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Deplatforming: Einbruch des digitalen Ökosystems der Hassakteure

Sper­ren von Social Media-Accounts wer­den kon­tro­ver­si­ell dis­ku­tiert. Auch in Öster­reich gin­gen die Mei­nun­gen zum Raus­wurf des US-ame­ri­­ka­­ni­­schen Prä­si­den­ten von Twit­ter aus­ein­an­der – durch­aus auch im links-libe­ra­­len Lager. Nach­dem You­Tube in die­ser Woche das Video einer Rede von Her­bert Kickl gelöscht hat­te, gin­gen die Dis­kus­sio­nen hef­tig wei­ter. Man­che mein­ten, man habe Kickl damit letzt­lich gehol­fen. Doch […]

15. Jan 2021

Das mit Abstand pro­mi­nen­tes­te und reich­wei­ten­stärks­te „Opfer“ von Sper­ren auf Sozia­len Medi­en ist zwei­fel­los Donald Trump. Mit sei­ner unver­hoh­le­nen Unter­stüt­zung des Sturms aufs Washing­to­ner Kapi­tol ist er einen Schritt zu weit gegan­gen. Die Löschung sei­nes Twit­ter-Accounts mit mehr als 88 Mil­lio­nen Follower*innen war ein Ein­schnitt, wei­te­re Platt­for­men wie Face­book mit Insta­gram, You­Tube, Snap­chat, Tik­Tok u.a. (1) zogen mit Sper­ren nach. Eine berech­tig­te Kri­tik lau­tet, dass die Sper­ren erst dann erfolgt sind, als Trump als US-Prä­si­dent de fac­to Geschich­te war.

Nun hat es auch die FPÖ, genau­er gesagt, das Video Rede des FPÖ-Klub­ob­manns Her­bert Kickl erwischt. Sie wur­de von You­Tube mit der Begrün­dung gelöscht, Kickl habe medi­zi­ni­sche Fal­sch­nach­rich­ten ver­brei­tet. Damit lag You­Tube ein­deu­tig rich­tig. Neben Dif­fa­mie­rungs­or­gi­en in Rich­tung Regie­rung und SPÖ, füt­ter­te Kickl das impf­kri­ti­sche und ver­schwö­rungs­ideo­lo­gisch getrimm­te Kli­en­tel mit aller­lei Falsch­be­haup­tun­gen: Die Covid-Imp­fun­gen sei­en ein „Feld­ver­such der Phar­ma­in­dus­trie“ „ein Mas­sen­ex­pe­ri­ment (…), weil die Erpro­bung fehlt“ (die zig­tau­send Tests, die vor der Frei­ga­be der Imp­fung durch­ge­führt wur­den, igno­riert Kickl wohl ganz bewusst), Kin­der wür­den beim Infek­ti­ons­ge­sche­hen kei­ne Rol­le spie­len (das Gegen­teil bewei­sen inzwi­schen meh­re­re Stu­di­en, dar­un­ter eine aus Öster­reich), die neu­ar­ti­gen mRNA-Imp­fun­gen könn­ten die mensch­li­che DNA beein­flus­sen (was wis­sen­schaft­lich eben­falls hin­läng­lich wider­legt wur­de) und als Spit­ze eine Bemer­kung, die er bereits im ORF-Talk „Im Zen­trum“ – de fac­to unwi­der­spro­chen – von sich geben konn­te: Es gäbe laut der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on WHO kei­ne Daten, die bele­gen wür­den, dass die nun­mehr zur Anwen­dung frei­ge­ge­be­nen Imp­fun­gen tat­säch­lich vor Covid schüt­zen. Im Gegen­teil: Die Appel­le der WHO gehen im Moment in die Rich­tung, die beschränkt ver­füg­ba­ren Impf­stof­fe gerech­ter zu ver­tei­len, also auch auf benach­tei­lig­te Län­der und Bevöl­ke­rungs­grup­pen. Das wür­de sie kaum tun, wenn die Wirk­sam­keit nicht belegt wäre.

Was das Deplat­forming angeht, steht es Demo­kra­tien nicht gut zu Gesicht, dass eine klei­ne Grup­pe von Unter­neh­mens­chefs Ent­schei­dun­gen sol­cher Trag­wei­te trifft. Selbst, wenn das Ergeb­nis rich­tig ist für die Demo­kra­tie. (netzpolitik.org)

Der Ein­wand, dass pri­va­te Unter­neh­men wie Goog­le, Face­book & Co dar­über ent­schei­den, was öffent­lich gemacht wer­den kann und was nicht, ist durch­aus berech­tigt, dass das „rich­ti­ge“ Ergeb­nis für die Demo­kra­tie im Fall der groß­flä­chi­gen Sper­ren („Deplat­forming“) neo­na­zis­ti­scher und rechts­extre­mer Per­so­nen und Grup­pie­run­gen raus­kommt, zeigt die Stu­die „Hate not found?! Das Deplat­forming der extre­men Rech­ten und sei­ne Fol­gen“ des Insti­tuts für Demo­kra­tie und Zivil­ge­sell­schaft Jena. Die Ergeb­nis­se zusammenfassend:

  • Das Deplat­forming zen­tra­ler rechts­extre­mer Akteu­re schränkt deren Mobi­li­sie­rungs­kraft deut­lich ein und nimmt ihnen eine zen­tra­le Res­sour­ce, auf die ihre Insze­nie­run­gen abzie­len: Auf­merk­sam­keit. In die­ser Hin­sicht lässt sich ein­deu­tig sagen: Deplat­forming wirkt.

  • Repres­si­ve Platt­form­po­li­ti­ken tref­fen Hass­ak­teu­re nicht mehr über­ra­schend oder unvor­be­rei­tet. Im Gegen­teil: Es bil­de­ten sich inno­va­ti­ve Mus­ter des Umgangs her­aus, die Hand­lungs­fä­hig­keit signa­li­sie­ren. Dazu gehö­ren: seman­ti­sche Mimi­kry-Tak­ti­ken, (Audio-)Visualisierung der Pro­pa­gan­da, Schaf­fung von Fake-Accounts, Ein­satz von Pro­xies, Aus­wei­chen auf Alter­na­tiv­platt­for­men sowie Auf­bau eige­ner digi­ta­ler Infrastrukturen.

  • Alter­na­ti­ve Netz­wer­ke wer­den genutzt, um Inhal­te von gelösch­ten Akteu­ren wie­der gezielt auf den gro­ßen Platt­for­men zu ver­brei­ten. So navi­gie­ren Hass­ak­teu­re ihre Follower*innen und Inhal­te plattformübergreifend.

  • Tele­gram hat sich zum zen­tra­len Medi­um unter Hass­ak­teu­ren ent­wi­ckelt: 96% aller von uns unter­such­ten Hass­ak­teu­re haben hier (hyper-)aktive Kanä­le. Die meis­ten ver­ste­hen Tele­gram als ihre kom­mu­ni­ka­ti­ve Basis. Was die­ses hybri­de Medi­um beson­ders macht: Es gibt so gut wie kei­ne Mode­ra­ti­on der Betrei­ber, Push-Nach­rich­ten auf das Han­dy­dis­play wir­ken unmit­tel­ba­rer und es kann leicht zwi­schen pri­va­ter Mes­sen­ger­funk­ti­on und öffent­li­cher Kanal­funk­ti­on gewech­selt werden.

  • Der Rück­zug auf Alter­na­tiv­platt­for­men kann die Löschung aus dem digi­ta­len Main­stream nicht aus­glei­chen. Abge­se­hen von Tele­gram haben sich kei­ne sta­bi­len Aus­weich­fo­ren eta­bliert. Auf den bestehen­den Alter­na­tiv­platt­for­men kön­nen rechts­extre­me Ideen nicht effek­tiv zir­ku­lie­ren, da sie kaum von Nutzer*innen aus dem deutsch­spra­chi­gen Kon­text fre­quen­tiert werden.

  • Um nicht-inten­dier­te Fol­gen des Deplat­formings zu ver­mei­den, zum Bei­spiel die Stei­ge­rung von Auf­merk­sam­keit und der Bedeu­tung der Akteu­re, müs­sen Maß­nah­men bes­ser abge­stimmt, deut­li­cher kom­mu­ni­ziert und unab­hän­gig von poli­ti­schen Kräf­te­ver­hält­nis­sen durch­ge­setzt werden.

Das IDZ zeigt u.a. am Bei­spiel des Iden­ti­tä­ren-Chefs Mar­tin Sell­ner wie sich sei­ne Reich­wei­ten nach den Sper­ren auf Twit­ter und You­Tube über ande­re Kanä­le ent­wi­ckelt haben.

Im Juli 2020 war die rechts­extre­me Hass­grup­pe erneut von einer Wel­le von Sper­run­gen betrof­fen: auf Twit­ter (10.07.2020), You­Tube (15.07.2020) und Tik­Tok (16.07.2020). Auch Mar­tin Sell­ners Web­hos­ter kün­dig­te sei­ne Dienst­leis­tung auf. Sell­ners Web­site muss­te bei einem neu­en Betrei­ber unter­kom­men. Seit­dem weicht die Grup­pe ver­mehrt auf Alter­na­tiv­platt­for­men aus – aller­dings fin­det die Öffent­lich­keits­ar­beit der Rechts­extre­men dadurch vor deut­lich klei­ne­rem Publi­kum statt. Nach­dem allein Mar­tin Sell­ner auf You­Tube und Twit­ter noch im Juli 2020 etwa 180.000 Follower*innen erreich­te, ist das Publi­kum nun deut­lich geschrumpft. Den rund 144.000 Abonnent*innen auf Sell­ners gesperr­tem You­Tube-Kanal ste­hen etwa 16.900 Abonnent*innen auf der alter­na­ti­ven Video­platt­form BitChu­te und 6.300 Abonnent*innen auf der Strea­ming-Platt­form DLi­ve gegen­über. (Stu­die IDZ, S. 36) (2)

Neben der deut­lich ver­rin­ger­ten Reich­wei­te geht es auch um ver­mut­lich beträcht­li­che mone­tä­re Fol­gen. Der Spen­den­fluss wird gerin­ger sein, wenn nur mehr bei einem Bruch­teil der vor­her­ge­hen­den „Fans“ gekeilt wer­den kann.

Auf die Fra­ge, was kon­kret zu tun ist nach der Sper­rung von Accounts, zieht sich als Ant­wort der Auf­ruf zur finan­zi­el­len Unter­stüt­zung über Spen­den­kon­ten und Crowd­fun­ding-Platt­for­men wie ein roter Faden durch die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ka­nä­le (Abbil­dung 9). Über ein Drit­tel der Posts the­ma­ti­sie­ren, wie sehr die Sper­run­gen die finan­zi­el­len Res­sour­cen bean­spru­chen, und rufen zu Spen­den auf.  (Stu­die IDZ, S. 44)

IDZ-Studie Motivationales Framing von Postings nach dem Löschen von Plattformen: an 1. Stelle Aufrufe zur "finanzielle Unterstützung"
IDZ-Stu­die Moti­va­tio­na­les Framing von Pos­tings nach dem Löschen von Platt­for­men: an 1. Stel­le Auf­ru­fe zur „finan­zi­el­le Unterstützung”

Was alle gesperr­ten Akteu­re gemein­sam haben, ist die Insze­nie­rung als Opfer von „Zen­sur“ durch ver­meint­lich dik­ta­to­ri­sche Unrechts­re­gime – und das kön­nen wahl­wei­se Staa­ten oder eben Fir­men von soge­nann­ten Herr­schafts­eli­ten sein, die in einem „digi­ta­len Gulag“ gegen den unbeug­sa­men, unbe­que­men Wider­stand der erleuch­te­ten Kämp­fer von der rech­ten Sei­te vor­ge­hen. Oder wie es die FPÖ in einer Pres­se­aus­sendung zur Löschung von Kick­ls Rede auf You­Tube aus­drück­te: „Der Online-Gigant Goog­le hat auf sei­ner Video­platt­form You­Tube den nächs­ten Anschlag auf die par­la­men­ta­ri­sche Rede­frei­heit ver­übt.“ Dass Kickl sei­nen Unsinn im Par­la­ment frei ver­brei­ten konn­te, spielt in der FPÖ kei­ne Rol­le: You­Tube weg, par­la­men­ta­ri­sche Rede­frei­heit weg.

Mag sein, dass die nach der Sper­re prompt fol­gen­de brei­te Opfer­in­sze­nie­rung der FPÖ bzw. Kickl kurz­fris­tig gehol­fen hat, kon­se­quen­te und dau­er­haf­te Sper­ren ver­min­dern jeden­falls auch die Reich­wei­te des Zen­sur­ge­schreis. Die sei­ner­zeit mäch­tigs­te Schmutz­schleu­der der FPÖ via Social Media, die Face­book-Sei­te von Heinz-Chris­ti­an Stra­che, wur­de zwar letzt­lich Opfer der eige­nen par­tei­in­ter­nen Strei­te­rei, aber ihr Ver­schwin­den zeigt nicht nur, dass der FPÖ hier eine gro­ße Pro­pa­gan­da­platt­form ver­lo­ren gegan­gen ist, son­dern auch, wie kurz das Ablauf­da­tum einer gro­ßen Auf­re­gung sein kann: Heu­te kräht kein Hahn mehr danach.

Frag­los bedarf es eines genau­en Augen­ma­ßes und einer guten Recht­fer­ti­gung, um Löschun­gen durch­zu­füh­ren. Aller­dings ist jeder Akt der Löschung auch ein Signal an eine brei­te­re Gemein­schaft. Schließ­lich stärkt es Online-Com­mu­ni­tys, wenn ein­fluss­rei­chen Hass­grup­pen der Sau­er­stoff genom­men wird. So zei­gen Stu­di­en zur Löschung von Hass-Com­mu­ni­tys auf dem sozia­len Netz­werk Red­dit, dass auch in ande­ren Ecken der Platt­form Hass­posts sin­ken, wenn nor­ma­ti­ve Gren­zen fest­ge­legt und toxi­sche Inhal­te gebannt wer­den (Chandra­sek­ha­ran et al. 2017). Somit hat die Löschung ein­zel­ner Akteu­re weit über die gesperr­ten Accounts Aus­wir­kun­gen auf die Platt­form­kul­tur und bedarf einer gründ­li­chen Doku­men­ta­ti­on, um künf­ti­gen Fäl­len bes­ser zu begeg­nen. (Stu­die IDZ, S. 60)

Video der digi­ta­len Tagung zur Stu­die „Hate not found”

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Wei­te­re Infor­ma­tio­nen

1 Das-digi­ta­le-Ver­stum­men-von-Donald-Trump (kleinezeitung.at) 
2 Sell­ner: Tele­gram: 57.005 (lt. IDZ Nov. 2020) nun 58.998 (15.1.21); BitChu­te 16.358 (lt. IDZ Nov. 20) nun 17.539 (15.1.21); DLi­ve 10.220 (15.1.21).
Die von Rech­ten und Rechts­extre­men durch­setz­te Twit­ter-Alter­na­ti­ve „Par­ler“ wur­de nach dem Sturm aufs Kapi­tol als App sowohl von Goog­le als auch von Apple aus deren Stores ent­fernt, und der Web­hos­ter Ama­zon Web Ser­vices zeig­te Par­ler eben­falls die rote Kar­te. Sell­ner hat­te dort etwa 5.500 Follower.

 

 

 

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