Stopline: Je mehr Meldungen, desto weniger Wiederbetätigung?

Seit dem Jahr 2000 erscheinen jährlich die Berichte von Sto­pline, der Online-Meldestelle gegen sex­uelle Miss­brauchs­darstel­lun­gen Min­der­jähriger und nation­al­sozial­is­tis­ch­er Wieder­betä­ti­gung im Inter­net, die von den öster­re­ichis­chen Inter­net-Providern betrieben wird. Der vor weni­gen Tagen vorgestellte Jahres­bericht für das Jahr 2021 treibt ein Para­dox an die Spitze: Je mehr Mel­dun­gen zu NS-Wieder­betä­ti­gung, desto weniger wer­den von der Meldestelle als „zutr­e­f­fend“ bzw. „ille­gal“ anerkannt.

Es ist eine bemerkenswerte, ja auch sehr merk­würdi­ge Entwick­lung, die sich da durch die Jahres­berichte von Sto­pline erken­nen lässt. Während der Jahres­bericht für das 2001 noch 40 Seit­en umfasste, ist der Inhalt mit­tler­weile auf acht Seit­en geschrumpft (2012 waren es immer­hin noch 24 Seiten).

Stopline-Bericht 2001: 40 Seiten

Sto­pline-Bericht 2001: 40 Seiten

Stopline-Bericht 2021: 8 Seiten

Sto­pline-Bericht 2021: 8 Seiten

Par­al­lel dazu hat sich die Anzahl der Mel­dun­gen an Sto­pline in zwanzig Jahren vervielfacht. Gab es 2001 1.413 Mel­dun­gen, so sind es mit­tler­weile im Reko­rd­jahr 2021 43.496 (!). Zu berück­sichti­gen ist dabei, dass die Mel­dun­gen zu NS-Wieder­betä­ti­gung nur einen Bruchteil davon aus­machen. 2021 waren es 4.385, also rund 10 Prozent, 2001 waren es 191, also knapp 14 Prozent. Über die Jahre hin­weg schwank­te dieser Prozentsatz an Mel­dun­gen zu NS-Wieder­betä­ti­gung aber immer wieder sehr stark: von etwas mehr als ein Prozent im Jahr 2018 bis zu 28 Prozent im Jahr 2014.

Stopline: eingegangene Meldungen 2001 bis 2021

Sto­pline: einge­gan­gene Mel­dun­gen 2001 bis 2021

Das ist schon deshalb auf­fäl­lig, weil die starken Schwankun­gen nicht mit den Kon­junk­turen neon­azis­tis­ch­er Wieder­betä­ti­gung übere­in­stim­men, wie wir sie aus den Sta­tis­tiken von Innen- und Jus­tizmin­is­teri­um ken­nen. Aber klar ist: Eine Mel­dung wegen NS-Wieder­betä­ti­gung an Sto­pline muss noch lange nicht bedeuten, dass tat­säch­lich Wieder­betä­ti­gung vor­liegt. Darum wäre es span­nend, aber auch drin­gend notwendig, Genaueres über die Arbeitsweise von Sto­pline, ihren Ermit­tlungs- und Bew­er­tungsvor­gang zu erfahren. Wer macht das, wie wird entsch­ieden, wie wird mit unklaren Fällen umge­gan­gen, welche Antwort kriegt man im Falle ein­er Meldung?

In früheren Jahren wurde zumin­d­est let­ztere Frage im Jahres­bericht beant­wortet: Wer seine Mailadresse angibt, erhielt eine Bestä­ti­gung über das Ein­lan­gen der Mel­dung. Mehr nicht. Die weit­ere Vor­gangsweise blieb und bleibt lei­der vol­lkom­men intrans­par­ent. Wer bew­ertet, welche von den ein­ge­langten Mel­dun­gen wegen NS-Wieder­betä­ti­gung tat­säch­lich „ille­gal“ oder, wie es seit eini­gen Jahren heißt, „zutr­e­f­fend“ ist?

Sto­pline hat einen Beirat, in dem dur­chaus Kom­pe­tenz vorhan­den wäre. Es ist jedoch illu­sorisch anzunehmen, dass der Beirat in die Tage­sar­beit einge­bun­den ist. Sto­pline müsste eigentlich über die Jahre und durch die Anzahl der Mel­dun­gen und Bew­er­tun­gen ein ziem­lich umfassendes Wis­sen über NS-Wieder­betä­ti­gung und Wiederbetätiger*innen erwor­ben haben, teilt davon aber nichts der Öffentlichkeit mit. So wäre es natür­lich dur­chaus inter­es­sant, an Fall­beispie­len erläutert zu bekom­men, was für die Bewerter*innen von Sto­pline unter Wieder­betä­ti­gung fällt und was nicht, was auch jenen helfen kön­nte, die mögliche Ver­stöße an die Stelle melden.

So aber fällt uns nicht nur auf, dass die Mel­dun­gen an Sto­pline exor­bi­tant gestiegen sind und im Gegen­satz dazu Sto­pline in seinen Bericht­en immer schweigsamer gewor­den ist. Auch die Zahl der Mel­dun­gen, die von Sto­pline als „ille­gale“ oder „zutr­e­f­fende“ NS-Wieder­betä­ti­gung bew­ertet wur­den, ist trotz der stark steigen­den Zahl von Mel­dun­gen drastisch gesunken. Dabei will Sto­pline in den let­zten Jahren eine stark steigende Mel­dungsqual­ität fest­gestellt haben. Das passt nicht so wirk­lich zusammen!

2001 wur­den von den 191 Mel­dun­gen wegen NS-Wieder­betä­ti­gung 52 als „ille­gal“ bew­ertet, das waren 27 Prozent. 2021 waren es nur 24 von 4.385 Mel­dun­gen, also nur 0,5 Prozent, die als „zutr­e­f­fend“ für NS-Wieder­betä­ti­gung klas­si­fiziert wur­den. Über die Jahre hin­weg lässt sich ein sehr deut­lich­er „Trend“ bei Sto­pline erken­nen: Je höher die Zahl der Mel­dun­gen wegen NS-Wieder­betä­ti­gung, desto geringer die Tre­f­fer­quote. Das ist schon deshalb unbe­friedi­gend, weil es nicht ein­mal den Ansatz ein­er Erk­lärung für diese para­doxe Entwick­lung durch Sto­pline gibt.

Stopline: Anzahl Meldungen zu NS-Inhalten und als "zutreffend" bewertet

Sto­pline: Anzahl Mel­dun­gen zu NS-Inhal­ten und als „zutr­e­f­fend” bewertet