Schwerpunkt Antisemitismus
Der kürzlich von Stephan Grigat herausgegebene Sammelband geht auf eine Tagung zurück, die das Moses Mendelsohn-Zentrums für europäisch-jüdische Studien gemeinsam mit dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstand (DÖW) im Juli 2016 in Potsdam unter dem Titel „AfD und FPÖ. Ein Vergleich“ abgehalten hat. War im Titel der Konferenz noch von einem Vergleich die Rede, ging Grigat für den Untertitel des Bandes dazu über, die Ideologien „Antisemitismus, völkischer Nationalismus und Geschlechterbilder“ der beiden Parteien hervorzuheben. Tatsächlich werden in den insgesamt zehn Beiträgen, von denen sich vier der AfD und drei der FPÖ widmen, bedauernswerterweise kaum vergleichende Perspektiven vertieft.
Im Zentrum der einzelnen Beiträge stehen vor allem die Ideologie der jeweiligen Partei, die dahinter stehenden Gesellschaftsentwürfe sowie auch deren politische Praxen. Die Besonderheit des, in der Reihe Interdisziplinäre Antisemitismusforschung erschienen, Bands ergibt sich jedoch vor allem durch den Umstand, dass die einzelnen Analysen vor dem Hintergrund der gemeinsamen Geschichte des Nationalsozialismus und dessen Nachwirken in den postnazistischen Gesellschaften sowie damit verbundener vergangenheitspolitischer Perspektiven vollzogen werden. In den Fokus werden auch die (veränderten) Positionen der beiden Parteien zu Antisemitismus und Israel gerückt, da bei der AfD und seit einigen Jahren auch bei der FPÖ ein proisraelischer Kurs als Parteilinie ebenso wie eine anti-antisemitische Haltung anzutreffen sind.
Äußerst differenziert und präzise arbeiten beispielsweise Marc Grimm und Bodo Kahmann das durchwegs von Widersprüchen geprägte, instrumentelle Verhältnis der AfD zu Israel heraus und stellen dabei fest, dass sich die AfD gut darauf verstünde, „die Antisemitismus-Kritik gegen ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht und eine moderne Einwanderungspolitik auszuspielen“. Samuel Salzborn wiederum nimmt diverse Äußerungen des Fraktionsvorsitzenden und aktuellen Spitzenkandidaten der AfD, Alexander Gauland, zum Ausgangspunkt um dem Opfermythos in der Partei auf den Grund zu gehen und Christoph Kopke und Alexander Lorenz zeichnen anhand der AfD in Brandenburg unter Gaulands Führung ihre Radikalisierung(stendenz) seit 2014 nach.
Fehlende Rassismuskritik
Während Bernhard Weidinger in seinem Beitrag die Bedeutung deutschnationaler Burschenschafter in der FPÖ hervorhebt, widmet sich sein Kollege Heribert Schiedel dem rechtsextremen Charakter der FPÖ unter besonderer Berücksichtigung ihres Verhältnises zum Antisemitismus. Dabei argumentiert er auch gegen die verbreitete Annahme, „die Freiheitlichen hätten das Feindbild ‚Jude‘ durch das Feindbild ‚Moslem‘ ersetzt“ indem er die Unterschiede von Antisemitismus und Rassismus prägnant und deutlich herausarbeitet. Mit der Klarheit seiner Erklärungen von Rassismus scheint er jedoch im Sammelband über weite Strecken alleine zu bleiben, da zahlreiche andere Autor_innen entsprechende Theorien und Abgrenzungen schuldig bleiben, Rassismus gänzlich aus ihrer Analyse ausgespart oder antiquierte bzw. schlichtweg falsche Begriffe wie „Muslimfeindschaft“ oder „Fremdenfeindlichkeit“ (1) verwenden. So nahm beispielsweise auch Grigat selbst, trotz der bereits auf der Konferenz geübten Kritik, dass der Begriff ‚Fremdenfeindlichkeit‘ längst überholt und zudem irreführend sei, auch in der Publikation nicht davon Abstand, damit zu arbeiten. Auch am „Islamophobiebegriff“ kritisiert er nicht etwa die pathologische Komponente, die irrationale Ängste suggeriert, Rassismus ebenso wie Kritik am Islam zu einem Krankheitsbild verkommen lässt und gleichzeitig verschweigt, welche psychischen Bedürfnisse Rassismus bei Rassist_innen befriedigt.
Problematisch sieht er ausschließlich „die ihm inhärente Parallelisierung einer ressentimenthaft begründeten Ablehnung eines Islams oder eines Hasses auf in Europa lebende Muslime mit dem seit über 2000 Jahren existierenden, als allumfassende Welterklärung auftretenden und in der Shoah kulminierenden Antisemitismus.“ So erweckt sich der Eindruck, dass der Herausgeber zwar große Expertise im Bereich der Antisemitismusforschung aufweist, seine Kenntnisse der Rassismus- ebenso auch wie Rechtsextremismusforschung durchaus ausbaufähig wären. Entsprechend wirkt auch die ständige parallele Nennung der Begriffe Rechtsextremismus, Rechtspopulismus und Rechtsradikalismus bei gleichzeitigem Fehlen ihrer inhaltlichen Füllung, die ein solches Tun erklären würde, als fragwürdige Lösung, sich nicht für einen entscheiden zu müssen oder zu können.
Keine Querschnittsmaterie
Die Familien- und Geschlechterpolitik der beiden Parteien sowie deren weit verbreitete Feindbilder ‚Feminismus‘ und ‚Gender‘ werden von den feministischen Wissenschafterinnen Juliane Lang und Karin Stögner beleuchtet, als Querschnittsmaterie der anderen Beiträge bleiben geschlechterreflektierte Perspektiven jedoch weitgehend ausgeklammert. Lang bearbeitet in ihrem Beitrag sowohl den „Familienpopulismus“ der AfD als auch deren Kampf gegen Gender und vermeintliche „Frühsexualisierung“ in ihrem Feldzug für die Aufrechterhaltung der angeblich natürlichen Geschlechterordnung. Stögner liefert zudem eine eindrückliche Analyse des über die Geschlechterpolitiken den Antisemitismus vermittelten „Einheitswahn[s] und Identitätszwang[s]“ des Rechtsextremismus und die damit verbundenen Ängste vor Gleichstellung, Verwischung und Vermischung bzw. das Nichtaushalten von Widersprüchen und Ambivalenzen.
Auffallend ist auch das deutlich unausgewogene Geschlechterverhältnis der Autor_innen des Sammelbands, da drei Frauen neun Männern gegenüberstehen. Für die Veröffentlichung des Tagungsbandes wurden die Beträge der Konferenz sogar um weitere Artikel von (ausschließlich männlichen) Autoren wie Samuel Salzborn und Gerhard Scheit, der seinen Beitrag sogar in nicht-gegenderter Sprache verfassen durfte, ergänzt. Er widmet sich den Grundlagen des Erfolgs der beiden Parteien. Den Abschluss liefert Franziska Krah, die sich vergleichend mit Strategien gegen Antisemitismus heute sowie in der Weimarer Republik befasst und dabei zum wenig neuen Schluss kommt, dass Antisemitismusforschung in der Praxis stärker berücksichtigt werden müsse und umgekehrt, die Forschung stärker die „Möglichkeiten der Überwindung“ des Antisemitismus ausloten sollte.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die große Stärke des Bandes in seiner Beschäftigung mit dem Antisemitismus der beiden Parteien liegt, womit er auch eine wichtige Leerstelle füllt. Insgesamt schmälert aber die fehlende Expertise im Bereich der Rassismusforschung und ‑theorie insbesondere den Erkenntnisgewinn in Hinblick auf Antisemitismus im Kontext von Migration, antimuslimischem Rassismus und islamistischer Mobilisierung. Enttäuschend bleibt auch, dass trotz prominenter Ankündigung im Untertitel, Geschlechterbildern nur zwei Beträge gewidmet sind und Expertinnen für die Publikation vor allem dort herangezogen wurden, wo es um die Bearbeitung ebendieser, nicht jedoch um allgemeine Analysen ging.
(1) Sowohl „Ausländer-“ als auch „Fremdenfeindlichkeit“ „zielen am Kern der Sache vorbei, denn Rechtsextremist_innen haben zum Beispiel nichts gegen blonde Schwed_innen, wohl aber etwas gegen dunkelhäutige Österreicher_innen – obwohl die einen fremd sind und die anderen gar keine Ausländer_innen.“ (stopptdierechten: Basistext Rassismus)
Stephan Grigat [Hrsg.] (2017): AfD & FPÖ. Antisemitismus, völkischer Nationalismus und Geschlechterbilder. Baden-Baden: Nomos Verlag, 205 Seiten, 28,80 Euro.