Im braunen Teil des Internet kursieren bereits Versionen, in denen der Täter als ein Zionist gebrandmarkt wird, der antizionistische Jugendliche erschossen habe. Heinz-Christian Strache, Parteichef der FPÖ, beeilt sich, in seinen Interviews zu den Attentaten darauf hinzuweisen, dass es ebenso „absurd“ und „pietätlos“ wäre, die Mitgliedschaft von Breivik bei den Freimaurern ursächlich mit dem Attentat in einen Zusammenhang zu bringen wie die Politik der FPÖ. Warum macht er das?
Breivik in unterschiedlicher Verkleidung: Als Freimaurer, in einer Fantasieuniform (einer veränderten Uniformjacke der Marines) und als Kampftaucher
In allen Interviews seit dem Massaker von Oslo betont Strache, dass es falsch wäre, die Freimaurerei von Breivik in einen Zusammenhang mit den Attentaten zu bringen. Strache hat die Kombination Breivik – Freimaurer mehrfach geübt. Begonnen hat er damit in einem Interview mit „Österreich“, als er zu seiner Beraterin Elisabeth Sabaditsch-Wolff befragt wurde:
ÖSTERREICH: Ihre Beraterin Sabaditsch wurde vom Oslo-Attentäter zitiert.
STRACHE: Soweit ich weiß, hat der irre Attentäter in seiner Hassschrift u. a. auch auf den Papst oder die Freimaurer Bezug genommen. Daraus eine Ursächlichkeit oder Verantwortlichkeit konstruieren zu wollen, wäre genauso absurd, wie das bei Frau Sabaditsch-Wolff absurd ist. (Österreich, 29.7.2011)
Herausgekommen ist dabei in seinen folgenden Interviews und Stellungnahmen quasi eine „Verfeinerung“ des ursprünglichen Topos (Breivik – Freimaurer), nämlich Breivik – Freimaurer – Freimaurer-Terrorist:
„Also ich finde es unfassbar und pietätlos, welche Zusammenhänge politische Mitbewerber da konstruiert haben. Es wäre genauso absurd zu behaupten: Dieser irre Psychopath war Freimaurer — und ist das jetzt der neue Freimaurer-Terrorismus? Und haben sich jetzt schon alle von Vranitzky bis Androsch für ihn entschuldigt?“ (Die Presse, 5.8. 2011)
„Ich würde niemals behaupten, dass es sich um ein Attentat eines Freimaurer-Terroristen gehandelt hat, nur weil der verhaftete Mann Mitglied einer Loge ist. Die politischen Verantwortlichen müssen jetzt alles Notwendige unternehmen, damit sich Attentate wie dieses nicht mehr wiederholen.“ (Neue Freie Zeitung, 11.8.2011)
„Das ist besonders perfide und pietätlos. Es ist – gelinde gesagt – eine Sauerei, die FPÖ wider besseres Wissen in einen Zusammenhang zu bringen mit einem psychopathischen Massenmörder irgendwo in Skandinavien. Genauso falsch und pietätlos wäre es zu sagen, es wäre Freimaurerterror, weil dieser Irre Mitglied bei den Freimaurern ist.“ ( Österreich, 14.8.2011)
Zeitgleich mit Straches Freimaurer-Zuordnungen plagen sich noch andere prominente Freiheitliche mit einer angeblichen Freimaurer-Verschwörung herum: die Gebrüder Uwe und Kurt Scheuch. Am 4.8. lässt Kurt Scheuch, Klubobmann der FPK und Bruder des verurteilten Uwe Scheuch, über eine Presseaussendung mitteilen: „Welche Verbindungen der Richter Christian Liebhauser-Karl zur linken Reichshälfte und zu den Freimaurern pflegt, werden wir uns noch genauer anschauen.“ (OTS FPK 4.8.2011)
Am 6.8. nimmt Uwe Scheuch den Ball des Bruders auf:
„Kleine Zeitung“: „In Ihrer Partei will man das Umfeld des Richters ausleuchten. Das ist niederträchtig.”
Scheuch: „Das finde auch ich abstoßend. Ich würde so etwas nie tun. Was aber spannend ist: Es wurde mir zugetragen, dass der Kollege Liebhauser-Karl dem Netzwerk der Freimaurer angehören soll. Das wird man noch sagen dürfen.“ (Kleine Zeitung, 6.8.2011)
Abstoßend für Uwe ist nur die Schnüffelankündigung seines Bruders, nicht aber, was ihm (von diesem?) zugetragen wurde, dass der Richter ein Freimaurer sei: „Das wird man noch sagen dürfen.“
Wie stark der politische Druck, die Schnüffelei in Kärnten tatsächlich ist, lässt sich am besten aus der Stellungnahme von Kärntens leitendem Staatsanwalt, Gottfried Krainz, gegenüber der „Krone“ (19.8.2011) ablesen: „Ich bin weder Freimaurer noch bei der SP, wie behauptet wurde. Der einzige Verein, wo ich je war, ist der MGV Annabichl.”
Warum soll man überhaupt sagen, dass der Richter oder auch Breivik ein Freimaurer ist? Weil damit ein alter nationalsozialistischer Verschwörungsmythos, der die Jahrzehnte in verschiedenen Varianten und Abwandlungen überlebt hat, neue Nahrung erhält. Für Hitler, Goebbels und im besonderen den Chefideologen der Nazis, Alfred Rosenberg, gab es eine „jüdisch-freimaurerische Weltverschwörung“, mit der das „internationale Judentum“ die Völker zu unterjochen und untergraben versuche. Linke Parteien und Gewerkschaften waren in dieser Nazi-Ideologie als „jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung“ ebenso dabei.
„Das Schwarze Korps”, die Propagandazeitung der Schutzstaffel der NSDAP (SS)
Uwe Scheuch und Strache verwenden einfach die Zuordnung Freimaurer. Dabei können sie darauf vertrauen, dass das Attribut „Freimaurer“ seine Wirkung entfaltet. Strache setzt mit seiner formalen Distanzierung und der Zugabe „Freimaurer-Terrorismus“ sogar noch eins drauf. Schon Jörg Haider und Ewald Stadler haben den Mythos der „Freimaurer“ jahrelang gepflegt und im politischen Diskurs warmgehalten. Kurt Scheuch ist mit der Vergangenheit noch direkter verdrahtet und bringt die „Freimaurer“ auch mit der „linken Reichshälfte“ in Verbindung. Da fehlt zwar noch das Judentum, aber die gedanklichen Krücken sind bereitgestellt.
Ob irgendein Kärntner Richter oder der leitende Staatsanwalt tatsächlich Mitglied der Freimaurer ist bzw. Verbindungen zur linken Reichshälfte hat, ist völlig uninteressant aber entlarvend für Scheuch: Beziehungen zur rechten Reichshälfte wären demnach ja erwünscht oder gar Voraussetzung, um das Richteramt korrekt ausüben zu können.
Bei Breivik ist die Sache vordergründig anders. Er spricht seine Mitgliedschaft bei den Freimaurern selbst an, schmückt sich mit ihr, auch wenn er in seinem wirren Manifest den Freimaurern keine aktuelle politische Relevanz zubilligt, sondern sie als Verwalter des kulturellen Erbes abstempelt. Die Freimaurer haben sich auch von Breivik sofort distanziert. Wen trotzdem interessiert, warum Breivik hier möglicherweise bewusst falsche Spuren gelegt hat, sei auf den Beitrag von Henrik Eberle in der „Zeit“ verwiesen („Norwegens falscher Tempelritter“).