Fast alle Kommentare zu der TV-Runde gaben sich entsetzt über die rüden Töne und beklagten den Verfall der politischen Kultur, der nur Verlierer zurücklasse. Noch immer überwiegt die Meinung, die in der „Neuen Zürcher Zeitung“ vom 7.September 2020 so formuliert wurde: „Die Linke zeichnet eine möglicherweise überzogene und unrealistische Schreckensvision, dass Präsident Trump nach einer knappen Wahlniederlage versuchen könnte, gestützt auf bewaffnete Privatarmeen weiterzuregieren.“
Das war noch vor der Botschaft Trumps an seine „Proud Boys“, aber nur einige Monate, nachdem er bewaffnete Milizen in Michigan, Minnesota und Virginia aufgefordert hatte, ihre Staaten zu befreien („Liberate!“) – von ihren demokratischen Gouverneuren, die einen Corona-Lock-Down beschlossen hatten.
Schon 2017, als Rechtsextreme aller Schattierungen und Neonazis in Charlottesville aufmarschierten, dabei ein Neonazi mit seinem Auto eine Gegendemonstrantin tötete und viele Menschen verletzte, wollte sich Trump im Endeffekt nicht klar von dem rechtsextremen Aufmarsch und der Gewalt dabei distanzieren und erhielt dafür Applaus vom Neonazi David Duke, dem viele Jahre in Österreich lebenden früheren KKK- Guru: „Thank you President Trump for your honesty & courage to tell the truth about #Charlottesville & condemn the leftist terrorists in BLM/Antifa“ (BLM= Black Lives Matter).
Die Proud Boys, die über die direkte Ansprache und Unterstützung des Präsidenten natürlich jubelten, sind nur eine der zahlreichen, fast ausschließlich rechten und rechtsextremen Milizen, die – von der vermutlich größten, den Oath Keepers bis hin zu eher kleinen wie den Patriot Prayers – nach einer Zählung des Southern Poverty Law Center im Jahr 2019 insgesamt 181 bewaffnete Gruppen umfassten.
Die rechtsextremen Lieblinge des Präsidenten, die Proud Boys, sind vermutlich eine Gruppe mittlerer Größe (die Schätzungen reichen von mehreren hundert bis ca. 6.000 Männer), die 2016 vom früheren VICE-Mitgründer Gavin McInnes gegründet wurde und mittlerweile auch in Australien, Großbritannien, Norwegen und Kanada präsent ist. Das FBI stufte die Gruppe 2018 noch als extremistisch ein, reduzierte die Einstufung dann aber auf einige Kader. Ideologisch geben sich die Proud Boys als moderate Rechtsextreme, werden darum auch oft als Alt Lite (im Unterschied zu Alt Right) bezeichnet. Eine Camouflage, denn die Proud Boys zeichnen sich nicht nur durch eine offene Misogynie höheren Grades, Islamophobie, Homophobie und Rassismus aus, sondern auch durch ihre Gewaltbereitschaft. Wer in die Gruppe aufgenommen werden will, hat einen mehrstufigen Initiationsritus zu absolvieren, bei dem dann „ im Sinne der Sache“ eine Schlägerei angezettelt werden muss. Vom Southern Poverty Law Center erhielten sie deshalb auch die Bezeichnung „Facebooks Fight Club“.
Diese Bezeichnung hat sich mittlerweile insofern erledigt, weil die Konten der Proud Boys 2019 von Facebook, Instagram und auch Twitter gesperrt wurden. Weil sich die Proud Boys mit schwarzen T‑Shirts mit gelben Streifen der Textilmarke Fred Perry uniformieren, hat die Firma jetzt bekanntgegeben, die Produktion dieser Shirts ab sofort einzustellen. Es sei unglaublich frustrierend, wenn Fred Perry mit dieser Gruppe in Verbindung gebracht werde, heißt es in einer Erklärung der Firma.
Obwohl die Proud Boys bzw. ihre Aktivisten immer häufiger durch Gewaltaktionen auffallen, hat die Organisation auch eine eigene paramilitärische Unterorganisation, „Fraternal Order of Alt Knights“ (FOAK).
Auch wenn sich die Umgebung des Präsidenten sofort nach Trumps Ermutigung an die Proud Boys bemühte, den Spruch als Versprecher zu interpretieren, weil seine Intention eigentlich eine Verurteilung der Gruppe gewesen sei: Es gibt eine ziemlich klare Position des US-Präsidenten zu Rechtsextremismus, Rassismus und „White Suprematism“, zu rechtsextremen Milizen und auch zu rechtsextremer Gewalt. Die war schon vor seinem Amtsbeginn erkennbar, erreichte mit der Bestellung des Rechtsextremisten Steve Bannon zu seinem strategischen Berater einen ersten alarmierenden Höhepunkt und hält über verschiedene Ereignisse (Charlottesville, Michigan) und rassistische (bzw. sexistische) Sprüche jetzt bei dem offenen Zuspruch an eine rechtsextreme, faschistische Miliz Zwischenstation (CNN beschreibt und kommentiert das hier) .
Trump hat bereits mehrfach deutlich gemacht, keineswegs eine friedliche Amtsübergabe garantieren zu wollen. Zumindest der Journalist, der ihn danach gefragt hat, hat keinen Zweifel mehr: „Donald Trump setzt sich für den Bürgerkrieg ein.“ Jetzt hat Trump dafür auch seine Stiefeltruppen nominiert.