Lesezeit: 7 Minuten

Freiheitliches Wissenschaftsklima (Teil 2): Für Folter und Rasseforschung?

Der ers­te Teil unse­rer Recher­che zum „Netz­werk Wis­sen­schafts­frei­heit“ war erst weni­ge Stun­den online und get­wit­tert, da fühl­ten sich schon Unbe­kann­te beschwert und ver­lang­ten von Twit­ter die Löschung. Offen­sicht­lich gibt es sehr enge Gren­zen für die Kri­tik am Netz­werk und des­sen Proponent*innen. Im Netz­werk selbst gibt es dafür Kri­tik an des­sen immer deut­li­cher wer­den­den Rechts­drift. Wer auch […]

5. Mai 2021
David Engels am YT-Account des Instytut Zachodni
David Engels am YT-Account des Instytut Zachodni

Wer auch immer sich durch unse­ren ers­ten Bericht zum Netz­werk bzw. zu Bei­spiel 1, Jörg Bab­e­row­ski, auf den Schlips getre­ten fühl­te, hat eine Schlap­pe erlit­ten. Twit­ter hat unse­ren Tweet geprüft und kei­nen Ver­stoß gegen die Twit­ter-Regeln fest­stel­len kön­nen. Dafür – das hören wir aus dem Netz­werk selbst – sind eini­ge Mit­glie­der zuse­hends irri­tiert über den deut­li­chen Rechts­kurs, den so man­che Proponent*innen dem Netz­werk durch Inter­views oder ande­re Akti­vi­tä­ten ver­pas­sen oder für den sie ein­fach stehen.

Nach wie vor gel­ten Auf­nah­me­re­geln, die eigent­lich ver­hin­dern sol­len, dass sich offe­ne Rechts­extre­me als Mit­glie­der ein­schrei­ben. Zwei Mit­glie­der müs­sen für Neue bür­gen, erst dann ist man dabei. Wie jedoch zu sehen ist, stellt die Bür­gen­re­gel kei­ne geeig­ne­te Schutz­maß­nah­me gegen rech­te Unter­wan­de­rung dar – ganz im Gegenteil!

Bei­spiel 2: David Engels

Wer für Prof. Dr. David Engels gebürgt hat, damit er Mit­glied im Netz­werk wer­den kann, wis­sen wir natür­lich nicht. Der Pro­fes­sor wird als Alt­his­to­ri­ker der Uni­ver­si­té Lib­re de Bru­xel­les aus­ge­wie­sen. Das stimmt so nur bedingt. Seit 2018 ist Engels von sei­nem Brüs­se­ler Lehr­stuhl frei­ge­stellt, weil er eine For­schungs­pro­fes­sur am Ins­ty­tut Zachod­ni im pol­ni­schen Posen erhal­ten hat und dort zu „abend­län­di­scher Geis­tes­ge­schich­te, euro­päi­scher Iden­ti­tät und pol­nisch-west­eu­ro­päi­scher Bezie­hun­gen“ forscht. Im Auf­trag der pol­ni­schen Regie­rung. Das „Ins­ty­tut Zachod­ni“ ist näm­lich direkt der Kanz­lei des Minis­ter­prä­si­den­ten unter­stellt, also dem Herrn Mate­usz Mora­wi­ecki von der deut­lich rech­ten PiS, die sich nicht nur gera­de Jus­tiz und Medi­en nach ihren Bedürf­nis­sen her­rich­tet, son­dern das schon 2017 mit dem Ins­ty­tut Zachod­ni so gemacht hat. Was die Fra­ge aus­fwirft: David Engels, der für den Minis­ter­prä­si­den­ten und die PiS im immer auto­ri­tä­rer regier­ten Polen forscht, kri­ti­siert die feh­len­de Wis­sen­schafts­frei­heit in Deutschland?

David Engels am YT-Account des Instytut Zachodni
David Engels am YT-Account des Ins­ty­tut Zachodni

2017 plau­der­te der Alt­his­to­ri­ker in einem Inter­view mit der Huf­fing­ton Post von bür­ger­kriegs­ähn­li­chen Zustän­den in Euro­pa 2018 unter­schrieb er dann die „Gemein­sa­me Erklä­rung“ , in der mit vie­len ande­ren (auch aus dem spä­te­ren Netz­werk) er die „Wie­der­her­stel­lung“ (!) der staat­li­chen Ord­nung an unse­ren Gren­zen ein­for­der­te und die Beschä­di­gung Deutsch­lands durch die „ille­ga­le Mas­sen­ein­wan­de­rung“ beklag­te. 2019 nahm er den Brand von Not­re Dame zum Anlass, um das „Ende der letz­ten Illu­si­on christ­li­cher Herr­schaft über Euro­pa“ zu bejam­mern und fest­zu­stel­len: „Denn selbst­ver­ständ­lich war es Brand­stif­tung – wobei es letzt­lich einer­lei ist, ob hin­ter der Tat jener zuneh­mend weit­ver­brei­te­te anti-christ­li­che Affekt steht, wel­cher in Frank­reich seit Mona­ten Tag für Tag zu Anschlä­gen auf Got­tes­häu­ser führt, oder viel­mehr ’nur’ eine sträf­li­che Nach­läs­sig­keit.“ (Die Tages­post, 16.4.19)

Der Blog „Doku­men­tie­ren gegen Rechts“ hat jede Men­ge Mate­ri­al zu den extrem rech­ten Ver­bin­dun­gen von Engels, sei­nen Vor­trä­gen und sei­nen Ver­öf­fent­li­chun­gen zusam­men­ge­tra­gen, aus dem her­vor­geht, dass der Alt­his­to­ri­ker mit sei­nen reak­tio­nä­ren The­sen über den Ver­fall des „Abend­lan­des“ und den bevor­ste­hen­den Bür­ger­krieg nicht nur die extre­me Rech­te begeis­tert, son­dern auch die poli­ti­sche Mit­te zum Erschau­ern bringt.

Bei­spiel 3: Uwe Steinhoff

Pro­fes­sor Stein­hoff wird als Phi­lo­soph, der an der Uni­ver­si­tät Hong­kong lehrt, aus­ge­wie­sen. Ähn­lich wie bei Engels lie­ße sich da wohl fest­hal­ten, dass Hong­kong in einer Zeit, in der die Volks­re­pu­blik Chi­na der Son­der­ver­wal­tungs­zo­ne gera­de die Dau­men­schrau­ben anzieht, deut­lich mehr mit staat­li­cher Kon­trol­le über den Wis­sen­schafts­be­trieb und auto­ri­tä­rer Dis­zi­pli­nie­rung der Uni­ver­si­tä­ten (und der Stu­die­ren­den) zu kämp­fen hat als irgend­ein Land im EU-Euro­pa. Das gilt natür­lich nicht für Wis­sen­schaf­ter wie Stein­hoff und sein Spe­zi­al­ge­biet, mit dem er so rich­tig bekannt wur­de: Fol­ter. In sei­ner Publi­ka­ti­ons­lis­te zieht sich das The­ma über die Jah­re hin­weg durch: „On the Ethics of Tor­tu­re“ (2013), „Lega­li­zing Defen­si­ve Tor­tu­re“ (2012), „Tor­tu­re Can Be Self-Defen­se: A Cri­tique of Whit­ley Kaufman”(2008), „Jus­ti­fy­ing Defen­si­ve Tor­tu­re” (2009) usw.. Man ahnt es schon anhand der Titel: Stein­hoff ist kein Foltergegner!

„Can tor­tu­re be moral­ly jus­ti­fied? I shall cri­ti­cise argu­ments that have been addu­ced against tor­tu­re and demons­tra­te that tor­tu­re can be jus­ti­fied more easi­ly than most phi­lo­so­phers deal­ing with the ques­ti­on are pre­pared to admit“ („Kann Fol­ter mora­lisch gerecht­fer­tigt sein? Ich wer­de die Argu­men­te kri­ti­sie­ren, die gegen Fol­ter ange­führt wer­den und auch bewei­sen, dass Fol­ter viel ein­fa­cher gerecht­fer­tigt wer­den kann als das die meis­ten Phi­lo­so­phen, die sich mit die­sem The­ma befas­sen, zugeben“).

Steinhoff: "... torture too must sometimes be justified"
Stein­hoff: „… tor­tu­re too must some­ti­mes be justified”

2006 hat Stein­hoff die­se Zei­len in „Tor­tu­re – The Case for Dir­ty Har­ry and against Alan Der­show­itz“ ein­lei­tend geschrie­ben. 2013 und 2014 hat ihm die Uni­ver­si­tät Hong­kong für sei­ne Arbeit Prei­se zuge­spro­chen – dort weiß man das Werk von Stein­hoff offen­sicht­lich zu schätzen.

Menschenrechtserklärung zu Folter
Men­schen­rechts­er­klä­rung zu Folter

Bei­spiel 4: Hei­ner Rindermann

Hei­ner Rin­der­mann ist ein Psy­cho­lo­ge, der an der TU Chem­nitz lehrt. Auf sei­ne Ergeb­nis­se in Sachen Intel­li­genz­for­schung hat sich der Rechts­au­ßen Thi­lo Sar­ra­zin für sein Buch „Deutsch­land schafft sich ab“ eben­so beru­fen wie sein öster­rei­chi­scher Adept Thors­ten Seif­ter in sei­ner Arbeit „Die inner­art­li­che Varia­ti­on des mensch­li­chen Vokal­trakts und der Stim­me“, die eigent­lich „Ras­se und Stim­me“ hei­ßen und den Ras­se­be­griff wie­der aka­de­misch salon­fä­hig machen soll­te. Seif­ter, der in sei­ner Arbeit mehr­mals posi­tiv auf Rin­der­manns Bezug nimmt, ist viel­leicht etwas direk­ter als der Chem­nit­zer Psy­cho­lo­ge, der auf die Fra­ge, wie er zu der The­se kom­me, dass Intel­li­genz nach Eth­ni­en gene­tisch unter­schied­lich ver­teilt sei, herumschwurbelt:

Ob sie gene­tisch unter­schied­lich ver­teilt ist, wis­sen wir nicht so genau, also, was wir genau wis­sen, dass die Intel­li­genz sich über ver­schie­de­ne Län­der hin­weg stark unter­schei­det in ihrem Mit­tel­wert, und wir wis­sen auch sehr genau, dass auf indi­vi­du­el­ler Ebe­ne hier­bei neben Umwelt­fak­to­ren auch gene­ti­sche Fak­to­ren rele­vant sind. (Deutsch­land­funk Kul­tur, 4.12.07)

Im glei­chen Inter­view sagt Rin­der­mann aber auch die­sen kla­ren Satz: „Es gibt auf jeden Fall gene­ti­sche Unter­schie­de zwi­schen den Ras­sen, wenn man die­sen Begriff wählt, also zwi­schen Wei­ßen, zwi­schen Schwar­zen und zwi­schen Asia­ten als die drei Groß­grup­pen.

2015 nimmt Rin­der­mann in einem Bei­trag mit dem bezeich­nen­den Titel „Wir ver­tei­di­gen Euro­pas Wer­te“ im Focus Maga­zin Nr. 43 (2015) zur Ein­wan­de­rung Stel­lung: „Der Bil­dungs­stan­dard der meis­ten Ein­wan­de­rer aus Vor­der­asi­en und Afri­ka ist nied­rig, ihre Fähig­kei­ten sind limi­tiert. Die Fol­gen wer­den bit­ter sein.“ Auch der Rest des Bei­trags ist pure Pole­mik gegen Zuwan­de­rung, die mit hoher Kri­mi­na­li­tät und gerin­ge­rer Intel­li­genz ver­bun­den sei. Die Poli­tik von Ange­la Mer­kel zeu­ge, „wenn die Fol­gen bedacht wer­den, von wenig Ver­ant­wor­tung für die Gesell­schaft“.

Dass Rin­der­mann mit Aus­sa­gen über den Zusam­men­hang zwi­schen Genen und wirt­schaft­li­chem Erfolg und die Unter­schie­de zwi­schen den angeb­li­chen Groß­ras­sen in der wis­sen­schaft­li­chen Com­mu­ni­ty auf Ableh­nung stößt, schreibt er dem Umstand zu, dass für ihn 90 Pro­zent der Sozialwissenschafter*innen dem lin­ken Spek­trum zuzu­ord­nen sei­en und Wis­sen­schaft unter „Deintel­lek­tua­li­sie­rung“ lei­de. Auch Rin­der­mann sieht sich, so wie David Engels, von bür­ger­kriegs­ähn­li­chen Zustän­den und von „Toten auf den Stra­ßen, Weih­nachts­märk­ten, Glei­sen, Dach­bö­den und in Flüs­sen, in Chem­nitz nur 600 Meter vom Uni­ver­si­täts­haupt­ge­bäu­de ent­fernt“, umge­ben wie er dem stramm­rech­ten Maga­zin „Tichys Ein­blick“ (17.11.2019) verriet.

Nicht nur gegen sol­che dys­to­pi­schen Zustän­de und Per­spek­ti­ven soll ihm das Netz­werk Wis­sen­schafts­frei­heit hel­fen, son­dern auch bei der Ras­se­for­schung. Die von der Deut­schen Zoo­lo­gi­schen Gesell­schaft und dem Jena­er Max-Planck-Insti­tut für Mensch­heits­ge­schich­te ver­ab­schie­de­te Jena­er Erklä­rung, wonach das Kon­zept der Ras­se das Ergeb­nis von Ras­sis­mus und nicht des­sen Vor­aus­set­zung ist, wird vom Netz­werk als Bedro­hung der Wis­sen­schafts­frei­heit gese­hen und bekämpft.

Netzwerk: Rassismus ist Wissenschaftsfreiheit
Netz­werk: Ras­sis­mus ist Wissenschaftsfreiheit

Was ist aus den hier bespro­che­nen Netz­wer­kern zu schlie­ßen? Ihre Frei­heit meint auch die Frei­heit, für auto­ri­tä­re Sys­te­me und Par­tei­en arbei­ten und gegen Demo­kra­tien, für Fol­ter und Ras­se­kon­zep­te Stel­lung bezie­hen zu dür­fen. Es ist anzu­neh­men, dass die­se Posi­tio­nen nicht von allen Mit­glie­dern geteilt wer­den. War­um aber sind sie trotz­dem bei die­sem Netz­werk und ver­hal­ten sich ruhig? Fast 40 Wissenschafter*innen aus öster­rei­chi­schen Uni­ver­si­tä­ten haben eben­falls das deut­lich rechts­ge­strick­te Mani­fest des Netz­werks „gegen ideo­lo­gisch moti­vier­te Ein­schrän­kun­gen“ unterschrieben.

➡️ Frei­heit­li­ches Wis­sen­schafts­kli­ma? (Teil 1)