Im Manifest des Netzwerks, das im Februar 2021 veröffentlicht wurde, heißt es dazu:
Das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit ist ein Zusammenschluss von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit dem gemeinsamen Anliegen, die Freiheit von Forschung und Lehre gegen ideologisch motivierte Einschränkungen zu verteidigen und zur Stärkung eines freiheitlichen Wissenschaftsklimas beizutragen.
Wir beobachten, dass die verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit von Forschung und Lehre zunehmend unter moralischen und politischen Vorbehalt gestellt werden soll.
Rund 70 Wissenschafter*innen aus dem deutschen Sprachraum haben dieses Manifest zunächst unterschrieben, mittlerweile sind es über 400 – und einige von ihnen sind auch aus Österreich. Nicht alle von ihnen sind explizit Rechte oder stramme Konservative, aber gerade die anderen müssen sich fragen lassen, ob sie unter der „Stärkung eines freiheitlichen Wissenschaftsklimas“ und der „Freiheit von Forschung und Lehre“ ohne „ideologisch motivierte Einschränkungen“ das Gleiche verstehen wie die Rechten und welche Ziele sie mit ihnen teilen. Ähnlich wie bei den Corona-Protesten segeln hier unter der Duftmarke „Freiheit“ nämlich Rechte und Rechtsextreme, die ganz andere Freiheiten meinen.
Beispiel 1: Jörg Baberowski
Baberowski (60) ist ein deutscher Historiker und Gewaltforscher, der sich auf den Stalinismus und Osteuropa spezialisiert hat. Er hat aus seiner Forschung, die durchaus umstritten ist, auch viel Anerkennung bezogen. Seit 2014 liefert sich der Professor der Humboldt-Universität Berlin einen mehr als heftigen Streit mit einer trotzkistischen Gruppe, der im Jänner 2020 seinen vorläufigen Höhepunkt darin fand, dass Baberowski eigenhändig Wahlplakate der Gruppe vom schwarzen Brett riss und dem Studenten, der ihn dabei filmte, androhte: „Soll ich Dir was in die Fresse hauen?“
Beim Netzwerk Wissenschaftsfreiheit wird Baberowski so beschrieben:
Nachdem Jörg Baberowski, Professor für Geschichte Osteuropas an der HU Berlin, schon seit mehreren Jahren Verleumdungen und Störaktionen durch eine trotzkistische Splittergruppe ausgesetzt ist, entwickelt sich nach einem kritischen Beitrag zur Migrationspolitik eine Kampagne gegen den Historiker. Er wird als Rechtsextremist, Rassist und Holocaust-Leugner diffamiert und im Vorfeld von Vortragsveranstaltungen bedroht. Auch die Gründung eines von ihm konzipierten interdisziplinären Zentrums für vergleichende Diktaturforschung scheitert vor diesem Hintergrund.
Da wird eine Opferlegende gestrickt, die schon im Ansatz nicht stimmig ist. Dem Jahr 2014 entspringt nicht nur Baberowskis Infight mit der trotzkistischen Gruppe, sondern auch ein Zitat im „Spiegel“ (9.2.14), das tatsächlich ein heftiger Schlag, aber sicher kein Treffer ist: „Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam. Er wollte nicht, dass an seinem Tisch über die Judenvernichtung geredet wird.“ Baberowski hat diese Aussage nicht unüberlegt getroffen, hat sie auch später mehrfach gerechtfertigt. Falsch ist sie trotzdem und zudem unendlich zynisch, ja widerlich gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus.
Schon Jahre zuvor und später immer wieder hat er den Revisionisten Ernst Nolte verteidigt, der behauptet und damit den Historikerstreit ausgelöst hatte, dass die NS-Vernichtungspolitik und der Holocaust aus Furcht vor der russischen Oktoberrevolution entstanden sei und damit den Historikerstreit ausgelöst hatte. Für den Judaistik-Wissenschafter Micha Brumlik war Nolte damit der „erste deutsche, einigermaßen renommierte Gelehrte, der sowohl den Antisemitismus als auch den Holocaust nicht nur ‚versteht‘, sondern offen rechtfertigt“ (Frankfurter Rundschau, 7.5.94, zit.nach Wikipedia).
Baberowski ist nicht jedoch nur durch seine erschreckenden Aussagen zum Nationalsozialismus und seinen Streit mit den Trotzkisten auffällig geworden. Ab 2015 erregte er sich auch über Geflüchtete, Merkels Politik und die angeblichen Versuche, ihn und seinesgleichen nach „Dunkeldeutschland“ abzudrängen. Nach den ersten Brandanschlägen auf Asylunterkünfte gibt Baberowski in einem Interview mit dem Sender 3sat ein Interview den Gewaltversteher: „Überall da, wo viele Menschen aus fremden Kontexten hinkommen und die Bevölkerung nicht eingebunden wird in die Regelung all dieser Probleme, da kommt es natürlich zu Aggression.” (zit. nach taz)
Der Satz macht die Runde, wird in einem Flugblatt zitiert, der Professor klagt, erklärt, er sei sinnentstellend zitiert worden. Die Flugblattverfasser ließen nämlich weg, was Baberowski noch gesagt hatte: „Gott sei Dank ist in Deutschland noch niemand umgekommen.” Die Brandanschläge seien schlimm genug, aber angesichts der Probleme Deutschlands mit der Einwanderung „ist es ja noch eher harmlos, was wir haben”. Die Eruption von Gewalt und Brandanschlägen auf Unterkünfte von Geflüchteten 2015 und 2016 harmlos? Die Mordtaten des NSU und anderer auf Zugewanderte –„niemand umgekommen“? Das Gericht hält Baberowski zugute, dass er Gewalt abgelehnt habe, befindet aber, dass es durch die Meinungsfreiheit gedeckt sei, ihn rechtsradikal zu nennen.
„Männer in Deutschland haben Gewalt verlernt. Sie rufen die Polizei, anstatt sich mit Gewalt zu wehren”, zitiert ihn die „Welt“ (23.5.2016) anlässlich seiner „Reflexionen“ über die Kölner Silvesternacht 2015. Und weiter: „Zivilisatorisch sei dieses Delegieren von Gewalt an den Staat ein unbedingter Fortschritt, um den man lange gerungen habe. Nur in einer Situation wie der Silvesternacht mache solches Verhalten natürlich sehr hilflos.“
Was wollte uns Baberowski damit sagen? Dass man es so wie er bei der fragenden Drohung („Soll ich Dir was in die Fresse hauen?“) belassen soll? Das ist gewiss etwas polemisch, ist aber nichts gegen die Polemik, derer sich Baberowski bedient, wenn er sich kritisiert sieht. Sehr detailliert beschreibt das der Historiker Jan Plamper in einem Beitrag für die Zeitschrift „Merkur“. Weil in einer „Spiegel“-Rezension von Plampers Buch „Das neue Wir: Warum Migration dazugehört: Eine andere Geschichte der Deutschen“ auch Baberowski erwähnt wird (er wird tatsächlich nur erwähnt!), sieht er sich von der Rezensentin als Rechtsradikaler und Fremdenfeind „denunziert“. Vergleichbares sei ihm auch durch Plamper widerfahren, weil der ihn in einer lesenswerten Replik in der „Huffington Post“ als Konservativen bezeichnete, der sich an eine verklärte Gegenwart klammere.
Diese Replik von Plamper nahm Baberowski nicht nur zum Anlass, um Plamper die Zusammenarbeit bei einer wissenschaftlichen Buchreihe aufzukündigen, sondern auch, um ihn beim Verlag anzuschwärzen: „was Baberowski mir und Neiman vorwarf – „Schmähung“, „hämisch“, „Denunziantin“ –, stimmte nicht. Wir waren – völlig unabhängig voneinander – nicht seiner Meinung, aber „denunzieren“ und „mit Schmutz bewerfen“?“ (Merkur) Der Verlag, der Plamper nach den Vorwürfen von Baberowski zunächst den Rücktritt von seiner Funktion als Mitherausgeber der Buchreihe nahegelegt hatte, entschuldigt sich schließlich bei Plamper. Wer denunzierte hier wen?
Bleibt noch der Vorwurf des Netzwerkes , dass die Gründung eines von Baberowski konzipierten interdisziplinären Instituts für vergleichende Diktaturforschung „vor diesem Hintergrund“ (gemeint sind die angeblich diffamierenden Vorwürfe gegen ihn) gescheitert sei: Baberowski, das Opfer, wieder einmal? Auch das stimmt so nicht! Richtig ist, dass die studentischen Vertreter*innen im Akademischen Senat der Humboldt-Universität gegen dieses Institutskonzept waren. Die Replik des Professors: Die studentischen VertreterInnen seien „linksextremistische Fanatiker“ und „unfassbar dumm“.
Richtig ist aber auch, dass von den vier wissenschaftlichen Gutachten zur Konzeption des Instituts zwei vernichtend waren und eines der zwei positiven vom Mitglied der (späteren) Steuerungsgruppe des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit, Andreas Rödder, stammte. (vgl. taz) Den Antrag auf die Errichtung des Instituts hat Baberowski anscheinend selbst zurückgezogen, polemisierte dann aber auch gegen die Universität, die unter dem Druck der Studierenden eingeknickt sei. Die Universität, so Baberowski, müsse ein Ort des „wilden und ungebundenen, unbeschränkten Denkens“ sein.
Jetzt wissen wir zwar einigermaßen, was sich Baberowski unter wildem Denken vorstellt, aber war’s das schon? Baberowski ist zwar für das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit ein „role model“, aber da gibt es noch wesentlich extremere Beispiele, die sich dennoch als Opfer sehen. Darf das „wilde, ungebundene Denken“ im freiheitlichen Wissenschaftsklima an den Universitäten nicht nur revisionistisch, sondern auch rassistisch oder sexistisch sein?
➡️ Freiheitliches Wissenschaftsklima (Teil 2): Für Folter und Rasseforschung?