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Orbán überholt die Rechtsextremen von rechts

In Ungarn ist eine inter­es­san­te, wenn auch sehr uner­freu­li­che Ent­wick­lung zu beob­ach­ten: Wäh­rend sich die Regie­rungs­par­tei Fidesz mit ihrem Chef Vik­tor Orbán immer mehr radi­ka­li­siert und so auch der rechts­extre­men Job­bik das Was­ser abzu­gra­ben ver­sucht, geht ein Teil von Job­bik den umge­kehr­ten Weg, will sich als kon­ser­va­ti­ve „Volks­par­tei“ prä­sen­tie­ren und hat sich über die­se Positionierung […]

3. Aug 2018
Absurdes Propagandavideo von Janos Lazar über Favoriten

Der Ver­such einer Neu­po­si­tio­nie­rung von Job­bik, die in der Ver­gan­gen­heit zwi­schen neo­na­zis­ti­schen und rechts­extre­men Posi­tio­nen oszil­lier­te, geht auf die Ein­schät­zung ihres ehe­ma­li­gen Chefs und Par­tei­grün­ders Gábor Vona zurück, wonach die Par­tei nur durch einen Schwenk weg von offe­nem Ras­sis­mus und Anti­se­mi­tis­mus regie­rungs­fä­hig und als Alter­na­ti­ve zu Fidesz wahr­ge­nom­men wer­den könne.

Pusz­tastran­ger

Vona, der noch vor eini­gen Jah­ren auch als Chef der para­mi­li­tä­risch orga­ni­sier­ten „Unga­ri­schen Gar­de“ fun­gier­te, distan­zier­te sich dafür sogar von den ras­sis­ti­schen und anti­se­mi­ti­schen Aus­fäl­len sei­ner Par­tei in der Ver­gan­gen­heit, was den deutsch­spra­chi­gen ‚Pes­t­er Lloyd‘ Anfang 2017 zu fol­gen­der Ein­schät­zung veranlasste:

Er fraß dafür ton­nen­wei­se Krei­de und zeich­net das Bild Job­biks von einer hei­mat­lie­ben­den Par­tei für die Fami­li­en. Sogar dem imma­nen­ten Anti­se­mi­tis­mus sei­ner Par­tei ver­pass­te der Mit­grün­der der „Unga­ri­schen Gar­de”, Vona, einen Maul­korb und über­brach­te der jüdi­schen Gemein­de war­me Hannuka-Grüße.

Als der unga­ri­sche Kanz­ler­amts­mi­nis­ter János Lázár Anfang März 2018 mit einem het­ze­ri­schen Video gegen den Wie­ner Bezirk Favo­ri­ten rüpel­te, distan­zier­te sich Job­bik bzw. Gábor Vona in einer Pres­se­aus­sendung offi­zi­ell von die­sem „gegen Wien gerichtete(n) Hetz­vi­deo“ und ent­schul­dig­te sich bei den Öster­rei­che­rIn­nen. Die­se Posi­tio­nie­rung von Job­bik ist am Ran­de auch wegen der häu­fig geäu­ßer­ten Vor­lie­ben von Kurz und Stra­che für Orbán durch­aus pikant.

Absur­des Pro­pa­gan­da­vi­deo von Janos Lazar über Favoriten

Fidesz revan­chier­te sich für den Kurs­schwenk von Job­bik mit Gerüch­ten über die angeb­li­che Homo­se­xua­li­tät Vonas, was in dem kon­ser­va­ti­ven Land durch­aus Wahl­ef­fek­te zei­ti­gen kann. Zudem setz­te Orbán auf staat­li­chen Druck, der im Dezem­ber des Vor­jah­res zum Bei­spiel in Form einer vom Rech­nungs­hof ver­häng­ten Straf­zah­lung in der gewal­ti­gen Höhe von fast zwei Mil­lio­nen Euro gegen Job­bik orga­ni­siert wurde.

Auf poli­ti­scher Ebe­ne über­nahm Orbán mit der deut­lich anti­se­mi­ti­schen Anti-Sor­os-Kam­pa­gne ein The­ma von Job­bik und bau­te es in sei­ne ver­schwö­rungs­theo­re­ti­sche (und anti­se­mi­ti­sche) Erzäh­lung von den libe­ra­len Eli­ten Euro­pas, die über Migra­ti­on die euro­päi­schen „Völ­ker“ angeb­lich zer­stö­ren woll­ten, ein. Die­se Erzäh­lung von Orbán grif­fen übri­gens nicht nur Johann Gude­nus auf, der 2010 als Gast beim Wahl­kampf­auf­takt der damals noch deut­lich rechts­extre­men Job­bik beju­belt wur­de, son­dern fast die gesam­te FPÖ-Spitze.

Dem Befund, den Gábor Vona im Dezem­ber 2017 in einem „Presse“-Interview for­mu­lier­te (und aus­zugs­wei­se vom „Stan­dard“ wie­der­ge­ge­ben wur­de), kann man daher weit­ge­hend teilen:

Orbán ist kein Demo­krat. (…) Er unter­gräbt die Pres­se­frei­heit, die Unab­hän­gig­keit staat­li­cher Orga­ne, das Pri­vat­ei­gen­tum und Frei­heit der Unter­neh­men, er atta­ckiert NGOs und die Auto­no­mie der Uni­ver­si­tä­ten. Es gibt kei­ne Macht­ba­lan­ce mehr, kei­nen Gegen­pol, der die Regie­rung ein­schränkt.“ Und wei­ter über das poli­ti­sche Sys­tem Orbáns und sei­ne Agenda:

Es nährt sich davon, mit einem ein­zi­gen poli­ti­schen The­ma, der Migra­ti­on, die Gesell­schaft stän­dig in Angst zu ver­set­zen, so Vona. Die Ungarn sind in einem hys­te­ri­sier­ten Zustand. In dem Moment, wo die Popu­la­ri­tät weg ist, bricht das Sys­tem zusammen.

Die­se Ana­ly­se stammt von einem, der jah­re­lang für die­se Ent­wick­lung mit­ver­ant­wort­lich war, sie auch wesent­lich betrie­ben hat und sich ernüch­tert im Dezem­ber 2017, also nur weni­ge Mona­te vor der Par­la­ments­wahl in Ungarn, als die „letz­te Bas­ti­on der Demo­kra­tie in Ungarn“ zu beschrei­ben ver­such­te. Vonas Ver­such, sei­ne – angeb­li­che oder tat­säch­li­che – Läu­te­rung zur Grund­la­ge eines Koali­ti­ons­an­ge­bots an die ande­ren links­ste­hen­den Par­tei­en zu machen, muss­te so wohl in ers­ter Linie an der Ver­fasst­heit sei­ner eige­nen Par­tei, in der sich nach wie vor jede Men­ge Rechts­extre­me und Neo­na­zis tum­mel­ten, scheitern.

Bei der Par­la­ments­wahl Anfang April 2018 konn­te Orbán tat­säch­lich noch ein­mal zule­gen und mit der knap­pen Mehr­heit von 49,28 Pro­zent eine par­la­men­ta­ri­schen Zweit­drit­tel­mehr­heit errei­chen. Vona, des­sen Job­bik nur rund einen Pro­zent­punkt ver­lor, leg­te noch in der Wahl­nacht Par­tei­vor­sitz und Man­dat zurück. Die Wahl des neu­en Par­tei­vor­sit­zen­den wur­de eine Rich­tungs­ent­schei­dung zwi­schen dem radiak­len László Toro­cz­kai und dem eigent­lich kaum als gemä­ßigt zu beschrei­ben­den Tamas Snei­der, die Snei­der nur knapp für sich ent­schei­den konn­te.

Nur weni­ge Wochen spä­ter erfolg­te der Par­tei­aus­schluss von Toro­cz­kai und eini­gen sei­ner Getreu­en, dem dann am 23. Juni die Grün­dung der neu­en klar rechts­extre­men und ras­sis­ti­schen Par­tei „Unse­re Hei­mat“ folg­te. Par­tei­pro­gramm gibt es noch kei­nes, aber Toro­cz­kai will dafür sor­gen, dass Ungarn eine „wei­ße Insel“ bleibt.

Toroo­cz­kai im BBC ‑Report

Um den Preis der Radi­ka­li­sie­rung sei­ner eige­nen Par­tei ist es Fidesz und Orbán nun auch gelun­gen, die rech­te Oppo­si­ti­on zu spal­ten und deut­lich zu schwä­chen. „Ganz rechts im Par­tei­en­spek­trum sei mitt­ler­wei­le Orbáns Par­tei, die­ser Platz sei bereits besetzt“, ver­sucht ein Job­bik-Abge­ord­ne­ter gegen­über der „Neu­en Zür­cher Zei­tung“ die Chan­cen sei­ner eige­nen Par­tei und die von „Unse­re Hei­mat“ ein­zu­schät­zen. In einer neu­en Umfra­ge ist Job­bik mit 13 Pro­zent sogar hin­ter die Sozi­al­de­mo­kra­ten zurückgefallen.

Orbán unter­des­sen macht mit dem wei­ter, womit er schon bei der Par­la­ments­wahl Erfolg hat­te: mit gna­den­lo­ser Het­ze gegen Migran­tIn­nen und Per­so­nen sowie Ein­rich­tun­gen, die Flücht­lin­ge unter­stüt­zen, mit sei­ner anti­se­mi­ti­schen Anti-Sor­os-Het­ze und gegen die „Eli­ten in Brüs­sel“. Dass die haupt­säch­lich in dem Par­tei­en­ver­bund der Euro­päi­schen Volks­par­tei zuhau­se sind, dem Fidesz nach wie vor ange­hört, stört bis­her weder die­se noch Orbán. „Wir gehen aus der EVP nicht raus, man kann uns höchs­tens raus­ja­gen“, erklär­te er jüngst dazu. Für alle Fäl­le steht aber auch die alte Alli­anz von Rechts­extre­men aus Lega, FPÖ, Ras­sem­blem­ent Natio­nal (Le Pen) und ande­ren für ihn zur Ver­fü­gung oder even­tu­ell eine neue, ange­rei­chert mit dem US-Rechts­extre­men Ste­ve Bannon.

Pusz­tastran­ger ist der Nach­fol­ge­b­log von Pusz­t­ar­an­ger. Aktu­el­le Mel­dun­gen fin­det man auf der Face­book-Sei­te von Pusz­tastran­ger.