Die Rätsel der Verfassungsschützer

Zwis­chen den Zahlen des Ver­fas­sungss­chutzes und denen des Jus­tizmin­is­teri­ums zu Anzeigen wegen Recht­sex­trem­is­mus liegen Wel­ten. Das ist drin­gend aufk­lärungs­bedürftig! Bei den Anzeigen im Bere­ich Link­sex­trem­is­mus hil­ft die Polizei mit Massen­fest­nah­men und ‑anzeigen rund um den Akademiker­ball kräftig nach, um die Sta­tis­tik aufzubessern.

Unsere Recherchen, welche Gründe für die großen Dif­feren­zen zwis­chen den Angaben des Jus­tizmin­is­teri­ums (BMJ) über Anzeigen nach dem Ver­bots­ge­setz bzw. wegen Ver­het­zung und denen des BVT maßge­blich sein kön­nten, haben keine Klärung gebracht. Das BMJ führt in sein­er Anfrage­beant­wor­tung auch an, in wie vie­len Fällen es zu ein­er Ein­stel­lung bzw. einem Abbruch des Ver­fahrens gekom­men ist. Auch in diesen Fällen wur­den polizeiliche Ermit­tlun­gen geführt (im Auf­trag der Staat­san­waltschaft) – die große Dif­ferenz in den Zahlen ist auch so nicht erklärbar.

Ver­suchen wir es mit ein­er Frage: hat das Innen­min­is­teri­um bzw. das BVT vielle­icht ein Inter­esse, den Anstieg bei recht­sex­tremen Delik­ten kleinzure­den bzw. mit dem Link­sex­trem­is­mus gegen­zurech­nen, um daraus eine poli­tis­che Ein­schätzung zu konstruieren?

Eine erste Antwort kön­nten darauf die Zahlen über Anzeigen im Bere­ich Link­sex­trem­is­mus geben. Die sind näm­lich laut Ver­fas­sungss­chutzbericht stark gestiegen: von 198 (2012) auf 411 (2013). Der Anstieg geht allerd­ings weit­ge­hend auf ein Ereig­nis zurück: den Burschenschafterball.

Dem Burschen­schafter­ball ist im BVT-Bericht 2014 sog­ar ein eigenes Kapi­tel gewid­met: dargestellt und analysiert wird aber nicht der Bedeu­tungswan­del dieses Balls, der sich seit eini­gen Jahren zum Tre­ff­punkt für Recht­sex­trem­is­ten und recht­sex­treme Parteien und Grup­pierun­gen entwick­elt hat, son­dern der Protest und Wider­stand gegen diesen Ball, der vom Ver­fas­sungss­chutz taxfrei dem Link­sex­trem­is­mus zuge­ord­net wird.

Aber hal­lo! Sind Per­so­n­en, die gegen den Burschen­schafter­ball demon­stri­eren, in einen polizeilichen Kessel ger­at­en und deshalb eine Anzeige nach dem Sicher­heit­spolizeige­setz (Ver­wal­tungsstrafrecht) erhal­ten, Link­sex­trem­is­ten? Laut Bericht: ja!

An ander­er Stelle ver­sucht sich das BVT zwar in ein­er — ziem­lich unbrauch­baren- Def­i­n­i­tion von Link­sex­trem­is­mus, als dessen wesentlich­es Merk­mal Gewal­takzep­tanz – und befür­wor­tung genan­nt wird, aber eine Anzeige bzw. Ver­wal­tungsstrafe nach dem Sicher­heit­spolizeige­setz drückt das mit Sicher­heit nicht aus.

Zynisch gese­hen wird die Wiener Polizei mit ihren Masse­nanzeigen gegen Hun­derte bish­er Unbekan­nte wegen ange­blichen Land­friedens­bruchs beim Burschiball 2014 nicht nur neuer­lich die Zahlen hin­auf­schnalzen, son­dern auch den bish­er fehlen­den „Gewalt­be­weis“ abstrakt über den angezeigten Para­graphen liefern, auch wenn er konkret nicht darstell­bar ist!

Übri­gens: ein genauer Blick auf die Zahlen des BVT zeigt, wie da gear­beit­et wird! 411 Anzeigen im Bere­ich Link­sex­trem­is­mus gab es laut BVT 2013 ins­ge­samt. In der Detail­lierung wer­den die Zahlen in den Kat­e­gorien Spren­gung ein­er Ver­samm­lung (§ 284 StGB), Ver­hin­derung oder Störung ein­er Ver­samm­lung (§ 285 StGB) und Anzeigen nach dem Sicher­heit­spolizeige­setz mit Fußnoten verse­hen, aus denen her­vorge­ht, dass der Großteil der Anzeigen in diesen Kat­e­gorien auf die Proteste rund um den Burschiball 2013 zurück­zuführen ist.

Allein 107 Anzeigen wur­den nach dem Sicher­heit­spolizeige­setz erstat­tet, heißt es in Fußnote 5.

107 Anzeigen? Im Text (Seite 26) find­et man andere Zahlen. Danach ist es bei den Protesten gegen den Burschiball „ zu 56 Anzeigen nach dem Strafrecht sowie zu 94 Anzeigen nach dem Ver­wal­tungsstrafrecht gekom­men“. 94 Anzeigen oder 107? Auf Zahlen kommt es offen­sichtlich nicht an – wir beschäfti­gen uns daher beim näch­sten Mal mit eini­gen Inhal­ten des Berichts.