Vom Juni 2018 bis Ende Juli 2019 reicht die jüngste bzw. dritte Liste von „Einzelfällen“ des MKÖ. Wurden seit Anfang 2013 bis zum Juni 2018 etwas mehr als einhundert Einzelfälle aufgelistet, so sind in dem Jahr seither mehr als 60 dazugekommen – die Schlagzahl hat sich deutlich erhöht, die FPÖ in der Regierung wirkt anscheinend wie ein Brandbeschleuniger.
Die Historikerin Margit Reiter, deren Buch „Die Ehemaligen. Der Nationalsozialismus und die Anfänge der FPÖ“ gerade erschienen ist, wird in der Broschüre des MKÖ mit dem Satz zitiert: „Aus den Einzelfällen spricht der ideologische Kern.“Natürlich stimmt dieser Satz – auch und gerade bei Strache, dem König aller Einzelfälle. Trotzdem ist es für den Zustand der politischen Verhältnisse in Österreich bezeichnend, dass Strache über keine seiner zahlreichen ideologischen und personellen Berührungspunkte mit der rechtsextremen Szene in Vergangenheit und Gegenwart gestolpert ist und selbst nach dem Ibiza-Ausflug das politische Comeback noch zum (Zu-)Greifen nahe war. Jetzt, nach den jüngsten Enthüllungen über die flotten Spesen der Familie Strache, ist das sehr schnell undenkbar geworden, und einige sinnieren in der FPÖ sogar über einen Ausschluss ihres Ex-Leaders.
Der „ideologische Kern“, der aus den fast unzählbaren Einzelfällen der FPÖ spricht, besteht aus völkischen und rassistischen Versatzstücken, mit denen die Programmatik der FPÖ gepflastert ist und die auch immer wieder personelle und organisatorische Verknüpfungen mit dem offenen Rechtsextremismus ermöglichen.
Auffällig an der Auflistung von Einzelfällen in der MKÖ-Broschüre ist ein Phänomen, das auch wir bereits bei der Auflistung der Parteiausschlüsse und Rücktritte 2018 schon feststellen konnten: Je höher die Funktionen der Einzelfälle, desto weniger Konsequenzen gibt es. Die in der Broschüre aufgezählten Einzelfälle der namentlich erwähnten FPÖ-FunktionärInnen aus den vorderen Reihen, Edith Mühlberghuber, Peter Gerstner, Mario Kunasek, Christian Höbart, Edith Kitzmüller, Ursula Stenzel (noch vor ihrer Demo mit Identitären), Harald Vilimsky und Herbert Kickl blieben ohne Konsequenz, während die kleinen Funktionäre in der Regel zum „freiwilligen Austritt“ veranlasst werden. Daran kann auch die kleine Machtprobe des neuen FPÖ-Chefs Norbert Hofer durch seinen Ausschluss des Klubobmanns der FPÖ im NÖ-Landtag nichts ändern. Manchmal dürfen die gemaßregelten Einzelfälle sogar über eine Hintertür wieder die Räumlichkeiten der Partei oder einer ihrer Suborganisationen betreten; auch dafür liefert die Broschüre Beispiele: „Die Freiheitliche Jugend hat einen früheren FPÖ-Funktionär, der wegen Neonazi-Kontakten aus der Partei ausgeschlossen wurde, in ihren Bundesvorstand kooptiert.“
Der Schlussfolgerung des MKÖ, wonach eine Entwicklung zur Mäßigung und damit zur Regierungsfähigkeit „nicht einmal in Ansätzen erkennbar“sei, können wir daher nur vollinhaltlich zustimmen, auch wenn Sebastian Kurz da völlig anderer Meinung ist.