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Neonazis von „Revolution Chemnitz“ vor Gericht

Ziem­lich genau vor einem Jahr wur­de die Neo­na­­zi-Grup­­pe „Revo­lu­ti­on Chem­nitz“ von der Exe­ku­ti­ve aus­ge­ho­ben und in Haft genom­men, knapp vor einem für den 3. Okto­ber 2018 (Tag der deut­schen Ein­heit) geplan­ten Anschlag. Gegen acht Per­so­nen wur­de von der Bun­des­an­walt­schaft wegen des Ver­dachts der Bil­dung einer rechts­ter­ro­ris­ti­schen Ver­ei­ni­gung ermit­telt. Seit 30. Sep­tem­ber 2019 ste­hen die Neonazis […]

2. Okt 2019

Wie die taz in ihrem Bericht über die Pro­zess­eröff­nung fest­hält, machen die acht Ange­klag­ten so gar nicht den Ein­druck einer ter­ro­ris­ti­schen Vereinigung:

„Sie ver­ste­cken ihre Gesich­ter hin­ter blau­en Ord­nern, zie­hen sich Kapu­zen über die Stirn, einer sitzt zit­ternd neben sei­nem Anwalt. Es ist ein eher kläg­li­cher Auf­tritt, den die acht Neo­na­zis am Mon­tag beim Pro­zess­auf­takt vor dem Ober­lan­des­ge­richt Dres­denhin­le­gen. Dabei klang vor einem Jahr alles noch so großspurig.
Einen ‚Bür­ger­krieg’ woll­ten die Män­ner anzet­teln, eine ‚Revo­lu­ti­on’, mit ‚effek­ti­ven Schlä­gen’ gegen ‚Links­pa­ra­si­ten’.“

FB-Seite "Revolution Chemnitz ANW"
FB-Sei­te „Revo­lu­ti­on Chem­nitz ANW”

Im Spät­som­mer 2018 war Chem­nitz nach dem Mord an einem 35-Jäh­ri­gen, began­gen mut­maß­lich durch Geflüch­te­te, das Zen­trum von wochen­lan­gen rechts­extre­men, neo­na­zis­ti­schen Demons­tra­tio­nen, die von regel­rech­ten Hetz­jag­den und Über­fäl­len auf Flücht­lin­ge, Gegen­de­mons­tran­tIn­nen, aber auch auf ein jüdi­sches Restau­rant beglei­tet waren.

Der gewalt­tä­ti­ge rechts­extre­me und Nazi-Mob, der sich da in Chem­nitz über Wochen zusam­men­rot­te­te, wur­de aus ganz Deutsch­land, aber auch aus Öster­reich, auch durch eini­ge Iden­ti­tä­re, unter­stützt. Bereits am 27.8. war Luca Kerbl zusam­men mit wei­te­ren Iden­ti­tä­ren mit­ten im Mob dabei.

Luca Kerbl (roter Pfeil) am 27.8.18 in Chemnitz, als die verabredeten Hetzjagden stattfanden
Luca Kerbl (roter Pfeil) am 27.8.18 in Chem­nitz, als die ver­ab­re­de­ten Hetz­jag­den stattfanden
Luca Kerbl äußert sich über die Chemnitzer Oberbürgermeisterin, ohne zu erwähnen, dass er am 27.8. bereits dabei war
Luca Kerbl äußert sich über die Chem­nit­zer Ober­bür­ger­meis­te­rin, ohne zu erwäh­nen, dass er am 27.8. bereits dabei war

Mit­ten unter ihnen die jetzt Ange­klag­ten, die schon seit Jah­ren in der Sze­ne aktiv waren:

Die mili­tan­ten Neo­na­zis bewe­gen sich mehr­heit­lich seit Jah­ren in der rech­ten Sze­ne und sind alle­samt vor­be­straft und behörd­lich bekannt. Mit Chris­ti­an K. und Tom W. sind unter ihnen sogar zwei mit Vor­er­fah­rung in der Orga­ni­sa­ti­on kri­mi­nel­ler Ver­ei­ni­gun­gen: Bei­de waren in der 2007 ver­bo­te­nen Neo­na­zi-Kame­rad­schaft ‚Sturm 34’ aktiv — Tom W. sogar als Grün­dungs- und Füh­rungs­ka­der.“ (End­sta­ti­on Rechts, 1.10.19)

Revolution Chemnitz 2013
Revo­lu­ti­on Chem­nitz 2013

Seit dem Früh­jahr 2014 waren die Ange­klag­ten auf Face­book mit der Sei­te „Revo­lu­ti­on Chem­nitz-ANW“ (ANW steht in die­sem Fall für Alter­na­ti­ver Natio­na­ler Wider­stand) ver­tre­ten, wobei ihre Bot­schaf­ten teil­wei­se ziem­lich unver­ständ­lich blieben:

Alle inte­lie­gens­polht­zen lachen und wei­ter schrein Deutsch­land ohne Deut­sche. Ihr seit so schlau wie ne Toma­te auf Bewust­seins­er­wei­tern­ten Mit­teln „LSD Frosch”. Wenn wenigs­tens eure Arti­kel über uns stim­men wür­den. AG Chem­nitz und Revo­lu­ti­on Chem­nitz ANW arbei­ten gele­gent­lich zusam­men. Und sind nicht dass glei­che, ihr soll­tet auf­hö­ren euch von Bade­salz Cys­tal zu bil­den und mal rich­ti­ges neh­men um end­lich mal wenigs­tens eine Stun­de kon­zen­triert zu ler­nen!“ (FB-Pos­ting, 10.6.14)

Revolution Chemnitz 2014: "intelligenzpolhtzen"
Revo­lu­ti­on Chem­nitz 2014: „intel­li­genz­polht­zen”

Die­se Zei­len gehen ver­mut­lich auf Chris­ti­an K. zurück, einen Secu­ri­ty-Mit­ar­bei­ter, der auch als Rädels­füh­rer jener Tele­gram-Grup­pe gilt, in der dann ab Sep­tem­ber 2018 die Vor­be­rei­tun­gen für einen Anschlag in Ber­lin vor­an­ge­trie­ben wur­den. „Ich bit­te alle dar­um die­ses hier zu bestä­ti­gen oder abzu­leh­nen und die Grup­pe zu ver­las­sen bevor wir anfan­gen“, schrieb er am 10.9. in der Grup­pe und schlug dann auch einen „Pro­be­lauf“ für den Anschlag zum 3. Okto­ber 2018 vor, mit dem die „Sys­tem­wen­de“ ein­ge­lei­tet wer­den sollte.

Der „Pro­be­lauf“ fand am 14. Sep­tem­ber 2018 auf der Chem­nit­zer Schloss­teich­in­sel statt. Dabei kreis­ten die Ange­klag­ten zusam­men mit eini­gen ande­ren (die meis­ten „ange­for­der­ten“ Neo­na­zis waren nicht erschie­nen) Grup­pen von Migran­ten ein, ver­lang­ten deren Aus­wei­se und grif­fen meh­re­re Men­schen mit Gewalt an. Durch Poli­zei­ein­satz wur­de der Über­fall been­det und Chris­ti­an K. in U‑Haft genom­men. Sein Han­dy wur­de ent­sperrt und aus­ge­le­sen, wor­auf zwei Wochen spä­ter dann die Ver­haf­tung der rest­li­chen Grup­pen­mit­glie­der folgte.

Revolution Chemnitz 2017: Bild PolitikerInnen nach Buchenwald
Revo­lu­ti­on Chem­nitz 2017: Bild Poli­ti­ke­rIn­nen nach Buchenwald

Vie­les von dem, was über die Kon­ver­sa­ti­on in der Grup­pe bekannt gewor­den ist, klingt gespens­tisch, ver­rückt, hoch­tra­bend. Die Ange­klag­ten, die den NSU wie eine „Kin­der­gar­ten- Vor­schul­grup­pe“ wir­ken las­sen woll­ten, sahen sich als „Füh­rungs­kräf­te“, die die „Sys­tem­wen­de“ her­bei­füh­ren woll­ten. So irre und selt­sam das auch klin­gen mag: Die acht Ange­klag­ten ver­fü­gen über eine aus­rei­chend hohe kri­mi­nel­le Energie:

Auf 478 Straf­ver­fah­ren brin­gen es alle zusam­men von 1998 bis kurz vor ihrer Ver­haf­tung – zwi­schen elf und 151 pro Per­son. Sie rei­chen von schwe­rem Ban­den­dieb­stahl und Waren­kre­dit­be­trug über zahl­rei­che Kör­per­ver­let­zun­gen, poli­tisch moti­vier­te Straf­ta­ten wie dem Ver­wen­den von Kenn­zei­chen ver­fas­sungs­wid­ri­ger Orga­ni­sa­tio­nen und Ver­stö­ßen gegen das Waf­fen­ge­setz bis zur Bil­dung einer ter­ro­ris­ti­schen Ver­ei­ni­gung“ (Stö­rungs­mel­der auf zeit.de, 30.9.19)

Nach ihrer Fest­nah­me hat­ten eini­ge der Ange­klag­ten auch ein­ge­räumt, dass es ihnen um so „etwas wie ein Bür­ger­krieg“gegan­gen sei, „um jeman­den umzu­brin­gen“ (taz.de, 30.9.19).

Revolution Chemnitz 2014
Revo­lu­ti­on Chem­nitz 2014

Der Pro­zess wird dau­ern: „75 Zeu­gen sind gela­den, dut­zen­de Ord­ner und elek­tro­ni­sche Doku­men­te müs­sen gesich­tet wer­den. Die Beweis­auf­nah­me dürf­te Wochen in Anspruch neh­men“, so „End­sta­ti­on Rechts“. Schon jetzt, kurz nach der Eröff­nung, zeigt sich, dass das media­le Inter­es­se wesent­lich gerin­ger ist als beim NSU-Prozess.

Tweet "schlecht gefüllter Gerichtssaal" beim Prozessauftakt der Gruppe "Revolution Chemnitz"
Tweet „schlecht gefüll­ter Gerichts­saal” beim Pro­zess­auf­takt der Grup­pe „Revo­lu­ti­on Chemnitz”
Sten E. likt Hitlergruß
Sten E. likt Hitlergruß
Sten E. FB-Posting, Bild: "Mach weiter und erleide den Volkstod oder ..."
Sten E. FB-Pos­ting, Bild: „Mach wei­ter und erlei­de den Volks­tod oder …”

Uns hat natür­lich auch inter­es­siert, ob es Ver­bin­dun­gen nach Öster­reich gibt. Und tat­säch­lich, da gibt es nicht nur Iden­ti­tä­re die sich an den rechts­extre­men Mobi­li­sie­run­gen in Chem­nitz betei­ligt haben, son­dern auch Ver­bin­dun­gen von Ange­klag­ten nach Öster­reich. Bei Sven W. (28) etwa blin­ken zwei jun­ge Frau­en aus Salz­burg auf. Sie fal­len in sei­ner FB-Freund­schafts­lis­te auf, weil sie neben hun­der­ten aus Chem­nitz die ein­zi­gen „Aus­län­de­rin­nen“ sind. Ande­re rechts­extre­me Bezü­ge sind uns nicht bekannt. Bei Sten E. (29) schaut das schon anders aus. In sei­nem Freun­des­kreis poppt gleich ein­mal die Doro auf, die 2016 mit Kame­ra­dIn­nen wegen Wie­der­be­tä­ti­gung vor dem Lan­des­ge­richt Wien stand. Doro hat allein schon des­halb bes­te Kon­tak­te, weil sie aus Chem­nitz kommt.