Das Konzept von Lerngruppen, die sich abseits des Regelschulunterrichts privat organisieren, hat während der Pandemie massiv an Zulauf gewonnen. Ein zentraler Profiteur dieser Entwicklung ist der niederösterreichische Trickkünstler Ricardo Leppe, über dessen Aktivitäten wir vor anderthalb Jahren bereits eine ausführliche Recherche gemacht haben. Eine Bestandsaufnahme.
Leppe verbreitet hanebüchene Falschinformationen – nicht nur zum Thema Bildung, sondern auch zu Medizin und Ernährung (letzteres gemeinsam mit seinem Bruder Elias in einem Kurzclip-Format namens „Gebrüder Leppe Talk“). In keinem dieser Felder hat er eine Qualifikation. Lediglich ein eklektischer Aufgriff von esoterischen Ideologemen besorgt die entsprechende Einbettung bzw. Überhöhung der Behauptungen. Dazu zählen auch rechtsextreme Wahngebilde, wie die braunesoterische „Anastasia”-Ideologie oder die irrwitzigen Erfindungen des wüsten Antisemiten Ryke Geerd Hamer, die unter dem Namen „Germanische Neue Medizin” firmieren. (1)
Inzwischen gibt es Gegenwind und Berichterstattung zu Leppe; zuletzt wurde er nach Protesten von einer Veranstaltung in der Schweiz ausgeladen. Er hätte dort am Pfingstwochenende ausgerechnet im Zürcher Volkshaus – einem öffentlichen Ort und ehemals zentralem Treffpunkt er Arbeiter*innenbewegung – im Rahmen eines Esoterik-Kongresses gesprochen. In Österreich, wo Leppe wohnt und am aktivsten ist, fehlt dieses Bewusstsein allerdings noch immer weitgehend.
Von „Mama Erde“ zu QAnon
Leppe fungiert in der Szene weiterhin als Redner und Vernetzer von „Lerngruppen“; und seine Reichweite wächst. Der YouTube-Kanal seines Vereins „WissenSchafft Freiheit“ hat inzwischen 45.600 Abonent*innen (zum Zeitpunkt unserer damaligen Recherche waren es 27.000), sein gleichnamiger Telegram-Kanal zählt 42.400 Mitglieder. Leppe wird zudem weiterhin innerhalb der boomenden Esoterik- und „Querdenker*innen“-Szene für zahlreiche Events als Redner gebucht. Aktuell, für Anfang Juni, steht etwa der „Auf-Bruch-Kongress“ des Tiroler Vereins „Mission Mama Erde“ an. Außerdem der „Online-Kongress“ „Was sollen nur die Nachbarn sagen“, der von der Website „restlos-frei.de“ beworben wird, in deren Impressum eine Waltraud Madl als Verantwortliche aufscheint, die sich als „Freiheitsexpertin, Lebenskünstlerin, Heilerin nach uralter schamanischer Tradition“ vorstellt.
Leppe bewirbt Online-Kongress „Mission Mama Erde” (TG WissenSCHAFFT Freiheit, 16.5.23)
Beide Veranstaltungen verbindet, dass sie auf ihrer Website ähnliche, milieutypische Suggestivfragen stellen, für deren Beantwortung dann die geladenen „Experten“ zuständig sind; etwa: „OHNMÄCHTIG dem Weltgeschehen gegenüber?“ oder „Du hast ständig das Gefühl Normen und Vorschriften befolgen zu müssen? Abweichungen sind nicht erlaubt?“
Unter den geladenen Redner*innen finden sich bekannte „Berufsbezeichnungen“ wie „Energetiker“, „Schamanin“ oder „Glückscoach“, bis hin zu solchen, deren Akzeptanz als Profession wohl schon eine stark ausgeprägte Affinität für die Szene voraussetzen, wie etwa „Matrix Coach“ oder „Traumverwirklichungsbegleiter“ oder auch „Hüterin der Ahnenweisheiten“.
Dieses Esoteriker*innen-Milieu wirkt bei oberflächlicher Betrachtung lediglich obskur, allerdings ist nie ein tiefes Schürfen notwendig, um auf die offene Flanke hin zur extremen Rechten zu stoßen. So bewirbt und verlinkt Leppe über seinen Telegram-Kanals etwa die Videos von Raik Garve, der als Sprachrohr der deutschen Truther-Szene auftritt und Anhänger der antisemitischen QAnon-Verschwörungsideologie ist. Diese Schlaglichter aktualisieren lediglich, was wir bereits in unserer ersten Recherche aufgezeigt haben; nur dass Leppes Reichweite und die gesamte Szene seither gewachsen sind.
„Manifest der Neuen Erde“
Bei dem besagten Event in Zürich ging es um die Vorstellung des sogenannten „Manifest der Neuen Erde“, das derzeit in esoterischen und verschwörungsideologischen Kontexten im deutschsprachigen Raum massiv beworben wird. Das Konzept wurde von Catharina Roland und Coco Tache initiiert und propagiert ein neues Staatswesen, das nach „universellen Prinzipien“ ausgerichtet sein soll. Der Schweizer Verein „Relinfo“ (Evangelische Informationsstelle Kirchen – Sekten – Religionen) hält in einer ausführlichen Auseinandersetzung dazu fest: „Deutlich wird hier, das es sich bei der geplanten neuen Gesellschaftsform nicht um einen weltanschaulich neutralen Staat handeln würde, sondern um einen, in welchem esoterische Lehren als «universelle Prinzipien» anerkannt werden müssen und damit den Rang von Dogmen haben.”
Sujet „Manifest der neuen Erde”
Hinzu kommt eine vage gehaltene Machtarchitektur, in der es keine Parteien mehr geben soll, dafür aber „Weisenräte“ mit umfassenden exekutiven und legislativen Befugnissen. Dazu noch einmal „Relinfo“: „Offensichtlich existiert im geplanten Staat keine geordnete Gewaltenteilung, sondern es scheint sich um ein Modell mit weitgehenden Vollmachten bei den Weisenräten zu handeln.“
Pseudomedizin hat – ganz wie bei Leppe und seinem Bruder – einen großen Stellenwert in dem Manifest. So werden etwa die „fünf biologischen Naturgesetze“ (1) anerkannt, wobei es sich um ein Synonym für die „Germanische Neue Medizin“ nach dem bereits erwähnten Antisemiten Ryke Geerd Hamer handelt. Zudem werden Homöopathie und „Anthroposophische Medizin“ im neuen Staat endlich „voll anerkannt, angewandt und gelehrt“ (ganz so, als würden diese beiden Milliarden-Industrien gegenwärtig eingeschränkt).
Wenig überraschend: Auch die zum Klassiker der Verschwörungsphantastik avancierte Angst vor „Chemtrails“ wird im Manifest berücksichtigt. Diese herbeifantasierte Technik zur Menschenmanipulation soll freilich verboten werden. Im Abschnitt „Universelle Prinzipien“ werden reaktionäre Geschlechterstereotypen in Form von Yin-Yang-Kitsch verbrämt: „Das männliche Prinzip ist: die Idee, der Wille, das Aktive, das Gebende, das Richtungsweisende. Das weibliche Prinzip ist: das Annehmende, das Empfangende, das Ausführende, das Passive.“ Passend dazu soll Schwangerschaftsabbruch offenbar nicht mehr möglich sein; das wird nicht so autoritär und antifeministisch formuliert, wie es ist, sondern positiv umwölkt: „Ungewollt Schwangere werden in allen Lebensbereichen unterstützt“, und wenn sie das Kind nicht behalten können, so können sie „schon in der Schwangerschaft die Paare kennen[lernen], die ihr Baby nach der Geburt liebevoll aufnehmen werden“.
Leppe bewirbt dieses Manifest offensiv in seinen Kanälen, und er gehört offenkundig zum engeren Zirkel um die Initiatorinnen, denn er wird bereits jetzt als zukünftiger „Weisenrat“ im neuen Gesellschaftswesen angeführt. Die Natur- und Ursprungsromantik des Textes reflektiert sich übrigens nicht in der Preisgestaltung des Zürcher Events: Die Teilnahme kostet laut „relinfo“ je nach Platzwahl zwischen 777 und 149 Schweizer Franken.
Leppe ist tatsächlich der einzige Redner, der durch Betriebskommission des Volkshauses von dem Kongress wieder ausgeladen wurde. Das ist ein bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass der Pseudo-Wissenschaftler Dieter Broers, die selbsternannte Hellseherin Christina von Dreien und der NS-relativierende Verschwörungsideologe Daniele Ganser – „Relinfo“ zufolge übrigens auch alle „Weisenräte“ in spe – sehr wohl kommen durften. Dem Nachrichtenportal „Watson“ zufolge wurde Leppe aufgrund seiner Propagierung der „Anastasia“-Ideologie ausgeladen; die Einschätzungen von „Relinfo“ und „Infosekta“, einer weiteren Schweizer Fachstelle für Sekten und Kirchen, dürften dabei ausschlaggebend gewesen sein.
Keine Distanzierungen
In einem fast halbstündigen Video mit dem Titel „Hetzjagd in den Medien“ reagiert Leppe auf die Ausladung in der Schweiz und auf die Kritik an den Ideologemen, die er verbreitet. An eine kritische Befragung seiner Quellen denkt er nicht. Vielmehr empfiehlt er die Bibel der „Anastasia“-Bewegung – eine Romanreihe des russischen Unternehmers Vladimir N. Megre, die dieser als Tatsachenbericht verkauft – ungerührt ein weiteres Mal. Und er fragt seine Kritiker*innen kokett: „Habt ihr diese zehn Bücher jemals gelesen?“; ja, in Band sechs heiße es zwar, „die Juden haben das Geldsystem erfunden und damit sehr viel Unterdrückung ausgeübt“, aber: „Ja, na und? Das ist einfach Geschichtssache, wie Weltkriege, die von bestimmten Ländern ausgegangen sind. Ja, das ist passiert.“ Es ist eine steile Leistung Leppes zu behaupten, er sei kein Antisemit und im gleichen Atemzug die bekannteste antisemitische Wahnvorstellung zu reproduzieren – und einem Publikum von fast 50 000 Menschen zu servieren. Auch vom pseudomedizinischen Wahngebilde der „Neuen Germanischen Medizin“ will sich der Zauberer nicht abgrenzen. Neben der Existenz von Chemtrails propagiert Leppe auch die Einnahme von Chlordioxid (2) mit dem Hinweis, er habe es bei sich, Freunden und Familie ausprobiert.
Leppe meint in dem Video auch, er werde als Nazi denunziert. Seine Reaktion darauf besteht in einer grotesken Umdeutung des NS (3), der man sonst eher nur bei ganz verrohten Rechtsextremen begegnet: Er sagt, es heiße ja National-Sozialismus und „vom Sozialismus möchte ich mich definitiv abgrenzen“. In den über 200 Fan-Kommentaren bei Telegramm wird diese NS-relativierende Wortspielerei freilich genüsslich aufgegriffen; etwa wenn ein Timm von einem „immer noch herrschenden, sozialistischen, linken NAZI Regime“ halluziniert. Dazu passt ebenfalls, dass Leppe auch freistellt, den Holocaust zu hinterfragen, wie wir bereits im Oktober 2021 berichtet haben.
Kommentar von „Timm” bei Leppe: „Medien sind Teil des immer noch herrschenden linken NAZI Regimes” ((TG WissenSCHAFFT Freiheit, 19.5.23)
Naivität und Marketing
Leppe sagt während der Ausführungen in seinem Verteidigungsvideo freimütig und mehrmals, er habe einige der Begriffe, mit denen er assoziiert wird, googeln müssen. Ob das nur gespielte Naivität ist, ist kaum einzuschätzen. Tatsächlich ist es möglich, dass er nicht weiß, was sich in seinen Behauptungen Bahn bricht – so funktioniert Ideologie mitunter. Und die oben zitierten Aussagen deuten darauf hin, dass er kaum in der Lage dazu ist, Begriffe wie Antisemitismus, Rassismus und Misogynie in ihrer gesellschaftlichen Komplexität zu reflektieren. Also als in der bürgerlichen Gesellschaft tief verankerte psycho-soziale Strategien zur Entlastung und Selbstaufwertung, die eben deutlich mehr sind als plumpe Hass-Affekte nach dem Schema: „Ich mag keine Frauen“ oder „Ich mag keine Juden“. Leppes Schutzbehauptungen implizieren eine solche Verengung: Ideologie kommt nur als Hass in Frage, und er hasse ja niemanden. Das mag auch stimmen; tatsächlich macht Leppe nicht den Eindruck, als wollte er ideologisch mehr erreichen, als seine Konzepte am Esoterik-Markt zu verkaufen. Das ändert freilich nichts daran, dass er als Sprachrohr für einige der übelsten Wahnideen in Erscheinung tritt, die dieser Markt zu bieten hat – und das mit einigem Erfolg, wie seine Follower-Zahlen zeigen.
Leppe-Video: „Hetzjagd in den Medien” (19.5.23)
Fußnoten
1 Unsere ausführliche Recherche zur „Anastasia“-Bewegung und zur sogenannten Shetinin-Schule, die Leppe auch mehrfach beworben hat:
➡️ Anastasias Traum – zur russischen Rechtsesoterik in österreichischen Schulprojekten (Teil 1)
➡️ Anastasias Traum – zur russischen Rechtsesoterik in österreichischen Schulprojekten (Teil 2)
2 Zur Gefährlichkeit von Chlordioxid als Pseudomedikament: Corona: Giftiges Chlordioxid kein Heilmittel
3 Siehe auch: Antifa stürmt Kapitol und Hitler ein Linker?
