Zum an sich wenig überraschenden Ausgang des Prozesses gegen die 17 in Graz angeklagten identitären Kader und AktivistInnen in Graz wurde in ersten Kommentaren alles Wichtige gesagt: Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) verweist in seiner Stellungnahme nicht nur auf den Verhetzungsparagrafen, nach dem seit seiner Novellierung 2015 der Vorsatz der Verhetzung nachzuweisen ist und es nicht mehr reicht, bestimmte Äußerungen als verhetzerisch zu qualifizieren, sondern auch darauf, dass das Urteil keinerlei Einfluss auf die Einordnung der Identitären als rechtsextrem nimmt:
Losgelöst vom konkreten Anlassfall ist einmal mehr zu unterstreichen, dass Rechtsextremismus in Österreich nur in seiner neonazistischen Variante (Verbotsgesetz) verboten ist – sowie in jenen Äußerungsformen, die Verhetzung im Sinne des Gesetzestextes verwirklichen. Die von der IBÖ vorgenommene rhetorische Modernisierung des altrechten Projekts einer ethnischen Homogenisierung hat den Rechtsextremismus ein Stück weit gegen juristische Verfolgung immunisiert, wie das vorliegende Urteil dokumentiert. Gleichzeitig ist festzuhalten, dass angesichts der erwähnten Rechtslage ein Freispruch vom Vorwurf der Wiederbetätigung oder der Verhetzung nicht als verlässlicher Nachweis einer nicht-rechtsextremen Ausrichtung dienen kann.
Walter Müller geht im Standard auf die Urteilsbegründung ein und bezeichnet diese als „Freibrief für Rechtsextreme“.
Der Richter war der Meinung, all die fremden- und islamfeindlichen, laut Anklage hetzerischen Aktionen der Identitären seien im Grund legitim, die Parolen vielleicht zugespitzt, aber nicht strafbar. Ein ähnlich radikales Wording – ‚Stopp dem Asylwahnsinn’ etwa – werde ja auch von Regierungsparteien verwendet. Und der Anwalt der Angeklagten meinte kühl, dass er zwischen den Aussagen von Bundeskanzler Sebastian Kurz und seinem FPÖ-Vize Heinz-Christian Strache sowie jenen der Identitären partout keinen Unterschied erkennen könne. Auch die offizielle Politik agitiere gegen den politischen Islam und die Migration.
Da ist sowohl dem Richter als auch dem Anwalt recht zu geben, wiewohl bei den Identitären hinzukommt, dass deren Vereinigung bewusst zum Zweck der Hetze und eines dafür dienenden Aktionismus als vorrangiges Ziel gegründet wurde. Dass die Beweismittel für eine Verurteilung nicht reichten, mag verwundern, und die Justiz muss sich die Frage gefallen lassen, warum es denn dann überhaupt zu dieser Anklage gekommen ist, wenn diese mit dem pauschalen Freispruch in den Hauptanklagepunkten so fulminant scheiterte und dadurch den Identitären zu einem PR-Coup verholfen wurde, denn das Justizministerium kann eine Anklage per Weisung verhindern, wenn eine Verurteilung als unwahrscheinlich erscheint. Ob das nun durch die volle Berufung, die die Staatsanwaltschaft eingelegt hat, korrigiert werden kann oder bei einem eventuellen neuerlichen Freispruch oder durch die Ablehnung der Berufung noch verstärkt wird, bleibt abzuwarten.
Ein Aspekt zu den Angeklagten wäre noch hinzuzufügen: Es waren 16 Männer vor Gericht und eine 17-jährige Frau aus der Weststeiermark, die angab, mehr oder weniger hineingeraten zu sein. Als Lehrling steht sie nach dem Abbruch einer Schule als einzige unter den Angeklagten in einem geregelten Fulltime-Job. Wie aus den Befragungen vor Gericht hervorgeht, sind mindestens drei der Angeklagten arbeitslos, mindestens vier haben kein Einkommen und leben teilweise (?) vom Geld der Eltern, zwei haben höhere Schulden, einer bezieht ein staatliches Stipendium und einer absolviert gerade seinen Grundwehrdienst. Insgesamt stellt sich also die ökonomische Situation der „besorgten Normalbürger“ als ziemlich desolat dar. Würde es sich hierbei um eine Gruppe von Zugewanderten oder Asylberechtigten handeln, wäre der Aufschrei groß und die Bezeichnung „Sozialschmarotzer“ eine von mehreren Titulierungen dieser Art.
Da nimmt sich Martin Sellner fast als Großverdiener unter seinen Kameraden aus: Laut Eigenangabe bezieht er um die 1.000.- Monatsverdienst aus selbständiger Tätigkeit. Das Finanzgebaren der Identitären wird aber zumindest bei Martin Sellner und Patrick Lenart noch eine gewichtige Rolle spielen:
Im Prozess kam auch die Sprache auf die finanziellen Mittel der ‚Identitären’: 704.000 Euro sollen sie von 2012 bis 2017 eingenommen haben, eingerechnet sind die Einnahmen des Onlineshops der ‚PHXE Creatives OG’. Von 13.400 Euro im Jahr 2014 hätten sich die Einnahmen auf 471.000 Euro im Jahr 2017 erhöht — verteilt waren die Gelder auf über 30 Konten, bis die Banken diese aufkündigten. Inwieweit die Geldflüsse legal sind, ist Gegenstand weiterer Ermittlungstätigkeit und an anderer Stelle zu klären, so das Schlusswort des Richters.
Wir danken dem Kollektiv von prozess.report für die Begleitung des Prozesses und die Übermittlung von Informationen.