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Oh, wie schön ist … Paraguay!

Eigent­lich wäre der Exper­te für das rech­te Deutsch­tum in Süd­ame­ri­ka und im Beson­de­ren für Para­gu­ay Mar­tin Graf, der Bur­schen­schaf­ter und FPÖ-Abge­ord­ne­te, dafür zustän­dig, die Zustän­de bei den rech­ten Aus­sied­lern zu über­prü­fen und zu ord­nen. Da geht es näm­lich drun­ter und drü­ber. Dem Ver­kün­der der „Ger­ma­ni­schen Heil­kun­de” hat es zum Bei­spiel sein grü­nes Para­dies weg­ge­schwemmt – und auch sonst ist eini­ges im Argen.

12. Mai 2022

Die Aus­wan­de­rung nach Para­gu­ay hat eine lan­ge und ziem­lich unrühm­li­che Geschich­te. Rabia­te Anti­se­mi­ten wie Bern­hard Förs­ter und sei­ne Gat­tin Eli­sa­beth Nietz­sche woll­ten dort schon Ende des 19. Jahr­hun­derts ein neu­es, juden­frei­es Ger­ma­ni­en, eben „Nue­va Ger­ma­nia“ errich­ten. Das hat damals nicht so rich­tig geklappt, hin­der­te aber vor allem NS-Ver­bre­cher wie Josef Men­ge­le nicht dar­an, sich spä­ter eben­falls in Para­gu­ay anzu­sie­deln. Die freund­li­che Stim­mung gegen­über Nazis und ande­ren Rechts­extre­men ver­wun­dert nicht, wenn man weiß, dass Alfre­do Stroess­ner das Land nicht nur 35 Jah­re (von 1954 bis 1989) dik­ta­to­risch beherrscht, son­dern auch zahl­rei­che Ver­bre­chen, dar­un­ter einen Völ­ker­mord an einer indi­ge­nen Volks­grup­pe, ver­übt hat.

Den­noch gab es nicht nur brau­ne Aus­wan­de­rung aus den deutsch­spra­chi­gen Län­dern nach Para­gu­ay, son­dern auch etwa christ­lich gepräg­te, zum Bei­spiel von den Men­no­ni­ten oder ein­fach auch von Men­schen wie Sabi­ne und Thoms Vin­ke, die Leben und Land­schaft in Para­gu­ay schät­zen, seit eini­gen Jah­ren aber wie­der eine neue rechts­extre­me Ein­wan­de­rungs­wel­le wahr­neh­men: „Nach der Flücht­lings­kri­se 2015 kamen die Reichs­bür­ger, extrem lau­te, aggres­si­ve Men­schen. Und jetzt lan­den hier sehr vie­le Heil­prak­ti­ker, Wun­der­hei­ler und rech­te Impf­geg­ner.“ (dw.com, 23.12.21)

Hel­mut Pil­har, der Pro­pa­gan­dist der anti­se­mi­ti­schen „Ger­ma­ni­schen Heil­kun­de“, hat es jeden­falls noch recht­zei­tig ins Land geschafft, bevor Para­gu­ay die Schran­ken für Unge­impf­te schloss. So rich­tig enthu­si­as­miert war er von der Vor­stel­lung, sich in einem grü­nen Para­dies, dem „El Parai­so Ver­de“ (EPV) von Syl­via und Erwin Annau (eben­falls aus Öster­reich emi­griert), ansie­deln zu können:

Ich habe hier wirk­lich ein Grü­nes Para­dies gefun­den und kann mein Glück gar nicht fas­sen. Noch vor zwei Jah­ren wuss­te ich nicht, wie ich wei­ter mei­ner Beru­fung zum Dozen­ten für Ger­ma­ni­sche Heil­kun­de nach­ge­hen soll­te. Hier in Para­gu­ay – spe­zi­ell im EPV – scheint es, als könn­te der Traum wahr wer­den, die Ger­ma­ni­sche Heil­kun­de legal zu prak­ti­zie­ren, samt schul­me­di­zi­ni­scher Not­fall­me­di­zin.

Pilhar meldet sich aus El Paraiso Verde und macht Werbung fürs Projekt (Website Pilhar)
Pil­har mel­det sich aus El Parai­so Ver­de und macht Wer­bung fürs Pro­jekt (Web­site Pilhar)

Nun ja, als Pil­har 2019 so jubel­te, woll­te ihn auch noch jemand ande­rer fas­sen: nicht das Glück, son­dern die öster­rei­chi­sche Jus­tiz, die, so Pil­har, „offen­kun­dig die Absicht [hat­te], mich hin­ter Git­ter zu brin­gen“. Also flüch­te­te Pil­har nach Para­gu­ay – vom Regen in die Trau­fe. Denn der Auf­bau der neu­en Exis­tenz ver­lief zunächst nicht stö­rungs­frei. Nach den Schwär­me­rei­en der ers­ten Stun­den folg­te bald die Ernüch­te­rung – der unfrei­wil­li­ge Sprung ins Was­ser. Bei Erwin Annau, dem frü­her hoch­ran­gi­gen Sci­en­to­lo­gen und Grün­der der Sied­lung EPV, hieß das: „El Parai­so Ver­de wird eine Kanal‑, Fluss- und Seen­land­schaft.

Pil­har beschrieb sei­ne ers­ten Wochen in der Sied­lung zunächst ähn­lich schön­fär­be­risch: „Am Nach­mit­tag ist Bade­zeit im Bag­ger­see. Das Was­ser ist vom Lehm gräu­lich, macht aber die Haut sei­den­weich. Vor allem ist das Was­ser im Som­mer bade­wan­nen­warm! Wenn man ins Was­ser steigt meint man wirk­lich, man wur­de in eine gut tem­pe­rier­te Bade­wan­ne stei­gen.“ Als dann im Febru­ar 2021 aber das gan­ze Grund­stück rund um Pil­hars neu­es Häus­chen unter Was­ser stand, beka­men die Pil­hars – mitt­ler­wei­le war auch sei­ne Frau nach­ge­zo­gen – nas­se und kal­te Füße. Was in die­ser Zeit sonst noch alles vor­ge­fal­len ist zwi­schen den Pil­hars und den Annaus, ver­birgt Pil­har hin­ter den dür­ren, aber bedeu­tungs­schwan­ge­ren Sät­zen in einem News­let­ter: „In Para­gu­ay lan­de­te ich ursprüng­lich an einem Ort, der eigent­lich schreck­li­cher war als jener, vor dem ich geflo­hen war. Durch ent­schlos­se­nes Han­deln konn­te ich aber mei­nen Feh­ler meis­tern.“ An den schreck­li­chen Ort erin­nert nur ein Video auf Pil­hars Tele­gram-Kanal, das die Über­schwem­mung dokumentiert.

Helmut Pilhars Haus in El Paraiso Verde überschwemmt (TG-Kanal Pilhar)
Hel­mut Pil­hars Haus in El Parai­so Ver­de über­schwemmt (TG-Kanal Pilhar)

Auch El Parai­so Ver­de ist mitt­ler­wei­le mit Infos über sei­nen rechts­extre­men Zuzüg­ler, für den zunächst eine viel­ver­spre­chen­de Kar­rie­re im Gesund­heits­zen­trum von EPV vor­ge­se­hen war, sehr wort­karg. Nur ein toter Link erin­nert dar­an, dass Pil­har ein­mal bei EPV war, bevor ihn das Hoch­was­ser (und ande­res Unheil?) von die­sem „schreck­li­chen Ort“ ver­trie­ben hat.

Toter Link: Bericht zu Pilhars Motorradunfall gelöscht (Website El Paraiso Verde)
Toter Link: Bericht zu Pil­hars Motor­rad­un­fall gelöscht (Web­site El Parai­so Verde)

Der Anti­se­mit und Ger­ma­nen­me­di­zi­ner Pil­har ist zwar nicht mehr im EPV-Pro­jekt, aber dort ist trotz­dem kein Man­gel an Rechts­extre­men und Ver­schwö­rungs­gläu­bi­gen. Das beginnt schon bei Annau selbst, der zwar nicht mehr Sci­en­to­lo­ge ist, dafür aber auf sei­ner Web­site Sät­ze wie die­se veröffentlicht:

Kein Volk auf die­ser Erde hat mehr Repa­ra­ti­ons­zah­lun­gen für (teil­wei­se von ande­ren began­ge­nen) Kriegs­ver­bre­chen bezahlt als die Deut­schen (und Öster­rei­cher). Kein Volk wur­de mehr zum Opfer­volk der Welt gemacht als die Deut­schen (und Öster­rei­cher). Kein Volk wur­de in der von den Sie­ger­mäch­ten erfun­de­nen „Geschich­te“ mehr ver­leum­det als die Deutschen.

Erwin Annau in geschichtsrevisionischter Manier über die "Leiden" des deutschen und österreichischen Volkes
Erwin Annau in geschichts­re­vi­sio­nisch­ter Manier über die „Lei­den” des deut­schen und öster­rei­chi­schen Volkes

Das Sied­lungs­pro­jekt selbst wur­de 2020 US-Bürger*innen ange­prie­sen als Flucht­ort vor einem Wahl­sieg der Demo­kra­ten und all­ge­mein als Pro­jekt außer­halb der Matrix gegen die schä­di­gen­den Ein­flüs­se von 5G, Imp­fun­gen und Chemtrails.

El Paraiso Verde als Fluchtort nach dem Wahlsieg von Joe Biden (Website El Paraiso Verde)
El Parai­so Ver­de als Flucht­ort nach dem Wahl­sieg von Joe Biden (Web­site El Parai­so Verde)
El Paraiso Verde für Leute, die außerhalb der "Matrix" leben wollen (Website El Paraiso Verde)
El Parai­so Ver­de für Leu­te, die außer­halb der „Matrix” leben wol­len (Web­site El Parai­so Verde)

Daher durf­te auch zu Weih­nach­ten 2021 der Reichs­bür­ger, „Stoff­wech­sel­ex­per­te und Bio­krebs­the­ra­peut“ (!) Hans Peter Rein­hardt dem ein­schlä­gi­gen Publi­kum bekannt unter sei­nem Luft­na­men „Hans Peter Frei­herr von Liech­ten­stein“ einen pri­ckeln­den Vor­trag zum The­ma „Weih­nach­ten – Was ist das eigent­lich?“ im EPV halten.

Reichsbürger Hans Peter Reinhardt bei einem Vortrag in El Paraiso Verde
Reichs­bür­ger Hans Peter Rein­hardt bei einem Vor­trag in El Parai­so Verde

Über das Sied­lungs­pro­jekt EPV fin­det man im Netz, vor allem aber auf Tele­gram jede Men­ge nega­ti­ver Kom­men­ta­re bis hin zu Details einer in den Kauf­ver­trä­gen angeb­lich fest­ge­leg­ten Haus­ord­nung, die mit dem ange­prie­se­nen Leben in Frei­heit und „außer­halb der Matrix“ abso­lut unver­ein­bar sind. Das Pro­blem dabei: Teil­wei­se stam­men die Infos von Aus­wan­de­rern, die dar­an glau­ben, dass in unter­ir­di­schen Tun­nels Kin­der und schwan­ge­re Frau­en als „Gebär­ma­schi­nen“ gefan­gen gehal­ten wer­den. Aus­wan­dern nach Para­gu­ay ist selbst für Rechts­extre­me und Ver­schwö­rungs­fans oft eine schmerz­vol­le Erfahrung!

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