Der Rechtsextremist, Putschist und Antisemit Hermann Ehrhardt, geboren 1881 in Diersburg (Baden-Württemberg), hatte ein langes Leben (+ 1971 in Brunn/Walde, NÖ) und in diesem eine steile mörderische, terroristische Karriere. 1904 nahm er als Leutnant zur See am ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts teil, dem rassistischen Massaker der deutschen Kolonialmacht an den Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika (heute: Namibia).
Eine Biographie über Ehrhardt, die diese Bezeichnung verdienen würde, gibt es bis heute nicht. Der Hagiographie von Friedrich Freksa Kapitän Ehrhardt. Abenteuer und Schicksale. Nacherzählt, aus dem Jahr 1924, die weitgehend vom Selbstlob Ehrhardts lebt, ist natürlich nicht zu trauen. Die nächste in historischen Arbeiten erwähnte Station in Ehrhardts Leben war seine Beteiligung an der Selbstversenkung der deutschen Hochseeflotte in der schottischen Bucht Scapa Flow im Juni 1919, also ein gutes halbes Jahr nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg. Die deutsche Marine – so die kaputte Denke der deutschen Militaristen und Rechtsextremen – habe sich mit diesem Akt der Selbstzerstörung der Niederlage entzogen, sei also nicht besiegt worden. Thomas Hüetlin (1) zitiert den jubelnden Ehrhardt dazu: „Die Tat fegte den Schmutz hinweg, den die Revolution dem deutschen Seemannsstande angehängt hatte.“
Nach seiner Rückkehr nach Deutschland organisierte Ehrhardt mit kräftiger finanzieller und politischer Unterstützung der Reichsregierung die „Brigade Ehrhardt“, ein rechtsextremes Freikorps, das sich an der Niederschlagung von Arbeiterunruhen und der polnischen Aufständen in Oberschlesien beteiligte und schon vor den Nazis mit Hakenkreuzen aufmarschierte. 1920 folgte dann die maßgebliche Beteiligung der Brigade Ehrhardt am Kapp-Lüttwitz-Putsch, mit dem die Putschisten nicht nur der geplanten Auflösung der Brigade zuvorkommen, sondern Demokratie und Republik selbst abschaffen wollten. Die Reichswehr kam der von den Putschisten bedrängten Reichsregierung nicht zu Hilfe, sondern es waren die von Reichsregierung und Freikorps zuvor bekämpften Organisationen der Arbeiterbewegung, die in einem machtvollen Generalstreik die Putschisten wegfegten. Die deutsche Reichsregierung zahlte übrigens der Brigade Ehrhardt für ihre Beteiligung am Putsch eine Zulage aus, die „Kapp-Zulage“ und eine einmalige Prämie, die die Putschisten (!) beschlossen hatten, lösten aber dann doch die Brigade Ehrhardt auf.
Das war der Beginn der klandestinen „Organisation Consul“, benannt nach einem Aliasnamen von Ehrhardt, deren erklärtes Ziel die Bekämpfung der Weimarer Republik und ihrer Verfassung, des Judentums und aller linken Organisationen war. Ehrhardt war, wie Martin Sabrow (2) in seiner ausgezeichneten Darstellung des Mordes an Walther Rathenau belegt, der Kopf des Komplotts, der Verantwortliche für die Auftragsmorde an den (bürgerlichen!) Politikern Erzberger und Rathenau und für die Mordversuche und Fememorde.
Schon im Putschjahr 1920 erging im Herbst gegen Ehrhardt ein Haftbefehl, dem er sich allerdings durch die Flucht nach München, wo er unter dem Schutz des dortigen (rechtsextremen) Polizeipräsidenten seine Organisation dirigieren und ausbauen konnte. In seiner Arbeit erwähnt Sabrow mehrmals auch eine „Wiener Organisation“ der O.C., die in dem für die deutsche Justiz so schändlichen Prozess gegen die O.C. ebenfalls zur Sprache kam.
Das war aber bei weitem nicht die einzige (völlig unerforschte) Beziehung der Organisation Consul zu Österreich. Ehrhardt, der in dem Prozess gegen die O.C. nicht einmal angeklagt war, weil, so die Rechtfertigung der Anklage, neben der Strafe, die er in einem gesonderten Verfahren wegen Verbrechen des Hochverrats und des Meineids zu erwarten hatte, die Strafe in diesem Verfahren (wegen Geheimbündelei) nicht ins Gewicht falle, entzog sich immer dann, wenn gegen ihn ein Haftbefehl erlassen wurde, durch Flucht oder Verstecken seiner Strafverfolgung.
Während seine spätere Frau, die Prinzessin Margarethe Viktoria Prinzessin zu Hohenlohe-Öhringen, für das falsche Alibi, das sie Ehrhardt verschafft hatte, wegen Meineids zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, entzog sich Ehrhardt seinem Hochverrats- und Meineid-Prozess im Juli 1923 durch Flucht bzw. durch seine Befreiung aus dem Gefängnis und tauchte dann in Tirol wieder auf.
Im Herbst 1923 war Ehrhardt allerdings wieder zurück in Deutschland und mit seiner Nachfolgeorganisation der O.C., dem neu gegründeten „Bund Wiking“, auf Veranlassung und unter dem Schutz des bayrischen Generalstaatskommissars Gustav Kahr mit dem Aufbau einer neuen paramilitärischen Truppe in Oberfranken engagiert.
Als im November der dilettantische Hitler-Ludendorff-Putschversuch scheiterte, lag das auch an der Weigerung von Ehrhardt, seine Truppen für den Putsch in Bewegung zu setzen. Ehrhardt schlug sich auf die Seite des rechtsextremen Generalstaatskommissars Kahr, der mittlerweile seine Unterstützung für die Nationalsozialisten aufgegeben hatte und von Hitler persönlich für das Scheitern seines Putschversuchs verantwortlichgemacht wurde.
Ehrhardt, der in einer früheren Phase mit Hitler durchaus verbündet war und die militärische Ausbildung des Nazi-Saalschutzes, der „Turn- und Sportabteilung der NSDAP“ (spätere SA), übernommen hatte, stand 1923 schon in offener Konkurrenz zu Hitler, der im Unterschied zu seiner putschistischen Strategie auf Massenmobilisierung gesetzt und der „Organisation Consul“ auch etliche Offiziere für SA und später SS abgeworben hatte. Ehrhardts Weigerung, am Hitler-Putsch unterstützend teilzunehmen, wurde innerhalb der rechten und nationalsozialistischen Bewegung jedenfalls als Verrat angesehen und war in seiner politischen Karriere gewissermaßen der Wendepunkt.
1924 floh Ehrhardt neuerlich nach Österreich und kehrte erst 1926, nach einer Amnestie des Reichspräsidenten Hindenburg, nach Deutschland zurück. Über seine genauen österreichischen Aufenthaltsorte in dieser Zeit sind weder in den Arbeiten von Sabrow noch in zeitgenössischen Berichten exakte Hinweise zu finden. Wien wird ebenso erwähnt wie Tirol und Salzburg, wo nach Sabrow der damalige Polizeipräsident als Fluchthelfer der Erzberger-Mörder Heinrich Tillessen und Schulz fungierte und sie „selbst mit dem Auto an die österreichisch-ungarische Grenze“ brachte (Sabrow, S. 85).
1927 heiratete Ehrhardt die aus dem Hochadel stammende und vermögende Margarethe Hohenlohe, die für ihn den Meineid geleistet hatte. Sein Verhältnis zu den Nationalsozialisten verbesserte sich auch nach deren Machtergreifung nicht wirklich, obwohl er zunächst seine Truppen der SS unterstellt hatte und selbst zum SS-Gruppenführer befördert wurde. Sein früherer Protege, Gustav Kahr, war im Zuge der Röhm-Affäre 1934 von der SS verhaftet, misshandelt und schließlich erschossen worden.
Für 1936 vermerkt die Gemeindechronik von Lichtenau (NÖ) jedenfalls, dass Georg Hermann Ehrhardt, „ein politisch bedeutender Freikorpsführer“, Schloss und Grund Brunn am Wald erworben hat. Nach dem Krieg und der Niederlage der Nationalsozialisten machte Ehrhardt, der jetzt seine Ablehnung Hitlers in eine Widerstandsaktion verwandelte, geltend, dass ihm schon 1935 von der steirischen Landesregierung die Staatsbürgerschaft verliehen worden sei. Letztendlich wurde sie ihm laut Sabrow (S. 277) 1948 rechtskräftig zugesprochen.
Der Antisemit, Putschist und Chef einer rechtsextremen Terrororganisation fand also im Unterschied zu zahlreichen Verfolgten des NS-Regimes nicht nur immer wieder freundliche Aufnahme in Österreich, sondern auch seine Anerkennung als Staatsbürger. Vermutlich hat man damals auch nicht so genau hingeschaut, ob er damit Doppelstaatsbürger geworden ist.
Wie aber kam es zu der freundlichen Übernahme des Terroristenchefs als Staatsbürger? Sabrow liefert Indizien. Demnach hat der österreichische Marineverband sogar bei der provisorischen Staatsregierung interveniert, nachdem Ehrhardt 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht verhaftet worden war. Der Marineverband machte aus Ehrhardt kurzerhand einen „erbitterten Gegner“ und „leidenschaftlichen Bekämpfer des Nationalsozialismus“, was nicht einmal Staatskanzler Renner glauben mochte. Renner sprach sich gegen die Freilassung Ehrhardts aus, der aber dennoch aus der Haft entlassen wurde und später mit einer eidesstattlichen Erklärung die Aufnahme in die Dachorganisation der vom NS politisch Verfolgten, den Bund der politisch Verfolgten beantragte. Auch diesem Antrag wurde stattgegeben. Sabrow schreibt dazu: „Es bleibt festzuhalten, dass Ehrhardt seine Mitgliedschaft im österreichischen Bund der politisch Verfolgten mit Hilfe biographischer Angaben erreichte, die einer näheren Nachprüfung nicht standgehalten hätten.“ (S. 286)
Obwohl Ehrhardt in einem seiner seltenen Interviews nach 1945 mit der Illustrierten „Kristall“ (1963) sogar die Morde an den Politikern Rathenau und Erzberger rechtfertigte, sieht Sabrow in ihm eine „überraschend“ erfolgreiche Integration in den zweiten Aufbau einer demokratischen Gesellschaftsordnung. Jedenfalls eine in die ÖVP, denn laut Sabrow wurde der Gutsbesitzer und Landwirt Ehrhardt Mitglied im Bauernbund und damit in einer Teilorganisation der ÖVP.
Die Gemeinde Lichtenau im Waldviertel, zu der Brunn am Walde und damit Ehrhardts Schloss gehört, verliert bis heute kein negatives Wort über Ehrhardt. Sein Grab wird als „Gedenkstein“ ausgewiesen mit einer verfälschenden und beschönigenden Beschreibung, auf der Website der Gemeinde wird er als „bedeutender Gemeindebürger“ und „bedeutende Persönlichkeit“ angeführt. Er ist jedoch nicht der einzige Antisemit, der da als „bedeutende Persönlichkeit“ angeführt wird.
➡️ Der Rathenaumord und die Organisation Consul
1 Thomas Hüetlin, Berlin, 24.Juni 1922. Der Rathenaumord und der Beginn des rechten Terrors in Deutschland. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022
2 Martin Sabrow, Der Rathenaumord und die deutsche Gegenrevolution. Wallstein-Verlag, Göttingen 2022