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Kickls Schwindeleien, Verdrehungen & Halbwahrheiten

„Som­mer­ge­spräch“ des ORF mit Her­bert Kickl, dem Obmann der FPÖ, am 21.8.23. Wir haben auf­ge­passt, mit­ge­schrie­ben und ana­ly­siert. Auf­ge­fal­len ist uns, dass Kickl sehr viel Angst haben dürf­te, aus­ge­nom­men vor den Iden­ti­tä­ren. Er hat im Inter­view viel – mil­de for­mu­liert – Hol­ler erzählt. Sehr viel sogar! Dar­um soll’s im Bei­trag gehen: um sei­ne Schwin­de­lei­en, Verdrehungen […]

24. Aug 2023
Sommergespräch mit Kickl (Screenshot ORF)
Sommergespräch mit Kickl (Screenshot ORF)

Kickls Brutto-Netto-Schwindelei

Bald ein­mal nach Beginn des Gesprächs kreist das Gespräch um Arbeits­markt­frei­zü­gig­keit in der EU, und Kickl stellt sich selbst die Fra­ge: „Warum kom­men denn die Leu­te nicht nach Öster­reich, aus den ande­ren euro­päi­schen Län­dern?“ Klar, dass einer wie Kickl sich dann auch gleich die Ant­wort gibt: weil die Leu­te „in Öster­reich viel weni­ger Net­to vom Brut­to her­aus­be­kom­men als in ande­ren Län­dern.

Kickl bringt auch gleich ein Beispiel:

Ich habe mir das ein­mal ange­schaut. Ich habe mir einen 25-jäh­ri­gen Ledi­gen her­ge­nom­men, ja, der eine gute Aus­bil­dung hat und ein Gehalt von 5 000 Euro, 4.000 Euro brut­to. 4.000 Euro brut­to ist es, ver­dient und wie­viel bleibt ihm in den ein­zel­nen Län­dern über? Und wenn Sie das ver­glei­chen, dann ste­hen Ihnen die Haa­re zu Ber­ge. Dann wer­den Sie sehen, dass der in Öster­reich 2.620 Euro her­aus­be­kommt, dass der aber in der Schweiz zum Bei­spiel 3.360 Euro her­aus­be­kommt. Dass der in Schwe­den, in einem Land, das aber hohe Sozi­al­stan­dards hat, also das kann also nicht an der Finan­zie­rung des Sozi­al­sys­tems lie­gen, das gibt es dort auch, ja? Dass der dort 3.100 Euro her­aus­be­kommt.

Wir haben uns das auch ange­schaut. Was stimmt an Kick­ls Bei­spiel: Der 25-jäh­ri­ge Ledi­ge in Öster­reich, der monat­lich 4.000 Euro brut­to ver­dient, erhält tat­säch­lich 2.620 Euro net­to. Sei­ne 4.000 brut­to erhält er in Öster­reich aller­dings 14x im Jahr, sodass sein Gesamt­jah­res­ver­dienst net­to auf 37.713,62 Euro kommt. Macht monat­lich 3.142,80 Euro (sie­he Brut­to­net­to­rech­ner der AK) .

Das Bei­spiel mit dem „Ledi­gen“ ist natür­lich ziem­lich tri­cky. War­um? Weil auch Kickl weiß, dass das öster­rei­chi­sche Steu­er- und Sozi­al­sys­tem Alleinverdiener*innen begüns­tigt, wenn sie Kin­der haben. Umge­legt auf die Anga­ben Kick­ls (4.000 Euro brut­to monat­lich) bedeu­tet das bei Allein­ver­die­nen­den mit zwei Kin­dern (her­un­ter­ge­rech­net von 14 Gehäl­tern) einen monat­li­chen Net­to­ver­dienst von 3.534,82 Euro. Selbst ohne 13./14. Gehalt wären es immer noch 3.012,34 Euro monat­lich. Dazu kämen dann noch die Fami­li­en­bei­hil­fe und der Kin­der­ab­setz­be­trag, die bei­de zusam­men wesent­lich höher sind als die ent­spre­chen­den Trans­fer­leis­tun­gen in Schwe­den. Den Ver­gleich mit der Schweiz kann sich Kickl sowie­so spa­ren, denn weder sind deren Löh­ne und Prei­se mit öster­rei­chi­schen ver­gleich­bar und die Sozi­al­leis­tun­gen schon gar nicht. Und: Wie vie­le 25-jäh­ri­ge Ledi­ge ver­die­nen 4.000 Euro? Wahr­schein­lich kei­ner, der mit abge­bro­che­nem Phi­lo­so­phie­stu­di­um in den Arbeits­markt wech­selt – und die aller­meis­ten ande­ren eben­falls nicht!

An der feh­len­den Attrak­ti­vi­tät Öster­reichs liegt es also nicht. Merk­wür­dig ist auch, dass gera­de ein Blau­er damit argu­men­tiert, zumal es doch die FPÖ ist, die seit Jahr­zehn­ten für die Ein­schrän­kung des Zuzugs nach Öster­reich ein­tritt – nicht nur aus Dritt­staa­ten, son­dern auch aus den EU-Erwei­te­rungs­län­dern. Die vol­le Arbeitnehmer*innenfreizügigkeit gibt es daher erst seit 1.1.2014 und hat für Öster­reich dazu bei­getra­gen, dass die Best­qua­li­fi­zier­ten schon frü­her in ande­re EU-Län­der zuge­zo­gen sind. Und die­je­ni­gen, die den­noch in Öster­reich gear­bei­tet haben, woll­te Tür­kis-Blau mit der Inde­xie­rung der Fami­li­en­bei­hil­fe schi­ka­nie­ren, was letzt­lich vom EuGH gekippt wurde.

Kickls Retro-Modell: „Gastarbeiter“

Es ist nicht nur dem Zynis­mus Kick­ls zu ver­dan­ken, dass er gera­de­zu leuch­ten­de Augen bei dem Wort „Gast­ar­bei­ter“ bekommt: „Das ist ein wun­der­schö­ner Begriff, das soll­ten wir wie­der ein­füh­ren!“ Medi­en, die sich ver­wun­dert dar­über zeig­ten, dass sich Kickl in gewis­ser Wei­se doch mehr Zuzug vor­stel­len kann, haben nicht das „Hand­buch Frei­heit­li­cher Poli­tik“ oder Anträ­ge der FPÖ dazu gele­sen. Abge­se­hen davon, dass das his­to­ri­sche „Gastarbeiter“-Modell der 60er- und 70er-Jah­re geschei­tert ist, war es auch eines, das Arbeitnehmer*innen zwei­ter Klas­se mit gerin­ge­ren Sozi­al­leis­tun­gen und ver­schärf­ter Lohn­kon­kur­renz inklu­diert hatte.

Genau die­ses zyni­sche und neo­li­be­ra­le Beschäf­ti­gungs­mo­dell der „Gast­ar­bei­ter“ stre­ben die Blau­en wie­der an: Befris­te­te Beschäf­ti­gung ermög­licht den Weg­fall von Bei­trä­gen für Arbeits­lo­sig­keit und ein eige­nes Sozi­al­sys­tem zwei­ter Klas­se, ist daher nach Vor­stel­lung der Blau­en ein Zuckerl für Unter­neh­men. In Wahr­heit wür­de damit ein ziem­lich bru­ta­les Apart­heid-Sozi­al­sys­tem mit gra­vie­ren­den Aus­wir­kun­gen auch für inlän­di­sche Beschäf­tig­te geschaffen.

Kickls Pflege‑K.O.

„Mil­li­ar­den“ wür­den im Gesund­heits- und Pfle­ge­be­reich „durch Ver­wal­tung und Büro­kra­tie ver­nich­tet“, behaup­tet Kickl – ohne jeden Beleg. Als ihn sei­ne Inter­viewe­rin Susan­ne Schnabl dar­an erin­nert, dass die FPÖ mit ihrem Ver­spre­chen der „Pati­en­ten­mil­li­ar­de“, also einer Kür­zung von Ver­wal­tung und Büro­kra­tie zuguns­ten der Ver­si­cher­ten, schon ein­mal geschei­tert ist, wird Kickl grob: „Moment. Ent­we­der wol­len Sie jetzt von mir eine Ant­wort haben oder wol­len Sie jetzt das The­ma wech­seln?

Als Susan­ne Schnabl ver­si­chert, nicht das The­ma wech­seln zu wol­len, aber eine Ant­wort erwar­te, weicht Kickl zum blau­en Rohr­kre­pie­rer „Pati­en­ten­mil­li­ar­de“ aus, indem er betont, sei­nen Gedan­ken zu Ende füh­ren zu wol­len: „Und das schnei­den Sie jetzt aber bit­te nicht her­aus.“ Sei­ne Angst vorm Her­aus­schnei­den äußert er im Inter­view ins­ge­samt vier­mal, sie dürf­te also wirk­lich groß oder der Inten­ti­on, den ORF als Zen­sur­ein­rich­tung vor­zu­füh­ren, geschul­det sein.

Kickl: Des schneidens jetzt oba net aussi, gö? (Screenshot ORF)
Kickl: Des schnei­dens jetzt oba net aus­si, gö? (Screen­shot ORF)

Was ihm dann noch als blaue Ant­wort zum Pfle­ge­the­ma ein­fällt, ist alles ande­re als berau­schend. Neben der Aller­welts­for­mel, die Pfle­ge zuhau­se stär­ken zu wol­len, ist es das Modell einer Pfle­ge­leh­re. Der FPÖ-Par­tei- und Klub­chef im Natio­nal­rat hat anschei­nend nicht mit­be­kom­men, dass der Natio­nal­rat mit den Stim­men auch sei­ner Frak­ti­on die Pfle­ge­leh­re bereits beschlos­sen hat.

Kickls Klarstellung zu den Identitären

Als der FPÖ-Chef zum Ver­hält­nis der Blau­en zu den rechts­extre­men Iden­ti­tä­ren gefragt wird, emp­fiehlt er zunächst ein­mal dem ORF –„und das schnei­den Sie mir jetzt bit­te auch nicht raus“ – eine Ein­la­dung (!) von Iden­ti­tä­ren in eines der ORF-Sen­de­for­ma­te, um auf Nach­fra­ge dann zu verdeutlichen:

Wenn die Iden­ti­tä­ren ein poli­ti­sches Pro­jekt oder eine Initia­ti­ve betrei­ben, die aus unse­rer Sicht in Ord­nung ist, ja, war­um soll ich das nicht unter­stüt­zen? Das ist genau das glei­che, wie wenn Green­peace irgend­wo poli­ti­sche etwas vor­an­treibt oder von mir aus Glo­bal 2000 den Kampf gegen die Gen­tech­nik in den Lebens­mit­tel, dann hal­te ich das auch für ein unter­stüt­zens­wer­tes Pro­jekt.

Die rechts­extre­men Iden­ti­tä­ren, bes­tens ideo­lo­gisch und per­so­nell ver­netzt mit Neo­na­zis und Rechts­ter­ro­ris­mus, „unter­stüt­zens­wert“? Eine Gleich­stel­lung mit Green­peace und Glo­bal 2000? Geht’s noch?

Kickls K.O. bei den Politikerbezügen

Die Bezü­ge von Politiker*innen wer­den eigent­lich jähr­lich auto­ma­tisch infla­ti­ons­an­ge­passt. Für die­ses Jahr hat die Bun­des­re­gie­rung ange­kün­digt, nicht nach der Infla­ti­ons­ra­te von 9.7 % anpas­sen zu wol­len, son­dern für die Spit­zen­po­li­ti­ker (im wesent­li­chen Bun­des­re­gie­rung, Klub­ob­leu­te, Natio­nal­rats­prä­si­di­um) die Anpas­sung kom­plett ent­fal­len zu las­sen, wäh­rend Abge­ord­ne­te und Landespolitiker*innen mit dem hal­ben Wert ange­passt wer­den sollen.

Kickl war gegen die­se Rege­lung, for­der­te einen kom­plet­ten Ver­zicht auf eine Wert­an­pas­sung, wäh­rend die FPÖ-Vertreter*innen in den Lan­des­re­gie­run­gen (NÖ, OÖ, Salz­burg) auch nach Ermah­nung durch ihn an der Erhö­hung um den hal­ben Wert festhielten.

Ein kla­rer Kon­flikt, vor allem ein Glaub­wür­dig­keits­pro­blem für den Par­tei­chef, der sich nicht bei sei­nen Par­tei­gran­den durch­set­zen kann. Im Som­mer­ge­spräch prä­sen­tier­te Kickl des­halb einen Vor­schlag, durch den er die Zustim­mung sei­ner eige­nen Parteifreund*innen in den Bun­des­län­dern umge­hen könn­te. Dazu bräuch­te er eine Ände­rung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­set­zes über die Begren­zung von Bezü­gen öffent­li­cher Funk­tio­nä­re und damit die Zustim­mung zumin­dest von SPÖ und ÖVP.

Zur Lösung sei­nes par­tei­in­ter­nen Kon­flikts sol­len ande­re Par­tei­en ein­ge­spannt wer­den? Damit der FPÖ-Chef sei­ne man­geln­de Füh­rungs­qua­li­tät von oben her durch Ver­fas­sungs­ge­setz kom­pen­sie­ren kann? Wird nicht funk­tio­nie­ren. Glat­tes Kickl‑K.O.!

Kickls Kampf gegen Klimarat, nicht gegen Klimakrise

Als Kickl von der ORF-Inter­viewe­rin Susan­ne Schnabl zu sei­ner Stra­te­gie gegen die Kli­ma­kri­se gefragt wird und auf die Unwet­ter­schä­den in Kärn­ten ver­weist, geht Kickl auf Angriff, beschimpft den Welt­kli­ma­rat als „Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on“, „die dann aus­ge­rech­net das Schlech­tes­te, den Worst-Case, das Unwahr­schein­lichs­te gewählt haben und als Mar­ke gesetzt hat.“

Stimmt das? Natür­lich nicht. Die Behaup­tung, der Welt­kli­ma­rat, der fünf Sze­na­ri­en vor­ge­stellt hat, neh­me aus­ge­rech­net das Worst-Case- Sze­na­rio als sei­ne Bezugs­grö­ße her, ist schlicht und ein­fach eine Unwahr­heit. Der Welt­kli­ma­rat hält das mitt­le­re Sze­na­rio, das mode­ra­te, für das wahr­schein­lichs­te, wenn auch bei wei­tem nicht für das bes­te. Dem Welt­kli­ma­rat wird des­halb von ver­schie­de­nen For­schern eine mas­si­ve Unter­schät­zung extre­mer Sze­na­ri­en mit einer Erd­er­wär­mung um mehr als drei Grad Cel­si­us vorgeworfen.

Was Kickl behaup­tet, ist unrich­tig, eine abso­lu­te Ver­harm­lo­sung der jetzt schon mas­si­ven Schä­den durch Dür­ren, Brän­de und Unwet­ter. Zu den Unwet­tern in Kärn­ten ist ihm übri­gens nichts ande­res ein­ge­fal­len, als sich über den Lan­des­feu­er­wehr­kom­man­dan­ten, der die mas­si­ven Unwet­ter in Kärn­ten mit der Kli­ma­kri­se in Ver­bin­dung gebracht hat, lus­tig zu machen: „Ich glau­be nicht, dass der Herr Lan­des­feu­er­wehr­kom­man­dant … jemand ist, der in der Kli­ma­wis­sen­schaft aktiv ist. Das glau­be ich nicht, nein.“

Wir könn­ten durch­aus noch fort­set­zen, schnei­den das jetzt aber raus. Weil‘s reicht!

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