Es ist eine bemerkenswerte, ja auch sehr merkwürdige Entwicklung, die sich da durch die Jahresberichte von Stopline erkennen lässt. Während der Jahresbericht für das 2001 noch 40 Seiten umfasste, ist der Inhalt mittlerweile auf acht Seiten geschrumpft (2012 waren es immerhin noch 24 Seiten).
Parallel dazu hat sich die Anzahl der Meldungen an Stopline in zwanzig Jahren vervielfacht. Gab es 2001 1.413 Meldungen, so sind es mittlerweile im Rekordjahr 2021 43.496 (!). Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Meldungen zu NS-Wiederbetätigung nur einen Bruchteil davon ausmachen. 2021 waren es 4.385, also rund 10 Prozent, 2001 waren es 191, also knapp 14 Prozent. Über die Jahre hinweg schwankte dieser Prozentsatz an Meldungen zu NS-Wiederbetätigung aber immer wieder sehr stark: von etwas mehr als ein Prozent im Jahr 2018 bis zu 28 Prozent im Jahr 2014.
Das ist schon deshalb auffällig, weil die starken Schwankungen nicht mit den Konjunkturen neonazistischer Wiederbetätigung übereinstimmen, wie wir sie aus den Statistiken von Innen- und Justizministerium kennen. Aber klar ist: Eine Meldung wegen NS-Wiederbetätigung an Stopline muss noch lange nicht bedeuten, dass tatsächlich Wiederbetätigung vorliegt. Darum wäre es spannend, aber auch dringend notwendig, Genaueres über die Arbeitsweise von Stopline, ihren Ermittlungs- und Bewertungsvorgang zu erfahren. Wer macht das, wie wird entschieden, wie wird mit unklaren Fällen umgegangen, welche Antwort kriegt man im Falle einer Meldung?
In früheren Jahren wurde zumindest letztere Frage im Jahresbericht beantwortet: Wer seine Mailadresse angibt, erhielt eine Bestätigung über das Einlangen der Meldung. Mehr nicht. Die weitere Vorgangsweise blieb und bleibt leider vollkommen intransparent. Wer bewertet, welche von den eingelangten Meldungen wegen NS-Wiederbetätigung tatsächlich „illegal“ oder, wie es seit einigen Jahren heißt, „zutreffend“ ist?
Stopline hat einen Beirat, in dem durchaus Kompetenz vorhanden wäre. Es ist jedoch illusorisch anzunehmen, dass der Beirat in die Tagesarbeit eingebunden ist. Stopline müsste eigentlich über die Jahre und durch die Anzahl der Meldungen und Bewertungen ein ziemlich umfassendes Wissen über NS-Wiederbetätigung und Wiederbetätiger*innen erworben haben, teilt davon aber nichts der Öffentlichkeit mit. So wäre es natürlich durchaus interessant, an Fallbeispielen erläutert zu bekommen, was für die Bewerter*innen von Stopline unter Wiederbetätigung fällt und was nicht, was auch jenen helfen könnte, die mögliche Verstöße an die Stelle melden.
So aber fällt uns nicht nur auf, dass die Meldungen an Stopline exorbitant gestiegen sind und im Gegensatz dazu Stopline in seinen Berichten immer schweigsamer geworden ist. Auch die Zahl der Meldungen, die von Stopline als „illegale“ oder „zutreffende“ NS-Wiederbetätigung bewertet wurden, ist trotz der stark steigenden Zahl von Meldungen drastisch gesunken. Dabei will Stopline in den letzten Jahren eine stark steigende Meldungsqualität festgestellt haben. Das passt nicht so wirklich zusammen!
2001 wurden von den 191 Meldungen wegen NS-Wiederbetätigung 52 als „illegal“ bewertet, das waren 27 Prozent. 2021 waren es nur 24 von 4.385 Meldungen, also nur 0,5 Prozent, die als „zutreffend“ für NS-Wiederbetätigung klassifiziert wurden. Über die Jahre hinweg lässt sich ein sehr deutlicher „Trend“ bei Stopline erkennen: Je höher die Zahl der Meldungen wegen NS-Wiederbetätigung, desto geringer die Trefferquote. Das ist schon deshalb unbefriedigend, weil es nicht einmal den Ansatz einer Erklärung für diese paradoxe Entwicklung durch Stopline gibt.