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„Zur Zeit“: Systemrelevantes Anti-Systemmedium?

Weil die Medi­en – so der Medi­en­be­auf­trag­te von Kanz­ler Kurz, Gerald Fleisch­mann – in der Coro­­na-Kri­­se „ihre staats­po­li­ti­sche Ver­ant­wor­tung ganz her­aus­ra­gend wahr­ge­nom­men“ (faz.net, 23.4.20) haben, wur­de der gan­zen Bran­che eine Son­der­för­de­rung zuge­spro­chen. Im För­de­rungs­pa­ket von mehr als 30 Mil­lio­nen Euro ent­hal­ten ist auch eine Extra­zu­wen­dung an das zum Rechts­extre­mis­mus ten­die­ren­de, der FPÖ nahe­ste­hen­de Wochen­blatt „Zur […]

30. Apr 2020

Wir haben schon in unse­rem Bei­trag „Das Virus in ‚Zur Zeit‘“ Anfang April 2020 dar­auf hin­ge­wie­sen, dass das Blatt neben den schon fast übli­chen Hul­di­gun­gen an rechts­extre­me und faschis­ti­sche Poli­ti­ker im Zusam­men­hang mit Coro­na auch rechts­extre­me und anti­se­mi­tisch codier­te Ver­schwö­rungs­ge­schich­ten verbreitet.

In Sachen SARS-CoV‑2 lie­fer­te das blaue Blätt­chen mit Sicher­heit kei­nen Bei­trag, der auch nur irgend­wie den vom Medi­en­be­auf­trag­ten Fleisch­mann erwähn­ten Kri­te­ri­en Bil­dung und Infor­ma­ti­on nahe­kom­men wür­de. Fleisch­mann benennt aber noch einen ande­ren Grund: Die geför­der­ten Medi­en und somit auch „Zur Zeit“ sei­en so sys­tem­re­le­vant wie etwa Lebens­mit­tel und die Jus­tiz. Nicht der abso­lut schie­fe und unpas­sen­de Ver­gleich soll uns hier beschäf­ti­gen, son­dern die unter­stell­te Sys­tem­re­le­vanz von „Zur Zeit“. Ein Blatt, das nicht nur ein­mal, son­dern gleich dut­zen­de Male die ande­ren Medi­en als „Sys­tem­pres­se“, „Sys­tem­me­di­en“, „Lügen­pres­se“ oder etwas modi­scher als „gleich­ge­schal­te­te Main­stream-Medi­en“ beschimpft und ver­höhnt, soll „sys­tem­re­le­vant“ sein?

In dem 2019 erschie­ne­nen Buch von Mat­thi­as Hei­ne „Ver­brann­te Wör­ter. Wo wir noch reden wie die Nazis und wo nicht“ (Duden-Ver­lag) heißt es unter dem Stich­wort „Sys­tem­pres­se“:

Noch mehr lässt es frös­teln, dass Rech­te neu­er­dings wie­der von der Sys­tem­pres­se reden, wenn sie ein Syn­onym für das bei ihnen eben­falls all­ge­gen­wär­ti­ge Schmäh­wort Lügen­pres­se (das aller­dings lan­ge vor der NS-Zeit auf­kam und auch danach noch oft von den Lin­ken, etwa als Bezeich­nung für die Sprin­ger-Zei­tun­gen, ver­wen­det wur­de) benö­ti­gen. Denn wenn Sys­tem auch durch­aus in ande­ren Bedeu­tun­gen gebräuch­lich ist, gehört jenes Wort ein­deu­tig – wie Sys­tem­be­am­ter, Sys­tem­bon­ze, Sys­tem­re­gie­rung und Sys­tem­po­li­ti­ker – zu den Kom­po­si­ta, die im Wort­schatz der Natio­nal­so­zia­lis­ten zur Ver­un­glimp­fung der Demo­kra­tie üblich waren. Wie ‚Sys­tem’ ist es offen­bar seit Anfang 1932 hyp­no­ti­sie­rend wie­der­holt wor­den, etwa im „Völ­ki­schen Beob­ach­ter“ vom 1. März: „Für sei­nen Abstim­mungs­er­folg flicht die Sys­tem­pres­se dem Kanz­ler des Sys­tems Krän­ze. Zur glei­chen Zeit wur­de von der NS-Pres­se auch der Begriff Sys­tem­par­tei in Umlauf gebracht, der eben­falls wie­der zu den Schlag­wor­ten der aktu­el­len Rech­ten gehört.“ (S. 185)

In „Zur Zeit“ fin­det man nicht nur „hyp­no­ti­sie­ren­de“ Wie­der­ho­lun­gen der Begrif­fe Sys­tem­me­di­en, Sys­tem­pres­se und Lügen­pres­se. Von der ein­zi­gen „Nicht-Sys­tem­par­tei“ FPÖ schreibt aus­ge­rech­net Andre­as Möl­zer, der sich in einer lan­gen Sua­da bit­ter über die Angrif­fe auf die FPÖ nach dem Ibi­za-Skan­dal beklagt:

Die Frei­heit­li­che Par­tei Öster­reichs ist die ein­zi­ge Nicht-Sys­tem­par­tei der Zwei­ten Repu­blik, die man seit Anbe­ginn ihrer Exis­tenz mit der Faschis­mus­keu­le bekämpf­te und die sich der heu­te zur Zivil­re­li­gi­on erklär­ten Poli­ti­cal Cor­rect­ness wie­der­setzt [sic!], wes­halb man sie auf bru­ta­le Art und Wei­se und mit bru­tals­ten Mit­teln bekämpft wie kei­ne ande­re Regie­rungs­par­tei. (FB-Sei­te von „Zur Zeit“, 21.5.2019)

ZZ rückt zur Bolsanaro-Verteidigung gegen die "Lügenpresse" und "Systemmedien" aus
ZZ rückt zur Bols­a­n­a­ro-Ver­tei­di­gung gegen die „Lügen­pres­se” und „Sys­tem­me­di­en” aus

Da sind sie ver­sam­melt – die his­to­risch auf­ge­la­de­nen Begrif­fe. Mat­thi­as Hei­ne schreibt dazu:

Wer Sys­tem, Sys­tem­pres­se oder Sys­tem­par­tei sagt, redet nicht nur wie Goeb­bels, son­dern behaup­tet damit heu­te einen ver­schwö­re­ri­schen glo­ba­len Zusam­men­hang, in dem alles von einem gewal­ti­gen Netz­werk kon­trol­liert wird. Das kann man tun. Man soll­te nur wis­sen, ob man es will.

Vor allem soll­te man wis­sen, war­um man so etwas aus öffent­li­chen Mit­teln för­dern will!

P.S.: Die hier ange­führ­ten Screen­shots von der Face­book-Sei­te von „Zur Zeit“ sind nur Bei­spie­le und geben bei wei­tem nicht alle Erwäh­nun­gen wieder.

„Zur Zeit“: Infla­tio­nä­rer Gebrauch von „Sys­tem­me­di­en“, „Sys­tem­pres­se“, „Lügen­pres­se“

 



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