Identitären-Prozess in Graz: ein Resümee zum Ausgang der ersten Runde

Die Quin­tes­senz zum vor­läu­fi­gen Aus­gang des Prozess­es ist schnell her­aus­ge­filtert: Würde man die Iden­titären für deren Het­z­parolen bestrafen, dann müsste man es auch bei den Regierungsparteien tun – so zumin­d­est sin­ngemäß der Richter. Recht­sex­trem­is­mus mit ein­er neo­faschis­tis­chen Aus­prä­gung ist nicht straf­bar, das wurde nun auch per Gericht­surteil fest­ge­hal­ten. Ob die Beru­fung durch die Staat­san­waltschaft gegen den erstin­stan­zlichen Freis­pruch in den zwei zen­tralen Anklagepunk­ten (Bil­dung ein­er krim­inellen Organ­i­sa­tion und Ver­het­zung), der „im Zweifel für die Angeklagten“ erfol­gte, zu einem anderen Ergeb­nis kommt, bleibt abzuwarten. Ein Nebe­naspekt: Wer über die Angeklagten böse urteilen wollte, kön­nte die iden­titären Her­ren zu einem ganz großen Teil als „Sozialschmarotzer“ beze­ich­nen – zumin­d­est in der Dik­tion von Rechtsextremen.

Mar­tin Sell­ner & Co., im Hin­ter­grund Felix Budin. © Stoppt die Rechten

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Zum an sich wenig über­raschen­den Aus­gang des Prozess­es gegen die 17 in Graz angeklagten iden­titären Kad­er und AktivistIn­nen in Graz wurde in ersten Kom­mentaren alles Wichtige gesagt: Das Doku­men­ta­tion­sarchiv des öster­re­ichis­chen Wider­stands (DÖW) ver­weist in sein­er Stel­lung­nahme nicht nur auf den Ver­het­zungspara­grafen, nach dem seit sein­er Nov­el­lierung 2015 der Vor­satz der Ver­het­zung nachzuweisen ist und es nicht mehr reicht, bes­timmte Äußerun­gen als ver­het­zerisch zu qual­i­fizieren, son­dern auch darauf, dass das Urteil kein­er­lei Ein­fluss auf die Einord­nung der Iden­titären als recht­sex­trem nimmt:

Los­gelöst vom konkreten Anlass­fall ist ein­mal mehr zu unter­stre­ichen, dass Recht­sex­trem­is­mus in Öster­re­ich nur in sein­er neon­azis­tis­chen Vari­ante (Ver­bots­ge­setz) ver­boten ist – sowie in jenen Äußerungs­for­men, die Ver­het­zung im Sinne des Geset­zes­textes ver­wirk­lichen. Die von der IBÖ vorgenommene rhetorische Mod­ernisierung des altrecht­en Pro­jek­ts ein­er eth­nis­chen Homogenisierung hat den Recht­sex­trem­is­mus ein Stück weit gegen juris­tis­che Ver­fol­gung immu­nisiert, wie das vor­liegende Urteil doku­men­tiert. Gle­ichzeit­ig ist festzuhal­ten, dass angesichts der erwäh­n­ten Recht­slage ein Freis­pruch vom Vor­wurf der Wieder­betä­ti­gung oder der Ver­het­zung nicht als ver­lässlich­er Nach­weis ein­er nicht-recht­sex­tremen Aus­rich­tung dienen kann.

Richard Pfin­gstl und Felix Budin in der Schlange der Iden­titären.  © Stoppt die Rechten

Wal­ter Müller geht im Stan­dard auf die Urteils­be­grün­dung ein und beze­ich­net diese als „Freib­rief für Rechtsextreme“.

Der Richter war der Mei­n­ung, all die frem­den- und islam­feindlichen, laut Anklage het­zerischen Aktio­nen der Iden­titären seien im Grund legit­im, die Parolen vielle­icht zuge­spitzt, aber nicht straf­bar. Ein ähn­lich radikales Word­ing – ‚Stopp dem Asyl­wahnsinn’ etwa – werde ja auch von Regierungsparteien ver­wen­det. Und der Anwalt der Angeklagten meinte kühl, dass er zwis­chen den Aus­sagen von Bun­deskan­zler Sebas­t­ian Kurz und seinem FPÖ-Vize Heinz-Chris­t­ian Stra­che sowie jenen der Iden­titären partout keinen Unter­schied erken­nen könne. Auch die offizielle Poli­tik agi­tiere gegen den poli­tis­chen Islam und die Migration.

Richard Pfin­gstl, Franz Radl und Felix Budin. © Stoppt die Rechten

Kon­ti­nu­ität seit 2008: Mar­tin Sell­ner, 4. von links, kommt gemein­sam mit Felix Budin, 2. v.l. hin­ter Sell­ner, (und Got­tfried Küs­sel) zum Gedenken an den Nation­al­sozial­is­ten Wal­ter Nowot­ny. Wien, 9. Novem­ber 2008. Siehe kuesselskameraden.blogsport.eu

Da ist sowohl dem Richter als auch dem Anwalt recht zu geben, wiewohl bei den Iden­titären hinzukommt, dass deren Vere­ini­gung bewusst zum Zweck der Het­ze und eines dafür dienen­den Aktion­is­mus als vor­rangiges Ziel gegrün­det wurde. Dass die Beweis­mit­tel für eine Verurteilung nicht reicht­en, mag ver­wun­dern, und die Jus­tiz muss sich die Frage gefall­en lassen, warum es denn dann über­haupt zu dieser Anklage gekom­men ist, wenn diese mit dem pauschalen Freis­pruch in den Haup­tan­klagepunk­ten so ful­mi­nant scheit­erte und dadurch den Iden­titären zu einem PR-Coup ver­holfen wurde, denn das Jus­tizmin­is­teri­um kann eine Anklage per Weisung ver­hin­dern, wenn eine Verurteilung als unwahrschein­lich erscheint. Ob das nun durch die volle Beru­fung, die die Staat­san­waltschaft ein­gelegt hat, kor­rigiert wer­den kann oder bei einem eventuellen neuer­lichen Freis­pruch oder durch die Ablehnung der Beru­fung noch ver­stärkt wird, bleibt abzuwarten.

Ein Aspekt zu den Angeklagten wäre noch hinzuzufü­gen: Es waren 16 Män­ner vor Gericht und eine 17-jährige Frau aus der West­steier­mark, die angab, mehr oder weniger hineinger­at­en zu sein. Als Lehrling ste­ht sie nach dem Abbruch ein­er Schule als einzige unter den Angeklagten in einem geregel­ten Full­time-Job. Wie aus den Befra­gun­gen vor Gericht her­vorge­ht, sind min­destens drei der Angeklagten arbeit­s­los, min­destens vier haben kein Einkom­men und leben teil­weise (?) vom Geld der Eltern, zwei haben höhere Schulden, ein­er bezieht ein staatlich­es Stipendi­um und ein­er absolviert ger­ade seinen Grundwehr­di­enst. Ins­ge­samt stellt sich also die ökonomis­che Sit­u­a­tion der „besorgten Nor­mal­bürg­er“ als ziem­lich des­o­lat dar. Würde es sich hier­bei um eine Gruppe von Zuge­wan­derten oder Asyl­berechtigten han­deln, wäre der Auf­schrei groß und die Beze­ich­nung „Sozialschmarotzer“ eine von mehreren Tit­ulierun­gen dieser Art.

© Stoppt die Rechten

Da nimmt sich Mar­tin Sell­ner fast als Großver­di­ener unter seinen Kam­er­aden aus: Laut Eige­nangabe bezieht er um die 1.000.- Monatsver­di­enst aus selb­ständi­ger Tätigkeit. Das Finanzge­baren der Iden­titären wird aber zumin­d­est bei Mar­tin Sell­ner und Patrick Lenart noch eine gewichtige Rolle spielen:

Im Prozess kam auch die Sprache auf die finanziellen Mit­tel der ‚Iden­titären’: 704.000 Euro sollen sie von 2012 bis 2017 ein­genom­men haben, ein­gerech­net sind die Ein­nah­men des Onli­neshops der ‚PHXE Cre­atives OG’. Von 13.400 Euro im Jahr 2014 hät­ten sich die Ein­nah­men auf 471.000 Euro im Jahr 2017 erhöht — verteilt waren die Gelder auf über 30 Kon­ten, bis die Banken diese aufkündigten. Inwieweit die Geld­flüsse legal sind, ist Gegen­stand weit­er­er Ermit­tlungstätigkeit und an ander­er Stelle zu klären, so das Schluss­wort des Richters.

Wir danken dem Kollek­tiv von prozess.report für die Begleitung des Prozess­es und die Über­mit­tlung von Informationen.