Detaillierte und lange Prozessberichte sind redaktionell fordernd, aber man kann auch einiges dabei lernen. Zum Beispiel über das „Schweizer Haus“. Das könnte nicht nur für Nicht-Wiener*innen verwirrend sein. Schweizerhaus nennt sich eine Wiener Gaststätte im Prater, in der massenhaft Bier konsumiert wird. „Schweizer Haus“ nennt sich andererseits eine Therapieeinrichtung, in der man von Alkohol und anderen Süchten entwöhnt bzw. therapiert werden soll. Die beiden Institutionen sind räumlich stark getrennt. Jener Schauplatz, der am 13.3. am Landesgericht Wien eine gewisse Rolle spielte, ist der antialkoholische, also das „Schweizer Haus“.
Roman K. (31), der wegen NS-Wiederbetätigung Angeklagte, war bis kurz vor seinen Tathandlungen ein Insasse der Therapieeinrichtung. Am 17. Oktober 2024 wurde er aus der Einrichtung rausgeworfen, nachdem er alkoholisiert nach einem Ausflug in die Mariahilfer Straße wieder einrücken wollte.
Hitlergrüße beim Auhof-Center
Mit seinen Habseligkeiten in einem Koffer suchte er das Einkaufszentrum in Wien-Auhof auf, hob dort vor dem McDonald’s mehrmals die Hand zum Hitlergruß, schrie „Sieg Heil“ und „Heil Hitler“ und pöbelte Passant*innen an. Die verständigten die Polizei, die rasch auftauchte und versuchte, Roman K. zu beruhigen. Der aber wiederholte seine Hitlergrüße und fügte später noch – zur Warnung? – hinzu: „Solange das Deutsche Reich besteht, wird der Zeiger rechts stehen“ und „unter dem Führer hätte es sowas nicht gegeben“.
Vor den Geschworenen wollte K. auf Nachfrage kaum eine Erinnerung an das turbulente Geschehen im Einkaufszentrum haben. Wie soviel Hitlerei aus ihm herausplatzen konnte, wo er doch keine Berührungspunkte mit dem Nationalsozialismus habe, war ihm unerklärlich. Einzig den Hitlergruß schrieb er einer Erinnerung an den Film „Er ist wieder da“ zu. Von dort müsse seine Handbewegung samt Spruchformeln wohl gekommen sein.
Der Grad seiner Alkoholisierung war zu diesem Zeitpunkt mit 2,5 Promille recht hoch, aber der Gutachter schätzte die Zurechnungsfähigkeit als gegeben ein. Auch die als Zeugen befragten Polizist*innen stellten trocken fest, dass er die inkriminierten Sätze fehlerfrei und ohne schweren Zungenschlag herausbringen konnte.
An diesem Punkt ist festzuhalten, dass Roman K. nicht zum ersten Mal eine Therapie erfolglos hinter sich gebracht hat. Zwei seiner Vorstrafen hatten sein Suchtproblem zum Gegenstand. Bei der letzten hatte er 18 Monate kassiert, die ihm bedingt nachgelassen wurden, mit der Auflage, eine weitere Therapie zu absolvieren. Die war die im „Schweizer Haus“.
Plädoyer nach Skandalurteil in Graz
K. hat viele ziemlich verkrachte Jahre mit Suchtmitteln aller Art hinter sich. Nach einer von der Wiener Polizei erstellten Einschätzung unterhielt er keine Kontakte zur organisierten Neonazi-Szene und ist bisher auch nicht wegen brauner Gesinnung aufgefallen. Der Verteidiger plädierte dafür, den Angeklagten nicht nach dem Verbotsgesetz zu bestrafen, sondern wegen einer Verwaltungsübertretung.
Wie so viel Naziideologie in das Innere des Roman K. gelangen konnte, die dann am 17. Oktober explosionsartig an die Oberfläche drängte, konnte allerdings auch er nicht beantworten. Dafür bot er in seinem Schlussplädoyer noch einen Vergleich an, der es tatsächlich in sich hatte. Er habe, so der Verteidiger, im „Standard“ einige Tage zuvor gelesen, dass ein ehemaliger Polizist, der behauptet habe, dass Hitler keine Juden ermordet habe, vom Vorwurf der Wiederbetätigung freigesprochen worden sei. Ihr Kollege – und damit meinte er die Staatsanwaltschaft – hat dieses Urteil akzeptiert. Das war eine harte Bandage, entspricht aber bedauerlicherweise der Erfahrung aus vielen Prozessbeobachtungen. Während fast jeder leicht oder schwer alkoholisierte Nobody, der im Suff den Hitlergruß ausführt, völlig zu Recht mit einer Haftstrafe abgemahnt wird, steigt die Wahrscheinlichkeit eines Freispruchs mit Amt und Bildungsgrad.
Das bestätigte sich auch bei Roman K.: Bei den drei Haupt- und Zusatzfragen, die die Geschworenen zu beantworten hatten, stimmten sie für die Schuld des Angeklagten. Das Strafmaß wurde mit zwölf Monaten unbedingt festgelegt, weil wegen der Vorstrafen eine bedingte Nachsicht nicht mehr möglich sei. Das Urteil war am 13.3. noch nicht rechtskräftig.