Benjamin, der Bombenbastler

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In den frü­hen Mor­gen­stun­den des 30. August wur­de nach einer hef­ti­gen Explo­si­on in einem Haus in Wien-Donau­stadt ein Groß­ein­satz der Wie­ner Poli­zei aus­ge­löst und in des­sen Fol­ge der 46-jäh­ri­ge Ben­ja­min S. fest­ge­nom­men, der sich offen­bar durch eine offen­bar selbst her­ge­stell­te Rohr­bom­be schwer ver­letzt hat­te. Bei einer Raz­zia im Haus wur­den „meh­re­re ver­mut­lich selbst­her­ge­stell­te Spreng­mit­tel“ sicher­ge­stellt. Einen ter­ro­ris­ti­schen Hin­ter­grund schloss die Poli­zei aus, bei einem rechts­extre­men bzw. aus­län­der­feind­li­chen Hin­ter­grund war man sich nicht so sicher. Wir auch nicht.

Noch sind längst nicht alle Details des Poli­zei­ein­sat­zes vom 30. August geklärt. So ist in der Mel­dung der „Kro­ne“ von einem zwei­ten Mann die Rede, der sich zur Zeit der Explo­si­on eben­falls in dem Haus befun­den haben soll. Unklar ist auch die Men­ge an der im Haus auf­ge­fun­de­nen wei­te­ren Rohr­bom­ben und Spreng­mit­tel und vor allem ihre geplan­te Ver­wen­dung. Wie die Gra­tis-Zei­tung „heu­te“ berich­tet, wer­fen Nach­barn dem Ben­ja­min S. vor, dass er „öfter Hit­ler-Paro­len geru­fen und eine Putz­frau geschla­gen“, sowie einen Poli­zei­be­am­ten mit Säu­re atta­ckiert habe.

Ist Ben­ja­min S. nun ein Nazi bzw. ein Rechts­extre­mer? Oder ist er ein­fach ein psy­chisch kran­ker Mensch?

Die Poli­zei bestä­tig­te dem STANDARD am Mitt­woch, dass es gegen den Mann schon meh­re­re Anzei­gen gege­ben hat­te, unter ande­rem wegen Wider­stands gegen die Staats­ge­walt, absicht­li­cher schwe­rer Kör­per­ver­let­zung, des Sucht­mit­tel- und dem Waf­fen­ge­set­zes und wegen schwe­rer Kör­per­ver­let­zung. Dem STANDARD lie­gen außer­dem Infor­ma­tio­nen vor, dass der Mann – nicht ein­schlä­gig – vor­be­straft ist. Vom Lan­des­ge­richt für Straf­sa­chen heißt es, dass man aus daten­schutz­recht­li­chen Grün­den kei­ne Aus­kunft zu dem The­ma geben kann. (derstandard.at, 1.9.21)

Das eine schließt das ande­re nicht aus, wie auch der Fall des rechts­extre­men Hanau­er Ter­ro­ris­ten T. R. belegt, der im Febru­ar 2020 zunächst neun Per­so­nen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund mor­de­te, dann sei­ne Mut­ter und zuletzt sich selbst töte­te. Bei ihm war schon 2002 eine para­no­ide Schi­zo­phre­nie dia­gnos­ti­ziert wor­den. Im post­hu­men Gut­ach­ten wur­de das als „eigen­tüm­li­che Amal­ga­mie­rung“ beschrie­ben, bei der „krank­heits­be­ding­te Fan­ta­sien“ und „poli­tisch-ideo­lo­gi­scher Fana­tis­mus“ (spiegel.de, 27.11.20) untrenn­bar ver­wo­ben gewe­sen seien.

Vom Vor­le­ben des Ben­ja­min S., der einst­wei­len mit sei­nen Rohr­bom­ben an sich selbst geschei­tert ist, ist nicht viel bekannt. Aus den Pos­tings auf sei­nem Face­book-Account ergibt sich aller­dings ein Bild, das die Annah­me einer „eigen­tüm­li­chen Amal­ga­mie­rung“ auch bei Ben­ja­min S. stützt. Immer wie­der mal fühlt sich Ben­ja­min bedrängt und ver­folgt: etwa vom „schwein Ste­fan der dann anfängt auf einem rum­zu­ha­cken, obwohl er nur der Freund einer Woh­nungs­ei­gen­tü­me­rin im Haus ist und nichts zu Sagen hat“ (Feh­ler im Ori­gi­nal). An ande­rer Stel­le beschimpft er einen Nie­der­ös­ter­rei­cher – ist es Ste­fan? – als einen der „klein­ka­rier­ten Spies­ser, dene allen Ernst im nichts ande­res geht aus­ser dein Leben zu stö­ren“ (Feh­ler im Ori­gi­nal). Auch von den „Nach­ba­ren, die mich mob­ben“, fühlt er sich verfolgt.

Am 13. Juli 2017 pos­tet er nur „Ist das eine Über­prü­fung“, am 7. August 17 „schreit” er: „War­um hort mich nie­mand“. Dabei hören ihm wel­che zu: Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge, Freun­de, die dazu ein Like abge­ben oder auch ver­si­chern, dass sie hören. Hören viel­leicht, aber nicht sehen oder ver­ste­hen wol­len. Denn Ben­ja­min schreibt dazwi­schen immer wie­der mal gewalt­tä­ti­ge, aggres­si­ve oder ein­fach nur ver­stö­ren­de Mails. Auf die gibt es in der Regel kei­ne Reak­tio­nen, weder Likes noch Kommentare.

B.S.: "Ist das Überprüfung"

B.S.: „Ist das Überprüfung”

B.S.: "warum hort mich niemand"

B.S.: „war­um hort mich niemand”

Als er am 10. Juli 2018 für ein mil­des Urteil bei der NSU-Ter­ro­ris­tin Bea­te Zsch­ä­pe plä­diert, weil sie sei­ner Mei­nung nach „ja nicht Haupt­tä­te­rin“ gewe­sen sei, reagiert nie­mand. Auch nicht auf sei­ne Aus­fäl­le über Tür­ken, die ihn angeb­lich aus­ge­raubt haben und „immer fre­cher wer­den (…) seit so vie­le Asy­lan­ten aus mus­lim Län­der da sind“ (Feh­ler im Original).

B.S. zu Zschäpe-Urteil: "müsste milde bestraft werden. Nachdem mich Türken in meiner Wohnung blau geschlagen haben nachdem sie mein Vertrauen erschlichen haben kann ich Sowa [sowas] verstehen"

B.S. zu Zsch­ä­pe-Urteil: „müss­te mil­de bestraft wer­den. Nach­dem mich Tür­ken in mei­ner Woh­nung blau geschla­gen haben nach­dem sie mein Ver­trau­en erschli­chen haben kann ich Sowa [sowas] verstehen”

590 sind in sei­ner Freund­schafts­lis­te, von denen auch dann nie­mand reagiert, wenn Ben­ja­min regel­recht bedroh­lich wird. Sei­ne eigent­li­che Wut wid­met er näm­lich dem The­ma Abtrei­bung, wo er Gewalt abso­lut gerecht­fer­tigt sieht. Die Iren, die sich in einer Volks­ab­stim­mung für die Libe­ra­li­sie­rung der rigi­den Straf­be­stim­mun­gen beim Schwan­ger­schafts­ab­bruch aus­ge­spro­chen haben, nennt er „Säue“, die Volks­ab­stim­mung „Kan­ni­ba­lis­mus“ und „diePoli­ti­ker mit Satan im Bund die für die Baby­mord ein Genuss ist“ (21.4.18).

In einem wei­te­ren Pos­ting vom 21. April 18 kom­bi­niert er sei­ne recht extre­men Fun­di-Posi­tio­nen mit einer absur­den Fan­ta­sie über fal­sches Kokain:

… Saats­streich , oder Mili­tär­putsch um Abtrei­bung von 3 Mona­te alten Embry­os zu ver­bie­ten wäre gerecht­fer­tigt. die­se Sata­nis­ten Regie­rung die Abtei­bung erlaubt gehört weg……Stattdessen ver­tei­len sie fal­sches Koka­in im Land und ver­bie­ten der Wis­sen­schaft das zu ana­ly­sie­ren. Im Gegen­teil sie rich­ten staat­li­che Dro­gen­test Sta­tio­nen ein die das falsch tes­ten und geben an es wäre 80%Ines Koka­in was es über­all in der EU zu kau­fen gibt (Feh­ler im Original)

B.S: "S[t]aatsstreich oder Militärputsch" gegen Abtreibungen, "Satanisten"

B.S: „S[t]aatsstreich oder Mili­tär­putsch” gegen Abtrei­bun­gen, „Sata­nis­ten”

Mit der Sata­nis­ten-Regie­rung mein­te Ben­ja­min – war­um auch immer – nicht die dama­li­ge ÖVP/FPÖ- Koali­ti­on, son­dern die CDU. „Auf Abtrei­bungs­kli­ni­ken soll­te man Luft­an­grif­fe füh­ren, da kann man viel mehr unschul­di­ge Kin­der ret­ten“, hetz­te er schon 2017. Zwi­schen Ben­ja­mins For­de­rung nach Luft­an­grif­fen auf Abtrei­bungs­kli­ni­ken und sei­nen selbst­ge­bas­tel­ten Rohr­bom­ben lie­gen nur eini­ge weni­ge Jah­re und eine Pan­de­mie, die sei­ne Aggres­sio­nen und Ver­fol­gungs­ängs­te mög­li­cher­wei­se wei­ter getrig­gert hat. Ein Glück ist, dass die von Ben­ja­min aus­ge­lös­te Explo­si­on einer sei­ner selbst­ge­bas­tel­ten Rohr­bom­ben eine grö­ße­re Kata­stro­phe ver­hin­dert hat.