Noch sind längst nicht alle Details des Polizeieinsatzes vom 30. August geklärt. So ist in der Meldung der „Krone“ von einem zweiten Mann die Rede, der sich zur Zeit der Explosion ebenfalls in dem Haus befunden haben soll. Unklar ist auch die Menge an der im Haus aufgefundenen weiteren Rohrbomben und Sprengmittel und vor allem ihre geplante Verwendung. Wie die Gratis-Zeitung „heute“ berichtet, werfen Nachbarn dem Benjamin S. vor, dass er „öfter Hitler-Parolen gerufen und eine Putzfrau geschlagen“, sowie einen Polizeibeamten mit Säure attackiert habe.
Ist Benjamin S. nun ein Nazi bzw. ein Rechtsextremer? Oder ist er einfach ein psychisch kranker Mensch?
Die Polizei bestätigte dem STANDARD am Mittwoch, dass es gegen den Mann schon mehrere Anzeigen gegeben hatte, unter anderem wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, absichtlicher schwerer Körperverletzung, des Suchtmittel- und dem Waffengesetzes und wegen schwerer Körperverletzung. Dem STANDARD liegen außerdem Informationen vor, dass der Mann – nicht einschlägig – vorbestraft ist. Vom Landesgericht für Strafsachen heißt es, dass man aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Auskunft zu dem Thema geben kann. (derstandard.at, 1.9.21)
Das eine schließt das andere nicht aus, wie auch der Fall des rechtsextremen Hanauer Terroristen T. R. belegt, der im Februar 2020 zunächst neun Personen mit Migrationshintergrund mordete, dann seine Mutter und zuletzt sich selbst tötete. Bei ihm war schon 2002 eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert worden. Im posthumen Gutachten wurde das als „eigentümliche Amalgamierung“ beschrieben, bei der „krankheitsbedingte Fantasien“ und „politisch-ideologischer Fanatismus“ (spiegel.de, 27.11.20) untrennbar verwoben gewesen seien.
Vom Vorleben des Benjamin S., der einstweilen mit seinen Rohrbomben an sich selbst gescheitert ist, ist nicht viel bekannt. Aus den Postings auf seinem Facebook-Account ergibt sich allerdings ein Bild, das die Annahme einer „eigentümlichen Amalgamierung“ auch bei Benjamin S. stützt. Immer wieder mal fühlt sich Benjamin bedrängt und verfolgt: etwa vom „schwein Stefan der dann anfängt auf einem rumzuhacken, obwohl er nur der Freund einer Wohnungseigentümerin im Haus ist und nichts zu Sagen hat“ (Fehler im Original). An anderer Stelle beschimpft er einen Niederösterreicher – ist es Stefan? – als einen der „kleinkarierten Spiesser, dene allen Ernst im nichts anderes geht ausser dein Leben zu stören“ (Fehler im Original). Auch von den „Nachbaren, die mich mobben“, fühlt er sich verfolgt.
Am 13. Juli 2017 postet er nur „Ist das eine Überprüfung“, am 7. August 17 „schreit” er: „Warum hort mich niemand“. Dabei hören ihm welche zu: Familienangehörige, Freunde, die dazu ein Like abgeben oder auch versichern, dass sie hören. Hören vielleicht, aber nicht sehen oder verstehen wollen. Denn Benjamin schreibt dazwischen immer wieder mal gewalttätige, aggressive oder einfach nur verstörende Mails. Auf die gibt es in der Regel keine Reaktionen, weder Likes noch Kommentare.
Als er am 10. Juli 2018 für ein mildes Urteil bei der NSU-Terroristin Beate Zschäpe plädiert, weil sie seiner Meinung nach „ja nicht Haupttäterin“ gewesen sei, reagiert niemand. Auch nicht auf seine Ausfälle über Türken, die ihn angeblich ausgeraubt haben und „immer frecher werden (…) seit so viele Asylanten aus muslim Länder da sind“ (Fehler im Original).
590 sind in seiner Freundschaftsliste, von denen auch dann niemand reagiert, wenn Benjamin regelrecht bedrohlich wird. Seine eigentliche Wut widmet er nämlich dem Thema Abtreibung, wo er Gewalt absolut gerechtfertigt sieht. Die Iren, die sich in einer Volksabstimmung für die Liberalisierung der rigiden Strafbestimmungen beim Schwangerschaftsabbruch ausgesprochen haben, nennt er „Säue“, die Volksabstimmung „Kannibalismus“ und „diePolitiker mit Satan im Bund die für die Babymord ein Genuss ist“ (21.4.18).In einem weiteren Posting vom 21. April 18 kombiniert er seine recht extremen Fundi-Positionen mit einer absurden Fantasie über falsches Kokain:
… Saatsstreich , oder Militärputsch um Abtreibung von 3 Monate alten Embryos zu verbieten wäre gerechtfertigt. diese Satanisten Regierung die Abteibung erlaubt gehört weg……Stattdessen verteilen sie falsches Kokain im Land und verbieten der Wissenschaft das zu analysieren. Im Gegenteil sie richten staatliche Drogentest Stationen ein die das falsch testen und geben an es wäre 80%Ines Kokain was es überall in der EU zu kaufen gibt (Fehler im Original)
Mit der Satanisten-Regierung meinte Benjamin – warum auch immer – nicht die damalige ÖVP/FPÖ- Koalition, sondern die CDU. „Auf Abtreibungskliniken sollte man Luftangriffe führen, da kann man viel mehr unschuldige Kinder retten“, hetzte er schon 2017. Zwischen Benjamins Forderung nach Luftangriffen auf Abtreibungskliniken und seinen selbstgebastelten Rohrbomben liegen nur einige wenige Jahre und eine Pandemie, die seine Aggressionen und Verfolgungsängste möglicherweise weiter getriggert hat. Ein Glück ist, dass die von Benjamin ausgelöste Explosion einer seiner selbstgebastelten Rohrbomben eine größere Katastrophe verhindert hat.