(D) Demo-Aufruf: NSU in Zwickau: Kein Gras drüber wachsen lassen!

Demo-Aufruf: NSU in Zwick­au: Kein Gras drüber wach­sen lassen! Gegen Nazi-Ter­ror und den ras­sis­tis­chen Normalzustand.
Sam­stag 05.11. » 14.00 Uhr » Zwick­au, Bahnhof

Am 04.11.2016 jährt sich die Selb­stent­tar­nung des
Nation­al­sozial­is­tis­chen Unter­grunds (NSU) zum fün­ften Mal. Nirgendwo
lässt sich der gesamt­ge­sellschaftliche Ras­sis­mus in Deutsch­land derart
deut­lich aufzeigen, wie an den Tat­en des NSU und deren Aufar­beitung. Das
Kern­trio, das jahre­lang „unent­deckt“ durch die Bun­desre­pub­lik ziehen
kon­nte, war ver­ant­wortlich für die neun ras­sis­tis­chen Morde an Enver
Şimşek, Abdur­rahim Özü­doğru, Süley­man Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet
Turgut, İsm­ail Yaşar, Theodor­os Boul­gar­ides, Mehmet Kubaşık und Halit
Yoz­gat, sowie für den Mord an Michèle Kiesewet­ter. Bei den drei
Sprengstof­fan­schlä­gen in Köln und Nürn­berg wur­den viele Menschen
ver­let­zt, nur durch Glück wurde nie­mand getötet.

Ermöglicht wurde diese Ter­rorserie durch einen Ras­sis­mus, der das
Han­deln der meis­ten Men­schen in diesem Land, staatlich­er Behör­den und
der Polizei bes­timmt. Rund um die Tat­en des NSU zeigt sich eine
arbeit­steilige Verknüp­fung von schweigen­der bis zus­tim­mender Bevölkerung
und den mörderischen Aktio­nen der Neon­azis. Von ihrer völkischen
Ide­olo­gie angetrieben mordete die Gruppe um Beate Zschäpe, Uwe Mundlos
und Uwe Böhn­hardt und wurde dabei von einem bun­desweit­en Net­zw­erk von
Neon­azis unter­stützt. In diesem tum­melten sich, wie wir heute wissen,
über 40 Informant*innen von Polizei und Ver­fas­sungss­chutz. Viele von
ihnen leis­teten finanzielle und struk­turelle Auf­bauar­beit in den
entschei­den­den Neon­azi-Organ­i­sa­tio­nen der 90er-Jahre. Der Thüringer
Heimatschutz, in dem auch das spätere NSU-Kern­trio aktiv war, wurde
bspw. vom V‑Mann Tino Brandt aufge­baut. Später leit­ete er Gelder des
Thüringer Ver­fas­sungss­chutzes über Mit­telsmän­ner an die inzwischen
Unter­ge­taucht­en weit­er und berichtete seinem V‑Mann Führer, wohin die
Drei „ver­schwun­den“ waren. Diese Infor­ma­tio­nen führten bekan­ntlich zu
kein­er Fes­t­nahme von Böhn­hardt, Zschäpe und Mundlos.

Damit leis­teten auch die staatlichen Behör­den ihren Beitrag bei der
poli­tis­chen Sozial­isierung und dem Leben der Drei im „Unter­grund“. Zudem
ver­hin­derten die ras­sis­tisch struk­turi­erten Ermit­tlun­gen gegen die
Ange­höri­gen der Opfer das Ermit­teln der tat­säch­lichen Täter*innen.
Bere­its an den Namen der in der Mord- und Anschlagsserie ermittelnden
Son­derkom­mis­sio­nen „Halb­mond“ und „Bosporus“ zeigt sich der
insti­tu­tionelle Ras­sis­mus, der die Tat­en als „Aus­län­derkrim­i­nal­ität“
deuten wollte. Das wird ins­beson­dere an einem LKA-Gutacht­en deutlich:
„Vor dem Hin­ter­grund, dass die Tötung von Men­schen in unserem
Kul­turkreis mit einem hohen Tabu belegt ist, ist abzuleit­en, dass der
Täter hin­sichtlich seines Ver­hal­tenssys­tems weit außer­halb des hiesigen
Nor­men- und Wertesys­tems verortet ist“. Somit sei davon auszuge­hen, dass
die Täter*innen „im Aus­land aufwuch­sen oder immer noch dort leben“.

Auf medi­aler Ebene set­zten sich diese ras­sis­tis­chen Deu­tun­gen durch. Die
Nürn­berg­er Zeitung prägte für die neun Morde den abschätzi­gen Ausdruck
„Dön­er-Morde“, der von der bun­des­deutschen Medi­en­land­schaft bereitwillig
über­nom­men wurde. Auch die radikale Linke fol­gte dieser Interpretation
insofern, als dass ihr ein ras­sis­tis­ches Motiv der Mörder*innen bis zur
Selb­stent­tar­nung des NSU im Novem­ber 2011 nicht in den Sinn kam. Die
Ver­suche der Ange­höri­gen, einen möglichen ras­sis­tis­chen Hin­ter­grund in
Inter­views oder auf Demos zu benen­nen, wie z.B. mit der Forderung „Kein
10. Opfer“ auf Demon­stra­tio­nen in Dort­mund und Kas­sel im Mai/Juni 2006,
blieben ungehört.

Zwick­au: ein guter Unter­schlupf für Nazi-Terrorist*innen

Vor fünf Jahren, im Novem­ber 2011, schien die Über­raschung über die
Selb­stent­tar­nung des NSU groß. Doch Zwick­au als Ort verdeut­licht, wie
die Mehrheits­ge­sellschaft den Auf­bau der NSU-Struk­turen unter­stützt und
gefördert hat. Ein bre­ites Net­zw­erk ermöglichte dem NSU einen
kom­fort­ablen Rück­zug­sort, trotz eines Lebens im „Unter­grund“. Neben
starken Neon­azistruk­turen ver­schaffte ger­ade die Mis­chung aus
nach­barschaftlich­er Igno­ranz und Akzep­tanz dem NSU einen freien Rücken.
Frühere Nachbar*innen bericht­en von Beate Zschäpe als net­ter Frau und
„Katzen­ma­ma“. Die Hitler-Bilder, die im als Nachbarschaftstreff
genutzten Par­ty-Keller eines Nach­barn gefun­den wur­den, zeu­gen von
ide­ol­o­gis­ch­er Zus­tim­mung und Ver­bun­den­heit in der Zwickauer
Früh­lingsstraße. Im Miteinan­der von Neon­azis und „nor­malen“ Bürger*innen
erscheint die Volks­ge­mein­schaft in ihrer menschenfeindlichen
Aus­drucks­form. Das gilt für Zwick­au in der spez­i­fis­chen sächsischen
Aus­prä­gung ein­er bun­desweit­en Realität.

Nicht nur das direk­te nach­barschaftliche Umfeld ermöglichte ein
angenehmes Leben im Unter­grund, die Hil­fs­bere­itschaft der Zwickauer
Bürger*innen zeigte sich auch auf anderen Ebe­nen: Neon­azis in Zwickau
und Chem­nitz betrieben neben Klei­dungs­geschäften auch Bau­fir­men und
Secu­ri­ty-Unternehmen. Sie errichteten seit den 1990er Jahren eine
funk­tion­ierende Infra­struk­tur, die sowohl Geld ein­brachte, als auch die
Grundbe­din­gun­gen für das Leben des NSU im „Unter­grund“ schuf. Ralf
Marschn­er, Inhab­er ein­er Bau­fir­ma, mehrerer Shops für Naz­ibek­lei­dung und
eines recht­en Labels, war ver­mut­lich zeitweise Arbeit­ge­ber des
NSU-Trios. Zudem kon­nten diese Betriebe auch bun­desweit tätig sein und
somit ohne Auf­se­hen zu erre­gen Autos anmi­eten, die ver­mut­lich bei den
Mor­den genutzt wurden.

Dieses gesellschaftliche Kli­ma beste­ht fort. Dem BKA sind seit November
2011 bere­its 288 Straftat­en mit Bezug zum NSU gemeldet wor­den. In
Sach­sen und bun­desweit sind Über­griffe und Anschläge auf Geflüchtete und
alle anderen, die als Fremde oder Feinde markiert wer­den, All­t­ag. Was
bere­its im Herb­st 2013 an Orten wie Schnee­berg begann, set­zt sich hier
fort. Men­schen wer­den ange­grif­f­en, Unterkün­fte angezün­det. In Heidenau
kommt es im August 2015 sog­ar zu pogro­mar­ti­gen Auss­chre­itun­gen, in
Bautzen find­en im Sep­tem­ber 2016 Men­schen­jag­den auf Geflüchtete statt.
„Besorgte Bürger*innen“ het­zen in Form von Demon­stra­tio­nen, Blockaden
von Unterkün­ften und anderen Aktio­nen des so genan­nten „zivilen
Unge­hor­sams“ gemein­sam mit organ­isierten Neon­azis gegen Geflüchtete.

Auch in Zwick­au protestieren mehrfach bis zu 1000 Demonstrant*innen
gegen die Ein­rich­tung von Geflüchtete­nun­terkün­ften, im Mai gab es einen
Bran­dan­schlag auf die Unterkun­ft an der Kopernikusstraße. Ohne
nen­nenswerten Wider­spruch durch die Mehrheits­bevölkerung formiert sich
aktuell eine völkische Bewe­gung. Deut­lich zeigen sich die Kontinuitäten
zu den ras­sis­tis­chen Pogromen der 1990er Jahre.

Eben­so lässt sich eine klare Lin­ie von Ros­tock-Licht­en­hagen und
Hoy­er­swer­da über die Neon­aziszene und den Thüringer Heimatschutz zum NSU
und seinem Umfeld ziehen: Im Kli­ma der Pogrome erfuhren die Mitglieder
des Thüringer Heimatschutzes, aus dem später der NSU her­vorg­ing, ihre
poli­tis­che Sozial­i­sa­tion. Sie kon­nten auf lokaler und regionaler Ebene
eine ras­sis­tis­che All­t­agshege­monie erleben und auf der Straße ohne
nen­nenswerten gesellschaftlichen Wider­stand agieren, oft­mals sog­ar unter
offen­em Zus­pruch. Die Lek­tion, die sie daraus ler­nen kon­nten, war die,
dass sie mit ihren Auf­fas­sun­gen auf einen bre­it­en gesellschaftlichen
Rück­halt zählen kon­nten und mil­i­tante Aktio­nen in diesem Kli­ma politisch
belohnt wurden.

Tot­geschwiegen, herun­terge­spielt, ver­harm­lost – damals wie heute

Das Schweigen und die fehlende Auseinan­der­set­zung mit dem NSU und dessen
Umfeld zeigen, wie eine Aufar­beitung des NSU-Kom­plex und eine Erinnerung
an die Opfer sys­tem­a­tisch ver­drängt und ver­hin­dert wer­den. Reflexhaft
verkün­dete die Zwick­auer Bun­destagsab­ge­ord­nete Sabine Zim­mer­mann (Die
LINKE) 2011: „Mit Zwick­au hat das Ganze nichts zu tun!“ Lokale
Ini­tia­tiv­en, die sich für eine kri­tis­che Auseinan­der­set­zung damit
ein­set­zen, dass das Kern-Trio des NSU in Zwick­au seinen
Lebens­mit­telpunkt hat­te, wer­den immer noch von der Stadt und großen
Teilen der lokalen Bevölkerung dafür ange­grif­f­en. Der Abriss des
Wohn­haus­es in der Früh­lingstraße ist das Sinnbild ein­er Lokalpolitik,
die lieber dem Gras beim Wach­sen zu schaut, als sich selb­stkri­tisch dem
jahre­lan­gen Ver­sagen zu stellen.

Dass Zwick­au für die Neon­aziszene noch immer eine ganze Erlebniswelt
bietet, mit Bek­lei­dungs­geschäften, recht­en Kampfsportevents,
Neon­azikonz­erten, des unge­hemmten Auslebens recht­en Gedankenguts bei
lokalen Fußbal­lvere­inen und Arbeit­splätzen bei den nation­al gesinnten
Kamerad*innen – darüber wird in Zwick­au nicht gerne gesprochen. Nicht
ein­mal die Selb­stent­tar­nung des NSU hat zu einem Umdenken geführt. Eine
Gedenk­tafel für die Opfer ist nach wie vor uner­wün­scht und ein
Schul­pro­jekt zum The­ma wurde zunächst vom Kul­tur­auss­chuss der Stadt
sabotiert. Nach Bewil­li­gung der Gelder geht nun die AfD gegen das
Pro­jekt vor. Dieses Desin­ter­esse an Aufk­lärung und Erin­nerung verhöhnt
die Opfer des NSU und rechter Gewalt in Deutsch­land. In diesem Zwickau,
mit dem das alles nichts zu tun hat, hängt 2011 im Naziladen Eastwear
über Wochen ein T‑Shirt mit Pink Pan­ther und der Aufschrift
„Staats­feind“. Ver­schiedene Beken­nervideos zu den Mor­den des NSU im
For­mat der Pink Pan­ther-Car­toons wur­den in der abge­bran­nten Woh­nung von
Zschäpe, Böhn­hardt und Mund­los in Zwick­au gefun­den. Auch diverse
Sprühereien mit Bezug zum NSU zeigen deut­lich, dass die lokale Szene
sich dafür feiert, dass das Trio in ihrer Stadt gelebt hat.

Grund genug, die Zwick­auer Zustände in die Öffentlichkeit zu zerren

Mit ein­er Demon­stra­tion anlässlich des fün­ften Jahrestages des
Bekan­ntwer­dens des NSU gehen wir am 5. Novem­ber nach Zwick­au, wo die
ras­sis­tis­chen Struk­turen und das Umfeld des NSU die Morde ermöglicht
haben. Wir gehen gegen den ras­sis­tis­chen All­t­ag in Zwick­au und in
Sach­sen und deutsch­landweit auf die Straße:

- Wir erin­nern an die Opfer der Mord- und Anschlagsserie des NSU und drück­en unsere Sol­i­dar­ität mit ihnen und ihren Ange­höri­gen aus.
— Wir wollen auf die Neon­azistruk­turen und ihre nach­barschaftliche Kom­fort­zone hin­weisen und diese zurückdrängen.
— Wir fordern nach wie vor die Abschaf­fung aller Inlands­ge­heim­di­en­ste, die unter dem Label „Ver­fas­sungss­chutz“ operieren und verdeck­te Auf­bauar­beit für neon­azis­tis­che Grup­pierun­gen betreiben.
— Wir fordern ins­beson­dere eine Auseinan­der­set­zung mit und Aufar­beitung der ras­sis­tis­chen Morde durch einen inter­na­tionalen Unter­suchungsauss­chuss und unter Ein­beziehung der Ange­höri­gen in die Aufklärungsarbeit.