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Gothia: Nicht „normal“ gewunken

Es war ein lan­ger, müh­sa­mer und auch kos­ten­in­ten­si­ver Weg, der von der pro­vo­kan­ten Wink­be­we­gung aus einem Fens­ter der Bur­schen­schaft Gothia im Jän­ner 2019 bis hin zu dem Urteil des Ober­lan­des­ge­rich­tes (OLG) Wien vom Juni 2021 zurück­ge­legt wer­den muss­te, um Recht zu erhal­ten. Das OLG hat fest­ge­stellt, dass damals nicht „nor­mal“ gewun­ken wur­de. Um das, was da […]

7. Jul 2021
Türschild der Gothia Wien
Türschild der Gothia Wien

Um das, was da am und nach dem 24. Jän­ner 2019 bei der Bude der deutsch­na­tio­na­len Bur­schen­schaft Gothia abge­lau­fen ist, zu skiz­zie­ren, hier noch ein­mal ein Über­blick: Die anti­fa­schis­ti­sche Don­ners­tag-Demo war an die­sem Tag dem FPÖ-Aka­de­mi­ker- bzw. Bur­schen­schaf­ter­ball, der am nächs­ten Tag in der Hof­burg statt­fand, gewid­met und mach­te des­halb vor der Bude der rechts­extre­men Gothia Sta­ti­on. Die Gothen reagier­ten auf die Demo, indem sie die deut­sche Flag­ge vor das Fens­ter häng­ten, was bei den Demons­trie­ren­den nicht so gut ankam. Noch weni­ger dann aller­dings die Wink­be­we­gun­gen, die ein Mann aus einem Fens­ter im zwei­ten Stock des Bur­schen­schaf­ter­hau­ses ausführte.

Ein Foto­graf lich­te­te die­se Wink­be­we­gun­gen ab, stell­te ein Foto davon online, was in der Fol­ge zu zahl­rei­chen empör­ten Kom­men­ta­ren in den sozia­len Medi­en führ­te. Am nächs­ten Tag ver­öf­fent­lich­te der Win­ker dann einen Kom­men­tar auf sei­nem Face­book-Kon­to, in dem er unter ande­rem fest­hielt: „Ich habe kei­nen ‚Hit­ler­gruß‘ gezeigt. Das Foto ent­stand, als ich — durch die Schmä­hun­gen und Angrif­fe auf das Haus der Bur­schen­schaft pro­vo­ziert — den Demons­tran­ten zuge­wun­ken habe.

Der Text sei­ner „per­sön­li­chen Erklä­rung“, die dann auch am 25.1.19 im APA-Ori­gi­nal­text­ser­vice erschien, wur­de gemein­sam mit sei­nen Freun­den aus dem Innen­mi­nis­te­ri­um ver­fasst, erklär­te er spä­ter in einer der zahl­rei­chen medi­en­recht­li­chen Ver­hand­lun­gen. Die Namen die­ser Freun­de hat­te er da aller­dings schon wie­der ver­ges­sen. Sei­ne „per­sön­li­che Erklä­rung“, die im Kickl-Innen­mi­nis­te­ri­um mit­ver­fasst wur­de, ist dann in der Fol­ge nicht nur vom Netz genom­men, son­dern durch die Ver­si­on, wonach er Freun­den zuge­wun­ken hät­te, ersetzt worden.

Zunächst ein­mal aber domi­nier­ten ent­setz­te, empör­te und auch sehr deut­li­che Kom­men­ta­re, die in den Ges­ten mehr als eine blo­ße Wink­be­we­gung sahen, dar­un­ter auch der Tweet der israe­li­schen Bot­schaf­te­rin Talya Lador vom 25.1.19: Es trifft mich sehr, sol­che Bil­der zu sehen. Umso mehr jetzt in die­sen Tagen, wo wir den Opfern des Holo­caust geden­ken. Ich ver­traue auf die öster­rei­chi­schen Behör­den, dass die Umstän­de voll­stän­dig auf­ge­klärt und ent­spre­chen­de Kon­se­quen­zen gezo­gen wer­den.

Sehr ähn­lich die Reak­ti­on des ÖVP-Euro­pa-Par­la­men­ta­ri­ers Lukas Man­dl (APA-OTS, 26.1.19): „Was die­ses Foto zeigt, hat in Öster­reich und in ganz Euro­pa kei­nen Platz. Anti­se­mi­tis­mus und Wie­der­be­tä­ti­gung ver­die­nen Ver­ach­tung und gehö­ren auf das Schärfs­te sank­tio­niert.

Noch am 25.1.19 kam dann die Mel­dung, dass das Wie­ner Lan­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz (LVT) die Bil­der „prü­fe“. Die APA (25.1.19) schrieb dazu: „Auf den Bil­dern ist zu sehen, wie ein jun­ger Mann offen­bar im Haus der Bur­schen­schaft Gothia mit erho­be­ner Rech­ter am Fens­ter steht und dabei vom Nach­bar­haus aus beob­ach­tet wird. Es gilt die Unschulds­ver­mu­tung.

Das war zwar genau beob­ach­tet von der APA, aber in der Fol­ge wur­de nur der Foto­graf vom LVT ein­ver­nom­men, nicht die Nach­barn. Der Foto­graf hat­te schon am 25.1.19 gegen­über der APA erklärt, dass er nicht beur­tei­len wol­le und kön­ne, ob es sich bei der Ges­te um einen Hit­ler­gruß gehan­delt habe oder nicht, aber: „Das war ein Win­ken, das ich so nicht machen wür­de.”

Im Mai 2019 stell­te die Staats­an­walt­schaft Wien die Ermitt­lun­gen wegen des Ver­dachts der Wie­der­be­tä­ti­gung gegen den Win­ker ein, was dazu führ­te, dass er bzw. sein Anwalt gegen eini­ge Per­so­nen, dar­un­ter auch Medi­en, die die Ges­ten am Fens­ter kom­men­tiert hat­ten, medi­en­recht­li­che Kla­gen führ­ten und in wei­te­rer Fol­ge zahl­rei­chen Per­so­nen mit medi­en- und (teu­ren) zivil­recht­li­chen Kla­gen droh­ten, wenn sie nicht – außer­ge­richt­lich – neben einer Unter­las­sungs- und Ver­pflich­tungs­er­klä­rung Ent­schä­di­gung an das „Opfer“, den Win­ker, und die Auf­wands­kos­ten für des­sen Anwalt bezah­len würden.

Über die zahl­rei­chen Klags­dro­hun­gen konn­ten der Bur­schen­schaf­ter und sein Anwalt etli­che Tau­send Euro ein­sam­meln, wäh­rend par­al­lel dazu eini­ge medi­en­recht­li­che Kla­gen tat­säch­lich geführt wur­den – mit durch­aus unter­schied­li­chen Ergeb­nis­sen. Eine die­ser Kla­gen wur­de gegen Karl Öllin­ger, Redak­teur von „Stoppt die Rech­ten“, ange­strengt. Der hat­te am 25.1.19 auf sei­ner Face­book-Sei­te das besag­te Foto so kom­men­tiert: „Das sind die, die sich heu­te beim Burschi‑, äh Aka­de­mi­ker­ball der FPÖ ver­sam­meln. Zum Kot­zen!

Sowohl das Lan­des­ge­richt Wien als auch das OLG Wien sahen in die­sem Pos­ting, aber vor allem in der Ver­öf­fent­li­chung des Fotos den Tat­be­stand der üblen Nach­re­de gemäß § 6 Abs.1 Medi­en­ge­setz erfüllt. Das OLG Wien woll­te dabei sogar Mani­pu­la­ti­on ent­deckt haben: „Das bewuss­te Weg­las­sen der Erklä­rung des XY [hier folgt im Ori­gi­nal der Name des Klä­gers, Anmk. SdR], wie es zu dem ver­fah­rens­ge­gen­ständ­li­chen Bild kam, stellt somit eine Mani­pu­la­ti­on der Ver­dachts­la­ge dar.“

Der ordent­li­che Rechts­weg war nach die­sem Urteil des OLG Wien im Febru­ar 2020 bereits erschöpft, das Urteil rechts­kräf­tig, der Kla­ge und dem Scha­den­er­satz­an­spruch des Bur­schen­schaf­ters ent­spro­chen. Aber es blieb noch der außer­or­dent­li­che Rechts­weg, der über eine Nich­tig­keits­be­schwer­de der Gene­ral­pro­ku­ra­tur zur Wah­rung des Geset­zes schließ­lich dazu führ­te , dass der Obers­te Gerichts­hof (OGH) im Febru­ar 2021 fest­stell­te, dass das Urteil des OLG Wien Bestim­mun­gen der Straf­pro­zess­ord­nung ver­letzt hat, es daher auf­ge­ho­ben und zur neu­er­li­chen Ent­schei­dung an das OLG Wien rück­ver­wie­sen wird.  Die­ser Beru­fungs­se­nat des OLG (17) nahm nun auch Ein­sicht in jenes Video­ma­te­ri­al, das vom ursprüng­li­chen Beru­fungs­se­nat des OLG Wien nicht berück­sich­tigt wor­den war und stell­te dazu in sei­ner Urteils­be­grün­dung fest:

In die­ser auf­ge­heiz­ten Stim­mung wink­te der Antrag­stel­ler den Demons­tran­ten pro­vo­ka­tiv zu, bewusst auf einen Hit­ler­gruß anspie­lend. Dies wur­de von einem anwe­sen­den Foto­gra­fen, XY [hier folgt im Ori­gi­nal der Name des Foto­gra­fen, Anmk. SdR], foto­gra­fiert bzw von meh­re­ren Per­so­nen am Han­dy gefilmt, und wur­den jene Bil­der der Foto­stre­cke in sozia­len Medi­en ver­brei­tet, die den Antrag­stel­ler mit aus­ge­streck­tem rech­ten Arm zei­gen. In den sozia­len Medi­en wur­de dazu gemut­maßt, dass es anläss­lich der Demons­tra­ti­on zu einem Hit­ler­gruß gekom­men sei. Nach Ein­sicht in das Video­ma­te­ri­al ist nicht erkenn­bar, dass der Antrag­stel­ler den Demons­tran­ten “nor­mal“ zuge­wun­ken hat, son­dern ver­harr­te er zumin­dest Sekun­den­bruch­tei­le in einer Posi­ti­on mit aus­ge­streck­tem rech­ten Arm auf Schul­ter­hö­he, die – unter Berück­sich­ti­gung auch der „Adres­sa­ten“ sei­nes Win­kens – zumin­dest den Ver­dacht erweckt, der Antrag­stel­ler habe tat­säch­lich den Hit­ler­gruß gezeigt. Die­ses Win­ken hat Anlass dazu gege­ben, dies zu ver­mu­ten, bezie­hungs­wei­se dies­be­züg­lich einen Ver­dacht zu begrün­den, wes­halb auch von der Staats­an­walt­schaft Wien zu 504 St 18/19x gegen den Antrag­stel­ler ein Ermitt­lungs­ver­fah­ren nach § 3g Ver­botsG­ge­führt und erst über drei Mona­te spä­ter, näm­lich am 6. Mai 2020 ein­ge­stellt wurde.

Die­se Fest­stel­lun­gen konn­ten nach Beweis­wie­der­ho­lung und Ein­sicht in das vor­lie­gen­de Video­ma­te­ri­al getrof­fen wer­den, wo nicht nur bei ent­spre­chen­der Stand­bild­auf­nah­me ein Inne­hal­ten des Antrag­stel­lers wäh­rend sei­ner Wink­be­we­gung in Form eines Hit­ler­gru­ßes, wie dem Leser sug­ge­riert, wahr­ge­nom­men wer­den kann.

Der Wahr­heits­be­weis ist somit geglückt, wes­halb auch der Nich­tig­keits­grund des § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO gege­ben ist. Denn die – allei­ne schon durch die Ermitt­lun­gen der Staats­an­walt­schaft doku­men­tier­te und durch die nach Beweis­wie­der­ho­lung getrof­fe­nen Fest­stel­lun­gen gege­be­ne – Ver­dachts­la­ge wur­de objek­tiv und neu­tral wie­der­ge­ge­ben und nicht kon­stru­iert oder herbeigeredet.“

Es han­del­te sich also bei dem Kom­men­tar um eine zuläs­si­ge Ver­dachts­be­richt­erstat­tung, „weil nach den getrof­fe­nen Fest­stel­lun­gen das Ver­hal­ten des Antrag­stel­lers den Ver­dacht begrün­de­te, er habe den Hit­ler­gruß gezeigt, was die Ein­sicht in das Video­ma­te­ri­al und den Ermitt­lungs­akt (ON 2) ergaben.

Die Kla­ge des Bur­schen­schaf­ters wur­de des­halb eben­so abge­wie­sen wie sein Begeh­ren auf Ent­schä­di­gung. Dem Klä­ger wur­den auch die Kos­ten des Ver­fah­rens ers­ter und zwei­ter Instanz aufgetragen.