Wien: 2x WhatsApp
Traiskirchen-Wiener Neustadt/NÖ: Nazi-Keller, Chats & Waffen
Wir nennen sie inzwischen WhatsApp-Nazis – jene Personen, die braune Nachrichten verschickt haben und deshalb vor Gericht landen. Die Erklärungen der Angeklagten sind meist dürftig, wenig kreativ und reihen sich zwischen angeblicher Unwissenheit, was das Verbotsgesetz betrifft, und Satire ein. Zwei dieser Fälle wurden in der letzten Woche am Landesgericht Wien verhandelt.
Am 23. Mai war es Peter W. (66 J.), bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand technischer Bediensteter an einer Universität, ordentliches Einkommen – klassischer Mittelstand also. Über mehr als vier Jahre hinweg hatte er einschlägige Chatnachrichten verschickt, was er auch eingestand. Mit Nazi-Propaganda sollen die aber nichts zu tun gehabt haben, sondern nur „satirisch“ gewesen sein. Die habe er laut Anklage in diverse Gruppen weitergeleitet, fast jedes Jahr auch etwas rund um Hitlers Geburtstag. „Unpolitisch“ sei er selbst und dass Nachrichten dieser Art vom Verbotsgesetz betroffen seien, habe er nicht gewusst. Die Geschworenen waren davon nicht überzeugt und fällten in fast allen Fragen einen einstimmigen Schuldspruch mit nicht rechtskräftigen 15 Monaten bedingt. Das würde eigentlich das Ende seines Beamtenstatus bedeuten, auf die Konsequenz wurde jedoch verzichtet.
Drei Tage später musste der 49-jährige Alexander S. auf der Anklagebank Platz nehmen. Der hatte zwischen 2017 und 2019 braune Nachrichten verschickt – ebenfalls nur satirisch gemeint, ebenfalls ohne politischen Hintergrund. Dafür kassierte er einen einstimmigen Schuldspruch und nicht rechtskräftige 13 Monate bedingt.
Seinen Job als Vertragsbediensteter der Stadt Wien bei der MA 48 kann S. behalten. Die Stadt täte jedoch gut daran, in dieser Magistratsabteilung genauer hinzusehen, da dort in aller Regelmäßigkeit Wiederbetätigungsfälle aufpoppen.
Wir danken prozess.report für Beobachtung und Bericht!
Traiskirchen-Wiener Neustadt/NÖ: Nazi-Keller, Chats & Waffen
Den Nationalsozialismus fände er „grauslig“, er habe keine Sympathien, er geniere sich für seine Taten, erklärte Rene H. im Gerichtssaal. Auch sein Verteidiger gab sich überzeugt, dass sein Mandant kein Nazi sei, denn die würde er nicht verteidigen. Wer aber auf den Facebook-Account des Traiskirchener Angeklagten Rene H. sieht, kann schon alleine durch den Look des Accountinhabers schnell den Eindruck gewinnen, einen „Klischee-Nazi“ vor sich zu haben. Gleich im ersten öffentlich einsehbaren Posting werden Besucher*innen mit einer Waffe begrüßt, dazu, dass man bei Einbruch Gott und die Waffe kennenlernen werde. In einem weiteren Posting ist eine Waffe mit in Herzensform drapierter Munition zu bewundern. Via Video aus einem Garten führt Rene vor, dass er sogar mit einem Gewehr über die Schulter nach hinten schießen kann.
Weiters ist zu erfahren, dass H. gegen den „Völkermord durch Impfung“, dafür für Bier ist. Er „scheißt am Lockdown“, grammatikalisch seltsam, aber wir wissen dennoch, was gemeint ist. Rene H. will, dass „unsere Kinder“ in Ruhe gelassen werden, „ihr scheiss Verbrecher“. Kinder hat der erst 44-jährige Pensionist selbst, zwei leibliche und drei Pflegekinder. Die konnten im Keller ihres schießfreudigen Nazi-Papas auch allerlei Devotionalien besichtigen, „insbesondere drei in Wehrmachtsuniform mit SS-Abzeichen gekleidete Puppen sowie Dolche, Wandplaketten, Bücher (darunter ‚Mein Kampf‘) und Getränkegebinde mit Hitlerabbildungen bzw. NS-Abzeichen“ (Verhandlungskalender LG Wiener Neustadt).
Auch das Foto einer Nachbildung des Eisernen Kreuz-Ordens, das „der Führer“ in einer Verordnung vom 1. September 1939 – dem Tag des Überfalls von Hitler-Deutschland auf Polen – „für besondere Tapferkeit vor dem Feind und für hervorragende Verdienste in der Truppenführung“ eingeführt hatte, ist auf Rene H.s Account zu sehen. Ein Eisernes Kreuz hatte H. einem Badener als Tattoo verpasst, der dafür und wegen Chat-Nachrichten, die auch an H. gegangen waren, bereits Ende April einen Schuldspruch eingefangen hat. Auf der Anklageliste des Prozesses am 24. Mai fanden sich vier weitere strafbare Tätowierungen, mit denen H. einen Christian M. dekoriert hat, dazu WhatsApp-Nachrichten und schließlich der unbefugte Besitz eines Schlagringes, eines Revolvers samt 60 Patronen.
Die Verhandlung am Wiener Neustädter Landesgericht wies immer wieder skurril anmutende Phasen auf, wie die Prozessbeobachter*innen festhielten,
Der Angeklagte spricht viel und schnell, manchmal unverständlich. Während Zeug*innen vernommen werden, schaltet er sich manchmal von der Anklagebank aus ein, manchmal mit augenscheinlich absurden Bemerkungen wie, „Ich sag nur Katze“. Manchmal verliert er sich in Details – z.B. bei der wiederholten Beschreibung des kaputten kupfernen Adlers (Wetterhahn), der zur Rechtfertigung für den Begriff „Adlerhorst“ [auch Bezeichnung für Hitlers Haus am Obersalzberg] dient. Das Überfluten des Gerichts mit belanglosen Details schien ein Teil der Verteidigungsstrategie gewesen zu sein.
Die zahlreichen Nazi-Devotionalien habe er wahllos eingesammelt, wenn jemand verstarb. Drei Flaschen Wein mit Hitler-Etiketten seien vom Schwiegervater hinterlassen worden, „Mein Kampf“ von seiner Mutter, weil das Buch zu ihm gut passe. Dem kann nicht widersprochen werden!
Während der Richter sich durch diverse Bilder scrollte, entspann sich folgender Dialog:
Richter: „Sie geben ihren Waffen Namen?“ (Bild 8 Chat-Nachricht Rene und M.H. in Linz, „unser neues Familienmitglied ❤️Thor❤️ abholen ❤️“)
Angeklagter: „Ja, das ist ganz normal.“
R: Der Name Thor?
A: „Mein Mechaniker ist ein Türke. (…) Noch nie gehört, dass der Thorshammer ein Nazisymbol ist.“
R: „Wie sind Sie in Ihrem Handy eingespeichert?“
A: „Mein Führer“
R: „Und Ihre Frau?“
A: „Die Frau des Führers
R (scrollt durch Dokumente), Vorhalt Bild Hitler mit riesigem Penis: „Was heißt das?“
A: „Was habe ich geschickt? Das sind so Emojis, da gibts Hunderte.“
Danach wurden Zeugen befragt oder „Kameraden“, wie es einer der Befragten ausdrückte. Die hatten in H.s braunem Keller diverse Feste gefeiert, Playstation gespielt und wollen teils mehr, teils weniger gesehen haben.
Dialog mit dem Zeugen Mario F. vor Gericht:
Staatsanwalt: Waren sie mit dem Angeklagten befreundet?
Zeuge F.: Früher mehr Kontakt, jetzt seltener.
Staatsanwalt Vorhalt 9.1 S. 26: „F. Kamerad Mario“ [Name in Handy-Kontakten], sind sie das?
Richter: „Auf der Suche nach dem Adi“ – Sie schicken gleich sofort den Adi
Zeuge F.: Glei sofurt is ned gewesen, des war glaub ich zum Geburtstag von Herrn H.
Der Zeuge aus dem Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung gab zwar an, keinen Bezug von H. zur rechten Szene gefunden zu haben, was schon alleine aufgrund der vor Gericht aufmarschierten „Kameraden“ seltsam anmutet, aber: „Es kommt auch nicht so oft vor, dass wir so einen Keller finden. Da gehört schon mehr dazu. Und das haben auch Menschen gesehen. Die Pflegetochter hat genächtigt, als wir dort eingeschritten sind.“
Die Geschworenen entschieden nach 90-minütiger Beratung in allen zwölf Anklagepunkten auf schuldig, in zehn Punkten einstimmig. H. kam mit 22 Monaten bedingter Strafe davon – kein Wunder, dass der Anklagte damit einverstanden war. Da auch die Staatsanwaltschaft keine Rechtsmittel einlegte, ist das Urteil bereits rechtskräftig. H. konnte wieder in seinen „Adlerhorst“ retour. Mit der Sammlung von Devotionalien muss er bei Bedarf allerdings von vorne beginnen, denn die wurden eingezogen.
Wir danken prozess.report für Beobachtung und Bericht!