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Kickl und ein kalkulierter Verfassungsbruch?

Seit dem Früh­jahr 2023 läuft FPÖ-Obmann Her­bert Kickl mit der Ansa­ge her­um, dass er „Volks­kanz­ler“ wer­den will. Fragt sich: Wie will Kickl etwas wer­den, was die öster­rei­chi­sche Ver­fas­sung expli­zit nicht vor­sieht? Durch einen Ver­fas­sungs­bruch? Im ORF-Som­­mer­­ge­spräch am 21.8.23 prä­zi­sier­te Kickl, er wol­le „Kanz­ler aus dem Volk für das Volk“ und nicht einer „aus dem System […]

16. Jan 2024
Die rechte Hand Kickls (Screenshot Nationalrat 30.8.23, ORF-TVthek)
Die rechte Hand Kickls (Screenshot Nationalrat 30.8.23, ORF-TVthek)

Im ORF-Som­mer­ge­spräch am 21.8.23 prä­zi­sier­te Kickl, er wol­le „Kanz­ler aus dem Volk für das Volk“ und nicht einer „aus dem Sys­tem für das Sys­tem“ wer­den. Die Kri­tik an sei­ner Bier­zelt-Paro­le beschränk­te sich zumeist dar­auf, dass vor Kickl die Nazis Hit­ler als „Volks­kanz­ler“ insze­niert haben. Das ist nicht falsch, trifft aber den Kern aber nur bedingt.

Wer wäre ein „Volkskanzler“?

Als „Volks­kanz­ler“ könn­te sich wohl nur eine Per­son bezeich­nen, die direkt vom Volk gewählt wird, eine über­wäl­ti­gen­de Mehr­heit der Bevöl­ke­rung bei Wah­len hin­ter sich hat (zwi­schen 80–100 Pro­zent, was wohl nur in auto­ri­tä­ren Sys­te­men mit Mani­pu­la­ti­on oder mit Zwang mög­lich ist) und weit­ge­hend allein und ohne Par­la­ment, ohne Bun­des­prä­si­dent, ohne unse­re Ver­fas­sung und deren checks and balan­ces oder wie Kickl sagt, ohne unser Sys­tem – regie­ren kann.

„Volks­kanz­ler“ kann in Öster­reich nur wer­den, wer so ziem­lich alle Insti­tu­tio­nen der Repu­blik bekämpft bzw. missachtet.

Missachtung der Verfassung

Der Bun­des­prä­si­dent bestellt übli­cher­wei­se eine Per­son sei­nes Ver­trau­ens (ein­zi­ge Vor­aus­set­zung: Wähl­bar­keit zum Natio­nal­rat) mit der Bil­dung einer Regie­rung, die eine Mehr­heit im Natio­nal­rat benö­tigt. Die öster­rei­chi­sche Bun­des­ver­fas­sung sieht eine Kanz­ler­wahl und dem­entspre­chend einen „Volks­kanz­ler“ nicht vor. Im Gegen­teil: Sie schließt ihn aus!

Kick­ls Lösung: „Ich glau­be, dass das Recht der Poli­tik zu fol­gen hat, und nicht die Poli­tik dem Recht.“ (Kickl im ORF-Report am 23.1.19)

Die rechte Hand Kickls (Screenshot Nationalrat 26.9.18, ORF-TVthek)
Kickl als Innen­mi­nis­ter (Screen­shot Natio­nal­rat 26.9.18, ORF-TVthek)

Abwertung des Bundespräsidenten

Die öster­rei­chi­sche Ver­fas­sung kennt kei­nen direkt vom Volk gewähl­ten „Volks­kanz­ler“, wohl aber einen direkt durch das Wahl­volk gewähl­ten Bun­des­prä­si­den­ten. „Volks­prä­si­dent“ wür­de trotz­dem nie­mand sagen – auch weil er trotz Direkt­wahl nicht mit jener Macht aus­ge­stat­tet ist, die sich Kickl und die FPÖ für ihren „Volks­kanz­ler“ wünschen.

Bei der Bil­dung einer Regie­rung und der Aus­wahl ihrer Mit­glie­der kann der Bun­des­prä­si­dent aber eine wich­ti­ge Rol­le spie­len. Das stört Kickl mas­siv. Des­halb ver­sucht er, den Bun­des­prä­si­den­ten abzu­wer­ten, bezeich­net ihn als „Mumie in der Hof­burg“ (zit. nach derstandard.at, 22.2.23), als „senil“ (ebd.) oder will ihm gar „den Schä­del gera­de rich­ten“ (zit. nach kurier.at, 6.2.23).

Verachtung für die anderen Parteien und die Medien

Mit 30 oder 40 Pro­zent der Stim­men kann nie­mand „Volks­kanz­ler“ wer­den. Auch mit über 50 Pro­zent der Wähler*innenstimmen kennt die öster­rei­chi­sche Ver­fas­sung kei­nen „Volks­kanz­ler“, son­dern nur einen Kanz­ler, der nicht ein­mal (so wie der deut­schen Bun­des­kanz­ler) vom Par­la­ment direkt gewählt wird und daher auch kein Vor­ge­setz­ter oder Chef der ande­ren Regie­rungs­mit­glie­der ist.

Für ande­re Par­tei­en hat Kickl nur Ver­ach­tung übrig: Sie sind für ihn „Sys­tem­par­tei­en“ und Teil eines Sys­tems, das er grund­le­gend – so wie die „Sys­tem­me­di­en“ und ihre „links­lin­ken Auf­trags­schrei­ber“ ablehnt.

Wer nicht für Kickl ist, hat im Sys­tem Kickl nichts zu sagen: So kann man sich auch mit 30 Pro­zent als „Volks­kanz­ler“ auf­spie­len. Demo­kra­tisch ist es nicht!

Verachtung für die Europäische Union

Aus sei­ner Ver­ach­tung für die Euro­päi­sche Uni­on macht Kickl kein Geheim­nis. Er sieht eine „unglaub­li­che EU-Unter­wür­fig­keit Öster­reichs“ (zit. nach ots.at, 25.10.23 https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20231025_OTS0174/breites-bekenntnis-zur-neutralitaet-bei-sondersitzung-des-nationalrats), will des­halb für sei­ne „Fes­tung Öster­reich“ auch Ver­fas­sungs­än­de­run­gen, um das Land vor angeb­li­chen Über­grif­fen der EU und ande­rer inter­na­tio­na­ler Orga­ni­sa­tio­nen zu schüt­zen. Dahin­ter steckt die in der FPÖ weit ver­brei­te­te Ableh­nung der EU bzw. die For­de­rung nach einem Austritt.

Der wichtige Unterschied

Fin­di­ge Frei­heit­li­che haben ent­deckt, dass auch Figl und Krei­sky als „Volks­kanz­ler“ bezeich­net wur­den. Alfred Gus­en­bau­er hat sich kurz­fris­tig sogar selbst zum „Volks­kanz­ler“ ernannt. Wo ist also das Pro­blem, fra­gen sie scheinheilig.

Die Ant­wort ist ein­fach: Kei­ner der Genann­ten hat die demo­kra­ti­schen Insti­tu­tio­nen schlecht­ge­re­det, abge­wer­tet oder gar miss­ach­tet. Adolf Hit­ler bekann­ter­ma­ßen schon. Vor sei­ner Macht­er­grei­fung 1933 (übri­gens hat­te er zunächst auch kei­ne abso­lu­te Mehr­heit) wur­de er von den Nazis als „Volks­kanz­ler“ gefei­ert. Danach nicht mehr. Mit der gewalt­sa­men Aus­schal­tung jeder Oppo­si­ti­on und sei­ner „Wahl“ zum Reichs­prä­si­den­ten war der Aus­bau der Nazi-Dik­ta­tur 1934, also inner­halb von weni­ger als zwei Jah­ren, abgeschlossen.

Kickl ist nicht Hit­ler. Es ist aber wich­tig, dar­an zu erin­nern, wie und durch wel­che Metho­den eine Demo­kra­tie in ein auto­ri­tä­res und anti­de­mo­kra­ti­sches Sys­tem umge­wan­delt wer­den kann.

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Schlagwörter: FPÖ | Österreich | Rechtsextremismus |