Die Kleiderlaus und die Nazis

Was dem Hitler seine „Blon­di“, das war dem Göring sein „Muc­ki“. Der Anschein, die bei­den Ober­nazis wären zu zärtlichen Gefühlen für Mit­men­schen fähig gewe­sen, trügt. „Blon­di“ war Hitlers Schäfer­hündin, die er so innig liebte, dass er nach ihrem Tod noch weit­ere zwei Hündin­nen nach ihr benan­nte. „Muc­ki“ war hinge­gen ein­er von den sieben Löwen, die in Görings Dom­izilen ihre Jugend ver­brin­gen durften. Das wider­sprüch­liche Ver­hält­nis der Nazis und des Nation­al­sozial­is­mus zu Tieren, das ist das span­nende, aber auch unter­halt­same The­ma des Buch­es von Jan Mohn­haupt: „Tiere im Nationalsozialismus“

Man ken­nt das ja auch aus Beken­nt­nis­sen und Kom­mentaren von Neon­azis, für die die Liebe zu ihren Tieren – zumeist Hunde – manch­mal zum poli­tis­chen State­ment gegen bes­timmte Men­schen und die Men­schheit ins­ge­samt gerät. Bei Hitler war das auch so. Seine dritte und let­zte „Blon­di“ liebte er so sehr, dass ihr die eifer­süchtige Eva Braun manch­mal unter dem Esstisch einen Tritt ver­set­zte, der das Tier auf­jaulen ließ, was einen leicht­en Tadel der Hündin durch Hitler zur Folge hatte.

Die geliebte „Blon­di“ ließ Hitler allerd­ings vor seinem eige­nen Suizid gnaden­los durch eine Zyankali-Kapsel vergiften. Die Hündin sollte so wie das undankbare „deutsche Volk“ ihn nicht über­leben dür­fen – auch die anderen Hunde in Hitlers Nähe nicht. Von denen durfte das „deutsche Volk“ aber auch vorher nichts erfahren. Die Scotch-Ter­ri­er von Eva Braun waren auf fast keinem der sorgfältig insze­nierten Fotos von Hitler mit Blon­di und Eva Braun zu sehen.

Adolf Hitler mit Blondi auf dem Berghof (Bundesarchiv_B_145_Bild-F051673-0059,_Adolf_Hitler_und_Blondi_auf_dem_Berghof)

Adolf Hitler mit Blon­di auf dem Berghof (Bun­de­sarchiv)

Die Hunde in den KZ kamen auch erst nach der Nieder­lage des Nation­al­sozial­is­mus an die Öffentlichkeit. Ihre Essen­sra­tio­nen wur­den bewusst extrem niedrig gehal­ten, um die Tiere möglichst hun­grig und aggres­siv zu machen. „Ralf“ und „Rolf“ hießen die Doggen, die Amon Göth im KZ Plas­zow auf KZ-Häftlinge het­zte, „Bar­ry“ der Mis­chlings-Bern­har­diner, der sie auf Geheiß von KZ-Kom­man­dant Kurt Franz in Tre­blin­ka zu Tode biss. Im Frauen-KZ Ravens­brück waren mehr Hunde als in anderen KZ einge­set­zt, weil, so Mohn­haupt, Himm­ler der Mei­n­ung war, man könne Frauen mit Hun­den mehr ein­schüchtern als Männer.

"Barry", Hund von KZ-Kommandat Kurt Franz (NY Times)

„Bar­ry”, Hund von KZ-Kom­man­dat Kurt Franz (NY Times)

Für Göring gab es völ­lig andere Pri­or­itäten. Seine Löwen waren für ihn die „Her­ren­tiere“ schlechthin. Sie durften sich in den Räum­lichkeit­en des Reich­skan­zlers frei bewe­gen, im Auto neben ihm sitzen, wur­den dann allerd­ings im Alter von ein bis zwei Jahren, bevor sie ihn anfall­en hät­ten kön­nen, an den Zoo abgegeben. Anson­sten inter­essierte sich Göring nur für Hirschen, die er zu Dutzen­den in seinen Jag­drevieren abschoss, wobei er eifer­süchtig darüber wachte, dass nur er die kap­i­tal­sten erlegte. Für Hitler war die Jagd hinge­gen ein „feiger Sport“.

Mohn­haupt bringt dutzende gut belegte Geschicht­en über das wider­sprüch­liche Ver­hält­nis der Nazis zu Tieren ans Licht. Haustiere hat­ten für die Nazis eigentlich nur dann einen Stel­len­wert, wenn sie nüt­zlich waren – so wie das Schwein. Am Schwein erkenne man den Ari­er – das war die ide­ol­o­gis­che Leitlin­ie von „Reich­sernährungsmin­is­ter“ Walther Dar­ré, für den das Schwein die Leitrasse der nordis­chen Völk­er war. Mit ihr wollte der Schöpfer der „Blut und Boden“-Parole die beson­dere Bedeu­tung des Hauss­chweins für die Kriegswirtschaft ide­ol­o­gisch und his­torisch unter­mauern, scheit­erte daran allerd­ings nicht nur prak­tisch, son­dern auch his­torisch: Die ältesten Funde von domes­tizierten Schweinen stam­men aus­gerech­net aus den Gegen­den, in denen später Juden­tum und Islam den Genuss von Schweine­fleisch ver­boten haben.

In der Nazi-Hier­ar­chie waren die nicht­do­mes­tizierten Tiere die eigentlichen „Her­ren­tiere“ – so, wie die selb­ster­nan­nten „Her­ren­men­schen“ ganz oben. Allen voran aber nicht die von Göring geliebten Löwen, son­dern der Wolf. Die große Bewun­derung für die Wölfe zieht sich durch die Nazi-Geschichte bis hin zur Benen­nung der Hitler-Kriegsquartiere in „Wolf­ss­chanze“, „Wolf­ss­chlucht“ und „Wer­wolf“. Die Nazis schrieben ihnen Eigen­schaften zu, die sie auch für sich in Anspruch nah­men: blutrün­stige, uner­bit­tliche Jäger. Wenn sie Görings Hirschen in die Quere kamen, wur­den sie allerd­ings trotz ihrer Klas­si­fizierung als „nicht­jagdbares Haar­wild“ uner­bit­tlich abgeschossen.

Dort, wo es Her­ren­men­schen und Her­ren­rassen gibt, gibt es natür­lich auch Men­schen, die eher Tiere oder Unter­men­schen sind. Die dür­fen in der Nazi-Ide­olo­gie dann genau­so ver­nichtet wer­den wie die „Schädlinge“, die Mohn­haupt am Beispiel der Insek­ten den „Nüt­zlin­gen“ gegenüber­stellt. Seinem Insek­tenkapi­tel stellt er einen klu­gen und weit­sichti­gen Satz von Aldous Hux­ley aus dem Jahr 1936 voran: „Wenn Sie einen Men­schen eine Wanze nen­nen, bedeutet das, dass Sie die Absicht haben, ihn wie eine Wanze zu behan­deln.“ Wanzen, Läuse, Zeck­en, Rat­ten, Par­a­siten usw. – das waren bevorzugte Attribute der Nazis für die „Unter­men­schen“. In der „Zecke“ für Antifaschis­ten haben sie bei Neon­azis und Recht­sex­tremen bis heute über­dauert.

Grandios ist die Abhand­lung Mohn­haupts über den „Nüt­zling“ Sei­den­raupe für die Rüs­tungspoli­tik der Nazis (Fallschirme!), der dem „Schädling“ Kartof­felkäfer gegenübergestellt wird. Bei den Insek­ten gibt es dann auch eine beson­dere Pointe, denn, so Mohn­haupt: „Wenn es über­haupt ein Tier gibt, das – zumin­d­est für eine gewisse Zeit – von diesem Krieg prof­i­tiert hat, dann war es wohl die Klei­der­laus.“ Mit Klei­der­läusen kon­nten sich allerd­ings die von ihnen beson­ders geplagten KZ-Häftlinge gegen ihre SS-Auf­se­her wehren: indem sie sie sorgfältig ein­sam­melten und in frisch gewasch­ene und gebügelte Hemd­krä­gen ihrer Peiniger einschleusten.

Die Hal­tung von Haustieren wurde Juden und Jüdin­nen von den Nazis aus­nahm­s­los unter­sagt -–eine der vie­len ras­sis­tis­chen Bösar­tigkeit­en, die schon bei der Machter­grei­fung der Nazis 1933 mit dem Ver­bot der Schäch­tung begonnen hat­ten. Es ist wohl kein Zufall, dass die FPÖ auch in den ver­gan­genen Jahren immer wieder mal die Schäch­tung the­ma­tisiert hat.

Die Katze war übri­gens jenes Hausti­er, das für die Nazis keine Nüt­zlichkeit aufwies – im Unter­schied zu den Haushun­den (bevorzugt natür­lich in der Rasse des Deutschen Schäfer­hun­des) als Wächtern und Begleit­ern des „Her­ren­men­schen“. Darin ähnel­ten die Nazis, so Mohn­haupt, jen­em mit­te­lal­ter­lichen Aber­glauben, der die Katzen für die Pest ver­ant­wortlich machte und die Jäger der Rat­ten, die die Pest über ihre Flöhe übertru­gen, auszurot­ten ver­suchte. Für den fanatis­chen Nazi-Lit­er­at­en Will Ves­per waren Katzen „reine Stadt­tiere – tück­isch, falsch und asozial, kurzum »die Juden unter den Tieren«“.

Mohn­haupt: „Wenn Ves­per nicht ger­ade Führergedichte und Tier­märchen ver­fasst oder in der NS-Zeitschrift Die Neue Lit­er­atur gegen ver­meintlich jüdis­che Autoren und Ver­leger wie Hesse het­zt, zieht er mit­samt Hund und Schrot­flinte durch den weitläu­fi­gen Park seines Gutes Tri­an­gel bei Gifhorn und erschießt alle Katzen, die er find­en kann, damit sie nicht die Nester der Singvögel plün­dern.

Mohn­haupts Buch: eine Fund­grube über das wider­sprüch­liche, ver­lo­gene und auch lächer­liche Ver­hält­nis der Nazis zu Tieren!

Jan Mohn­haupt, Tiere im Nation­al­sozial­is­mus. Hanser Ver­lag München 2020