Tristan Ammerer ist mit etwa 30 Grazer*innen am Abend des 22. August vor der Grazer Synagoge gestanden, um ein Zeichen zu setzen: „Nachdem die Polizei den Schutz verweigert, geh ich da jetzt hin und steh da heute Nacht. Wäre cool nicht alleine zu sein“, verlautbart er über Facebook und Twitter.

Vorangegangen waren drei antisemitische Attacken innerhalb von vier Tagen: zwei Mal auf die Grazer Synagoge, dann ein tätlicher Angriff auf den Präsidenten der Kultusgemeinde mit einem Holzprügel. Erst danach reagierte die Polizei und postierte Personal vor der Synagoge. Tristan Ammerer, Grüner Bezirksvorsteher im Bezirk, wo die Synagoge, damit das Zentrum des jüdischen Lebens in Graz steht, hatte zuvor ein Schreiben an die Grazer Polizei gerichtet, in dem er nach den ersten beiden Attacken Polizeischutz für die Synagoge angefordert hatte. Erfolglos! Elie Rosen, Präsident der Israeltischen Kultusgemeinde in Graz, konnte sich nur durch Flucht in sein Auto vor der Prügelattacke durch den Täter – ein 31-jähriger Syrer, der 2013 nach Österreich gekommen war und aus „islamistischen Motiven“ gehandelt hatte, wie er selbst angab – retten.
Da standen nun also ein paar Grazer*innen im strömenden Regen bis tief in die Nacht hinein; Fotos von der Mahnwache gingen durch die Medien und transportierten: Graz setzt ein Zeichen gegen Antisemitismus, Graz beschützt die Synagoge.
GrazerInnen passen heute Nacht auf die Synagoge auf. Kein Platz für Judenhass. pic.twitter.com/czbpdkItHi
— Colette Schmidt (@ColetteMSchmidt) August 22, 2020

Und dann das: In einem formlosen Mails mit einer Anrede, die eher an Wutpostings auf Facebook erinnert als an ein polizeiliches Schreiben, erhält Ammerer die Information über eine Dreifach-Anzeige durch die Polizei.
Herr AMMERER!
Aufgrund ihrer indirekten Aufforderung über die sozialen Medien, sich am 22.08.2020 an der „Mahnwache“ vor der Synagoge Graz zu beteiligen, traten sie als Leiter einer nicht angezeigten Versammlung in Erscheinung, weshalb sie gem. § 2 Abs. 1 Versammlungsgesetz zur Anzeige gebracht werden.
Bei dieser Versammlung wurde der Gehsteig zu verkehrsfremden Zwecken verwendet und dies nicht bei der zuständigen Behörde angezeigt, weshalb sie als verantwortlicher Leiter dieser Versammlung auch gem. § 99 Abs. 4 lit c StVO iVm § 86 StVO zur Anzeige gebracht werden. Weiters konnten die zivilen Überwachungskräfte beobachten, dass Sie als verantwortlicher Leiter der Versammlung nicht darauf geachtet haben, dass die COVID 19 Schutzmaßnahmen (MNS und/oder Abstand) eingehalten wurden, weshalb sie auch in dieser Angelegenheit angezeigt werden.
Hiermit wurden sie von der Anzeigeerstattung in Kenntnis gesetzt.
Sie können sich bis zum 2.9.2020 per Mail zu den einzelnen Punkten rechtfertigen, ansonsten wird hierorts davon ausgegangen, dass sie dazu keine Angaben machen.
Mit freundlichen Grüßen
Die allgemeine Empörung über diese Anzeigen war groß, es berichteten darüber alle Medien – Ammerer spricht auch von Anfragen aus der internationalen Presse. Die Polizei stellte sich in einem ersten Statement auf den Standpunkt, sie sei zu dieser Anzeige verpflichtet gewesen, bot aber indirekt an, die Sache eventuell bei einer Verwarnung zu belassen. Wie absurd das ist, zeigt die Standard-Journalistin Colette Schmidt in ihrem Kommentar auf:
Dass die Anzeige aus dem Stützpunkt kommt, in dem Beamte einer anderen Inspektion wegen rechtsextremer Chats angeklagt wurden, mag ein unglücklicher Zufall sein. Die Polizei argumentiert, man sei gesetzlich zur Anzeige verpflichtet gewesen, weil die Mahnwache nicht angemeldet war. Man stelle sich vor, Trauernde, die sich vor fünf Jahren spontan am Abend nach der Grazer Amokfahrt versammelten, wären angezeigt worden. Die Polizei hat hier einen Spielraum. Wie sie ihn nutzt, ist entscheidend – und vielsagend.
Und Tristan Ammerer zu „Stoppt die Rechten“:
Ich bin froh, dass es offenbar ernste Bestrebungen seitens der LPD gibt, die Geschehnisse mit mir aufzuarbeiten. Nächste Woche werde ich ein klärendes Gespräch führen.
Aber ich werde es auch nicht dabei belassen, dass ich ’nur’ abgemahnt werde für Delikte, die ich gar nicht begangen habe.
In der gesamten Angelegenheit seit dem ersten Angriff auf die Synagoge hat die LPD einiges aufzuarbeiten. Das wird sich nicht am Gespräch mit mir messen lassen, sondern daran, wie in Zukunft mit dem Problem Antisemitismus umgegangen wird.
Die Synagoge wird, wenn es darauf ankommt, von einer wachsamen Bevölkerung geschützt, die mit der Mahnwache und einer Demonstration ein unmissverständliches Zeichen gegen Antisemitismus gesetzt hat. Bleibt die Frage frei nach Georg Kreisler: Wer schützt die Grazer Polizei vor solchen Peinlichkeiten?