Wiederbetätigungsprozesse im Verborgenen

Laut Jus­tizmin­is­teri­um wurde 2021 gegen 3.568 Per­so­n­en nach dem Ver­bots­ge­setz ermit­telt, es gab 2.072 Anfälle, 217 Verurteilun­gen und 123 Ein­stel­lun­gen mit Aufla­gen (z.B. Diver­sio­nen). All diese Dimen­sio­nen sind nur Zahlen­ma­te­r­i­al, in der öffentlichen Wahrnehmung schlägt deren Bedeu­tung nicht auf. Das hat auch damit zu tun, dass sehr viele Prozesse qua­si im Ver­bor­ge­nen stattfinden.

Der Jus­tiz ist es ein großes Anliegen, dem Infor­ma­tion­sanspruch der Bürger*innen sowie der Medi­en im Rah­men der geset­zlichen Bes­tim­mungen gerecht zu wer­den. Durch aktive Öffentlichkeit­sar­beit soll das Ver­ständ­nis der Öffentlichkeit für die Recht­spflege und das Ver­trauen der Bevölkerung in die Jus­tiz und in ihre Ein­rich­tun­gen gestärkt wer­den“, ist auf dem Inter­net­por­tal aller öster­re­ichis­chen Gerichte zu lesen. Klingt schön, in der Prax­is kann die Sache aber deut­lich anders aussehen.

Das begin­nt bere­its damit, dass Ver­hand­lungskalen­der (auch „Ver­hand­lungsspiegel“) von manchen Gericht­en veröf­fentlich wer­den, von manchen jedoch nicht. Dazu kommt, dass einige der online gestell­ten Über­sicht­en je nach Gericht infor­ma­tiv oder auch sehr dürr ausfallen.

Text bei allen Gerichten zur Öffentlichkeitsarbeit

Text bei allen Gericht­en zur Öffentlichkeitsarbeit

Die Lan­des­gerichte der zwei größten öster­re­ichis­chen Städte, Wien und Graz, gehören zu jenen, die keine Über­sicht über bevorste­hende Ver­hand­lun­gen online stellen. Nur eine aus­gewählte kleine Schar von Journalist*innen erhält den Ver­hand­lungskalen­der dieser Gerichte. Die Folge: Über Prozesse (nicht nur) nach dem Ver­bots­ge­setz wird entsprechend sel­ten und wenn, dann meist nur kur­sorisch berichtet. Die Öffentlichkeit erfährt also fast nichts über die dort abgewick­el­ten Ver­fahren und noch weniger über Hin­ter­gründe und etwaige Querverbindun­gen in der Szene, weil die in Prozessen kaum oder gar nicht the­ma­tisiert wer­den und Medienvertreter*innen in der Regel nicht auf das Fachge­bi­et Rechtsextremismus/Neonazismus spezial­isiert sind – also Einord­nun­gen oft nicht tre­f­fen können.

Ein dabei exem­plar­isch her­ausstechen­der Fall ist jen­er des Graz­er Polizis­ten, der im Juli und im Sep­tem­ber 2020 wegen Wieder­betä­ti­gung im Lan­des­gericht Graz ver­han­delt wurde. In Medi­en war darüber nur kur­sorisch zu lesen. Wäre die antifaschis­tis­chen Ini­tia­tiv­en prozess.report und Doku Ser­vice Steier­mark nicht beim Prozess gewe­sen, hätte die Öffentlichkeit nie über die doch sehr bemerkenswerten Hin­ter­gründe erfahren. Durch das vom Doku Ser­vice ver­fasste Pro­tokoll kon­nte „Stoppt die Recht­en” einen Bericht anfer­ti­gen, der dann auch größeres Auf­se­hen erregt und zur Frage geführt hat­te, wie es denn mit recht­sex­tremen Strö­mungen im öster­re­ichis­chen Polizei­di­enst aussieht.

Aber nicht nur die Lan­des­gerichte von Wien und Graz veröf­fentlichen keine Ver­hand­lungskalen­der, auch jene von Leoben, Krems, Korneuburg und St. Pöl­ten geben sich schweigsam. Vom großen „Anliegen, dem Infor­ma­tion­sanspruch der Bürger*innen sowie der Medi­en im Rah­men der geset­zlichen Bes­tim­mungen gerecht zu wer­den“, kann hier also nicht die Rede sein.

Manche Lan­des­gerichte ver­fassen zu den Prozessen eine Kurzbeschrei­bung der Anklagepunk­te, andere nen­nen ger­ade ein­mal die Anklagepara­grafen bzw. ‑punk­te. Der Infor­ma­tion­swert beschränkt sich also darauf, dass es an Tag X, Uhrzeit Y einen Prozess nach dem Ver­bots­ge­setz gibt.

aus dem Verhandlungskalender des Landesgerichts Eisenstadt: Geschworenenprozess am 31.3.22 wegen Verbrechen nach dem Verbotsgesetz, Verhetzung, Suchtgifthandel, Waffengesetz

aus dem Ver­hand­lungskalen­der des Lan­des­gerichts Eisen­stadt: Geschwore­nen­prozess am 31.3.22 wegen Ver­brechen nach dem Ver­bots­ge­setz, Ver­het­zung, Sucht­gifthandel, Waffengesetz

Landesgericht Linz mit Angabe von Anklageparagrafen, Ort und Tatzeitraum

Lan­des­gericht Linz mit Angabe von Anklagepara­grafen, Ort und Tatzeitraum

Landesgericht Innsbruck mit zwei Prozessen nach dem Verbotsgesetz

Lan­des­gericht Inns­bruck mit zwei Prozessen nach dem Verbotsgesetz

Dürre Informationen vom Landesgericht Salzburg: nur Anklageparagrafen

Dürre Infor­ma­tio­nen vom Lan­des­gericht Salzburg: nur Anklageparagrafen

Aber selb­st dann, wenn bei den Gericht­en konkret zu Prozessen bzw. nach deren Aus­gän­gen um Infor­ma­tion gebeten wird, gibt’s nicht immer Auskün­fte. Der Stan­dard-Jour­nal­ist Markus Sulzbach­er erzählt in einem Gespräch mit „Stoppt die Recht­en“ über seine ernüchtern­den Erfahrun­gen: „Es ist immer eine Art Glücksspiel, ob man eine Antwort bekommt oder nicht. Selb­st, wenn mehrfach nachge­fragt wird.“ Infor­ma­tions­flüsse als Glücksspiel sollte sich jedoch ger­ade die Jus­tiz nicht leis­ten, wed­er in Wieder­betä­ti­gungs- noch in anderen Ver­fahren, denn das ist alles andere als vertrauensbildend!

➡️ Ver­hand­lungskalen­der der öster­re­ichis­chen Landesgerichte

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