderer Ethnien richteten.
Obwohl es in den letzten Jahren einen deutlichen Rückgang bei rassistisch motivierten Mordanschlägen in Russland gegeben hat (während eine Zunahme an Anschlägen gegen die LGBT-Community zu verzeichnen ist), gingen die Mordanschläge der diversen Neonazigruppen gegen Angehörige ethnischer Minderheiten in den 2000er-Jahren in die Hunderte (siehe die Berichte von sova.ru). Ermordet wurden in erster Linie Arbeitsmigranten aus den ehemaligen Sowjetrepubliken, „aber auch Studenten und Geschäftsleute aus China, Indien, Vietnam und Afrika. Ermordet wurden im letzten Jahr (hier: 2009, SDR) auch fünf junge Antifaschisten“ (Maegerle 2010).
Russland hat ein erhebliches Problem mit seinen Nazi-Gruppen und ihrer immensen Gewalt. Maegerle gibt in seinem Beitrag aus 2010 die Zahl der rechtsextremen und neonazistischen Gruppen mit bis zu 300 und 60.000 Personen an. Darin nicht enthalten sind rechtsextreme Parteien wie die Liberaldemokratische Partei des kürzlich verstorbenen Antisemiten Wladimir Schirinowski, die 2021 „nur“ mehr 7,55 Prozent der Stimmen bei der Parlaments-(Duma-)Wahl 2021 erzielen konnte (1993: 22,92 %).
In das aktuelle russische Narrativ, das die Ukraine und vielleicht auch – siehe Solovyov! – Europa „entnazifizieren” will, passen russische Rechtsextreme und Neonazis natürlich gar nicht hinein. Eine militant rechtsextreme Gruppe wie die Russische Reichsbewegung (Russian Imperial Movement – RIM), die offen eine revisionistische, auf räumliche Expansion orientierte ultranationalistische Politik verfolgt (und natürlich der Ukraine jede Existenzberechtigung abspricht), paramilitärisch organisiert und mit Rechtsextremen und Neonazis quer durch Europa vernetzt ist (aber auch mit den Monarchisten der Schwarzgelben Allianz in Österreich), bleibt weitgehend unbehelligt, während sie von den USA als ausländische Terrororganisation eingestuft wird.
Es war deshalb auch ziemlich überraschend, dass der russische Geheimdienst FSB im Dezember 2021 eine zuvor weitgehend unbekannte Neonazi-Gruppe mit dem Namen „Maniacs. Cult of Killers“ (MKU) identifizierte, die angeblich in 37 (!) Regionen Russlands operierte, aber „ukrainisch“ getrieben sein soll. 106 Personen wurden inhaftiert, aber, wie der russische Dienst der BBC herausfand, handelte es sich bei den Mitgliedern, die ausrecherchiert werden konnten, um eindeutig russische Rechtsextreme, die Parolen wie „Russland den Russen“ geschmiert oder sich mit Linken geprügelt hatten. Der angebliche Anführer der Neonazi-Terrorgruppe, Yegor Krasnov (22) wird von den russischen Behörden der Beteiligung an elf Morden in Moskau und Petersburg beschuldigt, sitzt allerdings schon seit dem 10. Jänner 2020 im ukrainischen Dnepropetrowsk in Untersuchungshaft, nachdem er mit zwei anderen einen jungen Mann mit einem Messer attackiert hatte. Nach den Recherchen der BBC bestätigten auch Kenner der rechtsextremen Szenen in der Ukraine, dass ihnen eine Gruppe mit dem Namen der MKU nicht bekannt sei. Es dürfte sich somit auch in diesem Fall um den missglückten propagandistischen Versuch Russlands handeln, der Ukraine die eigenen Neonazis in die Schuhe zu schieben.