Herbert Kickl hat es einigermaßen vorausgeahnt, als er – gerade frisch aus der Regierung geflogen – im Nationalrat geheimnisvolle Andeutungen machte: „Ich gehe davon aus, meine Damen und Herren, dass wir in den kommenden Wochen und Monaten vielleicht Dinge erfahren werden, ja vielleicht auch ein Sittenbild zum Vorschein kommen wird in den Zusammenhängen, wo ich Ihnen nur sagen kann, dass vielleicht das, was wir auf den Bändern von Ibiza sehen, diese Dinge, die unter Alkoholeinfluss gesprochen wurden, gegen die Wirklichkeit, die nüchtern ist, verblassen könnten.” Nun, es ist zwar kaum anzunehmen, dass Kickl damit seine eigene Partei gemeint hat, und es ist auch fraglich, ob die Inhalte des Ibiza-Videos, die Kickl indirekt als die Nicht-Wirklichkeit darstellen möchte, verblassen, aber stimmig scheint schon alles zu sein. Ein im Sommer 2017 noch gerade kein Vizekanzler verspricht keineswegs nur im Suff, die Republik für eigene Vorteile verschachern zu wollen. Und jetzt kommt eine anonyme Anzeige von den „Ibiza-Hintermännern“ (Standard) an die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft daher, in der dem mittlerweile tief gefallenen Ex-Parteichef „eine systematische Veruntreuung von Parteigeldern vorgeworfen [wird]. Strache, seine Ehefrau Philippa und ein anderer FPÖ-Politiker sollen über die Partei auch ihre private Lebensführung finanziert haben.“ (derstandard.at, 23.9.19)
Wir erinnern uns in diesem Zusammenhang an eine Rechnung, die der FPÖ-Parlamentsklub angeblich beglichen haben soll. Die stammte, so „News“, von einer Zahlenmystikerin, mit der Strache aber nur befreundet gewesen sein will. Die FPÖ hat dementiert, „News“ behauptete, den Wahrheitsbeweis antreten zu können. Zu einem Prozess ist es unseres Wissens nach nie gekommen, auch nicht zu einem Widerruf von „News“. Daher bleibt der Verdacht, dass Strache äußerst fragwürdige Spesen über den blauen Parlamentsklub abgerechnet hat.
Nun heißt es, Strache habe sich nicht nur eines monatliches Spesenkontos von schlappen 10.000.-, das ihm die FPÖ-Wien gewährt haben soll, bedient, sondern er habe darüber hinaus auch noch für private Zwecke Geld aus der Parteikassa bezogen – es gilt die Unschuldsvermutung!
Wir halten fest: Strache war Klubobmann der FPÖ im Parlament mit einem monatlichen Salär von mehr als 13.000 Euro (brutto, 14x) und einem Spesenkonto des Parlaments, von dem er Auslagen, die im Rahmen seiner parlamentarischen Tätigkeit entstanden sind, abschöpfen konnte. Spesen hat er sich möglicherweise auch über den freiheitlichen Parlamentsklub bezahlen lassen. Und weil das offenbar für jemanden, der, wenn er zack-zack-zack drauf ist, auch noch Oligarchennichten und dergleichen beeindrucken muss, nicht zu reichen scheint, gab’s auch noch ein anständiges Körberlgeld seitens der FPÖ Wien – übrigens bis jetzt, Monate, nachdem Strache nur mehr ein einfaches Parteimitglied ist. Die Wohnungsmiete sei Strache zumindest teilweise bezahlt worden, weil er, so die Partei, „in seinem Anwesen ‚Repräsentationsverpflichtungen nachgegangen’“ sei (derstandard.at, 23.9.19).
Jetzt könnte man meinen, es sei innere Angelegenheit der Partei, was sie wem spendiert. Der Parteienfinanzierungsexperte Hubert Sickinger schreibt dazu: „Offenbar wird in der Anzeige behauptet, dass Strache gegenüber der Partei falsche Angaben über die Verwendung der Mittel gemacht (sprich: private Ausgaben als Repräsentationsausgaben im Interesse der Partei deklariert) habe. Und das wäre dann schon strafbar.”
Die FPÖ Wien und die Bundespartei, berichten die Medien, haben nun eine Sonderprüfung der Buchhaltung veranlasst, was Sickingers Aussage zu bestätigen scheint. Das kann jedoch ebenfalls nur heißen, dass Strache auch über die Bundespartei Spesen bezogen haben wird. Somit stellt sich die Frage, wie es passieren kann, dass eine etwaige missbräuchliche Spesenabrechnung über Jahre hinweg weder in der Wiener Landespartei noch in der Bundespartei aufgefallen ist, zumal, wie der Standard schreibt, es „[i]nnerhalb der freiheitlichen Partei (…) relativ breit bekannt gewesen [sei], dass Strache mit Parteigeldern auch seinen privaten Lebenswandel finanziert. ‚Das war Common Sense und hat nie jemanden gestört’, erzählt ein Freiheitlicher. ‚Die Dimension war aber niemandem klar.’“
Die FPÖ wird daraus, sollten sich die Vorwürfe bestätigen, eine reine Strache-Affäre konstruieren, auch wenn in der Anzeige zusätzlich von anderen FPÖ-Politikern die Rede ist, die angeblich ihren privaten Lebenswandel durch die Partei mitfinanzieren haben lassen. Das würde jedenfalls zum angesprochenen „Common Sense“ der Partei passen, die jene des „kleinen Mannes“ sein will, deren Obere selbst aber eher auf großem Fuß leben. Ein Phänomen, das uns in rechtsextremen und rechtpopulistischen Parteien immer wieder begegnet, dort also „Common Sense“ zu sein scheint. Es ist ein „Sittenbild“, das in aller Regelmäßigkeit – und keineswegs nur im Suff – zum Vorschein kommt. Herbert Kickl sollte sich damit vielleicht einmal genauer beschäftigen.