In der etwa zweistündigen Doku über die rechtsextreme Szene in Deutschland war ein Treffen in einer Berliner Bar zwischen der mittlerweile von der rechten Szene ausgestiegenen YouTuberin Lisa Licentia und dem damaligen Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Christian Lüth, zweifellos jener Moment, auf den viele nach dem Zeit-Artikel gewartet hatten. Anders als im Artikel wurde in der Doku Lüths Name nicht genannt; durch das Outing über „Die Zeit“ war Lüth seinen Parteiposten innerhalb kürzester Zeit los.
Das, was als Gedächtnisprotokoll im Off zu dem in der Bar mitgefilmten Treffen zu hören war, versetzte wohl auch manche in der AfD in Schnappatmung:
Lisa Licentia: „Worum geht es?“
Christian Lüth: „Es geht erstmal um den Erhalt der Partei. AfD ist wichtig.
Lisa Licentia: „Ja.“
Christian Lüth: „Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD. Das ist natürlich scheiße, auch für unsere Kinder. Aber wahrscheinlich erhält uns das. Wenn jetzt alles gut laufen würde, dann wäre die AfD bei drei Prozent. Deshalb müssen wir uns eine Taktik überlegen zwischen: Wie schlimm kann es Deutschland gehen? Und: Wieviel können wir provozieren? Und dazwischen müssen wir kommunizieren. Sehr schwierig.“
Lisa Licentia: „Vor allem klingt das so, als ob es in deinem Interesse wäre, dass noch mehr Migranten kommen.“
Christian Lüth: „Ja, weil dann geht es der AfD besser. Wir können nachher immer noch alle erschießen. Das ist überhaupt kein Thema. Oder vergasen, oder wie du willst. Mir egal! Aber jetzt, wo die Grenzen immer noch offen sind müssen wir dafür sorgen, solange die AfD noch ein bisschen instabil ist und ein paar Idioten da antisemitisch rumlaufen, müssen wir dafür sorgen, dass es Deutschland schlecht geht.“
Zwischendurch, so ist der Doku zu entnehmen, telefonierte Lüth immer wieder – auch mit dem Fraktionsvorsitzenden (in Österreich „Klubobmann“) Alexander Gauland, als dessen Vertrauter der zuerst für die FDP, dann ab Parteigründung für die AfD tätige Lüth gegolten hatte. Besprochen wurde das Wording zu dem sich abzeichnenden schlechten Ergebnis der AfD bei der damals gerade laufenden Auszählung der Bürgerschaftswahl in Hamburg. „Wir werden die Opferrolle spielen und werden sagen: Hanau mit der linksversifften Presse ist ne Unverschämtheit.“
Lüths Strategie, die er Gauland geraten hatte, setzten der und seine Parteikumpanen dann auch prompt um.
Was in Hamburg schwierig gewesen sei, sagte dann Gauland am Montag: Die AfD sei „in einer Weise ausgegrenzt“ worden, es sei gegen sie „eine Hetze betrieben“ worden, „wie ich das bisher nicht für möglich gehalten habe“. Von einer „maximalen Ausgrenzung der AfD“ sprach der Hamburger Spitzenkandidat Dirk Nockemann. (welt.de, 24.2.20)
Zwei Monate später, im April 2020, wurde Lüth als Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion beurlaubt, weil bekannt geworden war, dass er sich in Chats mehrfach als „Faschist“ bezeichnet und stolz auf seine „arische“ Abstammung verwiesen hatte. Angestellt bei der Partei war er weiterhin. Nur wenige Tage vor seinem endgültigen offiziellen Aus wurde seine Beurlaubung zu einer dauerhaften Enthebung aus seiner einflussreichen Funktion – angeblich war die Partei dabei, für ihn eine neue Funktion zu finden. Das muss sie nun nicht mehr. Einige werden aufatmen, denn Lüth habe als unzuverlässig gegolten und sei daher unter dem Spitznamen „Lügen-Lüth“ bekannt gewesen.

Vor dem Hintergrund der hohen Funktion, die Lüth innerhalb der AfD inne hatte, ist das erste Statement aus der Partei via Twitter wohl als Panikreaktion zu bezeichnen, und die heißt dreistes Leugnen:
Herr Lüth ist kein Mitglied der AfD und seit drei Jahren nicht mehr für die Partei tätig. Er konnte im Februar 2020 nicht für uns als Partei sprechen. Bei der Bewertung seiner von ZEIT ONLINE wiedergegebenen Aussagen kann es wohl keine zwei Meinungen geben.
AfD betreibt auf Twitter Kindesweglegung

In der Doku zu sehen sind auch Szenen aus einer Diskussionsveranstaltung, zu der die AfD in den Bundestag geladen hatte. Mit dabei am Podium war der aus Deutschland nach Innsbruck gewechselte Soziologe Michael Ley, der wegen seiner islamfeindlichen Haltung auch von der FPÖ hofiert wird. Da sichtete das scharfe (und geschulte) Auge von FIPU auch einen aus Wien altbekannten Herrn: Thomas Hüttner, noch stellvertretender Klubobmann der FPÖ Donaustadt, einst Chefredakteur des rechtsextremen „Der Eckart“.
Österreich-Sichtungen in der Pro7-Doku #RechtsDeutschRadikal:
‑der unvermeidliche Martin S.
‑Michael „Islam verbieten” Ley
‑der Wiener FPÖ-Lokalpolitiker Th. Hüttner, unter Kurz/Strache Kabinettsmitarbeiter im Sozialministerium und dem Vernehmen nach nun AfD-Entwicklungshelfer— FIPU (@fipu_at) September 29, 2020
Im Jänner war im Zuge des Besuchs von Herbert Kickl bei der FPÖ-Schwesterpartei in Berlin bekannt geworden, dass ehemalige Mitarbeiter der gerade aus der Regierung geflogenen FPÖ in der AfD-Bundestagsfraktion angeheuert hätten, um dort ihre „Expertise“ einzubringen – darunter sei ein Ex-Kabinettsmitarbeiter der FPÖ-Ex-Sozialministerin Hartinger-Klein. Das träfe jedenfalls auf Thomas Hüttner zu.
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Bei der Pressekonferenz, die Herbert Kickl in Berlin mit Alice Weidel und Alexander Gauland hielt, war zwar Thomas Hüttner nicht zu sehen, dafür aber Christian Lüth. Kickl betonte damals, die Zusammenarbeit mit der AfD vertiefen zu wollen. Und was sagt die FPÖ nun zu den auch in Österreich diskutierten Vorfällen in ihrer deutschen Schwesterpartei? Es herrscht Schweigen im Walde! Aber auch das ist vielsagend.

Interview mit dem Macher der Doku Thilo Mischke – inklusive Bar-Szene mit Christian Lüth