L.M. ist jetzt 28 Jahre alt. Auf seinem Facebook-Profil führt er als seinen Arbeitgeber KTM in Mattighofen an. Das Unternehmen, aber vor allem seine Beschäftigten, haben gerade existenzielle Sorgen. Während L.M. vor Gericht steht, gibt KTM seine Insolvenz bekannt. Einige Facebook-Freunde von L.M. sind ebenfalls bei dem Unternehmen beschäftigt, das für die gesamte Region in den letzten Jahrzehnten das Leitunternehmen darstellte. L.M. ist begeisterter Motorbiker, wie auf seinem FB-Profil zu sehen ist, und trägt einen Patch der „Free Biker Alliance“ (FBA) auf seiner Kluft: „No Club — No Rules — Just Ride“
2017: bereits geläutert
Vor zehn Jahren war L.M. noch ein begeisterter Neonazi – ein schwerer, könnte man ebenfalls sagen. „Ich war tief drinnen“, gibt der Angeklagte in der Hauptverhandlung am 27. November zu. 2017 musste er sich schon einmal wegen NS-Wiederbetätigung vor dem Landesgericht Ried verantworten, Nicht alleine, sondern mit zwei weiteren Angeklagten. Das in der Nazi-Szene bestens vernetzte Trio war in der Mattighofener Gegend auffällig gewesen, hatte gemeinsam mit weiteren fünf Kameraden Wehrsportübungen im Kobernaußer Wald durchgeführt und Fotos davon auf Facebook gestellt. Silvester wurde mit der Nazi-Reichskriegsflagge (mit Hakenkreuz) gefeiert.
L.M. war damals mit 21 Jahren der Jüngste in der Gruppe, aber auch der Erstangeklagte, der zwar komplett geläutert sein wollte, aber zugeben musste, 2015 die Braunauer Stadtmauer mit Hakenkreuzen beschmiert und 2016 in Salzburg den Führergruß dargeboten zu haben. „Stoppt die Rechten“ berichtete 2017 ausführlich über den Prozess gegen die drei Burschen. Damals kam das Trio mit einer relativ milden bedingten Strafe von jeweils einem Jahr davon.
2024: 34 Delikte und wieder geläutert
2024 versuchte sich L.M. vor Gericht in der – angesichts der Faktenlage – schwierigen Spezialdisziplin, die Quadratur des Kreises zu erklären. Wobei „erklären“ auch nicht hilfreich ist: „Ich verstehe mich selber nicht“, zitieren ihn die „Oberösterreichischen Nachrichten“ (28.11.24).
Die in der Anklage angeführten Vorhaltungen: Ein Video vom Nova-Rock-Festival 2023 zeigte ihn, wie er die Hand zweimal zum Hitlergruß hochstreckte. Im Zug der Ermittlungen wurde auch sein Handy ausgewertet und da werden „weitere Fotos und Videos mit NS-Inhalten, unter anderem Abbildungen von Adolf Hitler und Hakenkreuzen, die er zwischen 2020 und 2023 in verschiedene WhatsApp-Gruppen weitergeschickt hat, sichergestellt“ (OÖN). Insgesamt 34 Fakten zählt die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage auf. Das sind 34 Fakten zu viel für einen, der schon vor Jahren aus der Szene ausgestiegen sein will. Die Geschworenen sprechen den Angeklagten in allen Punkten schuldig: 15 Monate bedingt ist die Strafe, die das Gericht dafür festsetzt – bereits rechtskräftig.
Schulbesuch als Zusatzweisung
Zusätzlich erhält L.M. erhält eine bemerkenswerte Weisung:
Dieser muss in den nächsten Monaten an der Polytechnischen Schule in Mattighofen in einer Unterrichtseinheit über seine Vergangenheit erzählen. „Es ist uns wichtig, dass Sie ihre Geschichte mit anderen teilen und reflektieren, was da läuft. Denn ganz geläutert sind Sie noch nicht. Irgendetwas ist noch in Ihnen, was nicht ok ist. Wenn Sie in diese Richtung weiteren, dann klicken beim nächsten Mal sicher die Handschellen“, so Kiesl. Er betonte aber auch: „Sie haben etwas geschafft, was wenige schaffen. Denn Sie haben sich aus diesem Sumpf herausgezogen. Das ist ein Kompliment. Wir wollen, dass sie sich vor eine Schulklasse hinstellen und den Kindern sagen, was da passieren kann! (meinbezirk.at, 27.11.24)
Das Gegenteil von gut ist manchmal gut gemeint. Es ist eine Überforderung des Angeklagten, aber auch der Schule bzw. der Schüler*innen, denen die unreflektierte Erlebnisbeichte eines, der „noch nicht ganz geläutert“ (so der Richter) ist, zugemutet werden soll. Die Weisung ist nachvollziehbar, da sie vermutlich aus dem Bemühen eines Richters kommt, der weiß, dass eine Strafe oder Strafandrohung alleine noch nicht genügend bewirkt. Die Möglichkeiten der Justiz sind andererseits begrenzt. Was einem Angeklagten wie L.M. helfen könnte, wäre eine gezielte Ausstiegsberatung und nicht ein einziges Gespräch – und schon gar nicht vor Jugendlichen.
Kein leichter Ausstieg am Land
Ferndiagnosen sind faktisch unmöglich zu erstellen, aber was sich aus M.s FB-Profil entnehmen lässt, ist, dass die Nazi-Kameraden aus früheren Zeiten in seinem engeren Umfeld nicht mehr auftauchen. M. ist mittlerweile nicht nur ein FBA-Biker, sondern vor allem begeisterter „Kramperl“ bei einer „Krampus-Pass“. Die Aktivität in Passen ist eine ganzjährige Freitzeitbeschäftigung für Jugendliche und junge Männer (oft eines der wenigen Angebote für Jüngere am Land), häufig von einer rechten Opfer-Erzählung und Männlichkeitsritualen begleitet. Wer in einer Pass mitmacht, ist nicht unbedingt ein Rechter, aber ein Ausstiegsprogramm für Rechte ist die Pass mit Sicherheit nicht. Dazu kommt noch: L.M. bewegt sich in Räumen, wo jeder jede(n) kennt, was einen Ausstieg nicht leichter macht. Als „Verräter“ würde der Angeklagte laut seinem Verteidiger von seinen früheren Nazi-Kameraden tituliert, und er selbst sagt: „[E]s gibt nach wie vor Orte, wo ich nicht hingehen kann.“ (OÖN, 28.11.24)