Kickl verweigert Antworten

Lesezeit: 5 Minuten

68 Fra­gen soll­te Innen­mi­nis­ter Kickl am 21. Novem­ber im Natio­nal­rat im Rah­men einer Dring­li­chen Anfra­ge der Lis­te „Jetzt“ mit dem Betreff „ver­läss­li­che“ Neo­na­zis beant­wor­ten. Anlass für die Dring­li­che war die Beschäf­ti­gung des Neo­na­zi Tho­mas C. als Mit­ar­bei­ter eines Secu­ri­ty-Unter­neh­mens im Par­la­ment, im Beson­de­ren beim Unter­su­chungs­aus­schuss zum Bun­des­amt für Verfassungsschutz.

Die Dring­li­che Anfra­ge und die ein­zel­nen Wort­mel­dun­gen dazu kön­nen im vor­läu­fi­gen ste­no­gra­fi­schen Pro­to­koll des Natio­nal­rats über die Sit­zung vom 21. Novem­ber nach­ge­le­sen wer­den. Man kann sich die ein­zel­nen Wort­mel­dun­gen aber auch spa­ren, denn ihr Erkennt­nis­ge­winn ist sehr gering.

Das liegt in ers­ter Linie am Innen­mi­nis­ter, der von den an ihn gestell­ten 68 Fra­gen gut zwei Drit­tel nicht beant­wor­ten woll­te und konn­te: Angeb­lich „aus daten­schutz­recht­li­chen Grün­den und aus Grün­den der Amts­ver­schwie­gen­heit“ wur­den die Ant­wor­ten zu den Fra­gen 9–18 ver­wei­gert. Für die Fra­gen 20–23 gab Kickl an, dass kei­ne spe­zi­fi­schen Sta­tis­ti­ken geführt wür­den und für die Ver­wei­ge­rung der Ant­wor­ten zu den Fra­gen 35–67 mach­te der Innen­mi­nis­ter wie­der den Daten­schutz und die Amts­ver­schwie­gen­heit verantwortlich.

Das ist schon allein des­halb bemer­kens­wert, weil so der Innen­mi­nis­ter auch die Ant­wort schul­dig blieb, ob Tho­mas C. ali­as „Bal­dur Wien“ und sein Neo­na­zi-Kame­rad Paul B., der sich bei einem ande­ren Secu­ri­ty-Unter­neh­men ver­dingt, über Waf­fen­be­sitz­kar­te, Waf­fen­pass und damit auch Waf­fen ver­fü­gen. Bei Paul B. haben wir ja schon vor Jah­ren eine gesich­tet. Wie vie­le Rechts­extre­mis­ten und Sala­fis­ten ver­fü­gen über Waf­fen? Es wer­den kei­ne Sta­tis­ti­ken geführt, daher kei­ne Antworten!

Paul B. (li), Thomas C.-K. (Mitte) beim Neonazi-Kampfsportevent "Kampf der Nibelungen" Ostritz 13.10.18 (© pixelarchiv.org)

Paul B. (li), Tho­mas C. (Mit­te) beim Neo­na­zi-Kampf­sport­event „Kampf der Nibe­lun­gen” Ost­ritz 13.10.18 (© pixelarchiv.org)

Auch auf die Fra­gen, ob bestimm­te Mit­ar­bei­ter frei­heit­li­cher Minis­ter, die vor ihrer Beschäf­ti­gung in den Kabi­net­ten in rechts­extre­men Zusam­men­hän­gen gesich­tet wur­den, sicher­heits­mä­ßig über­prüft wur­den, woll­te der Innen­mi­nis­ter kei­ne Ant­wor­ten geben. Er ver­si­cher­te nur, dass von Sei­ten sei­nes Res­sorts rou­ti­ne­mä­ßig eine „Anre­gung“ an die Minis­te­ri­en erfol­ge, sol­che Sicher­heits­über­prü­fun­gen bei Mit­ar­bei­te­rIn­nen vor­zu­neh­men, die Zugang zu ver­trau­li­chen oder gehei­men Infor­ma­tio­nen haben. Ob die­se Über­prü­fun­gen gemacht wur­den? Amts­ge­heim­nis und Datenschutz!

Aus­kunfts­freu­dig, obwohl nicht gefragt, gab sich Kickl hin­ge­gen beim Motiv, war­um Peter Pilz bzw. die Lis­te „Jetzt“ die­se Dring­li­che Anfra­ge stellten:

Viel­leicht glau­ben Sie ja aber, Herr Abge­ord­ne­ter Pilz, dass die Bedro­hungs­la­ge im letz­ten Jahr eine ande­re gewor­den ist, aber auch das ist eine sub­jek­ti­ve Wahr­neh­mung, Herr Abge­ord­ne­ter Pilz, die Sie viel­leicht Ihrem von den revo­lu­tio­nä­ren Mar­xis­ten her­kom­men­den welt­an­schau­li­chen Hin­ter­grund ver­dan­ken.

Diver­se FPÖ-Abge­ord­ne­te unter­mal­ten ihre Ein­schät­zung zur Dring­li­chen Anfra­ge mit Zwi­schen­ru­fen wie „Sie sind ein Het­zer!“, „Eine Schan­de für das Par­la­ment“, „Zwan­zig Minu­ten Nar­ren­frei­heit“, „Links­extre­mis­ti­scher Feigling“.

Der FPÖ-Abge­ord­ne­te Hans-Jörg Jene­wein wur­de in sei­ner Wort­mel­dung noch unter­grif­fi­ger und unter­stell­te Pilz gleich die Koope­ra­ti­on mit der DDR-Stasi:

War­um sagt er eigent­lich nicht, ob es stimmt, was vie­ler­orts gemun­kelt wird, dass er mit Sta­si­spit­zeln kon­spi­riert hat? War­um sagt er denn das alles eigent­lich nicht?

Was war das The­ma der Dring­li­chen Anfra­ge? Ach ja, vor allem der Umstand, dass im Par­la­ment ein Neo­na­zi und frü­he­res Mit­glied der pen­na­len Bur­schen­schaft Fran­ko-Che­rus­ker als Secu­ri­ty tätig war! Das ist die Bur­schen­schaft, bei der 2010 eine Haus­durch­su­chung wegen des Ver­dachts der Wie­der­be­tä­ti­gung statt­ge­fun­den hat. Bei der Raz­zia wur­de offen­sicht­lich nichts gefun­den, und der FPÖ-Abge­ord­ne­te Chris­ti­an Höbart bewein­te in der Fol­ge die angeb­li­che „Kri­mi­na­li­sie­rung“ der Bur­schen­schaf­ten – aber hat jemand die Rol­le des Tho­mas C. ali­as „Bal­dur Wien“ dazu hin­ter­fragt? „Bal­dur Wien“ war damals noch bei den Fran­ko-Che­rus­kern und stell­te sich spä­tes­tens 2016 bei einem Public Vie­w­ing als Gefolgs­mann von Küs­sel her­aus. „Bal­dur Wien“ war 2010/2011 aber bei­lei­be nicht der ein­zi­ge Bur­schen­schaf­ter mit inten­si­ven Kon­tak­ten zu Küs­sel und sei­ner Alpen-Donau-Neonazitruppe.

Dem Innen­mi­nis­ter war es im Rah­men der Dring­li­chen Anfra­ge aber ganz wich­tig, einen ande­ren Aspekt von Bur­schen­schaf­ten zu beto­nen: Im Ver­fas­sungs­schutz­be­richt kom­men Bur­schen­schaf­ten, „von denen Sie so ger­ne reden, nur dort vor, wo sie Gegen­stand links­extre­mer Angrif­fe und links­extre­mer Agi­ta­ti­on sind“.

Das ist es also: Die Bur­schen­schaf­ten sind für Kickl die eigent­li­chen Opfer. Kick­ls Behaup­tung stimmt aber trotz­dem nicht. Rich­tig ist zwar, dass sich im Ver­fas­sungs­schutz­be­richt 2017 ein soge­nann­ter Fach­bei­trag dem „Wie­ner Aka­de­mi­ker­ball“ wid­met, der von deutsch­na­tio­na­len Wie­ner Kor­po­ra­tio­nen jähr­lich ver­an­stal­tet wird, wobei in dem Bei­trag zwar die Pro­tes­te dage­gen, aber der Auf­marsch der zahl­rei­chen pro­mi­nen­ten und weni­ger pro­mi­nen­ten Rechts­extre­mis­ten und Neo­na­zis am Ball selbst mit kei­ner Sil­be erwähnt wer­den. Ver­mut­lich ist es Kickl auch ent­fal­len, dass es unter Schwarz­blau mit Schüs­sel und Stras­ser als Innen­mi­nis­ter eine blaue Inter­ven­ti­on gege­ben hat, wonach Bur­schen­schaf­ten im Ver­fas­sungs­s­schutz­be­richt nichts zu suchen hät­ten. Sie sind aber trotz­dem – zumin­dest ein­mal, im Bericht für das Jahr 2014 – sehr pau­schal, aber kor­rekt ange­führt worden:

Seit dem Jahr 2012 ver­su­chen jün­ge­re Neo­na­zis und Per­so­nen aus dem stu­den­ti­schen und bur­schen­schaft­li­chen Milieu, ein aus Frank­reich kom­men­des, im Inter­net sehr akti­ves, moder­nes und von pop­kul­tu­rel­len Pro­test­for­men gepräg­tes Ideo­lo­gie­kon­zept der ‚Neu­en Rech­ten’ in Öster­reich zu eta­blie­ren.

Eigent­lich began­nen die ers­ten Neu­for­mie­rungs­ver­su­che der frü­he­ren Neo­na­zis als „Neue Rech­te“ schon mit dem Zer­fall und der behörd­li­chen Ver­fol­gung von Küs­sels Alpen-Donau – und in die­ser Zeit war Tho­mas C. im Umfeld des „Fun­ken“ genau­so aktiv wie etli­che ande­re aus dem Bur­schen­schaf­ter­mi­lieu. Dass sich die „Neue Rech­te“ 2016 zum Lin­zer Kon­gress der „Ver­tei­di­ger Euro­pas“ dann den dama­li­gen Gene­ral­se­kre­tär und spä­te­ren Innen­mi­nis­ter Kickl als Haupt­red­ner ein­ge­la­den hat, kann viel­leicht des­sen Scham­haf­tig­keit bei der Beant­wor­tung der Dring­li­chen erklären.

War­um aber erwähn­te nur die Abge­ord­ne­te Alma Zadic (Lis­te „Jetzt“) den bemer­kens­wer­ten Umstand, dass das Hee­res­ab­wehr­amt schon 2016 Tho­mas C. ali­as „Bal­dur Wien“ wegen sei­ner rechts­extre­men bzw. neo­na­zis­ti­schen Akti­vi­tä­ten als Ange­hö­ri­gen der Miliz entor­der­te – und zwar lebens­lang? War­um hat die­ser Umstand in der Debat­te nicht zu wei­te­ren Fra­gen an Kickl geführt? Da wur­de Kickl nicht ein­mal in die Ver­le­gen­heit gebracht, wie­der Ant­wor­ten zu verweigern.