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Vandaleninserat für NS-belasteten Mediziner

Die Tiro­ler Tages­zei­tung ver­öf­fent­licht heu­te ein Inse­rat. Das ist nicht unge­wöhn­lich. Die Art der bezahl­ten Anzei­ge jedoch schon: Sie stammt vom Aka­de­mi­schen Corps Van­da­lia Graz und soll sein 1956 ver­stor­be­nes Mit­glied Burg­hard Breit­ner ehren und Pro­test dar­über aus­drü­cken, dass nun, wie es die Van­da­len for­mu­lie­ren, „sei­ne Uni­ver­si­tät und die Stadt Inns­bruck auf Distanz zu ihm“ […]

7. Mai 2021

Vor­ne­weg: Der Medi­zi­ner Breit­ner spiel­te im Natio­nal­so­zia­lis­mus eine „unrühm­li­che“ Rol­le – und das ist ange­sichts des­sen, was neue­re zeit­his­to­ri­sche For­schun­gen an der Uni­ver­si­tät Inns­bruck erge­ben haben, ohne­hin vor­nehm ausgedrückt.

Breit­ners Bio­gra­phie ist mit aller­lei freund­lich klin­gen­den Kar­rie­re­punk­ten aus­ge­stat­tet, wor­auf im bur­schen­schaft­li­chen Inse­rat refe­ren­ziert wird; dass er als Stu­dent der Medi­zin dem Corps Van­da­lia bei­getre­ten ist, mag für die Gra­zer Ver­bin­dung einen Plus­punkt dar­stel­len, ein beson­de­res Ver­dienst ist dahin­ter aller­dings nicht fest­zu­stel­len. Weil Breit­ner vor 70 Jah­ren, am 6. Mai 1951, Kan­di­dat bei der Bun­des­prä­si­dent­schafts­wahl gewe­sen sei, schal­te­ten die Van­da­len am 7. Mai ihre Annon­ce. Logisch? Oder soll­te die Breit­ner-Hul­di­gung gar auf den 8. Mai, den Tag der Befrei­ung vom Nazi-Regime, ver­wei­sen, der Tag, an dem rech­te Bur­schen­schaf­ter tra­di­tio­nell in Schwer­mut und Trau­er versinken?

Inserat in der TT von Vandalen für Breitner
Inse­rat in der TT von Van­da­len für Breitner

Breit­ner, Jahr­gang 1884, war Teil­neh­mer des Ers­ten Welt­kriegs, geriet in Kriegs­ge­fan­gen­schaft und nahm von dort den Titel „Engel von Sibi­ri­en“ mit. Den hat­te er sich wohl selbst gegeben:

Der wohl von ihm selbst wesent­lich pro­pa­gier­te Bei­na­me „Engel von Sibi­ri­en“ bezieht sich auf die­se Tätig­keit. Auch die zugrunge­lie­gen­de Beto­nung, Breit­ner habe das Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­ger erst ver­las­sen, als auch der letz­te öster­rei­chi­sche Sol­dat in die Hei­mat zurück­keh­ren konn­te, stellt bei genau­er Betrach­tung eine Über­trei­bung dar: Wenn­gleich es Frei­las­sun­gen im Sinn eines Kriegs­ge­fan­ge­nen­aus­tauschs gab, so erschien Breit­ner auf kei­ner bekann­ten Lis­te – was die Aus­sa­ge, er habe die Rück­kehr ver­wei­gert, gestützt hät­te. Das bedeu­tet, er hat­te kei­ne Mög­lich­keit gehabt, eher nach Öster­reich zurück­zu­keh­ren, auch wenn er es gewollt hät­te. (uibk.ac.at)

Ehrentafel für Breitner an seinem Geburtshaus in Mattsee/Sbg. (Von Anton-kurt - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0 https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=23526624)
Ehren­ta­fel für Breit­ner an sei­nem Geburts­haus in Mattsee/Sbg. (Foto: Anton-kurt — Eige­nes Werk, CC BY-SA 3.0)

Aus dem Krieg retour, klet­ter­te der deutsch­na­tio­nal gesinn­te Breit­ner rela­tiv schnell die aka­de­mi­sche Kar­rie­re­lei­ter in die Höhe. 1932 erhielt er schließ­lich eine Pro­fes­sur an der medi­zi­ni­schen Fakul­tät in Inns­bruck. Breit­ner wur­de spä­tes­tens 1939 Mit­glied der NSDAP (eine frü­he­re Mit­glied­schaft ab 1932 ist umstrit­ten) und leug­ne­te die­se dann in einem Ent­na­zi­fi­zie­rungs­ver­fah­ren mit der Behaup­tung, nicht er hät­te die Mit­glieds­er­klä­rung aus­ge­füllt, son­dern sein Assis­tent, und sei­ne Haus­häl­te­rin hät­te die Mit­glieds­bei­trä­ge bezahlt – bei­des ohne sein Wis­sen. Breit­ner kam damit durch: Er wur­de „schließ­lich 1946 aus der Lis­te der Natio­nal­so­zia­lis­ten gestri­chen“ (uibk.ac.at).

Breit­ner wur­de nach der Imple­men­tie­rung des Geset­zes zur Ver­hü­tung erb­kran­ken Nach­wuch­ses (…) ab März 1940 zur Durch­füh­rung von Zwangs­ste­ri­li­sa­tio­nen und ‚frei­wil­li­gen Ent­man­nun­gen’ von männ­li­chen Zivil­per­so­nen sowie ab Mai 1940 auch von Straf­ge­fan­ge­nen der Jus­tiz­ver­wal­tung ‚ermäch­tigt‘.“ (uibk.ac.at) Dass er von den Zwangs­ste­ri­li­sa­tio­nen von Homo­se­xu­el­len und Behin­der­ten gewusst hat, scheint klar zu sein, wahr­schein­lich ist, dass er auch selbst Zwangs­ste­ri­li­sa­tio­nen durch­ge­führt hat. Neben­bei war Breit­ner auch als „bera­ten­der Chri­urg“ für die Wehr­macht tätig.

Das hat sei­ner Kar­rie­re nach 1945 nicht gescha­det – im Gegen­teil: 1950 wur­de Breit­ner Prä­si­dent des Roten Kreu­zes, 1951 von der Par­tei der „Ehe­ma­li­gen“, dem Ver­band der Unab­hän­gi­gen (VdU), zum Bun­des­prä­si­dent­schafts­kan­di­da­ten gekürt (er beleg­te mit 15% Platz drei) und schließ­lich 1952/53 zum Rek­tor der Uni­ver­si­tät Inns­bruck gewählt. 1966, zehn Jah­re nach Breit­ners Tod, beschloss die Stadt Inns­bruck, eine Stra­ße nach ihm zu benen­nen. Die wur­de im letz­ten Jahr, nach­dem sei­ne Betei­li­gung im Natio­nal­so­zia­lis­mus bekannt gewor­den war, mit einer Zusatz­ta­fel ver­se­hen. Im Okto­ber 2020 beschloss der Inns­bru­cker Senat, das städ­ti­sche Ehren­grab für Breit­ner auf­zu­las­sen.

Nun, nach­dem die Stadt Inns­bruck ihre Leh­ren gezo­gen und gehan­delt hat­te, ver­öf­fent­licht die Tiro­ler Tages­zei­tung, die über die Dis­kus­sio­nen zu Breit­ner berich­tet hat­te, das geschichts­klit­tern­de Inse­rat der Gra­zer Van­da­len, in dem die sich beschwe­ren dür­fen, dass „sei­ne [Breit­ners] Uni­ver­si­tät und die Stadt Inns­bruck auf Distanz zu ihm“ gehen. „Wir bewah­ren ihm ein ehren­des Ange­den­ken“, ver­si­chern die Van­da­len daher. Dar­an hät­te aber auch ohne Anzei­ge kaum jemand gezweifelt!

P.S.: Mit­glied des Corps Van­da­lia Graz sind der FPÖ-Natio­nal­rats­ab­ge­ord­ne­te Wolf­gang Zan­ger, der blaue EU-Abge­ord­ne­te Georg May­er und der Ex-EU-Abge­ord­ne­te Andre­as Möl­zer. Der Chef­his­to­ri­ker der Blau­en, Lothar Höbelt, ist Her­aus­ge­ber einer Fest­schrift für Breit­ner, die 1994 vom Frei­heit­li­chen Bil­dungs­werk ver­legt wur­de. Dass wir dort über Breit­ners Rol­le im Natio­nal­so­zia­lis­mus nichts lesen kön­nen, ist nicht überraschend.

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