„Ihr kennt die Frage: ‚mit wem auf der ganzen Welt würdest du am liebsten essen gehen, wenn du es Dir aussuchen könntest‘? Ohne dass ich gedacht hätte, dass es je möglich werden würde, war es für mich immer er. In diesem Sinn: Here a picture of the currently most excited European!“, flötet Gudrun Kugler am 10. Juni dieses Jahres auf ihrer Facebook-Seite unter ihrem Selfie. Die Freude, den Stolz über ihr Date mit Jordan Peterson mag sie nicht verbergen. Klar, während in Berlin Tausende bis zu 80 Euro pro Karte für Petersons Auftritt im Tempodrom zahlen, darf Kugler im intimen Rahmen mit ihm dinieren.
Über ihren Abend des 10. Juni mit Peterson verrät sie sonst nichts. Dafür ist sie etwas gesprächiger über die „Gedanken von Jordan B. Peterson in Wien“, die er am 13. und 14. Juni von sich gegeben haben soll. Da war er nämlich schon wieder in Wien, nachdem er in der Zwischenzeit in Ljubljana und in Budapest weilte, wo er von der Staatspräsidentin Katalin Novák den ungarischen Verdienstorden umgehängt bekam. Verdienstorden wofür? Die Internet-Seite „Ungarn heute“ weiß da etwas: „Der Bestsellerautor, der für seine Ansichten gegen politische Korrektheit und den heutigen radikalen Feminismus bekannt ist und sich als Verfechter traditioneller Werte, persönlicher Verantwortung und Meinungsfreiheit positioniert, hielt auch einen Vortrag in der Residenz seiner Gastgeberin.”
Als weitere Information bietet „Ungarn heute“ noch viele Bildchen, die ein ergriffenes, aber erlesenes Publikum, eine bewundernde Präsidentin und einen ernsten Jordan Peterson zeigen. In Wien war das nicht viel anders, nur ohne Orden. Dafür kann Caroline Hungerländer, Landtagsabgeordnete der Wiener ÖVP, die immerhin am 13. Juni noch in größerer Runde mit Peterson im „Vapiano“ dinieren durfte, ihrem Facebook-Publikum exklusiv berichten, was Peterson gegessen hat: „[E]r hat ein Steak gegessen.“ Wobei die Frage an sie falsch gestellt war: „Kann er schon was essen oder geht noch immer nur Rindfleisch?“ Richtiger wäre gewesen, danach zu fragen, ob er schon wieder was anderes essen will. Jordan Peterson ist nämlich seit Jahren ein Carnivore, anders ausgedrückt: ein Fleischfresser. Und zwar einer, der sonst nichts zu sich nimmt – außer Salz und Wasser.
Wer ist der Mann, dem Tausende bei seiner programmatischen Tour („Beyond Order“) quer durch die Welt zuhören und viel Geld dafür bezahlen, der eine Website betreibt, auf der man in erster Linie wieder zahlen muss, wenn man etwas über ihn erfahren will, zu dem die ungarische Staatspräsidentin ebenso bewundernd hochblickt wie Gudrun Kugler und die anderen österreichischen Admirant*innen?
Jordan B. Peterson (60) ist ein klinischer Psychologe und ehemaliger Universitätsprofessor der University of Toronto, der nach eigenen Angaben „viele Jahre am Rande des Abgrunds geschwebt, an Angstzuständen gelitten [habe], ohne jegliche Freude am Leben“ (NZZ, 21.5.2021). In dieser Zeit hat er passenderweise seinen Lebensratgeber „12 Rules for Life. Ordnung und Struktur in einer chaotischen Welt“ geschrieben, bis er dann 2018 für zwei Jahre völlig abgetaucht ist und erst 2020 nach einem brutalen Entzug in einer russischen Klinik von seiner schweren medikamentösen Sucht befreit wurde. Seither ist er wieder unterwegs – zur Freude seiner (Millionen) Fans, die ihn wie einen Popstar, einen Erlöser abfeiern.
Wofür? Zum Aggressionskrieg Russlands vertritt er die ultrareaktionäre Position, dass Russland die Ukraine wohl angreife, um zu verhindern, dass das Land dem „pathologischen Westen“ ausgeliefert werde (NZZ.13.7.2022). Putin hat das in anderen Worten formuliert, aber Petersons „Erklärung“ würde sich jedenfalls dafür eignen, weitere Länder nach Belieben vor dem „pathologischen Westen“ zu „schützen“.
Auch zur Corona-Pandemie hat sich Peterson geäußert und in einem Tweet das mittlerweile selbst von Kickl wieder vergessene Entwurmungsmittel „Ivermectin“ als „Paukenschlag“ angepriesen. Der klinische Psychologe Peterson ist eben ein Allrounder, kennt sich bei den Motiven für Putins Aggressionskrieg ebenso bestens aus wie bei der medikamentösen Therapie gegen Covid. Nur bei der medikamentösen Eigentherapie gegen Depression und Sucht, da hapert’s ein bisschen.
Bekannt wurde Peterson aber ohnehin über anderes: durch seine Hetze gegen „Bill C‑16“, ein Gesetz, durch welches auch Transgender-Personen vor Hassrede geschützt werden (der Wikipedia-Eintrag zu Jordan Peterson bietet vor allem durch die Fußnoten einige Erläuterungen dazu). Auch seine klar antifeministische Position, mit der er Frauen das Yin, das Chaos, verkörpert durch „linksliberalen Populismus und Feindlichkeit gegenüber traditionellen Rollenbildern, zuweist“ (NZZ, 21.5.21), machte ihn zu einem Ideologen der „Neuen Rechten“. Mit dem Attribut „männlicher Suprematismus“ beschreibt ihn sehr zutreffend die Autorin Susanne Kaiser in ihrem Buch („Politische Männlichkeit. Wie Incels, Fundamentalisten und Autoritäre für das Patriarchat mobilmachen“): Peterson ist ein Role-Model für Incels und andere misogyne Typen. Frauen, die Make-Up und High-Heels tragen, sind für ihn Heuchlerinnen, wenn sie sich über sexuelle Belästigung aufregen (30.11.2019). Als er das Plus-Size-Model Yumi Nu im Badeanzug am Cover einer Illustrierten entdeckt, twittert er: „Nicht schön“ Und um dem bereits erwarteten oder erwünschten Shitstorm zu begegnen, dazu noch: „Und keinerlei Menge an autoritärer Toleranz wird das ändern“
Als er vor wenigen Tagen einen Auftritt in Zürich hatte (wieder vor vielen gegen gutes Entgelt), war Peterson nicht nur ziemlich „uninspiriert“, sondern fiel auch auf einen russischen Troll herein, indem er dessen Gerücht verbreitete, wonach allen in der Schweiz, die im Winter ihre Wohnung über 19 Grad Celsius heizen, ein mehrmonatiger Gefängnisaufenthalt drohen würde. Ernsthaft. Der Bericht des Schweizer „Tagesanzeiger“ (tagesanzeiger.ch, 29.9.22 – Paywall!) über Petersons auch in anderer Hinsicht desaströsen Auftritt ist lesenswert.
Ob Jordan Peterson bei seinen exklusiven Terminen in Wien und im Stift Heiligenkreuz, der Brutstätte des fundamentalistischen Katholizismus, ähnliche Weisheiten von sich gegeben hat, wissen wir nicht. Die „Gedanken“, die Gudrun Kugler von ihm erhascht und in eher seltsamen Zeilen niedergeschrieben hat, sind da keine große Hilfe: „Totalitarismus: ‚Findet da statt, wo Menschen bereit sind zu lügen.‘“ Stammt das jetzt von ihm oder von Kugler? Und gilt es auch für ihn?
P.S.: Der „Standard“ veröffentlichte einen Artikel, der sich mit dem „International Catholic Legislators Network“ beschäftigt, bei dem der ÖVP-Familiensprecher Norbert Sieber und Gudrun Kugler dabei sind. Sieber war bei Jordan Petersons Wien-Dinners allem Anschein nach nicht zugegen, aber möglicherweise beim parlamentarischen Gebetsfrühstück in der Wiener Hofburg, dem auch ein huldvoll blickender Jordan Peterson beiwohnte.
➡️ Belltower: Jung, männlich, antifeministisch. Jordan Peterson bittet seine Fans in Berlin zur Kasse
„Stoppt die Rechten“ zu Gudrun Kugler:
➡️ MCC – Orbáns Propaganda-Fabrik (Mai 2022)
➡️ ÖVP Wien: „Katholische Kupplerin“ und radikale Abtreibungsgegnerin im Gemeinderat (Okt. 2015)