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Kundgebung „Demokratie verteidigen!“ Reden am 26.1.24 in Wien

Am 26. Jän­ner stan­den zwi­schen 80.000 Men­schen (Anga­be Ver­an­stal­ter) und 35.000 (Anga­be Poli­zei) bei einer Kund­ge­bung vor dem Par­la­ment in Wien, um gegen den dro­hen­den Rechts­ruck zu demons­trie­ren. „Stoppt die Rech­ten“ gibt hier die Reden von Cor­ne­li­us Obonya, Erich Fen­nin­ger und Kay Voges mit freund­li­cher Geneh­mi­gung der Autoren wie­der. Cor­ne­li­us Obonya (Schau­spie­ler) Lie­be Mit­men­schen! Willkommen! […]

3. Feb 2024
Demonstration 26.1.24 Wien/Parlament (© SdR)
Demonstration 26.1.24 Wien/Parlament (© SdR)

Demoaufruf 26.1.24 Wien

Cornelius Obonya (Schauspieler)

Lie­be Mitmenschen!

Will­kom­men! Will­kom­men zu einem Fest für die Demo­kra­tie! Es ist eine Ein­la­dung — geben Sie Ihre Stim­me ab — und sich selbst nicht auf! gehen Sie zur Wahl! Schi­cken Sie ihre Stim­me auf die Rei­se in eine demo­kra­ti­sche Zukunft.

Leben Sie, blei­ben Sie am Leben, es lohnt sich. Es ist nicht leicht, es ist nie leicht. Demo­kra­tie ist nichts für Feig­lin­ge. Sie haben Angst? Das eint uns – ich hab auch Angst – vor dem Ver­lust des guten Daseins. Angst davor, das eige­ne Land zu ver­lie­ren – die Flüs­se wer­den weni­ger, die Seen gehen zurück, die Glet­scher schmel­zen und geben die kal­te Wirk­lich­keit frei. Wir alle haben Schuld dar­an, wir sind zu lan­ge so gefah­ren, mit unse­ren Autos, unse­ren Maschi­nen, jede ein­zel­ne Stück Koh­le, das abge­baut wur­de, war eines zu viel. Das wuss­ten wir nicht. Jetzt wis­sen wir es. Und nun müs­sen wir zurück. Müs­sen ver­lie­ren, um zu gewin­nen. Das wird nicht ein­fach. Und wir alle wis­sen das — tief im Inners­ten wis­sen wir das. Auch die unend­lich wüten­den, die lie­ber die Demo­kra­tie dran­ge­ben, als nicht wütend zu sein.

Aber wir dür­fen nicht die­se eine Kon­se­quenz zie­hen, die der Pla­net uns nicht erlaubt. Näm­lich unse­re Frei­heit auf­zu­ge­ben, ihn zu retten.

Nichts, aber auch gar nichts kann es recht­fer­ti­gen Par­tei­en zu wäh­len, die uns vor­ma­chen, dass mit Tem­po 150 durch die Ver­gan­gen­heit zu bret­tern, die Zukunft bes­ser macht.

Und für die Iden­ti­tär-Beein­träch­tig­ten habe wir eine ganz schlech­te Nach­richt. Aus die­sem Land wird nicht mehr depor­tiert! Das ist hier nicht 1944 son­dern 2024! Depor­tie­ren Sie sich doch bit­te selbst ein­mal in so etwas wie ein Hirn! Scheu­en Sie sich nicht davor, es kann nur bes­ser werden …

Und übri­gens: Gele­gen­heit macht Depor­ta­ti­on. Sie selbst könn­ten der oder die nächs­te sein. Wenn Ihre Füh­rer und Volks­kanz­lis­ten der Macht es sich mal in Ihre Rich­tung überlegen …

Wir mögen dar­über dis­ku­tie­ren müs­sen, ob nicht eine geord­ne­te Migra­ti­on für die­sen gan­zen Pla­ne­ten von­nö­ten sein wird. Mei­nun­gen gibt es vie­le, aber eine Tat­sa­che gibt es auch. Migra­ti­on pas­siert, die gan­ze Zeit. Und sie wird stär­ker wer­den. Es macht aller Erfah­rung nach kei­nen Sinn, sich nicht mit ihr zu beschäf­ti­gen. Sie wird ein­mal das ein­zi­ge The­ma sein. Wenn der letz­te men­schen­ge­mach­te Sturm übers Land gefegt ist, die Erde aus­ge­trock­net, und alles was nicht emi­griert ist, tot sein wird, dann wer­den auch die letz­ten begrei­fen, dass Fes­tun­gen nicht die Lösung sind. Denn der nächs­te Sturm kommt bestimmt. Irgend­wann bricht die Mau­er und der Wind pfeift durch.

Wir haben, so den­ke ich, alle einen Wunsch an die demo­kra­tisch gesinn­ten Par­tei­en in die­sem Land. Bit­te begrei­fen Sie end­lich, dass hier kei­ne abso­lu­ten Mehr­hei­ten mehr zu holen sind. Kom­mu­ni­zie­ren Sie mit­ein­an­der – holen Sie das Bes­te aus Ihren Leu­ten her­aus und bie­ten Sie es den ande­ren an. Bie­ten Sie es uns an. Wir ste­hen hier. Sie wol­len unse­re Stim­me. Sie krie­gen sie, weil wir das so wol­len. Weil es nicht anders geht. Das ist Demo­kra­tie. Nicht immer ange­nehm, aber immer mög­lich. Das ist das Wichtigste.

Ver­ste­hen Sie bit­te end­lich, dass es nur gemein­sam geht. Sie schau­en hier, in ein­ge­üb­tem Pro­porz-Par­la­men­ta­ris­mus, wie das sprich­wört­li­che Kanin­chen der Schlan­ge zu, wie sie sich durch das Gras des Popu­lis­mus in die Wohn­zim­mer der Men­schen schleicht und in Zeit­lu­pe zubeißt – Mei­ne Damen und Her­ren, das ist hier kei­ne Universum-Sendung.

Das ist eine Bevöl­ke­rung, die Angst hat. Angst zu ver­lie­ren – vie­les. Und da sind nicht alle Anti­se­mi­ten oder Anti­mus­li­me, oder kei­ne Demo­kra­ten. Oder Impf­geg­ner, oder Depor­ta­ti­ons­süch­ti­ge, die sich in deut­schen Hin­ter­zim­mern die Welt zusam­men­fa­seln und eine euro­päi­sche Hass & Co Import-Export Fir­ma gründen.

Das sind Men­schen, die ein Ange­bot brau­chen – end­lich. Nicht unse­re Leut gegen die Rei­chen, nicht die Anstän­di­gen gegen die Fau­len, nicht die Auto­fah­rer-Natio­na­lis­ten gegen die Umwelt­krie­ger. Nicht die geschmäck­le­ri­schen Libe­ra­len gegen die dump­fen Stamm­zel­len eben­sol­cher Tische.

Es sind Men­schen. Wir sind Men­schen. Und wir wer­den uns unser Recht, eine Wahl zu haben, nicht neh­men las­sen. Das geht sich nicht aus. Aber machen Sie end­lich Poli­tik in der Sache und nicht um die Sachen her­um. Wir sind da. Eine gan­ze Zivil­ge­sell­schaft ist hier. Vie­le Ein­zel­in­itia­ti­ven, durch das ganz Land hin­durch, sind da. Und vie­le, die sich nicht trau­en, die nicht mehr vertrauen.

Den­noch – hel­fen­de Hän­de über­all. Ergrei­fen Sie sie bit­te, spre­chen Sie mit die­sen Men­schen und reden Sie nicht über sie. Und dann berei­ten wir am Wahl­tag, wann auch immer er kom­men möge, denn das ist uns hier, den meis­ten Men­schen völ­lig egal, gemein­sam die­sem rechts-rech­ten Spuk ein demo­kra­ti­sches Ende.

Vie­len Dank.

Erich Fenninger (Bundesgeschäftsführer Volkshilfe, Mitveranstalter der Demonstration)

Hal­lo lie­be Freun­din­nen und Freun­de, schön, dass ihr da seid.

Wir ste­hen heu­te tat­säch­lich an einem Kipp­punkt der Geschich­te. Und so weit vor­ne am Abgrund wie noch nie in der zwei­ten Republik.

Theo­dor W. Ador­no hat so gut wie aus­ge­schlos­sen, dass ein auto­ri­tä­rer Faschis­mus in Zukunft in der glei­chen, alten und damit iden­ti­fi­zier­ba­ren Uni­form wie­der­kommt. Aber er hat schon damals davor gewarnt, dass er in abge­än­der­ter Form wie­der an die Macht kom­men will. Heu­te ste­hen wir unmit­tel­bar davor.

Durch die Arbeit der inves­ti­ga­ti­ven Jour­na­lis­ten konn­ten wir einen Ein­blick davon bekom­men, was sich hin­ter den Kulis­sen tut. Finanz­star­ke Eli­ten mit völ­ki­scher Gesin­nung in offen­sicht­li­cher Tra­di­ti­on des Natio­nal­so­zia­lis­mus finan­zie­ren und orga­ni­sie­ren die Zusam­men­ar­beit von rechts­extre­men, ras­sis­ti­schen Ideo­lo­gen, Gewalt­be­rei­ten und Iden­ti­tä­ren mit einer bei demo­kra­ti­schen Wah­len antre­ten­den Partei.

Für den Tag an dem sie Regie­rungs­ver­ant­wor­tung bekom­men pla­nen sie eine soge­nann­te Remi­gra­ti­on, ein völ­lig ver­harm­lo­sen­des Wort für Depor­ta­ti­on und Mas­sen­ver­trei­bung – denn das ist damit gemeint. Eine Mas­sen­ver­trei­bung von asyl­wer­ben­den Men­schen Schutz­be­dürf­ti­gen, Staats­bür­gern mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund, Men­schen­rechts­ak­ti­vis­tIn­nen und Men­schen, die eine ande­re Mei­nung haben als sie.

Sie wol­len ein Land, das Men­schen wie­der depor­tiert. Unse­re Nach­ba­rin, die Pfle­ge­rin, die Ärz­tin, die Rei­ni­gungs­kraft, den Bau­ar­bei­ter, Men­schen mit ande­rer Gesin­nung, dich, mich, uns. Sie set­zen uns auf Fahn­dungs­lis­ten. Sie bedro­hen anders Den­ken­de schon jetzt mit Schlägertrupps.

Sie wol­len Legis­la­ti­ve und Exe­ku­ti­ve zusam­men­le­gen. Sie dis­kre­di­tie­ren, spal­ten, betrei­ben Abwer­tung von Men­schen, sind frau­en­feind­lich und gegen die Gleich­stel­lung der Geschlech­ter. Sie sind gegen Armuts­be­trof­fe­ne, Gering­ver­die­nen­de und gegen Gut­men­schen. Ent­rech­tung und Angriff auf die Men­schen­rech­te und Demo­kra­tie ist ihr Pro­gramm. Wir wis­sen, dass der Rechts­extre­mis­mus nicht mit der Über­nah­me rech­ter men­schen­feind­li­cher Poli­tik durch ande­re Par­tei­en ver­hin­dert wer­den kann. Im Gegenteil,menschenfeindliche Poli­tik trägt zur Nor­ma­li­sie­rung bei und ver­schiebt die All­tags­mei­nung genau dort­hin wo sie sie haben wollen.

Daher for­dern wir die Par­tei­en, ins­be­son­de­re die ÖVP auf, nicht mit der Über­nah­me von men­schen­feind­li­cher Gesin­nung, den Boden auf­zu­be­rei­ten. Die Rechts­extre­men selbst – sie erken­nen in uns, den Anti­fa­schis­tin­nen­men­schen­rechts­ori­en­tier­ten Men­schen ihre größ­te Gefahr. Daher müs­sen wir heu­er in einem Wahl­jahr lau­ter und immer lau­ter werden.

Wir sind die­je­ni­gen, die die Demo­kra­tie ver­tei­di­gen, die im heu­ri­gen Jahr ver­hin­dern wer­den, dass die Rechts­extre­men die Macht bekom­men, dass sie weder den Kanz­ler stel­len noch Teil der Regie­rung sein wer­den. Wir sind die mensch­li­che Feu­er­mau­er, die die Demo­kra­tie und die Men­schen­rech­te schützt.

Öster­reich könn­te 2024 das Land sein, das den glo­ba­len Rechts­ruck zu stop­pen beginnt. Wenn wir es alle nur wirk­lich wol­len. Ein ande­res, sozi­al gerech­tes und men­schen­rechts­ori­en­tier­tes Öster­reich ist möglich.

Kay Voges (Regis­seur, Inten­dant Volks­thea­ter Wien)

Hal­lo. Ein Zitat: „Jede Geschich­te hat einen Anfang, eine Mit­te und ein Ende, aber nicht unbe­dingt in die­ser Rei­hen­fol­ge.“ Die­se Wor­te kom­men vom gro­ßen Fil­me­ma­cher Jean-Luc Godard. Godard war ein Meis­ter dar­in unser Bild von Nar­ra­ti­ven auf den Kopf zu stel­len. Geschich­ten zu erzäh­len, die so noch nie erzählt wur­den. Und unse­ren Blick für ande­re Per­spek­ti­ven zu öffnen.

Er arbei­te­te oft mit Col­la­gen, wo er ver­schie­de­ne Bil­der hin­ter­ein­an­der­ge­stellt hat, die erst­mal kei­nen ein­deu­ti­gen Sinn erga­ben. Denn den Sinn, den soll­te jede Zuse­he­rin für sich selbst fin­den. Jeder soll­te sei­ne eige­ne Geschich­te erzählen.

Godard gab die Ver­ant­wor­tung über die Erzäh­lung ab – und leg­te sie in unse­re Hän­de. Denn so kön­nen wir danach dis­ku­tie­ren, was ich gese­hen habe und was du. Wir kön­nen unse­re Ansich­ten ver­glei­chen, uns dar­über strei­ten wie was wohl gemeint war und schau­en, wo wir das­sel­be gese­hen haben.

Wenn wir uns die Reak­tio­nen auf die Ent­hül­lun­gen von Cor­rec­tiv anschau­en, dann gibt es auch dort ver­schie­de­ne Nar­ra­ti­ve. Für eini­ge sind die Ergeb­nis­se ein­fach erschre­ckend. Für ande­re sind die Plä­ne die­ser Faschis­ten, die logi­sche Fol­ge einer men­schen­ver­ach­ten­den Welt­an­schau­ung. Für wie­der ande­re ist die Cor­rec­tiv-Sto­ry ein rea­ler, wahr­ge­wor­de­ner Alb­traum. Und ich glau­be, heu­te haben sich hier Men­schen aus den unter­schied­lichs­ten Grün­den ver­sam­melt. Auch heu­te kön­nen wir dar­über dis­ku­tie­ren, was ich in der Geschich­te gese­hen habe und was du. Auch heu­te haben wir ver­schie­de­ne Ansichten.

Aber wenn uns die letz­ten Wochen seit der Recher­che etwas gezeigt haben, dann doch viel­leicht Folgendes:

Wir sind so vie­le, die das­sel­be sehen.
Wir sind so vie­le, die die Plä­ne von AfD, FPÖ, Iden­ti­tä­ren und Erz­kon­ser­va­ti­ven ablehnen.
Wir sind so vie­le, die ein fried­li­ches huma­nis­ti­sches Men­schen­bild in sich tragen.
Wir sind so vie­le, die unse­re Demo­kra­tie ver­tei­di­gen wollen.
Wir tra­gen die Ver­ant­wor­tung für die Geschich­te in unse­ren Hän­den. Und wir kön­nen Teil einer Geschich­te sein, wo wir nicht per­ma­nent dar­auf schau­en, wel­che Ansich­ten uns ent­zwei­en, son­dern uns dar­auf kon­zen­trie­ren, was wir gemein­sam haben. Wir kön­nen Teil einer Geschich­te sein, wo wir Brü­cken bau­en, anstatt sie ein­zu­rei­ßen. Wir kön­nen zusam­men­ste­hen, anstatt auf Abstand zu gehen.

Was uns bevor­steht, wenn die FPÖ an die Macht kommt, kann das Ende unse­rer Demo­kra­tie sein. Aber was ist, wenn wir es dies­mal schaf­fen die Rei­hen­fol­ge zu dre­hen? Was ist, wenn das hier heu­te ein Anfang ist? Was, wenn das hier der Anfang ist einer Bewe­gung aus der Mit­te der Gesell­schaft, die dem Faschis­mus in Euro­pa ein Ende setzt?

Wir kön­nen uns ent­schei­den. Wir kön­nen Geschich­te sein. Gehen wir sie an.

Dan­ke­schön.

Kay Voges brach­te die Cor­rec­tiv-Recher­che als Kopro­duk­ti­on des Ber­li­ner Ensem­bles und des Volks­thea­ters Wien in Form einer sze­ni­schen Lesung auf die Büh­ne des Ber­li­ner Ensembles.

➡️ Rede Elfrie­de Jeli­nek: Ich höre ein Unge­heu­er atmen

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