Mölzer: Der Wiederentdecker
In einer Rede vor dem deutlich rechtsextremen Salzburger Freiheitlichen Akademikerverband warnte Mölzer, der damals als Bundesrat und „Grundsatzreferent“, also als Chefideologe der FPÖ fungierte, davor, dass die „deutsche Volkes- und Kulturgemeinschaft“ in Österreich und der BRD erstmals in ihrer „tausendjährigen Geschichte“ eine „Umvolkung“ zu befürchten habe (APA, 12.2.92). Die Katze war aus dem braunen Sack und fand kurzfristig begeisterte blaue Nachahmer wie den später wegen NS-Wiederbetätigung verurteilten FPÖ-Bundesrat John Gudenus.
Jörg Haider: Ein „unschöner“ Begriff?
Danach rückten reihenweise blaue Spitzenfunktionäre wie Walter Meischberger (damals Generalsekretär der FPÖ, jetzt zu dreieinhalb Jahren rechtskräftig verurteilter Straftäter), FPÖ-Klubobmann Norbert Gugerbauer (der kurz darauf aus dem Nationalrat ausschied) und nach zwei Wochen Bedenkzeit schließlich auch FPÖ-Chef Jörg Haider aus, um Mölzer irgendwie zu verteidigen. Er habe inhaltlich „kein Problem damit“, das einzige, was er ihm wirklich vorwerfe, sei dieser „unschöne Begriff“: „Etwas später ergänzte Haider, daß er im Parteipräsidium deponiert habe, daß er nicht wünsche, daß mißverständliche Begriffe verwendet werden.“ (Der Standard, 27.2.1992)
Mölzer: Halber Rückzug
Man lasse sich durch Kritik von außen den Mölzer nicht herausschießen, so die von Haider ausgegebene Losung. Aber die Kritik bzw. der Protest gegen Mölzers braunen Sager war nicht nur bei SPÖ und Grünen massiv, sondern auch bei der ÖVP und sogar innerhalb der FPÖ. Haiders Stellvertreter als Parteiobmann und Nationalratsabgeordneter, Georg Mautner-Markhof, trat von seinen Funktionen zurück, Norbert Gugerbauer detto, und für die wenigen Liberalen in der FPÖ rund um Heidi Schmidt war Mölzers Sager wohl ein initialer Schritt für die Loslösung von der FPÖ und die Gründung des Liberalen Forums. Den geforderten Rücktritt als Mitglied des Bundesrates verweigerte Mölzer, stellte aber seine Funktionen als Grundsatzreferent und als Chef des Freiheitlichen Bildungswerkes (Vorläufer des Freiheitlichen Bildungs-Instituts/FBI) bis zu seiner allfälligen Rehabilitierung „vorläufig ruhend“.
Franz Fuchs: „Umvolker, nein danke!“
In den Folgejahren wurde der Begriff „Umvolkung“ durch Mölzer und andere Blaue in der politischen Debatte weitgehend durch den der „Ethnomorphose“ ersetzt, der inhaltlich ident ist, aber der Vorgabe von Haider entsprach. Nur der rechtsterroristische Briefbomben-Attentäter Franz Fuchs erinnerte in seinen Bekennerschreiben an die „Umvolkung“ und an Mölzer und schrie in seinem letzten Auftritt als Angeklagter im Grazer Schwurgerichtsprozess im Februar 1999 sein Bekenntnis in den Saal: „Umvolker und Völkermörder, nein danke!“
Mit Johann Gudenus ist „Umvolkung“ wieder zurück
2004, war die „Umvolkung“ wieder zurück im blauen Vokabular. Johann Gudenus, Sohn von John Gudenus, war zum Bundesobmann des Rings Freiheitlicher Jugend (RFJ) avanciert. Er nutzte den alten Nazi-Terminus, um öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen. In einer Presseaussendung Ende März 2004 forderte er „Systematischer Umvolkung sofort ein Ende setzen !!“ Die FPÖ, die damals Regierungspartei war, verteidigte ihren Jungfunktionär und belohnte ihn 2005 mit einem Mandat im Wiener Gemeinderat. Die öffentliche Kritik gegen Johann Gudenus fiel deutlich geringer aus – der Koalitionspartner ÖVP schwieg überhaupt.
Als er dann einige Jahre später, 2010, in einem Interview mit dem „Standard“ den Begriff hinter einer nur vordergründigen Distanzierung neuerlich bestätigte, gab es faktisch überhaupt keine Proteste mehr.
Standard: Ist das Wort „Umvolkung” in Ihrem gängigen Vokabular vorhanden?
Gudenus: Wenn man jünger ist, schießt man da und dort über das Ziel hinaus. Aber es ist das Recht der Jugend zu provozieren.
Standard: Auch, wenn der Begriff eine Nazi-Konnotation hat?
Gudenus: Mir ist die Konnotation nicht bekannt, das wird immer so herbeigeredet. Wir bewegen uns innerhalb der Verfassung, innerhalb der Menschenrechte, und wir schätzen das freie Wort. Wenn sich jemand im Rahmen der Meinungsfreiheit gewisser Ausdrücke bedient, sollte man nicht immer so überempfindlich sein. Außerdem sind wir ja Gegner dieser zitierten Umvolkung. Wir lehnen das ab. Umvolkung ist für uns pfui gack. (derstandard.at, 27.12.10)
Ideologische Verfestigung und Radikalisierung
Konnte man bei der früheren Verwendung des Begriffes durch die FPÖ noch von Rückständen, Relikten einer zerbrochenen Ideologie sprechen, so ist der Terminus „Umvolkung“, der immer auch ethnisch-rassistisch aufgeladen war und ist, mittlerweile deutlich ideologisch verfestigt und durch verwandte Begriffe wie „Großer Austausch“, „Überfremdung“ und „Remigration“ in ein strategisches Konzept eingebettet. Im FPÖ-Wahlprogramm 2024 wird die rechtsextreme und rassistische Programmatik über den Begriff der „Homogenität des Staatsvolkes“, also einer für die FPÖ positiv besetzten „Umvolkung“, abgehandelt.
Tage, nachdem der blaue Präsident Rosenkranz einen Ordnungsruf für die Verwendung des Begriffs „Umvolkung“ verweigert hatte, kam der in der Debatte über den Rechtsextremismusbericht durch einen Zwischenruf des FPÖ-Chefs Herbert Kickl neuerlich zur Sprache: „Na, Moment einmal! Bei den Nationalsozialisten war das ein positiver Begriff, er [gemeint ist der Abg. Wurm, Anmk. SdR] hat den Begriff kritisiert, das ist doch ein wesentlicher Unterschied!“ (zit. nach dem vorläufigen Stenographischen Protokoll, 25.4.25)
Richtig daran ist, dass die Nazis den Begriff der Umvolkung ab 1940 „positiv” verwendet haben: im Sinn von Re-Germanisierung, „Eindeutschung“ – man könnte auch sagen: Homogenisierung des Staatsvolkes. Falsch ist, dass der Abgeordnete Wurm den Begriff Umvolkung kritisiert hätte. Wurm hat die Umvolkung in der zweiten, der von heutigen Rechtsextremen und Neonazis üblichen Bedeutung verwendet bzw. angeprangert: eine vermeintlich mit Hilfe von „Eliten” erzwungene Zuwanderung von angeblich Minderwertigen, Kriminellen, die die angeblich autochthone Bevölkerung verdrängen – auch mit Gewalt (Messern). Rassismus pur! Wurm im Nationalrat: „So, leider Gottes ist – mit Ansage – alles eingetreten: von der Kriminalität über die Umvolkung bis hin zum Kollaps des Sozialsystems.” (zit. nach derstandard.at, 25.4.25)
Literatur
Cornelia Schmitz-Berning, Vokabular des Nationalsozialismus. Verlag de Gruyter, Berlin 2007 (2. Auflage)
Bente Gießelmann, Robin Richterich, Benjamin Kerst, Lenard Suermann, Fabian Virchow (Hrsg.): Handwörterbuch rechtsextremer Kampfbegriffe. Wochenschau Verlag, Frankfurt/Main. 2019 (2. Auflage)