Um das, was da am und nach dem 24. Jänner 2019 bei der Bude der deutschnationalen Burschenschaft Gothia abgelaufen ist, zu skizzieren, hier noch einmal ein Überblick: Die antifaschistische Donnerstag-Demo war an diesem Tag dem FPÖ-Akademiker- bzw. Burschenschafterball, der am nächsten Tag in der Hofburg stattfand, gewidmet und machte deshalb vor der Bude der rechtsextremen Gothia Station. Die Gothen reagierten auf die Demo, indem sie die deutsche Flagge vor das Fenster hängten, was bei den Demonstrierenden nicht so gut ankam. Noch weniger dann allerdings die Winkbewegungen, die ein Mann aus einem Fenster im zweiten Stock des Burschenschafterhauses ausführte.
Ein Fotograf lichtete diese Winkbewegungen ab, stellte ein Foto davon online, was in der Folge zu zahlreichen empörten Kommentaren in den sozialen Medien führte. Am nächsten Tag veröffentlichte der Winker dann einen Kommentar auf seinem Facebook-Konto, in dem er unter anderem festhielt: „Ich habe keinen ‚Hitlergruß‘ gezeigt. Das Foto entstand, als ich — durch die Schmähungen und Angriffe auf das Haus der Burschenschaft provoziert — den Demonstranten zugewunken habe.“
Der Text seiner „persönlichen Erklärung“, die dann auch am 25.1.19 im APA-Originaltextservice erschien, wurde gemeinsam mit seinen Freunden aus dem Innenministerium verfasst, erklärte er später in einer der zahlreichen medienrechtlichen Verhandlungen. Die Namen dieser Freunde hatte er da allerdings schon wieder vergessen. Seine „persönliche Erklärung“, die im Kickl-Innenministerium mitverfasst wurde, ist dann in der Folge nicht nur vom Netz genommen, sondern durch die Version, wonach er Freunden zugewunken hätte, ersetzt worden.
Zunächst einmal aber dominierten entsetzte, empörte und auch sehr deutliche Kommentare, die in den Gesten mehr als eine bloße Winkbewegung sahen, darunter auch der Tweet der israelischen Botschafterin Talya Lador vom 25.1.19: „Es trifft mich sehr, solche Bilder zu sehen. Umso mehr jetzt in diesen Tagen, wo wir den Opfern des Holocaust gedenken. Ich vertraue auf die österreichischen Behörden, dass die Umstände vollständig aufgeklärt und entsprechende Konsequenzen gezogen werden.“
Sehr ähnlich die Reaktion des ÖVP-Europa-Parlamentariers Lukas Mandl (APA-OTS, 26.1.19): „Was dieses Foto zeigt, hat in Österreich und in ganz Europa keinen Platz. Antisemitismus und Wiederbetätigung verdienen Verachtung und gehören auf das Schärfste sanktioniert.“
Noch am 25.1.19 kam dann die Meldung, dass das Wiener Landesamt für Verfassungsschutz (LVT) die Bilder „prüfe“. Die APA (25.1.19) schrieb dazu: „Auf den Bildern ist zu sehen, wie ein junger Mann offenbar im Haus der Burschenschaft Gothia mit erhobener Rechter am Fenster steht und dabei vom Nachbarhaus aus beobachtet wird. Es gilt die Unschuldsvermutung.“
Das war zwar genau beobachtet von der APA, aber in der Folge wurde nur der Fotograf vom LVT einvernommen, nicht die Nachbarn. Der Fotograf hatte schon am 25.1.19 gegenüber der APA erklärt, dass er nicht beurteilen wolle und könne, ob es sich bei der Geste um einen Hitlergruß gehandelt habe oder nicht, aber: „Das war ein Winken, das ich so nicht machen würde.”
Im Mai 2019 stellte die Staatsanwaltschaft Wien die Ermittlungen wegen des Verdachts der Wiederbetätigung gegen den Winker ein, was dazu führte, dass er bzw. sein Anwalt gegen einige Personen, darunter auch Medien, die die Gesten am Fenster kommentiert hatten, medienrechtliche Klagen führten und in weiterer Folge zahlreichen Personen mit medien- und (teuren) zivilrechtlichen Klagen drohten, wenn sie nicht – außergerichtlich – neben einer Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung Entschädigung an das „Opfer“, den Winker, und die Aufwandskosten für dessen Anwalt bezahlen würden.
Über die zahlreichen Klagsdrohungen konnten der Burschenschafter und sein Anwalt etliche Tausend Euro einsammeln, während parallel dazu einige medienrechtliche Klagen tatsächlich geführt wurden – mit durchaus unterschiedlichen Ergebnissen. Eine dieser Klagen wurde gegen Karl Öllinger, Redakteur von „Stoppt die Rechten“, angestrengt. Der hatte am 25.1.19 auf seiner Facebook-Seite das besagte Foto so kommentiert: „Das sind die, die sich heute beim Burschi‑, äh Akademikerball der FPÖ versammeln. Zum Kotzen!“
Sowohl das Landesgericht Wien als auch das OLG Wien sahen in diesem Posting, aber vor allem in der Veröffentlichung des Fotos den Tatbestand der üblen Nachrede gemäß § 6 Abs.1 Mediengesetz erfüllt. Das OLG Wien wollte dabei sogar Manipulation entdeckt haben: „Das bewusste Weglassen der Erklärung des XY [hier folgt im Original der Name des Klägers, Anmk. SdR], wie es zu dem verfahrensgegenständlichen Bild kam, stellt somit eine Manipulation der Verdachtslage dar.“
Der ordentliche Rechtsweg war nach diesem Urteil des OLG Wien im Februar 2020 bereits erschöpft, das Urteil rechtskräftig, der Klage und dem Schadenersatzanspruch des Burschenschafters entsprochen. Aber es blieb noch der außerordentliche Rechtsweg, der über eine Nichtigkeitsbeschwerde der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes schließlich dazu führte , dass der Oberste Gerichtshof (OGH) im Februar 2021 feststellte, dass das Urteil des OLG Wien Bestimmungen der Strafprozessordnung verletzt hat, es daher aufgehoben und zur neuerlichen Entscheidung an das OLG Wien rückverwiesen wird. Dieser Berufungssenat des OLG (17) nahm nun auch Einsicht in jenes Videomaterial, das vom ursprünglichen Berufungssenat des OLG Wien nicht berücksichtigt worden war und stellte dazu in seiner Urteilsbegründung fest:
In dieser aufgeheizten Stimmung winkte der Antragsteller den Demonstranten provokativ zu, bewusst auf einen Hitlergruß anspielend. Dies wurde von einem anwesenden Fotografen, XY [hier folgt im Original der Name des Fotografen, Anmk. SdR], fotografiert bzw von mehreren Personen am Handy gefilmt, und wurden jene Bilder der Fotostrecke in sozialen Medien verbreitet, die den Antragsteller mit ausgestrecktem rechten Arm zeigen. In den sozialen Medien wurde dazu gemutmaßt, dass es anlässlich der Demonstration zu einem Hitlergruß gekommen sei. Nach Einsicht in das Videomaterial ist nicht erkennbar, dass der Antragsteller den Demonstranten “normal“ zugewunken hat, sondern verharrte er zumindest Sekundenbruchteile in einer Position mit ausgestrecktem rechten Arm auf Schulterhöhe, die – unter Berücksichtigung auch der „Adressaten“ seines Winkens – zumindest den Verdacht erweckt, der Antragsteller habe tatsächlich den Hitlergruß gezeigt. Dieses Winken hat Anlass dazu gegeben, dies zu vermuten, beziehungsweise diesbezüglich einen Verdacht zu begründen, weshalb auch von der Staatsanwaltschaft Wien zu 504 St 18/19x gegen den Antragsteller ein Ermittlungsverfahren nach § 3g VerbotsGgeführt und erst über drei Monate später, nämlich am 6. Mai 2020 eingestellt wurde.
Diese Feststellungen konnten nach Beweiswiederholung und Einsicht in das vorliegende Videomaterial getroffen werden, wo nicht nur bei entsprechender Standbildaufnahme ein Innehalten des Antragstellers während seiner Winkbewegung in Form eines Hitlergrußes, wie dem Leser suggeriert, wahrgenommen werden kann.
Der Wahrheitsbeweis ist somit geglückt, weshalb auch der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO gegeben ist. Denn die – alleine schon durch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft dokumentierte und durch die nach Beweiswiederholung getroffenen Feststellungen gegebene – Verdachtslage wurde objektiv und neutral wiedergegeben und nicht konstruiert oder herbeigeredet.“
Es handelte sich also bei dem Kommentar um eine zulässige Verdachtsberichterstattung, „weil nach den getroffenen Feststellungen das Verhalten des Antragstellers den Verdacht begründete, er habe den Hitlergruß gezeigt, was die Einsicht in das Videomaterial und den Ermittlungsakt (ON 2) ergaben.
Die Klage des Burschenschafters wurde deshalb ebenso abgewiesen wie sein Begehren auf Entschädigung. Dem Kläger wurden auch die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz aufgetragen.