Der Versuch einer Neupositionierung von Jobbik, die in der Vergangenheit zwischen neonazistischen und rechtsextremen Positionen oszillierte, geht auf die Einschätzung ihres ehemaligen Chefs und Parteigründers Gábor Vona zurück, wonach die Partei nur durch einen Schwenk weg von offenem Rassismus und Antisemitismus regierungsfähig und als Alternative zu Fidesz wahrgenommen werden könne.
Vona, der noch vor einigen Jahren auch als Chef der paramilitärisch organisierten „Ungarischen Garde“ fungierte, distanzierte sich dafür sogar von den rassistischen und antisemitischen Ausfällen seiner Partei in der Vergangenheit, was den deutschsprachigen ‚Pester Lloyd‘ Anfang 2017 zu folgender Einschätzung veranlasste:
Er fraß dafür tonnenweise Kreide und zeichnet das Bild Jobbiks von einer heimatliebenden Partei für die Familien. Sogar dem immanenten Antisemitismus seiner Partei verpasste der Mitgründer der „Ungarischen Garde”, Vona, einen Maulkorb und überbrachte der jüdischen Gemeinde warme Hannuka-Grüße.
Als der ungarische Kanzleramtsminister János Lázár Anfang März 2018 mit einem hetzerischen Video gegen den Wiener Bezirk Favoriten rüpelte, distanzierte sich Jobbik bzw. Gábor Vona in einer Presseaussendung offiziell von diesem „gegen Wien gerichtete(n) Hetzvideo“ und entschuldigte sich bei den ÖsterreicherInnen. Diese Positionierung von Jobbik ist am Rande auch wegen der häufig geäußerten Vorlieben von Kurz und Strache für Orbán durchaus pikant.
Fidesz revanchierte sich für den Kursschwenk von Jobbik mit Gerüchten über die angebliche Homosexualität Vonas, was in dem konservativen Land durchaus Wahleffekte zeitigen kann. Zudem setzte Orbán auf staatlichen Druck, der im Dezember des Vorjahres zum Beispiel in Form einer vom Rechnungshof verhängten Strafzahlung in der gewaltigen Höhe von fast zwei Millionen Euro gegen Jobbik organisiert wurde.
Auf politischer Ebene übernahm Orbán mit der deutlich antisemitischen Anti-Soros-Kampagne ein Thema von Jobbik und baute es in seine verschwörungstheoretische (und antisemitische) Erzählung von den liberalen Eliten Europas, die über Migration die europäischen „Völker“ angeblich zerstören wollten, ein. Diese Erzählung von Orbán griffen übrigens nicht nur Johann Gudenus auf, der 2010 als Gast beim Wahlkampfauftakt der damals noch deutlich rechtsextremen Jobbik bejubelt wurde, sondern fast die gesamte FPÖ-Spitze.
Dem Befund, den Gábor Vona im Dezember 2017 in einem „Presse“-Interview formulierte (und auszugsweise vom „Standard“ wiedergegeben wurde), kann man daher weitgehend teilen:
Orbán ist kein Demokrat. (…) Er untergräbt die Pressefreiheit, die Unabhängigkeit staatlicher Organe, das Privateigentum und Freiheit der Unternehmen, er attackiert NGOs und die Autonomie der Universitäten. Es gibt keine Machtbalance mehr, keinen Gegenpol, der die Regierung einschränkt.“ Und weiter über das politische System Orbáns und seine Agenda:
„Es nährt sich davon, mit einem einzigen politischen Thema, der Migration, die Gesellschaft ständig in Angst zu versetzen“, so Vona. „Die Ungarn sind in einem hysterisierten Zustand. In dem Moment, wo die Popularität weg ist, bricht das System zusammen.
Diese Analyse stammt von einem, der jahrelang für diese Entwicklung mitverantwortlich war, sie auch wesentlich betrieben hat und sich ernüchtert im Dezember 2017, also nur wenige Monate vor der Parlamentswahl in Ungarn, als die „letzte Bastion der Demokratie in Ungarn“ zu beschreiben versuchte. Vonas Versuch, seine – angebliche oder tatsächliche – Läuterung zur Grundlage eines Koalitionsangebots an die anderen linksstehenden Parteien zu machen, musste so wohl in erster Linie an der Verfasstheit seiner eigenen Partei, in der sich nach wie vor jede Menge Rechtsextreme und Neonazis tummelten, scheitern.
Bei der Parlamentswahl Anfang April 2018 konnte Orbán tatsächlich noch einmal zulegen und mit der knappen Mehrheit von 49,28 Prozent eine parlamentarischen Zweitdrittelmehrheit erreichen. Vona, dessen Jobbik nur rund einen Prozentpunkt verlor, legte noch in der Wahlnacht Parteivorsitz und Mandat zurück. Die Wahl des neuen Parteivorsitzenden wurde eine Richtungsentscheidung zwischen dem radiaklen László Toroczkai und dem eigentlich kaum als gemäßigt zu beschreibenden Tamas Sneider, die Sneider nur knapp für sich entscheiden konnte.
Nur wenige Wochen später erfolgte der Parteiausschluss von Toroczkai und einigen seiner Getreuen, dem dann am 23. Juni die Gründung der neuen klar rechtsextremen und rassistischen Partei „Unsere Heimat“ folgte. Parteiprogramm gibt es noch keines, aber Toroczkai will dafür sorgen, dass Ungarn eine „weiße Insel“ bleibt.
Um den Preis der Radikalisierung seiner eigenen Partei ist es Fidesz und Orbán nun auch gelungen, die rechte Opposition zu spalten und deutlich zu schwächen. „Ganz rechts im Parteienspektrum sei mittlerweile Orbáns Partei, dieser Platz sei bereits besetzt“, versucht ein Jobbik-Abgeordneter gegenüber der „Neuen Zürcher Zeitung“ die Chancen seiner eigenen Partei und die von „Unsere Heimat“ einzuschätzen. In einer neuen Umfrage ist Jobbik mit 13 Prozent sogar hinter die Sozialdemokraten zurückgefallen.
Orbán unterdessen macht mit dem weiter, womit er schon bei der Parlamentswahl Erfolg hatte: mit gnadenloser Hetze gegen MigrantInnen und Personen sowie Einrichtungen, die Flüchtlinge unterstützen, mit seiner antisemitischen Anti-Soros-Hetze und gegen die „Eliten in Brüssel“. Dass die hauptsächlich in dem Parteienverbund der Europäischen Volkspartei zuhause sind, dem Fidesz nach wie vor angehört, stört bisher weder diese noch Orbán. „Wir gehen aus der EVP nicht raus, man kann uns höchstens rausjagen“, erklärte er jüngst dazu. Für alle Fälle steht aber auch die alte Allianz von Rechtsextremen aus Lega, FPÖ, Rassemblement National (Le Pen) und anderen für ihn zur Verfügung oder eventuell eine neue, angereichert mit dem US-Rechtsextremen Steve Bannon.
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