Eine patriotische ungarische Elite soll das MCC nach den Vorstellungen von Viktor Orbán heranbilden. Nicht nur in Ungarn, sondern in allen Ländern, in denen noch eine ungarische Minderheit lebt. 1996 wurde das MCC gegründet, aber erst in den letzten Jahren, seit Viktor Orbáns Regierung gewaltige Summen an öffentlichen Geldern für die private Stiftung abgezweigt hat, boomt das MCC mit zahlreichen Zweigstellen, Konferenzen, Diskussionsveranstaltungen und auch einem dreitägigen jährlichen Sommerfest, bei dem der eigentliche Zweck des MCC, die Bildung einer patriotischen Elite, im Verborgenen bleibt.
1,4 Milliarden Euro für eine „patriotische Elite”
1,4 Milliarden Euro stellte die ungarische Regierung dem MCC bzw. der dahinter stehenden Stiftung in den letzten Jahren zur Verfügung – das entspricht nach verschiedenen Quellen dem Budget aller weiteren ungarischen Hochschulen zusammen. Zehn Prozent des ungarischen Ölkonzerns MOL und Anteile des Pharmariesen Gedeon Richter gingen dabei an das MCC. 2021 erwarb die Stiftung auch eine Minderheitsbeteiligung an Ungarns größtem Buchhandelskonzern Libri-Bookline, wobei das Prozedere einem Orbán-typischen Muster folgte. Der Vorbesitzer Zoltán Spéder war über viele Jahre ein Günstling und Profiteur von Orbáns Politik gewesen, der sich aber zusehends von dessen Rechtsruck distanzierte und nach darauf folgender massiver staatlicher Repression seine Unternehmen und Beteiligungen verkaufen musste – zuletzt eben seine Beteiligung an Libri-Bookline an MCC (APA, 15.10.2020, Zoltán Spéder auf Wikipedia).
Das MCC hat also sehr viel Geld zur Verfügung, um eine ungarische Elite im Sinne Orbáns auszubilden und „anzufüttern“. Die Intention ist klar: Das MCC soll ein nationalistisches rechtes Gegenprojekt zur Central European University (CEU) des George Soros werden, der zwar Viktor Orbán einst ein Stipendium verdankte, von seiner Regierung aber aus Ungarn vertrieben wurde. Den Studierenden am MCC stehen Gratiswohnungen in einem chicen Budapester Quartier und exklusive Netzwerke mit der politischen Elite zur Verfügung, wie das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) berichtet. Jozsef Palinkas, der einmal Orbáns Bildungsminister war und jetzt sein Kritiker, beurteilt das MCC so: „Das MCC ist eher eine Propagandamaschine als eine Eliteschule.“ (SRF)
Um zu verstehen, welche Intentionen Viktor Orbán mit dem MCC verfolgt, muss man eigentlich nur seine Rede bei der Eröffnungsfeier des MCC-Studienjahres am 9. September 2021 heranziehen. Da schwurbelt Orbán von einem Amerika, in dem mittlerweile der „Woke“ genannte Neomarxismus dominierend sei, während „muslimische Menschenmassen“ mittlerweile auch den Norden Europas fluten und auf „offene“ Gesellschaften ohne jede Werteorientierung treffen würden. Nur ein Land bzw. eine Nation (die über den Staat hinausgeht) leiste da Widerstand: Ungarn, das Orbán mit Mitteleuropa gleichsetzt: „Wir sind hier in Mitteleuropa der Ansicht, dass wir ohne eine Mission zum Scheitern verurteilt sind.“
Die Mission besteht für Orbán in seiner ziemlich wirren Rede darin, dem reichen, aber schwachen „Westen“ diesseits und jenseits des Ozeans („nennen wir ihn der Einfachheit halber Brüssel“) das Sendungsbewusstsein einer ungarischen Nationalkultur entgegenzusetzen, die allen Anstürmen von außen (da kommen neben Tataren, Nazis und Kommunisten natürlich auch die Muslime wieder vor) standgehalten und sich aus ihren Anfängen in der Steppe vor Jahrtausenden zu einer wahrhaften und wehrhaften christlichen Nation entwickelt habe, die das Karpatenbecken ebenso verteidigt und schützt wie die christliche Vater-Mutter-Kind-Familie: „Jedes Kind ist ein weiterer Wachposten, jede anständig verrichtete Arbeit und jedes produktive Leben ist ein Beitrag zur großen gemeinsamen ungarischen Unternehmung, zur Erfüllung unserer viele Jahrhunderte alten Mission.“
ÖVP-Abgeordnete Kugler beim MCC
Wer bei dieser Orbán-Mission und beim MCC mitmacht, unterstützt eine reaktionäre, gegen eine offene Gesellschaft (und gegen die EU) gerichtete nationalistische Politik. Wenn also die ÖVP-Abgeordnete Gudrun Kugler am 25. Mai beim MCC ihre Thesen zum Thema: „Meinungsfreiheit, Grundrechte und Freiheiten in Europa aus der Sicht einer Politikerin“ vorstellt, dann geht es, wie in den Erläuterungen angedeutet, bei der Kritik an den „illiberalen Narrativen“, den Sprachregulativen und der Cancel Culture nicht um eine Kritik an den ungarischen Zuständen, der „illiberalen Demokratie“ des Viktor Orbán, der Vertreibung und Zensur kritischer Wissenschafter*innen und Kulturschaffender von öffentlichen Aufträgen, der Gleichschaltung von ungarischen Medien, dem massiven Druck auf die Justiz oder der rabiaten Version der ungarischen Cancel Culture, sondern um die angebliche Bedrohung der Religionsfreiheit im EU-Europa.
Gut zu wissen, wohin es die ÖVP-Abgeordnete Kugler zieht!
Der emeritierte Dresdner Universitätslehrer Werner Patzelt, der zwar ein CDU-Mitglied ist, sich aber gerne am extrem rechten Rand tummelt, wie der Blog „Dokumentieren gegen Rechts“ in umfangreichen Recherchen belegt, ist aktuell einer dieser Fellows. Die „Sächsische Zeitung“ vom 3.9.21 schreibt, dass Patzelt im Rahmen seines gut dotierten Stipendiums eine Vorlesung über das politische System in Deutschland und ein Seminar zur deutschen Politik halten will. Patzelt war auch einer der Speaker bei der National Conservatism Conference (NCC) in Brüssel im März dieses Jahres.
Dort traf er nicht nur seinen obersten Chef vom MCC, den Stiftungsratsvorsitzenden Balázs Orbán, der dort ebenfalls als Speaker fungierte. Bei diesen seit 2020 in Europa jährlichen Konferenzen versammeln sich nicht Konservative, sondern geeichte Rechte und auch Rechtsextreme. Die Konferenzen sind also rechtsoffen. Die Schwedendemokraten sind ebenso vertreten wie die rechtsextreme spanische Vox oder Giorgia Meloni von den Fratelli d‘ Italia. Auch Viktor Orbán war schon dort. Peter Thiel, der Arbeitgeber von Sebastian Kurz, dürfte ein großer Förderer von NCC in den USA sein. Tucker Carlson, der extrem rechte Moderator von Fox News, war 2019 Speaker bei der NCC in Washington D.C. und durfte dann 2021 auf Einladung des MCC in Ungarn ein großes Loblied auf das Ungarn von Viktor Orbán halten. Einige der regelmäßigen Referenten bei NCC tauchen denn auch als Gastdozenten beim MCC auf: z.B. Rod Dreher, dessen wichtigstes Opus, „Die Benedikt-Option“, den Kulturkampf von Christen in einer „nachchristlichen“ Gesellschaft abhandelt. Francesco Giubilei, der es mit seinen 30 Jahren schon zu einer außerordentlichen Professur an einer privaten italienischen Online-Universität gebracht hat, brachte seine Gastdozentur beim MCC schon hinter sich. Giubilei hat sich möglicherweise durch sein Buch über „Giorgia Meloni“, die Chefin der italienischen Postfaschisten, für seine Gastdozentur qualifiziert.