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Identitären-Prozess in Graz: ein Resümee zum Ausgang der ersten Runde

Die Quint­essenz zum vor­läu­fi­gen Aus­gang des Pro­zes­ses ist schnell her­aus­ge­fil­tert: Wür­de man die Iden­ti­tä­ren für deren Hetz­pa­ro­len bestra­fen, dann müss­te man es auch bei den Regie­rungs­par­tei­en tun – so zumin­dest sinn­ge­mäß der Rich­ter. Rechts­extre­mis­mus mit einer neo­fa­schis­ti­schen Aus­prä­gung ist nicht straf­bar, das wur­de nun auch per Gerichts­ur­teil fest­ge­hal­ten. Ob die Beru­fung durch die Staats­an­walt­schaft gegen […]

27. Jul 2018
Martin Sellner & Co., im Hintergrund Felix Budin

Mar­tin Sell­ner & Co., im Hin­ter­grund Felix Budin. © Stoppt die Rechten
© Stoppt die Rechten

Zum an sich wenig über­ra­schen­den Aus­gang des Pro­zes­ses gegen die 17 in Graz ange­klag­ten iden­ti­tä­ren Kader und Akti­vis­tIn­nen in Graz wur­de in ers­ten Kom­men­ta­ren alles Wich­ti­ge gesagt: Das Doku­men­ta­ti­ons­ar­chiv des öster­rei­chi­schen Wider­stands (DÖW) ver­weist in sei­ner Stel­lung­nah­me nicht nur auf den Ver­het­zungs­pa­ra­gra­fen, nach dem seit sei­ner Novel­lie­rung 2015 der Vor­satz der Ver­het­zung nach­zu­wei­sen ist und es nicht mehr reicht, bestimm­te Äuße­run­gen als ver­het­ze­risch zu qua­li­fi­zie­ren, son­dern auch dar­auf, dass das Urteil kei­ner­lei Ein­fluss auf die Ein­ord­nung der Iden­ti­tä­ren als rechts­extrem nimmt:

Los­ge­löst vom kon­kre­ten Anlass­fall ist ein­mal mehr zu unter­strei­chen, dass Rechts­extre­mis­mus in Öster­reich nur in sei­ner neo­na­zis­ti­schen Vari­an­te (Ver­bots­ge­setz) ver­bo­ten ist – sowie in jenen Äuße­rungs­for­men, die Ver­het­zung im Sin­ne des Geset­zes­tex­tes ver­wirk­li­chen. Die von der IBÖ vor­ge­nom­me­ne rhe­to­ri­sche Moder­ni­sie­rung des alt­rech­ten Pro­jekts einer eth­ni­schen Homo­ge­ni­sie­rung hat den Rechts­extre­mis­mus ein Stück weit gegen juris­ti­sche Ver­fol­gung immu­ni­siert, wie das vor­lie­gen­de Urteil doku­men­tiert. Gleich­zei­tig ist fest­zu­hal­ten, dass ange­sichts der erwähn­ten Rechts­la­ge ein Frei­spruch vom Vor­wurf der Wie­der­be­tä­ti­gung oder der Ver­het­zung nicht als ver­läss­li­cher Nach­weis einer nicht-rechts­extre­men Aus­rich­tung die­nen kann.

Richard Pfingstl und Felix Budin in der Schlan­ge der Iden­ti­tä­ren.  © Stoppt die Rechten

Wal­ter Mül­ler geht im Stan­dard auf die Urteils­be­grün­dung ein und bezeich­net die­se als „Frei­brief für Rechtsextreme“.

Der Rich­ter war der Mei­nung, all die frem­den- und islam­feind­li­chen, laut Ankla­ge het­ze­ri­schen Aktio­nen der Iden­ti­tä­ren sei­en im Grund legi­tim, die Paro­len viel­leicht zuge­spitzt, aber nicht straf­bar. Ein ähn­lich radi­ka­les Wor­ding – ‚Stopp dem Asyl­wahn­sinn’ etwa – wer­de ja auch von Regie­rungs­par­tei­en ver­wen­det. Und der Anwalt der Ange­klag­ten mein­te kühl, dass er zwi­schen den Aus­sa­gen von Bun­des­kanz­ler Sebas­ti­an Kurz und sei­nem FPÖ-Vize Heinz-Chris­ti­an Stra­che sowie jenen der Iden­ti­tä­ren par­tout kei­nen Unter­schied erken­nen kön­ne. Auch die offi­zi­el­le Poli­tik agi­tie­re gegen den poli­ti­schen Islam und die Migration.

Richard Pfingstl, Franz Radl und Felix Budin. © Stoppt die Rechten
Kon­ti­nui­tät seit 2008: Mar­tin Sell­ner, 4. von links, kommt gemein­sam mit Felix Budin, 2. v.l. hin­ter Sell­ner, (und Gott­fried Küs­sel) zum Geden­ken an den Natio­nal­so­zia­lis­ten Wal­ter Nowot­ny. Wien, 9. Novem­ber 2008. Sie­he kuesselskameraden.blogsport.eu

Da ist sowohl dem Rich­ter als auch dem Anwalt recht zu geben, wie­wohl bei den Iden­ti­tä­ren hin­zu­kommt, dass deren Ver­ei­ni­gung bewusst zum Zweck der Het­ze und eines dafür die­nen­den Aktio­nis­mus als vor­ran­gi­ges Ziel gegrün­det wur­de. Dass die Beweis­mit­tel für eine Ver­ur­tei­lung nicht reich­ten, mag ver­wun­dern, und die Jus­tiz muss sich die Fra­ge gefal­len las­sen, war­um es denn dann über­haupt zu die­ser Ankla­ge gekom­men ist, wenn die­se mit dem pau­scha­len Frei­spruch in den Haupt­an­kla­ge­punk­ten so ful­mi­nant schei­ter­te und dadurch den Iden­ti­tä­ren zu einem PR-Coup ver­hol­fen wur­de, denn das Jus­tiz­mi­nis­te­ri­um kann eine Ankla­ge per Wei­sung ver­hin­dern, wenn eine Ver­ur­tei­lung als unwahr­schein­lich erscheint. Ob das nun durch die vol­le Beru­fung, die die Staats­an­walt­schaft ein­ge­legt hat, kor­ri­giert wer­den kann oder bei einem even­tu­el­len neu­er­li­chen Frei­spruch oder durch die Ableh­nung der Beru­fung noch ver­stärkt wird, bleibt abzuwarten.

Ein Aspekt zu den Ange­klag­ten wäre noch hin­zu­zu­fü­gen: Es waren 16 Män­ner vor Gericht und eine 17-jäh­ri­ge Frau aus der West­stei­er­mark, die angab, mehr oder weni­ger hin­ein­ge­ra­ten zu sein. Als Lehr­ling steht sie nach dem Abbruch einer Schu­le als ein­zi­ge unter den Ange­klag­ten in einem gere­gel­ten Full­time-Job. Wie aus den Befra­gun­gen vor Gericht her­vor­geht, sind min­des­tens drei der Ange­klag­ten arbeits­los, min­des­tens vier haben kein Ein­kom­men und leben teil­wei­se (?) vom Geld der Eltern, zwei haben höhe­re Schul­den, einer bezieht ein staat­li­ches Sti­pen­di­um und einer absol­viert gera­de sei­nen Grund­wehr­dienst. Ins­ge­samt stellt sich also die öko­no­mi­sche Situa­ti­on der „besorg­ten Nor­mal­bür­ger“ als ziem­lich deso­lat dar. Wür­de es sich hier­bei um eine Grup­pe von Zuge­wan­der­ten oder Asyl­be­rech­tig­ten han­deln, wäre der Auf­schrei groß und die Bezeich­nung „Sozi­al­schma­rot­zer“ eine von meh­re­ren Titu­lie­run­gen die­ser Art.

© Stoppt die Rechten

Da nimmt sich Mar­tin Sell­ner fast als Groß­ver­die­ner unter sei­nen Kame­ra­den aus: Laut Eigen­an­ga­be bezieht er um die 1.000.- Monats­ver­dienst aus selb­stän­di­ger Tätig­keit. Das Finanz­ge­ba­ren der Iden­ti­tä­ren wird aber zumin­dest bei Mar­tin Sell­ner und Patrick Len­art noch eine gewich­ti­ge Rol­le spielen:

Im Pro­zess kam auch die Spra­che auf die finan­zi­el­len Mit­tel der ‚Iden­ti­tä­ren’: 704.000 Euro sol­len sie von 2012 bis 2017 ein­ge­nom­men haben, ein­ge­rech­net sind die Ein­nah­men des Online­shops der ‚PHXE Crea­ti­ves OG’. Von 13.400 Euro im Jahr 2014 hät­ten sich die Ein­nah­men auf 471.000 Euro im Jahr 2017 erhöht — ver­teilt waren die Gel­der auf über 30 Kon­ten, bis die Ban­ken die­se auf­kün­dig­ten. Inwie­weit die Geld­flüs­se legal sind, ist Gegen­stand wei­te­rer Ermitt­lungs­tä­tig­keit und an ande­rer Stel­le zu klä­ren, so das Schluss­wort des Richters.

Wir dan­ken dem Kol­lek­tiv von prozess.report für die Beglei­tung des Pro­zes­ses und die Über­mitt­lung von Informationen.

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