Die Dringliche Anfrage und die einzelnen Wortmeldungen dazu können im vorläufigen stenografischen Protokoll des Nationalrats über die Sitzung vom 21. November nachgelesen werden. Man kann sich die einzelnen Wortmeldungen aber auch sparen, denn ihr Erkenntnisgewinn ist sehr gering.
Das liegt in erster Linie am Innenminister, der von den an ihn gestellten 68 Fragen gut zwei Drittel nicht beantworten wollte und konnte: Angeblich „aus datenschutzrechtlichen Gründen und aus Gründen der Amtsverschwiegenheit“ wurden die Antworten zu den Fragen 9–18 verweigert. Für die Fragen 20–23 gab Kickl an, dass keine spezifischen Statistiken geführt würden und für die Verweigerung der Antworten zu den Fragen 35–67 machte der Innenminister wieder den Datenschutz und die Amtsverschwiegenheit verantwortlich.
Das ist schon allein deshalb bemerkenswert, weil so der Innenminister auch die Antwort schuldig blieb, ob Thomas C. alias „Baldur Wien“ und sein Neonazi-Kamerad Paul B., der sich bei einem anderen Security-Unternehmen verdingt, über Waffenbesitzkarte, Waffenpass und damit auch Waffen verfügen. Bei Paul B. haben wir ja schon vor Jahren eine gesichtet. Wie viele Rechtsextremisten und Salafisten verfügen über Waffen? Es werden keine Statistiken geführt, daher keine Antworten!
Auch auf die Fragen, ob bestimmte Mitarbeiter freiheitlicher Minister, die vor ihrer Beschäftigung in den Kabinetten in rechtsextremen Zusammenhängen gesichtet wurden, sicherheitsmäßig überprüft wurden, wollte der Innenminister keine Antworten geben. Er versicherte nur, dass von Seiten seines Ressorts routinemäßig eine „Anregung“ an die Ministerien erfolge, solche Sicherheitsüberprüfungen bei MitarbeiterInnen vorzunehmen, die Zugang zu vertraulichen oder geheimen Informationen haben. Ob diese Überprüfungen gemacht wurden? Amtsgeheimnis und Datenschutz!
Auskunftsfreudig, obwohl nicht gefragt, gab sich Kickl hingegen beim Motiv, warum Peter Pilz bzw. die Liste „Jetzt“ diese Dringliche Anfrage stellten:
„Vielleicht glauben Sie ja aber, Herr Abgeordneter Pilz, dass die Bedrohungslage im letzten Jahr eine andere geworden ist, aber auch das ist eine subjektive Wahrnehmung, Herr Abgeordneter Pilz, die Sie vielleicht Ihrem von den revolutionären Marxisten herkommenden weltanschaulichen Hintergrund verdanken.“
Diverse FPÖ-Abgeordnete untermalten ihre Einschätzung zur Dringlichen Anfrage mit Zwischenrufen wie „Sie sind ein Hetzer!“, „Eine Schande für das Parlament“, „Zwanzig Minuten Narrenfreiheit“, „Linksextremistischer Feigling“.
Der FPÖ-Abgeordnete Hans-Jörg Jenewein wurde in seiner Wortmeldung noch untergriffiger und unterstellte Pilz gleich die Kooperation mit der DDR-Stasi:
„Warum sagt er eigentlich nicht, ob es stimmt, was vielerorts gemunkelt wird, dass er mit Stasispitzeln konspiriert hat? Warum sagt er denn das alles eigentlich nicht?“
Was war das Thema der Dringlichen Anfrage? Ach ja, vor allem der Umstand, dass im Parlament ein Neonazi und früheres Mitglied der pennalen Burschenschaft Franko-Cherusker als Security tätig war! Das ist die Burschenschaft, bei der 2010 eine Hausdurchsuchung wegen des Verdachts der Wiederbetätigung stattgefunden hat. Bei der Razzia wurde offensichtlich nichts gefunden, und der FPÖ-Abgeordnete Christian Höbart beweinte in der Folge die angebliche „Kriminalisierung“ der Burschenschaften – aber hat jemand die Rolle des Thomas C. alias „Baldur Wien“ dazu hinterfragt? „Baldur Wien“ war damals noch bei den Franko-Cheruskern und stellte sich spätestens 2016 bei einem Public Viewing als Gefolgsmann von Küssel heraus. „Baldur Wien“ war 2010/2011 aber beileibe nicht der einzige Burschenschafter mit intensiven Kontakten zu Küssel und seiner Alpen-Donau-Neonazitruppe.
Dem Innenminister war es im Rahmen der Dringlichen Anfrage aber ganz wichtig, einen anderen Aspekt von Burschenschaften zu betonen: Im Verfassungsschutzbericht kommen Burschenschaften, „von denen Sie so gerne reden, nur dort vor, wo sie Gegenstand linksextremer Angriffe und linksextremer Agitation sind“.
Das ist es also: Die Burschenschaften sind für Kickl die eigentlichen Opfer. Kickls Behauptung stimmt aber trotzdem nicht. Richtig ist zwar, dass sich im Verfassungsschutzbericht 2017 ein sogenannter Fachbeitrag dem „Wiener Akademikerball“ widmet, der von deutschnationalen Wiener Korporationen jährlich veranstaltet wird, wobei in dem Beitrag zwar die Proteste dagegen, aber der Aufmarsch der zahlreichen prominenten und weniger prominenten Rechtsextremisten und Neonazis am Ball selbst mit keiner Silbe erwähnt werden. Vermutlich ist es Kickl auch entfallen, dass es unter Schwarzblau mit Schüssel und Strasser als Innenminister eine blaue Intervention gegeben hat, wonach Burschenschaften im Verfassungssschutzbericht nichts zu suchen hätten. Sie sind aber trotzdem – zumindest einmal, im Bericht für das Jahr 2014 – sehr pauschal, aber korrekt angeführt worden:
„Seit dem Jahr 2012 versuchen jüngere Neonazis und Personen aus dem studentischen und burschenschaftlichen Milieu, ein aus Frankreich kommendes, im Internet sehr aktives, modernes und von popkulturellen Protestformen geprägtes Ideologiekonzept der ‚Neuen Rechten’ in Österreich zu etablieren.“
Eigentlich begannen die ersten Neuformierungsversuche der früheren Neonazis als „Neue Rechte“ schon mit dem Zerfall und der behördlichen Verfolgung von Küssels Alpen-Donau – und in dieser Zeit war Thomas C. im Umfeld des „Funken“ genauso aktiv wie etliche andere aus dem Burschenschaftermilieu. Dass sich die „Neue Rechte“ 2016 zum Linzer Kongress der „Verteidiger Europas“ dann den damaligen Generalsekretär und späteren Innenminister Kickl als Hauptredner eingeladen hat, kann vielleicht dessen Schamhaftigkeit bei der Beantwortung der Dringlichen erklären.
Warum aber erwähnte nur die Abgeordnete Alma Zadic (Liste „Jetzt“) den bemerkenswerten Umstand, dass das Heeresabwehramt schon 2016 Thomas C. alias „Baldur Wien“ wegen seiner rechtsextremen bzw. neonazistischen Aktivitäten als Angehörigen der Miliz entorderte – und zwar lebenslang? Warum hat dieser Umstand in der Debatte nicht zu weiteren Fragen an Kickl geführt? Da wurde Kickl nicht einmal in die Verlegenheit gebracht, wieder Antworten zu verweigern.