Lesezeit: 7 Minuten

Freiheitliches Wissenschaftsklima? (Teil 1)

Der Bund Frei­heit der Wis­sen­schaft war eine vor allem in den 1970er-Jah­­ren mäch­ti­ge Ver­ei­ni­gung von sehr kon­ser­va­ti­ven bis sehr rech­ten Wissenschafter*innen, die sich gegen die 68er, stu­den­ti­sche Mit­be­stim­mung und kri­ti­sche Wis­sen­schaft wand­ten. Muss man nicht ken­nen. Wenn sich aber im Jahr 2021 ein Netz­werk Wis­sen­schafts­frei­heit grün­det, darf man anneh­men, dass es sich in die­ser Tradition […]

29. Apr 2021
Jörg Baberowski beim Abreissen von Plakaten (Quelle: YouTube)
Jörg Baberowski beim Abreissen von Plakaten (Quelle: YouTube)

Im Mani­fest des Netz­werks, das im Febru­ar 2021 ver­öf­fent­licht wur­de, heißt es dazu:

Das Netz­werk Wis­sen­schafts­frei­heit ist ein Zusam­men­schluss von Wis­sen­schaft­le­rin­nen und Wis­sen­schaft­lern mit dem gemein­sa­men Anlie­gen, die Frei­heit von For­schung und Leh­re gegen ideo­lo­gisch moti­vier­te Ein­schrän­kun­gen zu ver­tei­di­gen und zur Stär­kung eines frei­heit­li­chen Wis­sen­schafts­kli­mas beizutragen.
Wir beob­ach­ten, dass die ver­fas­sungs­recht­lich ver­bürg­te Frei­heit von For­schung und Leh­re zuneh­mend unter mora­li­schen und poli­ti­schen Vor­be­halt gestellt wer­den soll
.

Rund 70 Wissenschafter*innen aus dem deut­schen Sprach­raum haben die­ses Mani­fest zunächst unter­schrie­ben, mitt­ler­wei­le sind es über 400 – und eini­ge von ihnen sind auch aus Öster­reich. Nicht alle von ihnen sind expli­zit Rech­te oder stram­me Kon­ser­va­ti­ve, aber gera­de die ande­ren müs­sen sich fra­gen las­sen, ob sie unter der „Stär­kung eines frei­heit­li­chen Wis­sen­schafts­kli­mas“ und der „Frei­heit von For­schung und Leh­re“ ohne „ideo­lo­gisch moti­vier­te Ein­schrän­kun­gen“ das Glei­che ver­ste­hen wie die Rech­ten und wel­che Zie­le sie mit ihnen tei­len. Ähn­lich wie bei den Coro­na-Pro­tes­ten segeln hier unter der Duft­mar­ke „Frei­heit“ näm­lich Rech­te und Rechts­extre­me, die ganz ande­re Frei­hei­ten meinen.

Bei­spiel 1: Jörg Baberowski

Bab­e­row­ski (60) ist ein deut­scher His­to­ri­ker und Gewalt­for­scher, der sich auf den Sta­li­nis­mus und Ost­eu­ro­pa spe­zia­li­siert hat. Er hat aus sei­ner For­schung, die durch­aus umstrit­ten ist, auch viel Aner­ken­nung bezo­gen. Seit 2014 lie­fert sich der Pro­fes­sor der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät Ber­lin einen mehr als hef­ti­gen Streit mit einer trotz­kis­ti­schen Grup­pe, der im Jän­ner 2020 sei­nen vor­läu­fi­gen Höhe­punkt dar­in fand, dass Bab­e­row­ski eigen­hän­dig Wahl­pla­ka­te der Grup­pe vom schwar­zen Brett riss und dem Stu­den­ten, der ihn dabei film­te, androh­te: „Soll ich Dir was in die Fres­se hau­en?

Jörg Baberowski beim Abreissen von Plakaten (Quelle: YouTube)
Jörg Bab­e­row­ski beim Abreis­sen von ihm nicht gefäl­li­gen Wahl­pla­ka­ten (Quel­le: You­Tube)

Beim Netz­werk Wis­sen­schafts­frei­heit wird Bab­e­row­ski so beschrieben:

Nach­dem Jörg Bab­e­row­ski, Pro­fes­sor für Geschich­te Ost­eu­ro­pas an der HU Ber­lin, schon seit meh­re­ren Jah­ren Ver­leum­dun­gen und Stör­ak­tio­nen durch eine trotz­kis­ti­sche Split­ter­grup­pe aus­ge­setzt ist, ent­wi­ckelt sich nach einem kri­ti­schen Bei­trag zur Migra­ti­ons­po­li­tik eine Kam­pa­gne gegen den His­to­ri­ker. Er wird als Rechts­extre­mist, Ras­sist und Holo­caust-Leug­ner dif­fa­miert und im Vor­feld von Vor­trags­ver­an­stal­tun­gen bedroht. Auch die Grün­dung eines von ihm kon­zi­pier­ten inter­dis­zi­pli­nä­ren Zen­trums für ver­glei­chen­de Dik­ta­tur­for­schung schei­tert vor die­sem Hin­ter­grund.

Da wird eine Opfer­le­gen­de gestrickt, die schon im Ansatz nicht stim­mig ist. Dem Jahr 2014 ent­springt nicht nur Bab­e­row­skis Infight mit der trotz­kis­ti­schen Grup­pe, son­dern auch ein Zitat im „Spie­gel“ (9.2.14), das tat­säch­lich ein hef­ti­ger Schlag, aber sicher kein Tref­fer ist: „Hit­ler war kein Psy­cho­path, er war nicht grau­sam. Er woll­te nicht, dass an sei­nem Tisch über die Juden­ver­nich­tung gere­det wird.“ Bab­e­row­ski hat die­se Aus­sa­ge nicht unüber­legt getrof­fen, hat sie auch spä­ter mehr­fach gerecht­fer­tigt. Falsch ist sie trotz­dem und zudem unend­lich zynisch, ja wider­lich gegen­über den Opfern des Nationalsozialismus.

Schon Jah­re zuvor und spä­ter immer wie­der hat er den Revi­sio­nis­ten Ernst Nol­te ver­tei­digt, der behaup­tet und damit den His­to­ri­ker­streit aus­ge­löst hat­te, dass die NS-Ver­nich­tungs­po­li­tik und der Holo­caust aus Furcht vor der rus­si­schen Okto­ber­re­vo­lu­ti­on ent­stan­den sei und damit den His­to­ri­ker­streit aus­ge­löst hat­te. Für den Juda­is­tik-Wis­sen­schaf­ter Micha Brum­lik war Nol­te damit der „ers­te deut­sche, eini­ger­ma­ßen renom­mier­te Gelehr­te, der sowohl den Anti­se­mi­tis­mus als auch den Holo­caust nicht nur ‚ver­steht‘, son­dern offen recht­fer­tigt“ (Frank­fur­ter Rund­schau, 7.5.94, zit.nach Wiki­pe­dia).

Bab­e­row­ski ist nicht jedoch nur durch sei­ne erschre­cken­den Aus­sa­gen zum Natio­nal­so­zia­lis­mus und sei­nen Streit mit den Trotz­kis­ten auf­fäl­lig gewor­den. Ab 2015 erreg­te er sich auch über Geflüch­te­te, Mer­kels Poli­tik und die angeb­li­chen Ver­su­che, ihn und sei­nes­glei­chen nach „Dun­kel­deutsch­land“ abzu­drän­gen. Nach den ers­ten Brand­an­schlä­gen auf Asyl­un­ter­künf­te gibt Bab­e­row­ski in einem Inter­view mit dem Sen­der 3sat ein Inter­view den Gewalt­ver­ste­her: „Über­all da, wo vie­le Men­schen aus frem­den Kon­tex­ten hin­kom­men und die Bevöl­ke­rung nicht ein­ge­bun­den wird in die Rege­lung all die­ser Pro­ble­me, da kommt es natür­lich zu Aggres­si­on.” (zit. nach taz)

Der Satz macht die Run­de, wird in einem Flug­blatt zitiert, der Pro­fes­sor klagt, erklärt, er sei sinn­ent­stel­lend zitiert wor­den. Die Flug­blatt­ver­fas­ser lie­ßen näm­lich weg, was Bab­e­row­ski noch gesagt hat­te: „Gott sei Dank ist in Deutsch­land noch nie­mand umge­kom­men.” Die Brand­an­schlä­ge sei­en schlimm genug, aber ange­sichts der Pro­ble­me Deutsch­lands mit der Ein­wan­de­rung „ist es ja noch eher harm­los, was wir haben”. Die Erup­ti­on von Gewalt und Brand­an­schlä­gen auf Unter­künf­te von Geflüch­te­ten 2015 und 2016 harm­los? Die Mord­ta­ten des NSU und ande­rer auf Zuge­wan­der­te –„nie­mand umge­kom­men“? Das Gericht hält Bab­e­row­ski zugu­te, dass er Gewalt abge­lehnt habe, befin­det aber, dass es durch die Mei­nungs­frei­heit gedeckt sei, ihn rechts­ra­di­kal zu nennen.

Män­ner in Deutsch­land haben Gewalt ver­lernt. Sie rufen die Poli­zei, anstatt sich mit Gewalt zu weh­ren”, zitiert ihn die „Welt“ (23.5.2016) anläss­lich sei­ner „Refle­xio­nen“ über die Köl­ner Sil­ves­ter­nacht 2015. Und wei­ter: „Zivi­li­sa­to­risch sei die­ses Dele­gie­ren von Gewalt an den Staat ein unbe­ding­ter Fort­schritt, um den man lan­ge gerun­gen habe. Nur in einer Situa­ti­on wie der Sil­ves­ter­nacht mache sol­ches Ver­hal­ten natür­lich sehr hilf­los.

Was woll­te uns Bab­e­row­ski damit sagen? Dass man es so wie er bei der fra­gen­den Dro­hung („Soll ich Dir was in die Fres­se hau­en?“) belas­sen soll? Das ist gewiss etwas pole­misch, ist aber nichts gegen die Pole­mik, derer sich Bab­e­row­ski bedient, wenn er sich kri­ti­siert sieht. Sehr detail­liert beschreibt das der His­to­ri­ker Jan Plam­per in einem Bei­trag für die Zeit­schrift „Mer­kur“. Weil in einer „Spiegel“-Rezension von Plam­pers Buch „Das neue Wir: War­um Migra­ti­on dazu­ge­hört: Eine ande­re Geschich­te der Deut­schen“ auch Bab­e­row­ski erwähnt wird (er wird tat­säch­lich nur erwähnt!), sieht er sich von der Rezen­sen­tin als Rechts­ra­di­ka­ler und Frem­den­feind „denun­ziert“. Ver­gleich­ba­res sei ihm auch durch Plam­per wider­fah­ren, weil der ihn in einer lesens­wer­ten Replik in der „Huf­fing­ton Post“ als Kon­ser­va­ti­ven bezeich­ne­te, der sich an eine ver­klär­te Gegen­wart klammere.

Spiegel-Rezension über Plampers Buch "Das neue Wir": "Nur schade, dass meist gerade die lautesten Stimmen der Medienlandschaft nicht mitkommen. Dabei ist nicht nur Thilo Sarrazin - dessen Thesen Plamper elegant und nachhaltig widerlegt - gemeint, sondern Autoren wie Jörg Baberowski, Rüdiger Safranski und andere."
Spie­gel-Rezen­si­on über Plam­pers Buch „Das neue Wir”: „Nur scha­de, dass meist gera­de die lau­tes­ten Stim­men der Medi­en­land­schaft nicht mit­kom­men. Dabei ist nicht nur Thi­lo Sar­ra­zin — des­sen The­sen Plam­per ele­gant und nach­hal­tig wider­legt — gemeint, son­dern Autoren wie Jörg Bab­e­row­ski, Rüdi­ger Safran­ski und andere.”

Die­se Replik von Plam­per nahm Bab­e­row­ski nicht nur zum Anlass, um Plam­per die Zusam­men­ar­beit bei einer wis­sen­schaft­li­chen Buch­rei­he auf­zu­kün­di­gen, son­dern auch, um ihn beim Ver­lag anzu­schwär­zen:  „was Bab­e­row­ski mir und Nei­man vor­warf – „Schmä­hung“, „hämisch“, „Denun­zi­an­tin“ –, stimm­te nicht. Wir waren – völ­lig unab­hän­gig von­ein­an­der – nicht sei­ner Mei­nung, aber „denun­zie­ren“ und „mit Schmutz bewer­fen“?“ (Mer­kur) Der Ver­lag, der Plam­per nach den Vor­wür­fen von Bab­e­row­ski zunächst den Rück­tritt von sei­ner Funk­ti­on als Mit­her­aus­ge­ber der Buch­rei­he nahe­ge­legt hat­te, ent­schul­digt sich schließ­lich bei Plam­per. Wer denun­zier­te hier wen?

Jan Plamper im "Merkur": "Wie ich einmal gecancelt werden sollte"
Jan Plam­per im „Mer­kur”: „Wie ich ein­mal gecan­celt wer­den sollte”

Bleibt noch der Vor­wurf des Netz­wer­kes , dass die Grün­dung eines von Bab­e­row­ski kon­zi­pier­ten inter­dis­zi­pli­nä­ren Insti­tuts für ver­glei­chen­de Dik­ta­tur­for­schung „vor die­sem Hin­ter­grund“ (gemeint sind die angeb­lich dif­fa­mie­ren­den Vor­wür­fe gegen ihn) geschei­tert sei: Bab­e­row­ski, das Opfer, wie­der ein­mal? Auch das stimmt so nicht! Rich­tig ist, dass die stu­den­ti­schen Vertreter*innen im Aka­de­mi­schen Senat der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät gegen die­ses Insti­tuts­kon­zept waren. Die Replik des Pro­fes­sors: Die stu­den­ti­schen Ver­tre­te­rIn­nen sei­en „links­extre­mis­ti­sche Fana­ti­ker“ und „unfass­bar dumm“.

Rich­tig ist aber auch, dass von den vier wis­sen­schaft­li­chen Gut­ach­ten zur Kon­zep­ti­on des Insti­tuts zwei ver­nich­tend waren und eines der zwei posi­ti­ven vom Mit­glied der (spä­te­ren) Steue­rungs­grup­pe des Netz­werks Wis­sen­schafts­frei­heit, Andre­as Röd­der, stamm­te. (vgl. taz) Den Antrag auf die Errich­tung des Insti­tuts hat Bab­e­row­ski anschei­nend selbst zurück­ge­zo­gen, pole­mi­sier­te dann aber auch gegen die Uni­ver­si­tät, die unter dem Druck der Stu­die­ren­den ein­ge­knickt sei. Die Uni­ver­si­tät, so Bab­e­row­ski, müs­se ein Ort des „wil­den und unge­bun­de­nen, unbe­schränk­ten Den­kens“ sein.

Jetzt wis­sen wir zwar eini­ger­ma­ßen, was sich Bab­e­row­ski unter wil­dem Den­ken vor­stellt, aber war’s das schon? Bab­e­row­ski ist zwar für das Netz­werk Wis­sen­schafts­frei­heit ein „role model“, aber da gibt es noch wesent­lich extre­me­re Bei­spie­le, die sich den­noch als Opfer sehen. Darf das „wil­de, unge­bun­de­ne Den­ken“ im frei­heit­li­chen Wis­sen­schafts­kli­ma an den Uni­ver­si­tä­ten nicht nur revi­sio­nis­tisch, son­dern auch ras­sis­tisch oder sexis­tisch sein?

➡️ Frei­heit­li­ches Wis­sen­schafts­kli­ma (Teil 2): Für Fol­ter und Rasseforschung?

Keine Beiträge mehr verpassen: Email-Benachrichtigung aktivieren
abgelegt unter: Dokumentation
Schlagwörter: Extremismus der Mitte | Weite Welt |