Wie die taz in ihrem Bericht über die Prozesseröffnung festhält, machen die acht Angeklagten so gar nicht den Eindruck einer terroristischen Vereinigung:
„Sie verstecken ihre Gesichter hinter blauen Ordnern, ziehen sich Kapuzen über die Stirn, einer sitzt zitternd neben seinem Anwalt. Es ist ein eher kläglicher Auftritt, den die acht Neonazis am Montag beim Prozessauftakt vor dem Oberlandesgericht Dresdenhinlegen. Dabei klang vor einem Jahr alles noch so großspurig.
Einen ‚Bürgerkrieg’ wollten die Männer anzetteln, eine ‚Revolution’, mit ‚effektiven Schlägen’ gegen ‚Linksparasiten’.“
Im Spätsommer 2018 war Chemnitz nach dem Mord an einem 35-Jährigen, begangen mutmaßlich durch Geflüchtete, das Zentrum von wochenlangen rechtsextremen, neonazistischen Demonstrationen, die von regelrechten Hetzjagden und Überfällen auf Flüchtlinge, GegendemonstrantInnen, aber auch auf ein jüdisches Restaurant begleitet waren.
Der gewalttätige rechtsextreme und Nazi-Mob, der sich da in Chemnitz über Wochen zusammenrottete, wurde aus ganz Deutschland, aber auch aus Österreich, auch durch einige Identitäre, unterstützt. Bereits am 27.8. war Luca Kerbl zusammen mit weiteren Identitären mitten im Mob dabei.
Mitten unter ihnen die jetzt Angeklagten, die schon seit Jahren in der Szene aktiv waren:
„Die militanten Neonazis bewegen sich mehrheitlich seit Jahren in der rechten Szene und sind allesamt vorbestraft und behördlich bekannt. Mit Christian K. und Tom W. sind unter ihnen sogar zwei mit Vorerfahrung in der Organisation krimineller Vereinigungen: Beide waren in der 2007 verbotenen Neonazi-Kameradschaft ‚Sturm 34’ aktiv — Tom W. sogar als Gründungs- und Führungskader.“ (Endstation Rechts, 1.10.19)
Seit dem Frühjahr 2014 waren die Angeklagten auf Facebook mit der Seite „Revolution Chemnitz-ANW“ (ANW steht in diesem Fall für Alternativer Nationaler Widerstand) vertreten, wobei ihre Botschaften teilweise ziemlich unverständlich blieben:
„Alle inteliegenspolhtzen lachen und weiter schrein Deutschland ohne Deutsche. Ihr seit so schlau wie ne Tomate auf Bewustseinserweiternten Mitteln „LSD Frosch”. Wenn wenigstens eure Artikel über uns stimmen würden. AG Chemnitz und Revolution Chemnitz ANW arbeiten gelegentlich zusammen. Und sind nicht dass gleiche, ihr solltet aufhören euch von Badesalz Cystal zu bilden und mal richtiges nehmen um endlich mal wenigstens eine Stunde konzentriert zu lernen!“ (FB-Posting, 10.6.14)
Diese Zeilen gehen vermutlich auf Christian K. zurück, einen Security-Mitarbeiter, der auch als Rädelsführer jener Telegram-Gruppe gilt, in der dann ab September 2018 die Vorbereitungen für einen Anschlag in Berlin vorangetrieben wurden. „Ich bitte alle darum dieses hier zu bestätigen oder abzulehnen und die Gruppe zu verlassen bevor wir anfangen“, schrieb er am 10.9. in der Gruppe und schlug dann auch einen „Probelauf“ für den Anschlag zum 3. Oktober 2018 vor, mit dem die „Systemwende“ eingeleitet werden sollte.
Der „Probelauf“ fand am 14. September 2018 auf der Chemnitzer Schlossteichinsel statt. Dabei kreisten die Angeklagten zusammen mit einigen anderen (die meisten „angeforderten“ Neonazis waren nicht erschienen) Gruppen von Migranten ein, verlangten deren Ausweise und griffen mehrere Menschen mit Gewalt an. Durch Polizeieinsatz wurde der Überfall beendet und Christian K. in U‑Haft genommen. Sein Handy wurde entsperrt und ausgelesen, worauf zwei Wochen später dann die Verhaftung der restlichen Gruppenmitglieder folgte.
Vieles von dem, was über die Konversation in der Gruppe bekannt geworden ist, klingt gespenstisch, verrückt, hochtrabend. Die Angeklagten, die den NSU wie eine „Kindergarten- Vorschulgruppe“ wirken lassen wollten, sahen sich als „Führungskräfte“, die die „Systemwende“ herbeiführen wollten. So irre und seltsam das auch klingen mag: Die acht Angeklagten verfügen über eine ausreichend hohe kriminelle Energie:
„Auf 478 Strafverfahren bringen es alle zusammen von 1998 bis kurz vor ihrer Verhaftung – zwischen elf und 151 pro Person. Sie reichen von schwerem Bandendiebstahl und Warenkreditbetrug über zahlreiche Körperverletzungen, politisch motivierte Straftaten wie dem Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Verstößen gegen das Waffengesetz bis zur Bildung einer terroristischen Vereinigung“ (Störungsmelder auf zeit.de, 30.9.19)
Nach ihrer Festnahme hatten einige der Angeklagten auch eingeräumt, dass es ihnen um so „etwas wie ein Bürgerkrieg“gegangen sei, „um jemanden umzubringen“ (taz.de, 30.9.19).
Der Prozess wird dauern: „75 Zeugen sind geladen, dutzende Ordner und elektronische Dokumente müssen gesichtet werden. Die Beweisaufnahme dürfte Wochen in Anspruch nehmen“, so „Endstation Rechts“. Schon jetzt, kurz nach der Eröffnung, zeigt sich, dass das mediale Interesse wesentlich geringer ist als beim NSU-Prozess.
Uns hat natürlich auch interessiert, ob es Verbindungen nach Österreich gibt. Und tatsächlich, da gibt es nicht nur Identitäre die sich an den rechtsextremen Mobilisierungen in Chemnitz beteiligt haben, sondern auch Verbindungen von Angeklagten nach Österreich. Bei Sven W. (28) etwa blinken zwei junge Frauen aus Salzburg auf. Sie fallen in seiner FB-Freundschaftsliste auf, weil sie neben hunderten aus Chemnitz die einzigen „Ausländerinnen“ sind. Andere rechtsextreme Bezüge sind uns nicht bekannt. Bei Sten E. (29) schaut das schon anders aus. In seinem Freundeskreis poppt gleich einmal die Doro auf, die 2016 mit KameradInnen wegen Wiederbetätigung vor dem Landesgericht Wien stand. Doro hat allein schon deshalb beste Kontakte, weil sie aus Chemnitz kommt.