Das alles, obwohl etwa eine vom Landesarchiv Oberösterreich in Auftrag gegebene Analyse von NVP-Texten zum Schluss kommt, dass in Texten der NVP „mehrere Merkmale enthalten sind, die in dieser Kombination für nationalsozialistische Ideologie charakteristisch sind“. Woran liegt es also, dass keine Behörde einschreitet?
Die juristische Seite der ganzen Angelegenheit ist kompliziert und doch wieder einfach zugleich. Zuerst das Komplizierte: Die Gründung politischer Parteien ist in Österreich frei. Keine Behörde, kein Ministerium und auch nicht die Regierung hat das Recht, die Gründung einer Partei zu verbieten bzw. dieser die Hinterlegung einer Satzung (das ist das formale Erfordernis bei der Gründung einer Partei nach dem Parteiengesetz) zu verweigern.
Auf ersten Blick könnte also angenommen werden, dass die Republik kein Mittel hätte, ihre eigene Verfassung durchzusetzen, die schließlich die Neugründung der NSDAP und ähnliche Inhalte vertretender Gruppierungen ausdrücklich untersagt. So kann das aber nicht sein, meinte jedoch der Verfassungsgerichtshof. Wenn (glücklicherweise) keine Behörde die notwendigen Formalitäten zur Gründung einer Partei hintertreiben darf, so hat doch in der Folge jede Behörde (und jedes Gericht) in jedem Verfahren zu untersuchen, ob die Parteigründung quasi „erfolgreich“ war; im Amtsdeutsch heißt das, „ob eine Personengruppe durch Hinterlegung ihrer Satzung als politische Partei Rechtspersönlichkeit erlangt hat“. (siehe das Urteil über die NDP – „Nationaldemokratische Partei”)
Diese „Rechtspersönlichkeit“ einer Organisation ist notwendig, um z.B. Mietverträge abzuschließen oder Veranstaltungen durchzuführen. Eine solche Rechtspersönlichkeit kann eine Personengruppe jedenfalls nicht erlangen, wenn sie Inhalte vertritt, die gegen das im Verfassungsrang stehende Verbotsgesetz verstoßen.
Und jetzt daher zum „Einfachen“: Jede Behörde, die also mit Verfahren in Zusammenhang mit derartigen Organisationen betraut ist, hat von Amts wegen zu prüfen, ob diese Organisation gegen das Verbotsgesetz verstößt und ihr damit keine Rechtspersönlichkeit zukommt.
In einem der bekanntesten und folgenreichsten diesbezüglichen Fälle der 2. Republik wurde im Jahr 1988 erkannt, dass die NDP („Nationaldemokratische Partei“) Norbert Burgers keine Rechtspersönlichkeit besitzt, nachdem sie wegen eines Verstoßes gegen das Niederösterreichische Ankündigungsabgabegesetz angezeigt worden war. Die Behörde erkannte, dass rechtsextremistische FlugblattverteilerInnen der NDP die Verteilung von Flugblättern in einer Fußgängerzone hätten ankündigen (und dafür eine Gebühr zahlen) müssen, weil die NDP mangels Rechtspersönlichkeit keine politische Partei ist (und Parteien das Flugzettelverteilen nicht anmelden mussten). Im Strafbescheid erfolgte eine ausführliche Darstellung, warum die NDP nach Ansicht der Behörde gegen das NS-Verbot verstößt (und daher eben keine Rechtspersönlichkeit besitzt). Der Bescheid wurde vom VfGH bestätigt.
Zurück zur NVP: Bei dieser muss erst gar nicht der Frage nachgegangen werden, ob sie NS-Wiederbetätigung betreibt. In ihrer grenzenlosen Dummheit oder Ungeniertheit hat sie sich ein Programm gegeben, dessen zweites Kapitel bis auf wenige Worte ident ist mit dem „Lehrplan für die weltanschauliche Erziehung in der SS und Polizei” (erarbeitet und herausgegeben vom SS-Hauptamt, 1944).
Bleibt also nur zu klären: Warum hat sich noch keine Behörde gefunden, um dieser rechtsextremistischen Organisation die Rechtspersönlichkeit als Partei abzusprechen? Gelegenheit dazu hätte es bereits reichlich gegeben: Die NVP wollte etwa 2009 zu oberösterreichischen Landtagswahl antreten und wurde ausgeschlossen, ohne dass ihre Rechtspersönlichkeit in Frage gestellt worden wäre. Vom Land Oberösterreich beauftragte Gutachten kamen dabei zum Schluss, dass „es sich bei der NVP um eine rechtsextreme, fremdenfeindliche und rassistische Partei handle, deren Intention darin gelegen sei, nationalsozialistische bzw. neonazistische Bestrebungen und Gedankengänge zu stärken und gesellschaftsfähig zu machen“. Darüber hinaus hat die NVP bereits mehrmals Infoveranstaltungen durchgeführt und Demonstrationen angemeldet. Selbst als Letztere untersagt wurden, beschäftigte sich die Behörde nicht mit der Rechtspersönlichkeit der NVP.
In der Folge gab es auch eine Reihe von Prozessen gegen führende Exponenten der Organisation, ohne dass sich ein Gericht mit der Rechtspersönlichkeit der NVP befasst hätte. Die offenkundige Zögerlichkeit bewegte die Abgeordneten Jarolim (6357/J — Anfragebeantwortung 6269/AB) und Steinhauser (Anfrage 6428/J – Anfragebeantwortung 6350/AB) Ende 2010 zu parlamentarischen Anfragen an die Justiministerin, was da denn so lange dauere. Kerninhalt der Antwort:
Nach Studium der umfangreichen Unterlagen wurde am 8. Oktober 2009 das OÖ Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) mit den Ermittlungen beauftragt. Ich bitte um Verständnis, dass ich im Hinblick auf § 12 StPO und zur Vermeidung einer Gefahr für noch erforderliche Ermittlungen über die einzelnen Ermittlungsschritte nicht detailliert Auskunft geben kann.
Kurz zusammengefasst: Es hat den Anschein, dass sich die Behörden ihrer Möglichkeit und Verpflichtung, nationalsozialistische Wiederbetätigung zu unterbinden, nicht bewusst sind. Oder aber noch schlimmer: nicht bewusst sein wollen!