Will FPÖ gesetzlichen Urlaub verkürzen?

Die schweiz­erische Volksab­stim­mung über die Erhöhung des Urlaub­sanspruch­es von Arbeit­nehmerIn­nen (11. März 2012) sei „ein weit­er­er Beweis dafür, wie ver­ant­wor­tungsvoll der Wäh­ler mit der Direk­ten Demokratie umzuge­hen weiß”, meint Nor­bert Hofer, stv. Parteiob­mann der FPÖ am 12. März 2012 in ein­er Presseaussendung. Wer in Zukun­ft mit der FPÖ in eine Koali­tion wolle, „muss das mit uns gemein­sam umset­zen”, so Hofer. Gemeint ist das Schweiz­er Mod­ell der direk­ten Demokratie. „Genau dieses“ will die FPÖ näm­lich als Antrag in den Nation­al­rat einge­bracht haben.

Doch Nor­bert Hofer ist nicht nur stel­lvertre­tender Parteiob­mann, son­dern auch Sozial­sprech­er der FPÖ, und in diesem Licht betra­chtet mutet Hofers Jubelmel­dung einiger­maßen selt­sam an. Sein Beweis für das Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­sein der Wäh­lerIn­nen liegt näm­lich in der Tat­sache begrün­det, dass eine Mehrheit der Abstim­menden die Ein­führung ein­er fün­ften und sech­sten Urlaub­swoche abgelehnt hat. In Öster­re­ich sieht § 2 des Urlaub­s­ge­set­zes einen geset­zlichen Urlaub von zumin­d­est fünf Wochen (und damit eine Woche mehr als in der Schweiz) vor. Wenn schweiz­erische Wäh­lerIn­nen nach Hofers Ansicht „ver­ant­wor­tungsvoll“ gehan­delt haben, als sie die Ein­führung ein­er fün­ften und sech­sten Urlaub­swoche ablehn­ten, so stellt sich doch die Frage, ob es „ver­ant­wor­tungsvoll“ ist, in Öster­re­ich eine geset­zliche Unter­gren­ze von fünf Urlaub­swochen beizube­hal­ten. Und das wiederum passt her­vor­ra­gend zur Sozialpoli­tik der FPÖ, die etwa hun­dert­tausende von Men­schen aus der geset­zlichen Kranken­ver­sicherung hin­auswer­fen möchte, das soziale Sicherungssys­tem durch Teil­sys­teme schwächen, Schü­lerIn­nen und Stu­dentIn­nen im Aus­landsse­mes­ter die Fam­i­lien­bei­hil­fe kürzen will oder im Nation­al­rat gegen die Sozialchar­ta des Europarats und gegen Schutz vor Lohn- und Sozial­dump­ing stimmt.


Zumin­d­est ein Frei­heitlich­er dürfte kein Prob­lem mit mehr Urlaub haben… (Quelle: nachrichten.at)
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Die frei­heitliche Jubelmel­dung über die Arbeitswut der Schweiz­erIn­nen ist aber auch noch unter einem ganz anderen Licht zu betra­cht­en. Tat­säch­lich entspricht das von der FPÖ vorgeschla­gene Mod­ell der direk­ten Demokratie in kein­er Weise jen­em der Schweiz, die neben den Abstim­mungsergeb­nis­sen auch noch die Zahl der zus­tim­menden Kan­tone und Hal­bkan­tone zählt, ehe eine Volksab­stim­mung Bindungswirkung erhält. Und der FPÖ-Antrag ver­gisst wohl nicht ganz zufäl­lig, notwendi­ge Rah­menbe­din­gun­gen für direk­te Demokratie zu benen­nen: „Am Schluss sei eine erdrück­ende Mehrheit gegen die Ini­tia­tive zus­tande gekom­men. Das war ganz am Anfang des Abstim­mungskampfs nicht zu erwarten gewe­sen“, kom­men­tierte etwa Ursu­la Frae­fel von der Economiesu­isse, dem Dachver­band der schweiz­erischen Han­del­skam­mern. Und Frae­fel weit­er: „In den let­zten Wochen seien die Geg­n­er der Ini­tia­tive viel präsen­ter gewe­sen — und nicht zulet­zt waren auch die Medi­en auf unser­er Seite“.

Die Ergeb­nisse schweiz­erisch­er Plebiszite geben also weit weniger die Mei­n­ung der Wäh­lerIn­nen als vielmehr jen­er der Geldge­berIn­nen und der Medi­en wieder. Ein funk­tion­ieren­des Mod­ell direk­t­demokratis­ch­er Beteili­gung muss daher etwa auch Regelun­gen für den Medien­zu­gang oder Wer­bebeschränkun­gen für Lob­bies enthal­ten. Völ­lig über­raschend fehlt dieses Ele­ment bei der FPÖ völlig.

In der Schweiz wer­den die Ergeb­nisse des 11. März bre­it unter dem Gesicht­spunkt ein­er dro­hen­den gesellschaftlichen Spal­tung debat­tiert. Die schweiz­erischen Gew­erkschaften, die den Geset­zesvorschlag einge­bracht hat­ten, wollen nun­mehr näm­lich die Unternehmen und die Unternehmensver­bände direkt in die Zange nehmen. Diese hat­ten sich näm­lich für eine fak­tis­che Erhöhung des Urlaubs aus­ge­sprochen, aber gegen geset­zliche Zwänge. Der Gew­erkschafts­bund will die Unternehmen nun­mehr beim Wort nehmen und auch konkrete, betrieb­s­be­zo­gene Aktiv­itäten ent­fal­ten, was fast schon unschweiz­erisch kämpferisch erscheint.


Reichen 4 Wochen für Par­tyurlaub? (Quelle: oe24.at)
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Andere Abstim­mungen des 12. März wer­den aber noch viel drama­tis­ch­er als Krise des poli­tis­chen Sys­tems disku­tiert. So riss eine Abstim­mung über eine 20%-Grenze für Zweit­woh­nun­gen einen Graben auf zwis­chen dem Flach­land und den Bergre­gio­nen der Schweiz. Die urba­nen Kan­tone über­stimmten die Alpenkan­tone deut­lich, aber nur Let­ztere sind von der Regelung betrof­fen. Die Neue Zürcher Zeitung kom­men­tiert das so: „Dass solch radikale und schw­er umzuset­zende Ansätze Zus­tim­mung find­en, ist Aus­druck eines schwinden­den Ver­trauens in die Behör­den beziehungsweise deren Willen, bes­timmten Grup­pen ent­ge­gen­zuwirken, wenn deren par­tikuläre Inter­essen zu sehr in Kon­flikt mit dem All­ge­mein­wohl geraten.“

Ein Satz, der so ziem­lich alles über das direk­t­demokratis­che Mod­ell der Schweiz sagt. Ob die FPÖ nun wirk­lich für die Abschaf­fung der fün­ften Urlaub­swoche ein­tritt oder wieder ein­mal nur in völ­liger Real­itäts­ferne einen bil­li­gen und dum­men Gag für eine Presseaussendung gesucht hat: Die FPÖ will keine direk­te Demokratie, son­dern pop­ulis­tis­che Het­ze. Direk­te Demokratie ist näm­lich viel mehr als ein paar Regeln über Volksabstimmungen.