Rückblick KW 21: Wiederbetätigungsprozesse

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Zwei Whats­App-Nazis hat­ten ein Stell­dich­ein am Wie­ner Lan­des­ge­richt, und ein Kel­ler­na­zi im wört­li­chen Sinn woll­te am Lan­des­ge­richt Wie­ner Neu­stadt weis­ma­chen, dass er den Natio­nal­so­zia­lis­mus graus­lig fin­det. Dabei ist es schwer, bei ihm eine ande­re Farb­tö­nung als braun zu finden.

Wien: 2x WhatsApp
Trais­kir­chen-Wie­ner Neustadt/NÖ: Nazi-Kel­ler, Chats & Waffen

Wien: 2x WhatsApp

Wir nen­nen sie inzwi­schen Whats­App-Nazis – jene Per­so­nen, die brau­ne Nach­rich­ten ver­schickt haben und des­halb vor Gericht lan­den. Die Erklä­run­gen der Ange­klag­ten sind meist dürf­tig, wenig krea­tiv und rei­hen sich zwi­schen angeb­li­cher Unwis­sen­heit, was das Ver­bots­ge­setz betrifft, und Sati­re ein. Zwei die­ser Fäl­le wur­den in der letz­ten Woche am Lan­des­ge­richt Wien verhandelt.

Am 23. Mai war es Peter W. (66 J.), bis zu sei­ner Ver­set­zung in den Ruhe­stand tech­ni­scher Bediens­te­ter an einer Uni­ver­si­tät, ordent­li­ches Ein­kom­men – klas­si­scher Mit­tel­stand also. Über mehr als vier Jah­re hin­weg hat­te er ein­schlä­gi­ge Chat­nach­rich­ten ver­schickt, was er auch ein­ge­stand. Mit Nazi-Pro­pa­gan­da sol­len die aber nichts zu tun gehabt haben, son­dern nur „sati­risch“ gewe­sen sein. Die habe er laut Ankla­ge in diver­se Grup­pen wei­ter­ge­lei­tet, fast jedes Jahr auch etwas rund um Hit­lers Geburts­tag. „Unpo­li­tisch“ sei er selbst und dass Nach­rich­ten die­ser Art vom Ver­bots­ge­setz betrof­fen sei­en, habe er nicht gewusst. Die Geschwo­re­nen waren davon nicht über­zeugt und fäll­ten in fast allen Fra­gen einen ein­stim­mi­gen Schuld­spruch mit nicht rechts­kräf­ti­gen 15 Mona­ten bedingt. Das wür­de eigent­lich das Ende sei­nes Beam­ten­sta­tus bedeu­ten, auf die Kon­se­quenz wur­de jedoch verzichtet.

Drei Tage spä­ter muss­te der 49-jäh­ri­ge Alex­an­der S. auf der Ankla­ge­bank Platz neh­men. Der hat­te zwi­schen 2017 und 2019 brau­ne Nach­rich­ten ver­schickt – eben­falls nur sati­risch gemeint, eben­falls ohne poli­ti­schen Hin­ter­grund. Dafür kas­sier­te er einen ein­stim­mi­gen Schuld­spruch und nicht rechts­kräf­ti­ge 13 Mona­te bedingt.

Sei­nen Job als Ver­trags­be­diens­te­ter der Stadt Wien bei der MA 48 kann S. behal­ten. Die Stadt täte jedoch gut dar­an, in die­ser Magis­trats­ab­tei­lung genau­er hin­zu­se­hen, da dort in aller Regel­mä­ßig­keit Wie­der­be­tä­ti­gungs­fäl­le aufpoppen.

Wir dan­ken prozess.report für Beob­ach­tung und Bericht!

Trais­kir­chen-Wie­ner Neustadt/NÖ: Nazi-Kel­ler, Chats & Waffen

Den Natio­nal­so­zia­lis­mus fän­de er „graus­lig“, er habe kei­ne Sym­pa­thien, er genie­re sich für sei­ne Taten, erklär­te Rene H. im Gerichts­saal. Auch sein Ver­tei­di­ger gab sich über­zeugt, dass sein Man­dant kein Nazi sei, denn die wür­de er nicht ver­tei­di­gen. Wer aber auf den Face­book-Account des Trais­kir­che­ner Ange­klag­ten Rene H. sieht, kann schon allei­ne durch den Look des Account­in­ha­bers schnell den Ein­druck gewin­nen, einen „Kli­schee-Nazi“ vor sich zu haben. Gleich im ers­ten öffent­lich ein­seh­ba­ren Pos­ting wer­den Besucher*innen mit einer Waf­fe begrüßt, dazu, dass man bei Ein­bruch Gott und die Waf­fe ken­nen­ler­nen wer­de. In einem wei­te­ren Pos­ting ist eine Waf­fe mit in Her­zens­form dra­pier­ter Muni­ti­on zu bewun­dern. Via Video aus einem Gar­ten führt Rene vor, dass er sogar mit einem Gewehr über die Schul­ter nach hin­ten schie­ßen kann.

Waffenfreund Rene H. (Screenshot FB)

Waf­fen­freund Rene H. (Screen­shot FB)

Wei­ters ist zu erfah­ren, dass H. gegen den „Völ­ker­mord durch Imp­fung“, dafür für Bier ist. Er „scheißt am Lock­down“, gram­ma­ti­ka­lisch selt­sam, aber wir wis­sen den­noch, was gemeint ist. Rene H. will, dass „unse­re Kin­der“ in Ruhe gelas­sen wer­den, „ihr scheiss Ver­bre­cher“. Kin­der hat der erst 44-jäh­ri­ge Pen­sio­nist selbst, zwei leib­li­che und drei Pfle­ge­kin­der. Die konn­ten im Kel­ler ihres schieß­freu­di­gen Nazi-Papas auch aller­lei Devo­tio­na­li­en besich­ti­gen, ins­be­son­de­re drei in Wehr­machts­uni­form mit SS-Abzei­chen geklei­de­te Pup­pen sowie Dol­che, Wand­pla­ket­ten, Bücher (dar­un­ter ‚Mein Kampf‘) und Geträn­ke­ge­bin­de mit Hit­ler­ab­bil­dun­gen bzw. NS-Abzei­chen“ (Ver­hand­lungs­ka­len­der LG Wie­ner Neustadt).

Rene H und Corona (Screenshot FB)

Rene H. und Coro­na (Screen­shot FB)

Auch das Foto einer Nach­bil­dung des Eiser­nen Kreuz-Ordens, das „der Füh­rer“ in einer Ver­ord­nung vom 1. Sep­tem­ber 1939 – dem Tag des Über­falls von Hit­ler-Deutsch­land auf Polen – „für beson­de­re Tap­fer­keit vor dem Feind und für her­vor­ra­gen­de Ver­diens­te in der Trup­pen­füh­rung“ ein­ge­führt hat­te, ist auf Rene H.s Account zu sehen. Ein Eiser­nes Kreuz hat­te H. einem Bade­ner als Tat­too ver­passt, der dafür und wegen Chat-Nach­rich­ten, die auch an H. gegan­gen waren, bereits Ende April einen Schuld­spruch ein­ge­fan­gen hat. Auf der Ankla­ge­lis­te des Pro­zes­ses am 24. Mai fan­den sich vier wei­te­re straf­ba­re Täto­wie­run­gen, mit denen H. einen Chris­ti­an M. deko­riert hat, dazu Whats­App-Nach­rich­ten und schließ­lich der unbe­fug­te Besitz eines Schlag­rin­ges, eines Revol­vers samt 60 Patronen.

Rene H schießt nach hinten (Screenshot FB)

Rene H. schießt nach hin­ten (Screen­shot Video FB)

Die Ver­hand­lung am Wie­ner Neu­städ­ter Lan­des­ge­richt wies immer wie­der skur­ril anmu­ten­de Pha­sen auf, wie die Prozessbeobachter*innen festhielten,

Der Ange­klag­te spricht viel und schnell, manch­mal unver­ständ­lich. Wäh­rend Zeug*innen ver­nom­men wer­den, schal­tet er sich manch­mal von der Ankla­ge­bank aus ein, manch­mal mit augen­schein­lich absur­den Bemer­kun­gen wie, „Ich sag nur Kat­ze“. Manch­mal ver­liert er sich in Details – z.B. bei der wie­der­hol­ten Beschrei­bung des kaput­ten kup­fer­nen Adlers (Wet­ter­hahn), der zur Recht­fer­ti­gung für den Begriff „Adler­horst“ [auch Bezeich­nung für Hit­lers Haus am Ober­salz­berg] dient. Das Über­flu­ten des Gerichts mit belang­lo­sen Details schien ein Teil der Ver­tei­di­gungs­stra­te­gie gewe­sen zu sein.

Die zahl­rei­chen Nazi-Devo­tio­na­li­en habe er wahl­los ein­ge­sam­melt, wenn jemand ver­starb. Drei Fla­schen Wein mit Hit­ler-Eti­ket­ten sei­en vom Schwie­ger­va­ter hin­ter­las­sen wor­den, „Mein Kampf“ von sei­ner Mut­ter, weil das Buch zu ihm gut pas­se. Dem kann nicht wider­spro­chen werden!

Wäh­rend der Rich­ter sich durch diver­se Bil­der scroll­te, ent­spann sich fol­gen­der Dialog:

Rich­ter: „Sie geben ihren Waf­fen Namen?“ (Bild 8 Chat-Nach­richt Rene und M.H. in Linz, „unser neu­es Fami­li­en­mit­glied ❤️Thor❤️ abho­len ❤️“)
Ange­klag­ter: „Ja, das ist ganz normal.“
R: Der Name Thor?
A: „Mein Mecha­ni­ker ist ein Tür­ke. (…) Noch nie gehört, dass der Thor­s­ham­mer ein Nazi­sym­bol ist.“
R: „Wie sind Sie in Ihrem Han­dy eingespeichert?“
A: „Mein Führer“
R: „Und Ihre Frau?“
A: „Die Frau des Führers
R (scrollt durch Doku­men­te), Vor­halt Bild Hit­ler mit rie­si­gem Penis: „Was heißt das?“
A: „Was habe ich geschickt? Das sind so Emo­jis, da gibts Hunderte.“

Danach wur­den Zeu­gen befragt oder „Kame­ra­den“, wie es einer der Befrag­ten aus­drück­te. Die hat­ten in H.s brau­nem Kel­ler diver­se Fes­te gefei­ert, Play­sta­ti­on gespielt und wol­len teils mehr, teils weni­ger gese­hen haben.

Dia­log mit dem Zeu­gen Mario F. vor Gericht:

Staats­an­walt: Waren sie mit dem Ange­klag­ten befreundet?
Zeu­ge F.: Frü­her mehr Kon­takt, jetzt seltener.
Staats­an­walt Vor­halt 9.1 S. 26: „F. Kame­rad Mario“ [Name in Han­dy-Kon­tak­ten], sind sie das?
Rich­ter: „Auf der Suche nach dem Adi“ – Sie schi­cken gleich sofort den Adi
Zeu­ge F.: Glei sof­urt is ned gewe­sen, des war glaub ich zum Geburts­tag von Herrn H.

Der Zeu­ge aus dem Lan­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz und Ter­ro­ris­mus­be­kämp­fung gab zwar an, kei­nen Bezug von H. zur rech­ten Sze­ne gefun­den zu haben, was schon allei­ne auf­grund der vor Gericht auf­mar­schier­ten „Kame­ra­den“ selt­sam anmu­tet, aber: „Es kommt auch nicht so oft vor, dass wir so einen Kel­ler fin­den. Da gehört schon mehr dazu. Und das haben auch Men­schen gese­hen. Die Pfle­ge­toch­ter hat genäch­tigt, als wir dort ein­ge­schrit­ten sind.“

Die Geschwo­re­nen ent­schie­den nach 90-minü­ti­ger Bera­tung in allen zwölf Ankla­ge­punk­ten auf schul­dig, in zehn Punk­ten ein­stim­mig. H. kam mit 22 Mona­ten beding­ter Stra­fe davon – kein Wun­der, dass der Anklag­te damit ein­ver­stan­den war. Da auch die Staats­an­walt­schaft kei­ne Rechts­mit­tel ein­leg­te, ist das Urteil bereits rechts­kräf­tig. H. konn­te wie­der in sei­nen „Adler­horst“ retour. Mit der Samm­lung von Devo­tio­na­li­en muss er bei Bedarf aller­dings von vor­ne begin­nen, denn die wur­den eingezogen.

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