Die Strategie der Verteidigung war es – wie so oft –, ihren Mandanten als unbedarften Menschen darzustellen. Für den Zweck wurden alle Register der vermeintlichen Schuldbefreiung gezogen: Der Angeklagte arbeite mit Ausländern zusammen, habe eine Schwarze als Trauzeugin und habe die braunen Nachrichteninhalte seines Bekannten ohnehin nie zustimmend kommentiert. Es wurde betont, dass beim Paragrafen 3g des Verbotsgesetzes, der für eine Verurteilung den Nachweis eines bedingten Vorsatzes, also der bewussten Absicht der Wiederbetätigung, erfordert, das Umfeld des Angeklagten zu überprüfen sei.
Mit Neonazi Chatnachrichten ausgetauscht
Dass es sich bei dem Bekannten Peter S., mit dem B. Nachrichten ausgetauscht hatte, um einen wegen Wiederbetätigung im November 2022 verurteilten Täter, der sich im Neonazi-Milieu bewegt, handelt, schien für die Verteidigung keinen Widerspruch darzustellen. Das von B. versandte Video mit Hitler sei nur „eine kopflose Blödelei“ gewesen. Zu guter Letzt kam das Argument, das Verbotsgesetz sei „eine scharfe Klinge“, die aber „nicht zu oft“ – sprich beim angeklagten Mandanten – zur Anwendung kommen solle, da sie sonst stumpf würde. Warum die häufigere Anwendung eines Gesetzes zu dessen Unwirksamkeit führen soll, führte der Verteidiger dann allerdings nicht mehr aus.
Während der Befragung präsentierte sich der 27-jährige Angeklagte als geschichtsinteressierter Büchersammler. Das angebliche Geschichtsinteresse reichte allerdings nicht, den Nazi-Nachrichten des Bekannten zu widersprechen oder ihn gar anzuzeigen – etwa, als der ein Foto von sich in Tarnanzug mit Hitlergruß schickte. Stattdessen retournierte B. ein Hitler-Video. Mittlerweile sei der Kontakt jedoch abgebrochen, und mündlich habe er S. darauf hingewiesen, dass er das Versenden solcher Inhalte doch bitte unterlassen solle, war im Gerichtssaal zu hören. Er sei zudem zweimal in Mauthausen gewesen, und ein Besuch von Auschwitz stünde schon länger auf seiner To-do-Liste.
NS-Bücher vom Opa im Wohnzimmer
Auch nicht sonderlich bedenklich oder sonderbar fand es der Angeklagte, sich eine Bibliothek an NS-Literatur gut sichtbar ins Wohnzimmer zu stellen. Darunter befanden sich etwa die letzten Aufzeichnungen von Joseph Goebbels und die Tagebücher der Eva Braun. Die Bücher habe er vom Opa seiner Ex-Partnerin geerbt, in die Schachtel, die er übernommen hat, habe er damals nicht reingesehen. Dass er 2018 seinen offenbar stark an NS-Devotionalien interessierten Bekannten zu sich einlud, um sich die Bücher anzusehen? Laut Verteidigung ohne Bedeutung!
Der Verteidiger appellierte in seinem Schlussplädoyer wie nicht unüblich bei Wiederbetätigungsprozessen an die Nachsicht der Geschworenen, da die Konsequenzen einer Verurteilung „verheerend“ wären. Die Schlussworte des Angeklagten: „Wos soll i sogn? Tut ma leid, es woar a Bledsinn.“
Die Geschworenen folgten den Argumenten des Verteidigers und sprachen den Angeklagten von allen der insgesamt drei Vorwürfe – nicht rechtskräftig – frei.
Danke an prozess.report für die Prozessbeobachtung!