Wir haben schon in unserem Beitrag „Das Virus in ‚Zur Zeit‘“ Anfang April 2020 darauf hingewiesen, dass das Blatt neben den schon fast üblichen Huldigungen an rechtsextreme und faschistische Politiker im Zusammenhang mit Corona auch rechtsextreme und antisemitisch codierte Verschwörungsgeschichten verbreitet.
In Sachen SARS-CoV‑2 lieferte das blaue Blättchen mit Sicherheit keinen Beitrag, der auch nur irgendwie den vom Medienbeauftragten Fleischmann erwähnten Kriterien Bildung und Information nahekommen würde. Fleischmann benennt aber noch einen anderen Grund: Die geförderten Medien und somit auch „Zur Zeit“ seien so systemrelevant wie etwa Lebensmittel und die Justiz. Nicht der absolut schiefe und unpassende Vergleich soll uns hier beschäftigen, sondern die unterstellte Systemrelevanz von „Zur Zeit“. Ein Blatt, das nicht nur einmal, sondern gleich dutzende Male die anderen Medien als „Systempresse“, „Systemmedien“, „Lügenpresse“ oder etwas modischer als „gleichgeschaltete Mainstream-Medien“ beschimpft und verhöhnt, soll „systemrelevant“ sein?
In dem 2019 erschienenen Buch von Matthias Heine „Verbrannte Wörter. Wo wir noch reden wie die Nazis und wo nicht“ (Duden-Verlag) heißt es unter dem Stichwort „Systempresse“:
Noch mehr lässt es frösteln, dass Rechte neuerdings wieder von der Systempresse reden, wenn sie ein Synonym für das bei ihnen ebenfalls allgegenwärtige Schmähwort Lügenpresse (das allerdings lange vor der NS-Zeit aufkam und auch danach noch oft von den Linken, etwa als Bezeichnung für die Springer-Zeitungen, verwendet wurde) benötigen. Denn wenn System auch durchaus in anderen Bedeutungen gebräuchlich ist, gehört jenes Wort eindeutig – wie Systembeamter, Systembonze, Systemregierung und Systempolitiker – zu den Komposita, die im Wortschatz der Nationalsozialisten zur Verunglimpfung der Demokratie üblich waren. Wie ‚System’ ist es offenbar seit Anfang 1932 hypnotisierend wiederholt worden, etwa im „Völkischen Beobachter“ vom 1. März: „Für seinen Abstimmungserfolg flicht die Systempresse dem Kanzler des Systems Kränze. Zur gleichen Zeit wurde von der NS-Presse auch der Begriff Systempartei in Umlauf gebracht, der ebenfalls wieder zu den Schlagworten der aktuellen Rechten gehört.“ (S. 185)
In „Zur Zeit“ findet man nicht nur „hypnotisierende“ Wiederholungen der Begriffe Systemmedien, Systempresse und Lügenpresse. Von der einzigen „Nicht-Systempartei“ FPÖ schreibt ausgerechnet Andreas Mölzer, der sich in einer langen Suada bitter über die Angriffe auf die FPÖ nach dem Ibiza-Skandal beklagt:
Die Freiheitliche Partei Österreichs ist die einzige Nicht-Systempartei der Zweiten Republik, die man seit Anbeginn ihrer Existenz mit der Faschismuskeule bekämpfte und die sich der heute zur Zivilreligion erklärten Political Correctness wiedersetzt [sic!], weshalb man sie auf brutale Art und Weise und mit brutalsten Mitteln bekämpft wie keine andere Regierungspartei. (FB-Seite von „Zur Zeit“, 21.5.2019)
Da sind sie versammelt – die historisch aufgeladenen Begriffe. Matthias Heine schreibt dazu:
Wer System, Systempresse oder Systempartei sagt, redet nicht nur wie Goebbels, sondern behauptet damit heute einen verschwörerischen globalen Zusammenhang, in dem alles von einem gewaltigen Netzwerk kontrolliert wird. Das kann man tun. Man sollte nur wissen, ob man es will.
Vor allem sollte man wissen, warum man so etwas aus öffentlichen Mitteln fördern will!
P.S.: Die hier angeführten Screenshots von der Facebook-Seite von „Zur Zeit“ sind nur Beispiele und geben bei weitem nicht alle Erwähnungen wieder.
„Zur Zeit“: Inflationärer Gebrauch von „Systemmedien“, „Systempresse“, „Lügenpresse“